Abwägung der Gründe

Bei diesem Geschäft wollen wir uns an zwei Männer halten, die ganz neuerlich über diesen Gegenstand geschrieben haben, und zwar nicht als Judenfeinde aus religiösem Fanatismus — denn mit solchen Menschen ist nichts anzufangen, da sie der Vernunft geradezu ihr Ohr verschließen — sondern als bloße Politiker, die, obwohl sonst verständig und gutgesinnt, doch aus angeblich politischen Gründen sich gegen die dermalige Emanzipation der Juden erklärt haben. Mit solchen Männern lässt sich ein vernünftiges Wort sprechen. Von ihnen lässt sich hoffen, dass sie einstimmen werden, wenn man ihnen nachweisen kann, dass ihre Gegengründe in der Tat nur Scheingründe seien.

Der Erste ist ein Ungenannter, der in den Blättern für literarische Unterhaltung (Nr. 302 — 304. vom I. 1831) einen sehr lesenswerten Aufsatz über Juden und Judentum hat abdrucken lassen. Dieser Aufsatz bezieht sich zwar zunächst auf Gabriel Riessers Verteidigung der bürgerlichen Gleichstellung der Juden gegen die Einwürfe des Herrn O. Paulus (Altona, 1.831. 8.). Allein ich nehme hier weder auf die Schrift von Paulus noch auf die Gegenschrift von Riesser besondere Rücksicht, weil das, was ich in dieser besonderen Beziehung sagen könnte, nur eine unnütze Wiederholung dessen sein würde, was ich teils. schon gesagt habe, teils sofort sagen werde. Wollen aber die geneigten Leser diese beiden Schriften mit einander und mit der gegenwärtigen vergleichen, falls es ihre Zeit erlaubt: so dürfte eine solche Vergleichung nicht ohne Nutzen sein.


Nachdem der Ungenannte bemerkt hat, dass selbst im britischen Parlament, wo doch sonst dunkle Gefühle nicht als Beweisgründe angenommen werden, bei den Verhandlungen über die dort angetragene Emanzipation der Juden mehr die Stimme blinder Wut, als ernster Überlegung sich geltend gemacht zu haben scheine, fährt er fort: „Gehen wir alle die Gründe durch, die bald im gemeinen Leben zur Entschuldigung feindseliger Gesinnung gegen die Juden, bald in gesetzgebenden Versammlungen zur Rechtfertigung ihrer Ausschließung von politischen und bürgerlichen Rechten angeführt werden, so ist derjenige, der uns zuerst und am häufigsten begegnet, die Religionsverschiedenheit. Religionshass war die Quelle aller der entsetzlichen Verfolgungen, welche die Juden das ganze Mittelalter hindurch und in einzelnen Gegenden bis in die neueste Zeit zu erfahren hatten. Und verbürgen möchten wir es nicht, dass auch bei unsern gegenwärtigen Judenfeinden der religiöse Hass eine bedeutendere Rolle spielt, als sie vielleicht selbst werden Wort haben wollen.“ Hierauf widerlegt er die gegen die Emanzipation der Juden von der Religionsverschiedenheit hergenommenen Gründe — die aber, eigentlich alle nur Variationen eines und desselben Grundthemas sind — mit solcher Kraft und Klarheit, dass ich nicht begreife, wie auf diese Einwürfe noch irgend ein Gewicht gelegt werden könne.

Dennoch stimmt er nicht für jene Emanzipation; er hält sie vielmehr für unzulässig, und zwar einzig aus einem politischen Grunde. Er meint nämlich, die Nationalität der Juden habe etwas so Eigentümliches und Abstoßendes, dass sie mit der Nationalität der christlichen Völker Europas, namentlich der Deutschen, ganz unverträglich sei, und dass daher auch die Juden nicht in das christliche Bürgertum aufgenommen werden können.

Dieser, auch schon von andern angeführte, Gegengrund klingt wohl, trifft aber nicht, weil er in der Tat nur scheinbar ist. Hätte man die Juden in der langen Zeit, während der sie unter den Christen in Europa leben, nicht aus Religionshass vom Bürgertum ausgestoßen, und sie nicht überdies so unchristlich gedrückt und verfolgt: so ist die Frage, ob es überhaupt noch eine jüdische Nation in Europa geben würde. Sie hätte sich vielleicht schon längst unter der so überwiegenden Mehrheit von Christen verloren. Wenn es aber auch noch Juden unter uns gäbe: so hätte ihre Nationalität gewiss jenes Eigentümliche und Abstoßende verloren, was sie allerdings noch jetzt bei vielen jüdischen Individuen für viele christliche Individuen hat. Die Schuld davon liegt also doch eigentlich in den Christen. Wie leicht sich aber im Laufe der Seit manches Eigentümliche und Abstoßende verliert, beweist folgendes Beispiel. Ich erinnere mich noch aus meiner Jugendzeit sehr lebhaft, welchen Abscheu die Judenbärte mir und allen Personen meiner Bekanntschaft erregten, jetzt ist man sehr gleichgültig dagegen. Auch haben viele Juden die Bärte abgelegt, wahrend viele Christen um Kinn, Mund und Backen so starke Bärte tragen, dass man sie wohl für Juden halten könnte. Geht das so fort, vergrößern die Christen ihre Bärte und verkleinern dagegen die Juden die ihrigen: so können wohl noch die beiderseitigen Bärte in dem beliebten juste milieu zusammentreffen, mithin alles Abstoßende für beide Teile verlieren. Übrigens ist National-Eigentümlichkeit so wenig als Individual-Eigentümlichkeit etwas durchaus und geradezu Verwerfliches. Lassen wir also den Juden immerhin die ihrige, wenn sie nur nicht allem Bürgertum widerstreitet. Dass sie aber dies tue, lässt sich um so weniger beweisen, da man die Juden schon hin und wieder ins Bürgertum aufgenommen hat, ohne dass daraus irgend ein Nachteil entsprungen wäre.

Zwar sagt der Ungenannte am Ende seines Aufsatzes: „Wer nicht mit uns an einem Tische sitzen darf und essen, was wir essen, trinken, was wir trinken; wer seine Töchter nicht unsern Söhnen zu Weibern, seine Söhne unsern Töchtern zu Männern geben darf: der ist kein Deutscher, und wenn er hundertmal sich für einen Deutschen ausgäbe.“ — Aber dies hält noch weniger Stich, als das Vorige. Denn
1. essen und trinken gar viele Juden mit den Christen. In volkreichen und gebildeten Städten, wo es viel Juden gibt, findet man auch häufig Juden an christlichen und Christen an jüdischen Tafeln. Ja es würde dies noch häufiger der Fall sein, wenn nicht viele Christen dies Zusammentreffen absichtlich vermieden oder sich das Ansehen gäben, als erzeigten sie den Juden eine besondere Gnade, wenn sie dieselben einladen oder deren Einladungen annehmen. Ehrt also nur erst die Juden als Menschen und Bürger! Das Mitessen und Mittrinken wird sich dann schon von selbst finden. Dasselbe gilt

2. von den Verheiratungen. Die Ehen zwischen Juden und Christen sind ja nicht so ungewöhnlich. Freilich macht man in den meisten christlichen Staaten die Bedingung, dass der Jude, der eine Christin, oder die Jüdin, die einen Christen heiraten will, sich erst taufen lassen soll — gleichsam als wenn dadurch auf der Stelle die jüdische Nationalität und das ganze Judentum abgewaschen würde. Und diese wunderliche Bedingung schreckt mit Recht viel ehrliche und redliche Juden von solchen Verheiratungen ab. Also folgt auch hieraus weiter nichts, als dass die Christen wieder Schuld daran sind, wenn das eheliche Band nicht Juden und Christen häufiger und inniger verknüpft. Ich werde mich jedoch über diesen sehr wichtigen Punkt in der Folge noch weiter aussprechen; denn er bedarf allerdings einer genauem Erwägung.

Für jetzt wende ich mich zu dem zweiten Schriftsteller, nämlich Herrn Johann Sporschil, Privatgelehrten in Leipzig. Dieser hat unlängst einen sehr ausführlichen Aufsatz unter dem Titel: „Bemerkungen über die Verfassungsurkunde des Königreiches Sachsen,“ in mehren Blättern der Sachsenzeitung (Nr. 275 ff. vom J. 1831) abdrucken lassen, worin er sich auch über vorliegenden Gegenstand erklärt. Anlass dazu gab ihm der 33. §. jener Verfassungsurkunde, welcher so lautet: „Die Mitglieder der im Königreiche aufgenommenen christlichen Kirchengesellschaften genießen gleiche bürgerliche und politische Rechte. Alle andere Glaubensgenossen haben an den staatsbürgerlichen Rechten nur in dem Maße einen Anteil, wie ihnen derselbe vermöge besonderer Gesetze zukommt.“
Hr. Sporschil bemerkt (Nr. 278. der Sachsenzeitung) sehr richtig, dass zwischen diesem Paragraphen und dem vorhergehenden, welcher „jedem Landeseinwohner völlige Gewissensfreiheit“ gewährt, ein Widerspruch stattfinde. Denn, sagt er: „Wer sich nicht zur Religion, die er im innersten Sein für die wahre hält, bekennen darf, ohne dass dadurch in Bezug auf politische und bürgerliche Rechte ein demütigender Unterschied zwischen ihm und den Staatseinwohnern, die sich zu den bevorrechteten Religionen bekennen, begründet wird, der genießt völlige Gewissensfreiheit nicht.“

Allein trotz dem, dass er diesen Widerspruch anerkennt, wünscht er nicht dessen Entfernung, sondern er sucht ihn zu rechtfertigen, und zwar auf folgende Weise: „Da nun einmal tausendjährige Sitten, Gewohnheiten und Gebrauche unser Europa formiert haben, und insbesondere in Bezug auf die Juden Vorurteile, die in mancher Beziehung nicht ungerecht, jedenfalls aber tief eingewurzelt sind, noch immer herrschen, so konnten die Geber der Verfassung nicht also gleich einiger Philanthropen wegen die Emanzipation dieses Volkes aussprechen. Diejenigen Schriftsteller, welche behaupten, dass die Juden den Christen in allen und jeden bürgerlichen und politischen Verhältnissen völlig gleich gestellt werden müssen, gehen dabei von dem Grundsatze aus, dass die Religion durchaus kein Grund des Unterschiedes sein dürfe. Allein die Religion der Juden ist keineswegs der Grund, warum sie von vielen wichtigen politischen und bürgerlichen Rechten noch immer ausgeschlossen bleiben sollen, sondern ihre Politik.“

Auch dieser Gegengrund ist bloß scheinbar, wie Hr. Sp. und jeder Unbefangene sogleich zugeben wird, wenn man nur folgende Umstände ernstlich in Erwägung ziehen will.
1. Da die Politik der Juden gegen die Christen ein natürliches und notwendiges Erzeugnis derjenigen Politik ist, welche die Christen als der stärkere Teil gegen die unter ihnen wohnenden Juden als den schwächeren Teil von jeher ausübten: so wäre es ganz zweckwidrig, wenn man um jener Politik willen diese fortdauern lassen wollte. Denn da würde man ja die Juden nur immer mehr in ihrer Politik bestärken. Umgekehrt also müssen vielmehr die Christen ihre Politik gegen die Juden nicht fortdauern lassen, damit diese auch ihre Politik gegen die Christen aufgeben. Irgendein Teil muss doch den Anfang machen, eine schlechte Politik aufzugeben. Ich habe aber schon gezeigt, dass dies den Christen zukomme.

2. Wenn tausendjährige Sitten, Gewohnheiten, Gebräuche und Vorurteile alles Unrecht in der Welt heiligen oder wenigstens entschuldigen sollten: so könnte es ja nie besser werden. Auch haben sich jene Sitten, Gewohnheiten, Gebräuche und Vorurteile seit tausend Jahren gar sehr verändert. Namentlich hat sich der irreligiöse Religionshass, der doch eigentlich die letzte Quelle jener gegenseitigen Politik war, dergestalt vermindert, dass ebendeswegen Christen und Juden heutzutage weit mehr und weit milder mit einander umgehen, als vor hundert oder gar vor tausend Jahren. Umso weniger also können jene angeblich tausendjährigen Sitten, Gewohnheiten, Gebräuche und Vorurteile irgend einen vernünftigen Grund zur Fortsetzung des alten Unrechts abgeben.

3. Nicht „einiger Philanthropen wegen“, wie sich Hr. Sp. sehr unrecht ausdrückt, sollen die Juden emanzipiert werden. Wenn dies philanthropische Schriftsteller gefordert haben: so haben sie es um aller Christen und Juden, ja um der ganzen Menschheit willen getan, weil es die Menschheit entehrt, wenn zwei Religionsparteien eine Politik gegen einander beobachten, die eben so ungerecht als verkehrt ist und es sein muss, weil sie eben aus der vorhin erwähnten grundschlechten Quelle hervorgegangen. Ein Brandmal also, ein Schandfleck soll von der Menschheit entfernt, nicht bloß diesem oder jenem, sei er Philanthrop oder Misanthrop, ein Vorteil zugewendet werden. Man sollte jedoch überhaupt nicht so geringschätzig von „einigen Philanthropen“ sprechen. Jesus gehörte auch dazu und forderte mit Recht, dass wir alle es sein oder werden sollen. Der größte und höchste Philanthrop aber ist unser Herr Gott selbst, der seine Sonne über Juden und Christen ohne Unterschied scheinen lässt.

Doch Hr. Sp. geht mehr ins Einzelne ein, um seinen Hauptgrund weiter auszuführen. Damit man nun nicht sagen könne, ich hätte das Beste verschwiegen und dadurch dem Grunde seine Gründlichkeit entzogen: so will ich ihm auch in diese Einzelheiten folgen und dieselben der bessern Übersicht wegen mit Zahlen bezeichnen. Also:

1. „So lange die Juden eine wie Kletten an einander hängende Völkerschaft bilden; so lange sie vor allem nur ihr Stammesinteresse berücksichtigen; so lange sie die Christen, so weit es an ihnen liegt, vom Waren- und Geldhandel zu verdrängen suchen: so lange kann man ihnen nicht dieselben politischen und bürgerlichen Rechte, wie sie die übrigen Staatsbürger genießen, einräumen.“ — Wer ist denn aber Schuld an dem allen? Die falsche Politik der Christen gegen die Juden. So lange diese als Ursache fortdauert, muss freilich auch die Wirkung fortdauern. Das ist ein unabänderliches Naturgesetz. Die Juden müssen wohl wie Kletten an einander hängen, so lange die Christen sie nicht ins Bürgertum aufnehmen, ihnen kein neues Vaterland geben wollen, nachdem sie ihr altes verloren haben. Ja man muss sie sogar darum loben. Denn es beweist eine unerschöpfliche Lebenskraft, durch welche sich die Juden unter den ungünstigsten Umständen und drückendsten Verhältnissen als Völkerschaft erhalten haben, während so viel andre alte Völker zu Grunde gegangen. Möchten nur andere Völker auch so an einander hängen, besonders wir Deutschen! Es würde dann viel besser um uns stehen. Weil wir aber unser Stammesinteresse so wenig berücksichtigen, dass wir uns bald an die Franzosen, bald an die Engländer, bald an, ein andres eben herrschendes Volk hängen: so werden wir auch von jenen oft gemissbraucht und als ein einfältiges oder charakterloses Allerweltsvolk verlacht. Und was den Waren- und Geldhandel betrifft: so habe ich oben schon dargetan, dass die Christen selbst die Juden auf den Handel als deren fast einzigen Lebensunterhalt hingedrängt haben. Verdrängten sie uns also wirklich davon: so trügen wir wieder nur die bittere Frucht unsrer eignen Torheit. Indessen ist es damit noch lange nicht so schlimm, wie Hr. Sp. zu glauben scheint. Es gibt ja noch in allen christlichen Ländern Europas viel reiche und noch mehr wohlhabende christliche Kaufleute und Bankiers. Sie sind also auch noch nicht von den Juden verdrängt. Und dies wird immer weniger zu befürchten sein, je mehr man den Juden andre Nahrungsquellen, außer dem Waren- und Geldhandel, eröffnet — Ackerbau, Handwerke, Künste, Wissenschaften, nebst dem Staats- und Kriegsdienste; wozu aber freilich eine vollständige Emanzipation gehört.

2. „Die Verteidiger der vollkommenen Juden-Emanzipation mögen immerhin sich auf eine glänzende Weise über die wohltätigen Folgen derselben verbreiten: so können ihre Gründe doch die höchst wahrscheinliche Vermutung nicht beseitigen, dass die Juden, wenn ihnen alle bürgerlichen und politischen Rechte eingeräumt würden, bleiben möchten, was sie sind, nämlich eine abgeschlossene Völkerschaft, und dass sie ihren alten Zweck, nämlich das Geldzusammenscharren, verfolgen würden, wie bisher; nur mit dem Unterschiede, dass sie ihren Schacher nun auch auf Häuser, Rittergüter etc. ausdehnen würden.“ — Hier fällt Hr. Sp. beinahe in den Ton der Judenfeinde, zu denen er doch sonst nicht gehört: Was er eine „höchst wahrscheinliche Vermutung“ nennt, ist vielmehr eine höchst unwahrscheinliche, weil nach demselben Naturgesetze, das ich vorhin anführte, die Wirkung wegfallen muss, wenn die Ursache wegfällt. Freilich nicht im ersten Augenblicke. Denn wenn eine Ursache über ein Jahrtausend gewirkt hat: so wirkt sie natürlich nach, d. h. ihre Wirkung kann nicht auf der Stelle verschwinden. Aber allmählich muss sie doch verschwinden, wenn, nachdem man eine gerechtere und klügere Politik in Bezug auf die Juden angenommen, eine oder zwei Generationen abgestorben sind. Macht man aber nie einen Anfang mit dem Bessern: so muss freilich alles so schlecht bleiben, wie es bisher war.

3. „Der Kaiser Joseph II. hat es versucht, die Juden in Galizien an den Ackerbau und an das Treiben von Handwerken zu gewöhnen; es misslang aber größtenteils.“ — Also doch nicht ganz! Und warum misslang es größtenteils? Weil man die Judeneben nicht vollständig emanzipierte und mit dieser Emanzipation nicht diejenigen Maßregeln verknüpfte, die damit durchaus verbunden werden müssen und von denen ich im folgenden Abschnitte besonders handeln werde. Halbe Maßregeln taugen überall nichts, am allerwenigsten aber in dieser Sache.

4. „In Steiermark, Kärnten, Krain, Tirol dürfen keine Juden wohnen; daher ist auch der dortige Handel in den Händen der Christen.“ — Nun ja, wenn man die Juden aus einem Lande ganz vertreibt oder gar nicht hineinlässt: so versteht es sich von selbst, dass sie darin nicht handeln können. Aber was beweist dies gegen die Emanzipation der Juden? Es ist ja nur die Rede von den Juden, die schon in christlichen Ländern einheimisch sind. Sollen diese etwa mit Frau und Kind, Sack und Pack, vertrieben werden? So ungerecht und grausam ist der sonst so liberale und humane Hr. Sp. gewiss nicht, dass er dies von christlichen Regierungen verlangen sollte. Solch ein Grund ist also nicht einmal scheinbar. Es ist gar keiner.

5. „In Böhmen, Mahren, Galizien sind die Juden geduldet, wiewohl auf eine gewisse Familienzahl beschränkt; und in wessen Händen ist größtenteils der Getreidehandel, der Wollhandel, der Kleinhandel auf dem Lande durch das Hausieren? In denen der Juden.“ — Dies beweist abermal nichts, weil man die Juden dort nicht wirklich und vollständig (mit allen dazu erforderlichen anderweiten Maßregeln) emanzipiert, sondern in der alten Abgeschlossenheit und Entgegengesetztheit gelassen hat. Wenn also Hr. Sp. durch Anführung dieser Beispiele seinen Satz zu beweisen gesucht: so hat er die Beispiele nicht gut gewählt. Die Logik sagt ohnehin: Exempla non probant, sed tantum illustrant. Aber jene Beispiele illustrieren nicht einmal, weil sie eben keine Beispiele von einer wahrhaften Emanzipation der Juden sind, mithin nur die alte Wahrheit bestätigen, dass alles beim Alten bleibt, wo man alles beim Alten lässt.

6. „Der Meinung, dass man mit Emanzipation der Juden nur vorsichtig zu Werke gehen müsse, pflichtet auch der berühmte Staatswissenschaftslehrer und Geschichtsforscher Pölitz bei, indem er sagt *): „Nach staatsrechtlichen Grundsätzen müssen die Bekenner des mosaischen Glaubens mit allen andern Staatsbürgern gleiche Berechtigungen und gleiche Verpflichtungen teilen; allein nach — wohl zu erwägenden — politischen Rücksichten kann die Erwerbung des völligen Bürgerrechtes von den Israeliten an gewisse Bedingungen geknüpft werden, welche die Regierungen festsetzen; z. B. dass die Israeliten nicht bloß dem Handel, sondern auch dem Feldbau sich widmen; dass sie — mit alleiniger Ausnahme des Religionsunterrichtes — die Schulen und Erziehungsanstalten des Staates gleichmäßig besuchen; und dass ihre Rabbiner gewissen einzelnen Lehren des Talmuds öffentlich und feierlich entsagen, welche mit der völligen Gleichstellung in staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten unvereinbar sind. Es walte daher bei der beabsichtigten Aufnahme der Bekenner des mosaischen Glaubens in den Staatenbund weder kleinliche Eifersucht noch religiöse Abneigung, sondern die einzige Rücksicht auf das Verhältnis vor, in welches die Israeliten mit den Bekennern der verschiedenen christlichen Kirchen zu dem allgemeinen Zwecke des Staats und zu den Bestimmungen des Grundgesetzes treten. Nur dies kann über die völlige oder teilweise Emanzipation derselben entscheiden.“ — Alles hier von Pölitz Geforderte kann man unbedenklich zugeben. Denn es gehört nach meiner Ansicht mit zu einer vollständigen Emanzipation der Juden; wie ich in der Folge weiter dartun werde. Nur in Ansehung des Talmuds bin ich anderer Meinung. Dieses Buch enthält allerdings manches Anstößige; aber auch viel Treffliches und Gutes, was selbst alle Christen befolgen können und sollen. In Ansehung jenes Anstößigen verfahren indessen die gelehrtesten und besten Talmudisten gerade so, wie die vorzüglichsten christlichen Theologen in Ansehung mancher anstößigen Stellen der Bibel. Sie legen demselben einen andern Sinn unter oder erklären es für etwas bloß Temporales und Lokales, das keine allgemeine Gültigkeit habe. Eine öffentliche und feierliche Entsagung ist also gar nicht notwendig, möchte auch schwer zu erlangen sein, da sie manches Gewissen beängstigen würde. Es wäre daher die Forderung einer solchen Entsagung von den Rabbinern in christlichen Staaten eben so unstatthaft, als wenn die türkische Regierung von den christlichen Geistlichen in der Türkei fordern wollte, dass sie gewissen einzelnen Lehren der Bibel, welche den Muselmännern anstößig scheinen, öffentlich und feierlich entsagen sollten. Die türkische Regierung hat auch, trotz ihrer sonstigen Willkür und Härte, noch nie eine so unstatthafte Forderung gemacht; und die christlichen Geistlichen würden sich ihr auch gewiss nicht gefügt haben. — Dabei ist aber noch wohl zu bemerken, dass überhaupt die Autorität des Talmuds bei vielen Juden schon sehr gesunken ist. Sie halten sich lieber an das alte Testament, das ja die Christen ebenfalls für eine göttliche Offenbarung halten. Und gewiss würde eine vollständige Emanzipation der Juden auch die wohltätige Folge haben, dass die Juden aufhörten, Talmudisten zu sein, und Bekenner des reinen mosaischen Glaubens würden, wie sich schon viele Juden wirklich nennen.

7. „Es mag hart sein, die Juden von dem völligen Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte zum Teil auszuschließen; allein die Staatspolitik richtet sich nun einmal nicht nach der Philanthropie“ — schlimm genug! — „sondern nur nach dem wirklichen Verhältnisse der Dinge“ — das aber doch nicht unabänderlich ist. — „Dazu kommt, dass die europäischen Staaten noch immer wesentlich christliche Staaten sind, folglich in ihnen das christliche Prinzip das Recht des Stärkeren? obherrschen muss.“ — Hierauf glaube ich nicht besser antworten zu können, als mit den Worten des Ungenannten, dessen politische Einwürfe gegen die Emanzipation der Juden ich schon vorhin geprüft habe. Denn wiewohl derselbe in gewisser Hinsicht, mit Hrn. Sp. gemeinsame Sache macht: so legt er doch auf den so eben angeführten Gegengrund desselben, den aber auch schon andere aufgestellt haben, kein Gewicht. Und mit Recht. Denn es ist wieder nur ein Scheingrund. Jener Ungenannte sagt nämlich in dieser Beziehung: „Der Grund, der im britischen Parlament“ — bei den Verhandlungen über die Emanzipation der Juden — vor allen andern überwog, war der von allen Gegnern der Bill wiederholte“, England sei ein christliches Land; die englische Verfassung beruhe auf dem Christentum; zur Teilnahme an derselben Ungläubige, Juden, Türken und Heiden“ — die doch alle nur zu viel glauben — „zuzulassen, heiße das Christentum und folglich auch die Verfassung untergraben.“ Ob es den Engländern wirklich mit ihrer christlichen Verfassung so außerordentlich Ernst sei, wollen wir hier nicht untersuchen. Jedenfalls spricht es für diese Art der Beweisführung wenig, dass wir dieselbe erst vor zwei Jahren mit gleichem Eifer gegen die Katholiken angewandt und dann doch ohne den geringeren Schaden für die Verfassung wieder aufgegeben sahen. Damals hieß es, England sei ein protestantisches Land; die englische Verfassung beruhe „auf dem Protestantismus; zur Teilnahme an derselben Katholiken zuzulassen, heiße den Protestantismus und folglich auch die Verfassung untergraben. Seitdem sind die Katholiken zugelassen worden, und die englische Verfassung besteht noch eben so fest und unverletzt als zuvor Dass dasselbe auch bei der Zulassung der Juden der Fall sein würde, ist wohl kaum zu bezweifeln, da man Katholiken im britischen Reiche 7 Millionen, Juden nur 30 —40,000 zählt.“ — Was hier der Ungenannte von England sagt, das gilt (mutatis mutandis)auch von jedem andern christlichen Staate. Die verhältnismäßig immer nur kleine Zahl von Juden wird keinen christlichen Staat um sein Christentum bringen, wenn man jene emanzipiert. Weit eher wär es möglich, dass dadurch die Juden allmählich zum Christentum geführt würden, wie ich tiefer unten auch noch besonders zeigen werde.

*) Die Reformbill ist kein Einwand dagegen. Denn wenn sie auch durchgeht, so wird sie doch nur eine bessere Volksvertretung im Unterhaus bewirken. Wenn aber künftig eine neue Reformbill die Bischöfe aus dem Oberhause verweisen sollte: so haben die geistlichen Herren es nur ihrem unverständigen Widerstande gegen die erste Reformbill zu verdanken.

8. „Sind nun die christlichen Europäer der Mehrzahl nach geneigt, die Juden als ihre völlig gleichen Brüder zu betrachten? Nein. Sind es umgekehrt die Juden? Nein.“ — Dieses doppelte Nein ist viel zu kategorisch, man könnte sagen barsch, ausgesprochen. Hat denn Hr. Sp. die Stimmen gezählt? Nein — kann man hier mit weit größerer Zuversicht antworten. Denn es ist unmöglich, in dieser Angelegenheit alle Stimmen zu zählen. Bedenkt man aber, dass in Frankreich und Holland, wie in den nordamerikanischen Freistaaten, die Juden schon emanzipiert und beide Teile, Christen und Juden, damit sehr zufrieden sind; bedenkt man ferner, dass, als im britischen Parlament über die Sache debattiert wurde, viele Bittschriften von Christen und Juden dafür eingingen, ob es gleich auch nicht an gegenteiligen von unduldsamen Christen fehlte, während man nicht gehört hat, dass die Juden dagegen petitioniert hätten: so möchte doch die Rechnung nicht so schlecht stehen, wenn man nur die Stimmen von beiden Teilen zählen könnte. Gelten denn aber in solchen Dingen alle Stimmen gleich viel? Können da nicht tausend Stimmen des Religionshasses durch eine einzige Stimme der Vernunft aufgewogen werden? — Also ist auch dieser Grund nur scheinbar.

9. „Selbst in England, dem Stammlande der Freiheit, wurde die Emanzipation der Juden verworfen.“ — Freilich wohl. Wir wissen aber schon, warum? S. Nr. 7. Auch ist Tausend gegen Eins zu wetten, dass dort in kurzem die Emanzipation der Juden eben so durchgehen wird, als die Emanzipation der Katholiken. Das Geschrei gegen diese war ja nicht weniger groß, als gegen jene. In England hängen viele, besonders die Geistlichkeit der anglikanischen Kirche, so hartnäckig am Hergebrachten, dass es bei, solchen Verbesserungen immer heißt: Gut Ding will Weile haben.

10. „Die Polen schlossen in der neuesten Zeit die Juden von der Vaterlandsverteidigung aus; was sie gewiss nicht getan haben würden, wenn sie von ihnen Hilfe hätten erwarten können, wenn die in Polen lebenden Juden sich nicht von jeher mehr als gewinnsüchtige Fremdlinge, denn als echte Söhne ihres Geburtslandes bewiesen hätten.“ — Auf diese Instanz, die vielleicht Manchem sehr gewichtig scheint, muss ich etwas ausführlicher antworten, und zwar in folgenden besonderen Punkten:

a. Ich kenne die Gesamtheit der polnischen Juden zu wenig, um über sie ein ganz zuverlässiges Urteil fällen zu können. Aber so viel weiß ich gewiss, dass ein Schluss von den polnischen Juden auf alle Juden durchaus falsch ist, nach der bekannten logischen Regel: A particulari ad unuverale non valet consequentia. Möchten also die polnischen Juden noch so schlecht sein — obwohl sonst die Christen recht gern mit ihnen Geschäfte machen und daher sehr klagen, wenn keine auf die deutschen Messen kommen — so würde doch aus jener Schlechtigkeit allein keine nachteilige Folgerung gegen alle Juden in der Welt zu ziehen sein. Eher ließe sich daraus die Folgerung ziehen, dass man in Polen die Juden schlechter als in andern Ländern behandelt haben musste.

b. Wenn die polnischen Juden von dem vormaligen polnischen Reichstage, zu der Zeit, als Polen noch ein selbständiges Reich war, emanzipiert worden wären: so würden sie auch gewiss seit der Zeit würdige Vaterlandsverteidiger geworden sein. Denn sie hätten eben dadurch ein wirkliches Vaterland erhalten, für welches Gut und Blut zu lassen schon der Mühe lohnte. Und wer weiß, ob es dann zu einer Teilung Polens gekommen wäre. Denn Polen war ja leider innerlich schon allzu sehr geteilt, als es auch äußerlich geteilt wurde. Nach der Geschichte aber geht jene Teilung dieser meist voraus, wie die Ursache der Wirkung.

c. Wenn auch nur der jüngste polnische Reichstag, zur Zeit des letzten Kampfes mit den Russen, den heroischen Entschluss gefasst hätte, die Juden zugleich mit den Leibeignen zu emanzipieren: so würde dadurch die Nationalkraft so bedeutend erhöht worden sein, dass es sich wiederum fragt, ob der Kampf so traurig für Polen geendet haben würde. *) Aber obwohl einige Edle auf diese doppelte Emanzipation antrugen: so konnte sich doch der Reichstag wieder nicht darüber einigen. Der Antrag hatte also keinen Erfolg. Und das schwächte nicht nur die physische Kraft, sondern war auch in moralischer Hinsicht sehr nachteilig. Denn es warf den bösen Schein auf die polnischen Herren, dass sie zwar für sich die Freiheit, aber nicht für ihre untergeordneten Landsleute, für das ganze Volk wollten. — Diese Instanz beweist also wieder nichts, trotz ihrem scheinbaren Gewicht. **)

*) Die Leipziger Zeitung vom 17. Dezember 1831 berichtet nach der Hamburger Börsenliste, dass ein großer Teil von den polnischen Soldaten, welche auf preußisches Gebiet übergetreten, trotz der den Unteroffizieren und Gemeinen bewilligten unbedingten Amnestie, es vorziehe, „bei einem preußischen Bauer als Knechte zu dienen, als unter den gegenwärtigen Verhältnissen Polen wieder zu sehen, wo sie vielleicht weniger das Unterstecken unter russische Regimenter, als die Knute des polnischen Edelmanns fürchten, von der sie die revolutionäre Landbotenkammer keineswegs zu befreien gesonnen war.“ — Das Letzte ist freilich nicht ganz richtig. Man verschob nur die Maßregel bis nach dem Frieden. Aber darin lag eben der Fehler. In solchen Dingen will der Mensch Gewissheit haben, nicht auf eine unbestimmte Zukunft vertröstet sein.

**) Es tut mir sehr leid, dass der Verfasser, durch Hrn. Sp. veranlasst, diese Sache hier wieder zur Sprache gebracht hat. Denn ich sehe voraus, dass man es ihm oder auch mir wieder übel deuten werde. Allein da ich kein zum Streichen befugter Zensor, sondern bloß Herausgeber vorliegender Schrift war: so musste ich wohl die Handschrift unverstümmelt abdrucken lassen. Wäre ich indes auch Zensor gewesen: so hätte ich doch nichts gestrichen, weil ich das, eben Gesagte für wahr halte. Gewisse Leute verlangen freilich heutzutage, dass man zwar den Fürsten samt ihren Ministern die Wahrheit sage, und wo möglich recht bitter, aber ja nicht den Völkern, wenn sie fehlen, und noch weniger ihnen selbst, wenn sie über die Schnur hauen oder in Ultraismus fallen. Ich bin nun leider einmal ein so unbedingter Freund der Wahrheit, dass ich es nicht lassen kann, sie zu sagen, sollte mir es auch das Leben kosten, geschweige wenn es weiter nichts kostet, als einige böse Mienen oder Worte oder auch ein schriftliches Autodafé. Denn, wie ich höre, haben in Straßburg einige deutsche Freunde der Pressefreiheit meine Polenschrift öffentlich verbrannt. So ist es recht. Wenn aber die Obrigkeit eine Schrift konfiszieren lässt, so ist es natürlich unrecht, wäre die Schrift auch eine offenbare Schand- und Schmähschrift. — Übrigens ist mir das alte Sprichwort: Veritas odium parit, durch lange Erfahrung schon so bekannt, dass man nicht nötig gehabt hätte, es mir seit kurzem von neuem praktisch einzuschärfen. — Merkwürdig ist hierbei, dass in Frankreich, wo doch der Enthusiasmus für die Polen noch viel größer war, als in Deutschland, Lamartine es wagen durfte, in seiner Schrift über rationale Politik (Paris, 1831. 8. S. 61.) folgendes strenge Urteil über die jüngste polnische Revolution auszusprechen, ohne deshalb von denen, welche sich. Polenfreunde par excellence nennen, literarisch gesteinigt zu werden: „Das Blutbad in Warschau und die Ermordung der Generale verraten in ihr die widrige Hand der blinden und blutigen Demagogie, welche alles durch ihre Berührung befleckt. Wenn das Verbrechen sich in eine Volkssache mischt, geht diese unter. Dieser teuflische Geist, dieser Mephistopheles der Freiheit entehrt den Heldenmut u. s. w.“ Fast sollte man glauben, die Franzosen hätten mehr Achtung gegen die Freiheit des Urteils, als die Deutschen. Solche Freiheit verträgt sich aber wohl mit „Teilnahme, Achtung und Mitleid gegen Unglückliche.“
A. d. H.

Hr. Sp. schließt nun seine angebliche Beweisführung mit folgenden Worten: „Kurz, die Zeit der völligen Emanzipation der Juden scheint in Europa noch nicht gekommen zu sein. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie nie kommen werde, dass es den christlichen und den jüdischen Religionslehrern und der Aufklärung nie gelingen könne, die gegenseitigen Vorurteile zu zerstreuen, dass die Juden niemals aufhören werden, eine abgeschlossene Völkerschaft mit eigentümlichen Stammesinteressen zu bilden. Auch verschließt die sächsische Verfassung den Juden keineswegs auf immer die Möglichkeit, alle staatsbürgerlichen Rechte zu erlangen. Sie sagt nur: „Alle andern Glaubensgenossen haben an den staatsbürgerlichen Rechten nur in der Maße einen Anteil, wie ihnen derselbe vermöge besonderer Gesetze zukommt.“ — Gesetze können aber von der Legislatur aufgehoben oder modifiziert werden. Die sächsische Verfassung steht daher dem, dass die Juden dereinst eine völlige Rechtsgleichheit mit den christlichen Konfessionen in Sachsen erwerben können, durchaus nicht entgegen.“ — Nun, das ist recht brav! Hr. Sp. lässt doch den Juden und den Philanthropen, welche deren Emanzipation wünschen, eine frohe Hoffnung übrig. Und dafür gebe ich ihm einen versöhnenden Händedruck, wenn er mich etwa darum, weil ich seine Gründe unstatthaft gefunden habe, für seinen Feind halten sollte; was ich doch gewisslich nicht bin. Unsre Differenz besteht nur darin, dass er die Emanzipation der Juden auf unbestimmte Zeit — aber doch hoffentlich nicht ad calendas graecas — hinausgeschoben, ich aber sie gleich bewerkstelligt wissen will; was ich, aus einem später anzuführenden Grunde, vorzüglich jetzt für dringend notwendig halte in Bezug auf Deutschland. Von der Ausführbarkeit der Sache bin ich auch so fest überzeugt, dass ich meinen Kopf zum Pfande setzen wollte, das Königreich Sachsen würde nicht den allermindesten Schaden leiden, wenn es den von Hrn. Sp. bemerkten Widerspruch in seiner Verfassungsurkunde — der übrigens schon im Entwurfe lag und in Bezug auf diesen auch schon von meinem Freunde, dem künftigen Herausgeber dieser Schrift, in seiner ersten Gabe über die Wiedergeburt des Königreiches Sachsen (S. 8 ff.) gerügt worden — nicht zugelassen, sondern die Juden auf der Stelle emanzipiert hätte. Es sind ja so wenig Juden im Königreiche Sachsen einheimisch. Diese werden doch den christlichen Einwohnern nicht über den Kopf wachsen, wenn sie gleich emanzipiert worden wären. Was aber die fremden Juden betrifft — nun da behält ja die Regierung, wie in Ansehung aller Fremdlinge, das Recht, Individuen ins sächsische Bürgertum aufzunehmen oder nicht, je nachdem sie fähig und würdig sind oder nicht. Dieses Recht muss auch allen Regierungen ohne Ausnahme unverkümmert bleiben. Sonst könnten leicht der Fremdlinge, Christen oder Juden, so viel kommen, dass man sich vor ihnen gar nicht zu retten wüsste. *)

*) Bevor in Sachsen die Katholiken emanzipiert wurden, hieß es auch: man dürfe sie nicht emanzipieren, weil dann zu viel Katholiken einwandern und den Protestanten die Nahrung entziehen würden. Als aber Napoleon sein mächtiges Werde sprach: da ging die Sache gleich, und ich wüsste nicht, dass Sachsen dadurch an Wohlstand verloren hätte. — Eben so hieß es, bevor in Sachsen der Judenleibzoll aufgehoben wurde: man dürfe denselben nicht aufheben, weil dann teils eine bedeutende Einnahme wegfallen, teils aber auch zu viel Juden des Handels wegen über die Grenze kommen und den christlichen Einwohnern ihren Erwerb verkümmern würden. Als aber Napoleon und sein Bruder Hieronymus wegen der französischen und westfälischen Juden Einspruch taten: da ging die Sache gleich, und ich wüsste wieder nicht, dass Sachsen dadurch an Wohlstand verloren hätte. — Wollen wir denn das, was recht und billig ist, nicht auch einmal ganz freiwillig tun, also die Juden wie die Katholiken völlig emanzipieren, bevor es uns von außen geboten wird?

Weil es nun aber viele Menschen gibt, welche wie der Apostel Thomas einen besonderen Hang zum Skeptizismus haben und daher an die Ausführbarkeit einer Sache nicht eher glauben wollen, als bis sie sehen, dass dieselbe schon ausgeführt ist und nicht nur keine schädlichen, sondern sogar sehr heilsame Folgen gehabt hat: so will ich zum Überfluss auch noch dieses in Ansehung der Emanzipation der Juden nachweisen. In einem christlichen Staate nämlich, der gar nicht weit von uns entfernt ist und auch durch ein seinem Beherrscher zugehöriges deutsches Herzogtum mit dem deutschen Bunde in näherer Verbindung steht — in Holland sind die Juden schon emanzipiert und zwar so vollständig, dass sie selbst zu Volksvertretern erwählt und im Staatsrat des christlichen Beherrschers Sitz und Stimme haben können. Was hat das nun für Folgen gehabt? Die Stadt Amsterdam, wo es besonders viel Juden und unter diesen auch sehr reiche und angesehene gibt, mag uns darüber Auskunft geben.

In dieser Stadt verhalten sich überhaupt die Juden zu den Christen wie 1 zu 10. Bis zum J. 1806 aber waren jene von allen bürgerlichen Rechten ausgeschlossen. Da verhielten sich die jüdischen Verbrecher zu den christlichen wie 1 zu 9. Seit dem J. 1806 bekamen die Juden eine etwas günstigere Stellung. Da verminderten sich schon die jüdischen Verbrecher dergestalt, dass sie sich zu den christlichen wie 1 zu 11 verhielten. Seit dem. J. 1811 aber bekamen die Juden völlig gleiche Rechte mit den Christen. Und siehe da! es verminderten sich seitdem die jüdischen Verbrecher dergestalt, dass sie sich jetzt zu den christlichen wie 1 zu 20 verhalten. Es gibt also in Amsterdam nach der Emanzipation der Juden nicht halb so viel jüdische Verbrecher, als vor derselben. Denn dass seit der Zeit die christlichen Verbrecher sich in demselben Verhältnisse vermehrt haben sollten, wird doch wohl niemand behaupten. Noch mehr. Als unlängst in der Kammer der Abgeordneten zu München über die Frage verhandelt wurde, ob man die Juden in Bayern emanzipieren solle; und als bei dieser Gelegenheit auch von der bürgerlichen Stellung und der Vaterlandsliebe der Juden, in Holland die Rede war: bestätigte ein holländisches Blatt (R. Amst. Courant) alles, was dort zum Lobe dieser Juden gesagt worden. S. Leipziger Zeitung vom 24. November 1831, wo unter andern aus jenem Blatte, das doch wohl in dieser Sache vollen Glauben verdient, Folgendes angeführt wird: ,,Die Israeliten Hollands sind mit nicht geringerer Begeisterung, als die ganze altniederländisch-christliche Bevölkerung, zur Verteidigung des Vaterlandes unter die Waffen geeilt, und zwar nicht bloß wie es ihre Pflicht fordert als Mitglieder der Schutterei, sondern auch in sehr großer Anzahl als Freiwillige. Eine Tatsache, die uns demnächst ganz zufällig bekannt wurde, ist, „dass man bei der herannahenden rauen Jahreszeit unter den Vereinen unserer vermögenden und wohltätigen Mitbürger ganz besonders viele Israeliten findet, die den ärmeren Einwohnern Amsterdams, gleichviel von welchem Glaubensbekenntnisse, reichliche Unterstützungen an Nahrungsmitteln, Brennmaterialien, Kleidungsstücken u. s. w. zukommen lassen.“

Was brauchen wir weiter Zeugnis? Denn der Einwand, dass die holländischen Juden, weil sie größtenteils aus Portugal und Spanien eingewandert, schon von Natur eine bessere Menschenrasse als andre Juden seien, wäre doch wohl nur eine leere Ausrede, die nicht die geringste Beachtung verdient. Wir dürfen daher als tatsachlich erwiesen annehmen, dass in Holland eine bessere Politik der Christen in Bezug auf die Juden auch eine bessere Politik der Juden in Bezug auf die Christen, oder überhaupt ein besseres politisches Verhältnis beider Religionsparteien gegen einander ins Leben gerufen habe, und zwar während eines sehr kurzen Zeitraums, bevor noch ein volles Menschenalter seit der dortigen Emanzipation der Juden abgelaufen. Wir dürfen also auch mit der höchsten Wahrscheinlichkeit erwarten, dass nicht minder in andern christlichen Staaten gleiche Ursachen gleiche Wirkungen hervorbringen würden, wenn man nur mit Verstand und gutem Willen alle die Maßregeln ergriffe, welche zu einer wahrhaften und vollständigen Emanzipation der Juden erforderlich sind. Hierüber soll der folgende Abschnitt weiteren Aufschluss geben.