Die Ostseeprovinzen im Reformations-Zeitalter

Aus: Literarische Beilage der Karlsruher Zeitung
Autor: Winkelmann, Eduard Dr. (1838-1896) Professor für Geschichte in Heidelberg, Erscheinungsjahr: 1880
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Reformation, Reformationszeit, Orden,
Wir treten in die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. Das neue Glaubenslicht, das von Wittenberg ausgegangen war, hatte in den Ostsee-Provinzen verhältnismäßig leicht Eingang gefunden. Freilich an stürmischen Auftritten in Stadt und Land fehlte es auch hier nicht, aber es ist doch nie zu einem solchen Kampfe gekommen, wie ihn die deutschen Protestanten gegen Kaiser Karl V. durchkämpfen mussten; niemals ist hier der Fortgang der großen Sache ernstlich gefährdet worden. Das ist doppelt wunderbar, wenn wir in Betracht ziehen, dass jene Provinzen einem Staatswesen angehörten, das so zu sagen katholischer war, als irgend ein anderes der damaligen Welt, regiert von einem mönchisch-ritterlichen Orden und einer Anzahl von Bischöfen, deren ganzes bestehen mit der Fortdauer der römischen Kirche aufs engste verknüpft war. Man sollte also bedenken, dass der äußerste Widerstand gegen die Reformation für den Orden und für die Bischöfe geradezu eine Lebensfrage gewesen wäre und dass der Gegensatz zwischen den katholischen Landesherren und den protestantischen Untertanen notwendig zu den ärgerlichsten Zerwürfnissen hätte führen müssen. Aber von allen diesen Dingen ist nichts geschehen und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil die katholische Kirche in den baltischen Provinzen eine kernlose Form geworden war, unter deren Schutz rein weltliche Zwecke verfolgt wurden. Wie viele vom Orden sind nicht damals, um eins anzuführen, tatsächlich ihrem Gelübde ungetreu geworden, indem sie sich zu Weibern hielten, und doch im Orden geblieben! Wie viele von den Bischöfen hingen nicht im Geheimen oder öffentlich der neuen Lehre an und wollten doch nicht von der bequemen Weise des Lebens lassen, welche ihre Würde ihnen gewährleistete! Es handelte sich in ihren Augen gar nicht so sehr um die Erhaltung oder Herstellung der katholischen Kirche, als allein um ihr persönliches materielles Fortbestehen unter jeder Bedingung. Die Sache lag so, dass Orden und Bischöfe mit wenigen Ausnahmen gewiss gern der Reformation sich angeschlossen hätten, wenn in der Organisation der protestantischen Kirche Raum für Orden und landesfürstliche Bischöfe gewesen wäre; da dies nicht gut ging, blieben sie selbst auch weiter noch katholisch und wurden von Seiten ihrer Untertanen ebenso wenig darin gestört, als sie diese in der Ausübung des neuen Bekenntnisses störten. Es fehlten hier alle Elemente eines Religionskrieges, der übrigens seit 1526 für die katholische Kirche voraussichtlich hoffnungslos gewesen wäre. Das Klügste war, dass man ruhig geschehen lies, was man nicht ändern konnte, und zusah, wie die Reformation überall entschieden siegte, am frühesten in den Städten, langsamer bei den Ritterschaften und wenigstens äußerlich bei der Mehrzahl der Bauern! Trotzdem blieb die Regierung in den Händen der katholischen Landesherren, auch dann noch, als am 17. Januar 1554 Religionsfreiheit zugestanden war.

Schon sehr früh, zur Zeit des berühmten Ordensmeisters Wolter von Plettenberg (1450-1535), hat man daran gedacht, diesem unnatürlichen Verhältnis ein Ende zu machen, etwa so, wie in Preußen, wo der Markgraf Albrecht von Brandenburg den Titel eines Hochmeisters des deutschen Ordens mit dem eines Herzogs von Preußen vertauscht, in seinem nunmehr weltlichen Fürstentum die lutherische Reformation eingeführt und sich und sein Land in den Schutz des damals sehr mächtigen Königs von Polen gestellt hatte. Dass Plettenberg nicht Ähnliches gewagt hat, ist ihm von einem der neuesten Geschichtsschreiber der Ostsee-Provinzen zum großen Vorwurf gemacht worden, wie ich glaube, sehr in Übereilung. Denn Plettenberg gehörte noch zu den wenigen Ordensrittern, die aufrichtig in ehrlicher Überzeugung mit ganzem Herzen der katholischen Kirche und ihrem Orden anhingen. Er war überdies nicht der Mann zu einer so tiefgreifenden Umwälzung, welche man ihm zumutete, und vor allen Dingen: die Verhältnisse in Livland sind doch ganz andere und viel verwickelter gewesen, als in Preußen.

Während es in Preußen nur einen einzigen Fürsten gab, nämlich den Hochmeister, der sich in einen Herzog verwandelte, stellen die baltischen Provinzen im Mittelalter ein getreues Abbild der unseligen politischen Zersplitterung des deutschen Reiches dar, dem sie offiziell angehörten. Denn nicht nur der Ordensmeister war princeps, d. h. Fürst des römisch-deutschen Kaiserreiches, sondern auch der Erzbischof von Riga und die Bischöfe von Dorpat, Oesel und Kurland; ja sogar der Bischof von Reval, der niemals ein besonderes Fürstentum, sondern immer nur große Landgüter in Wierland und Harrien gehabt hat, fing zur Zeit der Reformation an, den Fürstentitel zu gebrauchen und dadurch die Souveränität zu beanspruchen, die ihm nicht im Geringsten zukam. Den übrigen Bischöfen war sie durch das ganze Mittelalter vom Orden bestritten, aber nie auf die Dauer entrissen worden. Was man also gewöhnlich den livländischen Ordensstaat nennt, war staatsrechtlich gar nicht ein Staat, sondern ein Komplex von fünf mehr oder weniger selbständigen Fürstentümern, ein römisches Reich deutscher Nation im Kleinen. Die Kopie wird seinem Urbilde noch ähnlicher erscheinen, wenn wir bedenken, dass in jenen einzelnen Staaten die Ritterschaften durch Erblichkeit ihre Lehensgüter, durch besondere Gerichtsverfassung und andere Rechte fast Staaten im Staat bildeten, dass die größeren Städte, wie Riga, Reval und Dorpat nahezu selbständig waren und etwa so zu ihren Landesherren standen, wie die deutschen Reichsstädte zum Kaiser, dass in den Städten wieder die verschiedenen Korporationen eben so viele kleine Gemeinden bildeten. Es war in allen Verhältnissen die größtmögliche Freiheit des Einzelnen auf Kosten der Gesamtheit erreicht worden. Freilich waren die Fürstentümer und in ihnen die verschiedenen Stände durch die Bande einer Nationalität und Sprache, durch Handel und Verkehr, durch manche gemeinsame Gesetze und Einrichtungen an einander gekettet, durch gemeinsame Gefahr aufeinander angewiesen: freilich wurden seit 1424 gemeinschaftliche Landtage gehalten, auf denen die Ordensgebieter, die Bischöfe und Domkapitel, die Ritterschaften – diese durch Bevollmächtigte – und seit 1430 auch die drei größeren Städte vertreten gewesen sind . . .

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RA 002 Luther

RA 002 Luther

RA 022 Luther Martin

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Rittermahl

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Beide Kämpfer am Boden

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020 Riga, Siegel des Meisters des Schwertbrüderordens

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022 Riga, Madonnenstatue und Standbild des Ordensmeisters Wolter v. Plettenberg

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021 Riga, Das ehemalige Schloss des Deutschen Ordens. (Rekonstruktion)

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Riga, Stadtsiegel seit 1349

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073 Reval, Außengemälde vom Flügelaltar der Nikolaikirche

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094 Reval, Das ehemalige Birgittenkloster (Rekonstruktion)

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