Die Politiker im Palais Royal.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1900
Autor: Atlantic, Erscheinungsjahr: 1900

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Paris, Französische Revolution, Prunk, Vergnügungsstätte,
Ungefähr in der Mitte von Paris auf der kleinen Place du Palais Royal und dem nördlichen Flügel des neuen Louvre gegenüber liegt das populärste Gebäude der französischen Hauptstadt, das Palais Royal, das 1629 bis 1634 von Richelieu gebaut wurde, der es dem König vermachte. 1643 bezog es Anna von Österreich mit ihren beiden Kindern, Ludwig XIV. und Philipp von Orleans, und seit jener Zeit heißt es der „Königspalast“, obwohl es seit länger als hundert Jahren alles Königliche abgelegt hat und eine Vergnügungsstätte des Volkes, und keineswegs der besseren Schichten desselben, geworden ist.

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Im 18. Jahrhundert erbte es nämlich Herzog Ludwig Philipp Joseph von Orleans, Vater des späteren Bürgerkönigs Ludwig Philipp. Dieser ausschweifende und lasterhafte Mensch verprasste in den wildesten Orgien ungeheure Summen und ließ, um seine Einkünfte zu vermehren, 1781 bis 1786 die drei großen Flügel, welche den Garten des Palastes einschließen, zu Läden, Restaurants und Vergnügungslokalen aller Art einrichten, und nun wurde der einstige Königspalast schnell der Sammelplatz aller revolutionären Elemente der Hauptstadt. Zehntausend Müßiggänger aller Stände und aus beiden Geschlechtern fanden sich dort täglich zusammen, und bei den aufgeregten Zeiten wurde ebenso zügellos, wie man dem Vergnügen dort nachging, auch Politik getrieben. In dem Garten, den das weite Bautenviereck heute noch umschließt, war Tag und Nacht beständig Volksversammlung; ein dichter Menschenknäuel umdrängte Kopf an Kopf die Tische, an denen alle Neuigkeiten umgingen, von denen herab Zeitungsartikel oder Dekrete der Regierung verlesen, aufreizende Reden gehalten und Anträge gestellt wurden! In jenen Räumen ist auch im Beginn der Revolution das Regiment der französischen Garden vom Volke zum Abfall und zur Meuterei überredet worden, dort war es, wo am 12. Juli 1789 Camille Desmoulins auf die Nachricht hin, dass der Minister Necker verabschiedet worden sei, was die Menge im Palais Royal als die Ankündigung eines Staatsstreiches gegen Recht und Freiheit auffasste, auf einen Tisch stieg und in flammender Rede zur bewaffneten Empörung aufforderte mit solchem Erfolge, dass die Politiker vom Palais Royal sofort, etwa 6.000 Mann stark, in die Stadt marschierten und die revolutionäre Erregung durch ganz Paris verbreiteten, worauf am 14. Juli der berühmte Bastillensturm stattfand, der den gewaltsamen Umsturz einleitete. Fortan wurde das Schloss Palais Egalité genannt. Unser vortreffliches Bild auf S. 32 und 33 lässt uns einen Blick in den Garten des Palais Royal tun am 13. Thermidor des Jahres II der französischen Republik, das heißt am 31. Juli 1794. Die furchtbare Schreckenszeit war durch den Sturz Robespierres in der denkwürdigen Sitzung des Konvents am 9. Thermidor und seine am 10. Thermidor erfolgte Hinrichtung beendet. Am 11. Thermidor fielen noch 70, am folgenden Tage noch 12 Jakobiner-Häupter unter der Guillotine; der Konvent stellte darauf die Sitzungen des blutigen Revolutionsgerichts ein. Paris, das wie unter einem fürchterlichen Banne gelegen hatte, atmete auf; man konnte wieder frei reden, ohne für sein Leben zittern zu müssen, und es herrschte allgemeiner Jubel. Im Palais Royal begann wieder das lustige Treiben von früher, noch im verstärkten Maße, denn nach dem Tode des Herzogs Philipp von Orleans war das Gebäude in die Hände seiner Gläubiger gekommen, die die Räume an Spielbankhalter und Besitzer von Vergnügungslokalitäten anrüchigster Natur vermieteten. Sogar ein Zirkus wurde im Garten aufgestellt. Auch die Politiker konnten nun bei Kaffee und Cognac ihre lebhaften Diskussionen wieder beginnen, und der Künstler hat uns im Vordergrund solch eine streitende Gruppe mit packender Naturwahrheit vorgeführt, die von dem übrigen Schwarm der Vergnügungssüchtigen sich höchst charakteristisch abhebt.