Die Politik. Was sie ist? Was sie war? Und was sie werden soll? - Was soll die Politik werden?

Aus: Ideen über das politische Gleichgewicht von Europa mit besonderer Rücksicht auf die jetzigen Zeitverhältnisse.
Autor: Butte, Wilhelm (1772-1833) Lehrer, Prinzenerzieher, Pfarrer und Professor für Statistik und Staatswissenschaften, königlich preußischer Regierungsrat, Erscheinungsjahr: 1814
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Europa, Staaten, Staatengemeinschaft, Politik, Politiker, Macht, Recht, Kultur, Idee, Verstand, Gemüt, Staatszweck, Individuum, Vernunft, Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Humanität, Bildung, Bürger, Volk, Wissenschaft, Volksbildung, Selbständigkeit, Widersprüche, Theorie und Praxis, Unrecht, Selbstbestimmung, Unglück, Revolution, Verträge, Konstitution, Staatengemeinschaft, Zeitgeist, Richelieu, Mazarin, Philosophie, Völkerrecht, Eroberer, Napoleon
Die Besserung der so verdorbenen europäischen Vergrößerungspolitik ließ sich durchaus nicht auf dem ruhigen Wege innerer Ausbildung durch verbesserte Einsicht, sie ließ sich einzig von dem Eintreten der bekanntesten, alle Beschreibung übertreffenden Gewaltschläge, und des höchsten Grades eines allgemeinen Notstandes erwarten. Dass Napoleon selbst durch den Frieden von Tilsit noch nicht gesättigt war, und den alten Vorwurf der Eroberer:

„Quo plus sunt potae, plus sitiuntur aquae!“
(Je mehr sie trinken, desto durstiger werden sie.)

auf eine fast unbegreifliche Weise durch sein Beispiel bestätigte, dass er in Gemäßheit des großen Unterjochungsplans den Krieg zugleich an den Mündungen des Tajo und Quadalquivir und an der Wolga führte, dies alles war erforderlich, um die Herrscher Europas und ihre Kabinette zu dem erhabenen, nur durch Übereinstimmung der Mächtigsten ausführbaren Entschluss zu bringen, Kraft dessen forthin Eroberungskriege verbannt und die Politik dem Rechte zurückgeführt werden soll, von welchem sie sich nie hätten trennen sollen.

Wenn das österreichische Kabinett das ihm angebotene Schlesien ausschlägt, und erklärt, Preußen solle und müsse eine Macht bleiben, wenn Preußens Volk auf solche Weise Gut und Blut aufopfert für seine Sache zugleich und für die Sache Aller, wenn das so tief und so mutwillig gekränkte Russland mitten im Lauf der Siege über Frankreichs Zukunft einen so gemäßigten Ton anstimmt, kurz, da, wo Franz, Alexander und Friedrich Wilhelm auf die jetzige weltbekannte Weise verbunden sind, da kann es nicht zweifelhaft sein, dass sich die seit Ludwig XIV. herrschende Haupttendenz der Politik gänzlich geändert habe.

Ich setze voraus, dass der bevorstehende Friede in gewisser Hinsicht ewiges Stillschweigen gebiete über das, was die europäischen Kabinette sich aus früherer Zelt gegenseitig vorzuwerfen haben möchtet, und dass wenigstens kein Beispiel aus der Geschichte früherer Zeit von den Diplomatikern als beschönigendes Beispiel für neue Eroberungspläne angeführt werden dürfe. Alle Mächte haben bald mehr, bald weniger gebüßt, was die Politik in verkehrtem Sinne ausübte, und so wie wir zur Sicherung privatrechtlicher Verhältnisse der Verjährung bedürfen, eben so muss durch verständige Konvention ein Zeitpunkt festgesetzt werden, von welchem an der politische Besitzstand von Allen als der rechtliche anzusehen ist. Würde man doch ohne dieses unerlässliche Auskunftsmittel alle europäischen Staaten zerreißen und ein Chaos bilden müssen, welches endlich immer nur durch Konvention geordnet werden könnte.

Auf dieser Grundlage soll die europäische Politik in Zukunft ihr übertriebenes Streben nach Außen dem Streben nach innerer Vervollkommnung unterordnen. Da ist, von den größten europäischen Staaten bis zu den kleinsten auch nicht einer, welcher nicht verhältnismäßig seinem Flächeninhalte und seiner Volksmassen nach große Provinzen in seinem eigenen Innern auf jene Weise erobern könnte, die ehrenvoll und Vorteilhaft für Alle ist. Vollkommen doppelt so viele Menschen als Europa heute zum Teil sehr ärmlich nährt, kann dasselbe reichlich nähren, wenn den Gewerben und Künsten des Friedens die Hände, die Köpfe und die Kapitale zugewandt werden, die so lange her bald für den Angriff verschwendet wurden, und bald für die Verteidigung aufgeopfert werden mussten *).

*) Dass man nur nicht achte auf das, was seit kurzem mehrere Schriftsteller über die von ihnen erträumte Gefahr der Übervölkerung gesagt haben, und wenn ich gleich nicht mir Vater Sonnenfels die Vermehrung der Bevölkerung als Hauptgrundgesetz der Politik des Inneren ansehen möchte, so sehe ich doch fortdauernd in dieser Vermehrung eines der sichersten Kennzeichen einer guten und glücklichen Regierung. Viel irriges über Bevölkerung findet sich in dem sonst schätzbaren Werke des Britten Malthus, vor dessen unbedingter Annahme man die Politik nicht genug warnen kann.

Nach dem, was oben über die Hauptmerkmale in dem Begriff des Staatszwecks gesagt wurde, erkennt man:

a) Eine Machtpolitik, die sich als Kriegs-, Finanz, und Verhandlungspolitik verzweigt.
b) Eine Politik des Rechts, die sich verzweigt als Legislations- und Justizpolitik.
e) Eine Kulturpolitik, die viele Verzweigungen hat und in welcher besonders die Polizei eine große Rolle spielt.

Die last ungeheurer stehenden Heere erdrückte seit einigen Jahrhunderten Europa; zunächst zerrüttete sie die Finanzen aller Staaten, und das Pochen auf diese Heere entschied so sehr, dass die Unterhandlungskunst dabei fast gar nicht mehr zum Wort kommen konnte. Indes ist der universalhistorische Moment eingetreten, wo die bisherigen bloßen Soldatenkriege, welche neben den Finanzen auch die Tapferkeit aller nicht zum Militär gehörigen Stände verschlangen, sich plötzlich — wie es denn kommen musste — in Völkerkriege übergesetzt haben. Von nun an soll und muss die Machtpolitik eine ganz andere Wendung nehmen. Die stehenden Heere werden kleiner, besser bezahlt und besser zusammengesetzt, dass nicht Mietlinge und Taugenichtse Teil haben an dem großen Werke der Verteidigung des Vaterlandes; diese Heere werden nur eigentlich das Depot der höheren militärischen Kunst sein, während alle Waffenfähigen auch in den Waffen geübt sind und die Tapferkeit wieder ein Gemeingut
aller Männer werden wird. Unnatürlich große stehende Heere werden nicht mehr nötigen, das Volk mit jenen unerschwinglichen Auflagen zu belegen, die nicht selten den sonst besten Regierungen allen Kredit raubten, die Finanzverwaltungen in Labyrinthe führten, aus welchen kein ordentlicher Ausweg mehr zu finden war, und die den Frieden selbst zu einer Art fortdauernden Kriegsstandes machten. Wenn im Soldatenkriege der Vorteil auf Seiten des Angreifers liegt, der Eroberung und Beute versprechen kann, so liegt bei dem aufgedrungenen Völkerkriege ein unberechenbarer Vorteil auf Seiten des ungerechter Weise angegriffenen Teils. Selbst der viel kleinere Staat kann es in solchem Fall und bei solcher Maßregel mit dem weit größeren aufnehmen, alle ungemessenen Eroberungspläne scheitern an dem Zorn eines misshandelten Volks und über die Leichen der auf Tod und leben Vereinten führt kein Weg zu unverwelklichen Lorbeeren.

In der Rechtspolitik hat man in neuerer Zeit solche Fortschritte gemacht, die nur ruhig verfolgt werden dürfen um bald den kühnsten Erwartungen zu entsprechen. Der Fehler, dass die Sprache vieler Gesetze zu weit von dem Lapidarstyle abgewichen und mit dadurch die Gesetzbücher zu dick geworden sind, lässt sich verbessern, und der häufig, besonders in mehreren kleinen deutschen Staaten vorkommende Fehler, dass in dem Zeitraume von kaum 10 Jahren fast alle Gesetze zwei und dreimal veralteten, kommt doch mehr auf Rechnung der Zeitumstände, als auf die mangelnde Einsicht.

In der Kulturpolitik ist die Theorie wenigstens so weit fortgeschritten, auch haben Staaten, die den anderen als Muster dienen, dafür schon so viel guten Willen bewiesen, dass zunächst nur ein ruhiger Zustand und Rückkehr zu festen Verhältnissen erforderlich scheinen, um tausend Wünsche der Edelsten und Einsichtsvollsten zu realisieren, die bis jetzt unbefriedigt blieben.

Die europäische Politik wird nicht wieder in den Irrtum verfallen können, dass es einer Regierung möglich sei, einige Stände für Einsicht, die übrigen für die Unwissenheit zu erziehen. Denn wo das Volk unwissend und dumm ist, da gleichen im besten Falle die höheren Stände jenen Bergen, deren Fuß in ein tiefes Tal fällt. Solche Berge kommen bei ungleicher Höhe dennoch denen nicht im Gipfel gleich, deren Basis bereits hoch steht, und wo Bauer und Bürger weit zurückstehen, da läuft der Fehler notwendig durch alle übrigen Stände durch, höchstens in den wenigen großen Hauptstädten minder merkbar, deren Basis bereits hoch steht. Eben so wenig wird die europäische Politik wieder jene Afterkultur in Schutz nehmen, welche alle Stände, besonders die Niederen, aus ihrer Sphäre reißt und ihnen eine Begehrlichkeit und einen Hang zu gewissen Grübeleien mitteilt, durch welche Sitte, Zufriedenheit, Religiosität, kurz alles gefährdet ist, was dem Menschen heilig sein soll und teuer. Bessere Schulen, mehr Geschmack und Würde in allem, was unter dem Stempel des Staats ausgeht, eine Polizei, die mehr auf weise und wohltätige Anstalten, als auf das Befehlen, mehr auf das Verhüten und Ermuntern, als auf Furcht vor der Strafe rechnet. Werden der neuesten Politik einen herrlichen Wirkungskreis eröffnen. Dieser Wirkungskreis kann aber die Politiker unmöglich längere Zeit beschäftigen, ohne dass sie ihn lieb gewinnen, und diese Liebe einmal den Kabinetten mitgeteilt, wird sich in ihnen Vererben wie sich bisher die Liebe zum Kriege und zu Eroberungen in den meisten vererbte.

Was ich hiermit so gerne als meine Hoffnungen von der neuesten Politik aussprach, bezeichnet zugleich dasjenige, was sie leisten soll, leistet sie das, so haben die unaussprechlichen Drangsale, die unsere Generation erduldet, eine hohe Bedeutung in dem Buche der Weltgeschichte? Die Politik soll in Zukunft eine der größten Wohltäterinnen der Menschheit sein, unter ihrer schützenden Ägide soll die Selbständigkeit der Staaten gedeihen, diese aber soll der feste Boden sein, auf welchem das Leben der Völker sich freudig erhebe und rege auf tausendfältige Weise.

Arndt, Ernst Moritz (1769-1860)  Schriftsteller, Dichter, Politiker

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Archenholz, Johann Wilhelm von (1741-1812) Offizier, Schriftsteller und Herausgeber, Weltbürger und Freigeist

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Börne, Carl Ludwig (1786-1837) deutscher Schriftsteller, Journalist, Publizist, Literatur- und Theaterkritiker

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Brockhaus, Friedrich Arnold (1772-1823) deutscher Herausgeber, Autor, Verleger, Berichterstatter, Kommentator

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Cotta, Johann Friedrich Freiherr von Cottendorf (1764-1832) deutscher Verleger, Industriepionier und Politiker

Cotta, Johann Friedrich Freiherr von Cottendorf (1764-1832) deutscher Verleger, Industriepionier und Politiker

Dohm, Christian Konrad Wilhelm von Dr. (1751-1820) deutscher Jurist, Professor, Diplomat, politischer-historicher Schriftsteller.

Dohm, Christian Konrad Wilhelm von Dr. (1751-1820) deutscher Jurist, Professor, Diplomat, politischer-historicher Schriftsteller.

Eugen, Friedrich Karl Paul Ludwig, Herzog von Württemberg (1788-1857) kaiserlich russischer General der Infanterie

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Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) Erzieher und Philosoph

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Friedrich Franz, Großherzog von Mecklenburg-Schwerin

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Gmelin, Christian Gottlieb Dr. (1749-1818) Prof. Rechtswissenschaftler

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Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832) Dichter und Universalgelehrter

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Gurlitt, Johann Gottfried (1754-1827) Pädagoge, Professor Dr. Phil., Publizist, Rektor

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Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770-1831) deutscher Philosoph

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Herder, Johann Gottfried (1744-1803) Dichter, Übersetzer, Theologe, Kulturphilosoph

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Herschel, Friedrich Wilhelm (1738-1822) deutsch-britischer Astronom und Musiker

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Wilhelm von Humboldt (1767-1835) Staatsmann, Wissenschaftler, Gelehrter und Mitbegründer der Universität in Berlin

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