Die Quittung des Ritters von Tanzenberg

Autor: Ueberlieferung
Themenbereiche
Im 16. Jahrhundert lebte auf dem alten Schloß Tanzenberg Ritter Siegmund, ein habgieriger, gewalttätiger Herr, der seinen Untertanen das Leben sauer machte, wo er nur konnte. Ein Rappe, der ihn in manchem Streit auf dem Rücken getragen hatte, und ein Affe, der immer in seiner Nähe weilte, waren sein liebster Besitz. Zu den Ländereien des Ritters gehörte auch die Ortschaft Möderndorf, die er einem ehemaligen Verwalter des Gutes Tanzenberg verpachtet hatte. Der »Möderndorfer«, wie er kurz genannt wurde, lieferte immer pünktlich zur festgesetzten Zeit seinen Pachtschiling ab.
Als wieder einmal der Zinstermin gekommen war, begab sich der Möderndorfer auf das Schloß Tanzenberg, um dem Gutsherrn seine Schuld zu bezahlen. Ritter Siegmund nahm das Geld in Empfang, war aber nicht imstande, eine Quittung darüber auszustellen, da ihn ein heftiges Gichtleiden in den Händen schreibunfähig machte.
Bald darauf starb er, und sein Sohn, der sich bisher in Ungarn aufgehalten hatte, trat das Erbe an. Bei der Überprüfung der Bücher fand der junge Schloßherr, daß der Pächter von Möderndorf mit der letzten Pachtzahlung im Rückstand sei. Er ließ ihn daher zu sich rufen und verlangte die Abstattung der Schuld. Der Pächter beteuerte, daß er seine Zahlung pünktlich geleistet habe. Da verlangte der Ritter die Vorweisung der Quittung. Nun erzählte der Möderndorfer, wie es gekommen sei, daß der alte Schloßherr keine solche ausgestellt habe, aber er fand keinen Glauben. Entweder die Quittung oder das Geld, hieß es, und da der Pächter beides nicht besaß und auch nicht willens war, zweimal zu zahlen, schlich er betrübt nach Hause und verwünschte den unglücklichen Zufall, der damals die Ausstellung der Quittung verhindert hatte.
Eines Tages ritt er nach Karnburg, wo er ein Geschäft zu erledigen hatte, und kam unterwegs an der Hütte einer alten Zigeunerin vorbei, die im Ruf der Wahrsagerei stand. Da blitzte ihm der Gedanke durch den Kopf, die Alte um Rat zu fragen. Vielleicht, dachte er, weiß sie ein Mittel, wie ich zu der verlangten Quittung kommen könnte. Gedacht, getan! Er stieg vom Pferd, band es an einen Pflock vor der Hütte und trat durch die niedere Tür in einen düstern Raum, in dem die Alte am Herd hantierte. Ein schwarzer Kater saß auf der Schulter des Weibes und pfauchte den Eintretenden böse an. Der Pächter erzählte nun der Wahrsagerin die Geschichte mit der Quittung und fragte, was er tun solle.
»Ich will dir einen Rat geben«, sagt die Alte mit listigem Blinzeln, »aber du mußt genau befolgen, was ich dir sage.« Da er mit allem einverstanden war, mischte sie ein Tränklein, das sie ihm zum Trinken anbot. Dabei sagte sie:
»Besteige dein Pferd und reite in der Richtung, die ich dir zeigen werde. Auf dem Weg wird dir ein Jäger begegnen, der dein Pferd verlangen wird. Gib ihm darauf zur Antwort! >Pferd und Reiter gehören zusammen. Ich will die Quittung!< Wenn du dann weiterreitest, wirst du nach mehreren Stunden zu einem mächtigen Schloß kommen, wo man dir einen Trunk anbieten und dich einladen wird niederzusitzen. Beides mußt du jedoch ablehnen. Merke dir noch: Du darfst auf dem Weg nicht den Namen Gottes anrufen, sonst kann es dir übel ergehen.« Der Pächter bedankte sich herzlich, schwang sich auf das Roß und ritt alsdann in der angegebenen Richtung. Unterdessen hatte sich ein schweres Gewitter zusammgengeballt, grelle Blitze erhellten den düsteren Wald, durch den sein Weg führte, und heftiger Donner machte den Erdboden zittern. Sein Roß scheute und war kaum zu bändigen.
Plötzlich stand ein Jäger vor ihm und redete ihn an: »Verkaufst du dein Pferd?« Der Pächter erwiderte: »Pferd und Reiter gehören zusammen. Ich will die Quittung!« Der Fremde drehte sich um und verschwand. Dafür huschten jetzt allerlei unheimliche Gestalten durch den Wald, als wollten sie ihn von der Richtung ablenken oder am Weiterreiten hindern. Aber der Pächter ließ sich durch nichts abschrecken und setzte seinen Ritt mutig fort Das Gewitter hatte sich ausgetobt, der Wald begann sich zu lichten. Und mit einem Mal war der Reiter vor einem prächtigen Bau angelangt, der ganz dem Schloß Tanzenberg glich.
Er ritt durch das offene Tor in den weiten, prächtigen Burghof hinein und übergab sein Pferd einem herbeieilenden Knappen. Dann schritt er die Stiege empor, die zum Rittersaal führte. Hier begegnete er dem Kellermeister; das war ein alter Bekannter, mit dem er so manchen Humpen geleert hatte. »Nur hurtig herein«, rief fröhlich der Dickwanst, »Herr Siegmund erwartet dich schon!« Sie betraten zusammen den Saal, von dessen Wänden grellrote Flammen zu züngeln schienen. Eine große Tafel war mittel im Saal errichtet, an der eine ausgelassene Schar froher Zecher versammelt war. Der Möderndorfer erkannte sie alle; es waren Ritter und Pächter aus der Umgebung von Klagenfurt, in ihrer Mitte saß der alte Ritter von Tanzenberg. Ein eifriges Winken und Rufen erhob sich, als man seiner ansichtig wurde, von allen Seiten hieft man ihm gefüllte Becher entgegen und forderte ihn auf, Bescheid zu tun; Herr Siegmund hieß ihn freundlich an seiner Seite Platz nehmen. Aber eingedenk des Rates der alten Zigeunerin lehnte er beides dankend ab. Da sprach der Ritter: »Endlich kommst du daher! Was willst du von mir?«
Entschlossen erwiderte der Möderndorfer: »Ich will die Quittung!«
»Wenn du das Geld brauchst«, sagte darauf der Tanzenberger, »so wisse, es liegt im Katzenloch; eine Quittung ist nicht mehr nötig, da du in einem Jahr ohnedies bei mir herunten sein wirst«
»Das liegt in Gottes Hand«, erwiderte der Pächter. Da war es ihm auf einmal, als erwache er aus einem Traum. Verwundert um sich blickend, bemerkte er mit Schrecken, daß er mitten auf dem Friedhof von Maria Saal lag. Unweit von ihm graste sein Pferd, das an einem Grabkreuz angebunden war. Er konnte sich nicht enträtseln, wie er hierhergekommen sei, doch plötzlich fiel ihm ein, daß er ja wegen der Quittung bei Herrn Siegmund in der Hölle gewesen war, und zugleich sah er in seiner Hand einen Zettel, der die Aufschrift »Quittung« zeigte.
Hastig raffte er sich auf, bestieg sein Pferd und verließ den unheimlichen Ort. Die Quittung wies er dem Erben von Tanzenberg vor, auch gab er den Ort an, wo der angeführte Betrag verborgen sei. Doch niemand kannte das Katzenloch. Schließlich aber fand sich ein greiser Ochsenknecht, der früher im Dienst Siegmunds gestanden war und nun zaghaft erklärte, er kenne das Katzenloch; das sei ein unheimlicher Ort, an dem Geister zu Hause seien. Dieses Katzenloch war nämlich ein alter Turm des Schlosses Tanzenberg, in den sich der Affe des alten Ritters nach dem Tod seines Herrn zurückgezogen hatte. Das Tier war im Besitz eines kleinen silbernen Pfeifchens, das es dem Ritter entwendet hatte. Und da aus dem Turm öfter ein geheimnisvolles Pfeifen ertönte, glaubten die Dienstleute der Burg, ein Geisterspuk treibe dort sein Unwesen.
Als der junge Ritter mit dem Pächter zum Turm kam, zeigte sich gerade der Affe an einem Fenster des alten Gemäuers. Mit einem wohlgezielten Schuß wurde das Tier erlegt, und man drang in den Turm ein. Dort befand sich in einer Nische wirklich der verborgene Geldbetrag.
So hatte der Pächter von Möderndorf seinem schurkischen Gutsherrn noch in der Hölle die Quittung entrissen und das vermißte Geld wieder zustande gebracht