Die Napoleonische Kontinentalsperre in Mecklenburg (1806-1813)

Autor: Friedrich Stuhr (1867-1945), Erscheinungsjahr: 1906

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kontinentalsperre, Napoleon, Mecklenburg, Kontinentalmächte, Kriegsflotte, Hauptabsatzgebiet, Volkswohlstand, Handelsstatistik, Kriegsmaßregeln, Handelsvertrag
Jahrbücher des Vereins für
Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde

Bd. 71, 1906
Einleitung


Die Erwerbung Ostindiens durch die englisch-ostindische Kompagnie (1757-84) und die erfolgreichen Kämpfe der Engländer gegen Frankreich und Spanien bis zum Pariser Frieden (1763) haben die englische Vorherrschaft zur See begründet. Diese Vorherrschaft ist dann in dem wirtschaftlichen Leben der europäischen Kontinentalstaaten schwer fühlbar geworden. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ging das Streben der Engländer unverkennbar dahin, den ganzen überseeischen Handel und möglichst auch die Industrie in ihre Hand zu bringen und den Kontinentalmächten nur den Vertrieb ihrer Rohprodukte zu lassen. Später sind ihre Ansprüche weniger schroff geworden, aber noch heute üben sie, gestützt auf ihre Kriegsflotte, einen herrschenden Einfluß über See aus. Da ist es kein Wunder, daß es zu Versuchen kam, die lästigen Fesseln abzuwerfen. Man kann wohl zwei Hauptkampfperioden unterscheiden. Die erste ist die Zeit Napoleons, wo man es unternahm, den Engländern zur See entgegenzutreten und, als dies gescheitert war, durch eine Absperrung des Kontinents dem englischen Handel sein Hauptabsatzgebiet zu nehmen und so den englischen Volkswohlstand zu untergraben. In der zweiten Periode leben wir heute, doch sind die Waffen andere geworden. Die Kontinentalmächte denken nicht mehr daran, das englische Übergewicht durch einen Krieg oder durch handelspolitische Gewaltmaßregeln zu brechen, sondern wollen es durch emsigen Wettbewerb auf allen Gebieten des Handels und der Industrie allmählich ausgleichen. Und zweifellos sind sie jetzt auf dem richtigen Wege. Das beweist deutlich die alljährliche Handelsstatistik, die, besonders bei Deutschland und Frankreich, von ständigen Fortschritten berichtet.

In solcher Zeit des Erfolges kann man mit Genugtuung in die Vergangenheit zurückblicken und wird man sich gern einmal den Verlauf des früheren, erfolglos gebliebenen Kampfes vergegenwärtigen.

Man wird auf den ersten Blick geneigt sein anzunehmen, daß es Napoleons Gedanke war, den Kontinent durch eine umfassende Sperre gegen England abzuschließen. Das ist aber nicht zutreffend. In einer Studie von W. Kiesselbach über die ökonomisch-politische Bedeutung der Sperre ist bereits 1850 mit Recht darauf hingewiesen, daß sie ihre Vorläufer in dem Kampf gehabt hat, der während der französischen Revolution von neuem mit England entbrannte, und daß die gegenseitigen Kriegsmaßregeln zu einer weiteren Ausbildung eines solchen Abwehrmittels hindrängten. Die Kontinentalsperre wäre also auch ohne Napoleon gekommen, sie hätte aber nie die aus der Geschichte bekannten relativen Erfolge gezeitigt, wenn nicht die Tatkraft und das Genie eines Napoleon für sie eingetreten wäre.

Überblicken wir nun zunächst flüchtig den Verlauf des französisch-englischen Streites bis zu dem Zeitpunkt, wo seine Wellen auch nach Mecklenburg schlugen.

England hatte bis 1793 gegenüber den freiheitlichen Strömungen in Frankreich eine wohlwollende Haltung bewahrt. Weite Kreise von Einfluß auf die Regierung huldigten auch in England freieren Anschauungen. Überdies war England durch einen günstigen Handelsvertrag von 1786 eng mit den Interessen dieses Landes verbunden. Das änderte sich mit einem Schlage, als Ludwig XVI. der Revolution zum Opfer fiel, und bald darauf, am 1. März 1793, Frankreich den lästigen Vertrag kündigte. Da schloß sich England offen der Koalition gegen die Revolutionäre an.

Der Kampf begann mit wirtschaftlichen Schädigungen. Man verbot den Verkehr der feindlichen Handelsschiffe in den Häfen, kaperte die Schiffe und konfiszierte sich gegenseitig die Waren. Das Ergebnis für Frankreich war, daß sein überseeischer Handel lahm gelegt, seine Handelsflotte vernichtet wurde.

Da erklärte Napoleon am 23. Februar 1798 dem Direktorium, daß England nur auf dreierlei Weise besiegt werden könne:

      1. durch eine Landung an seiner Küste,

      2. durch Wegnahme Hannovers und Hamburgs,

      3. durch eine Expedition in die Levante und Bedrohung des Handels
      mit Indien.

Es ist bekannt, wie er diese, Pläne zu verwirklichen suchte. Der abenteuerliche Zug nach Ägypten 1798 scheiterte kläglich. Nach dem Siege Nelsons bei Abukir war an erfolgreiche Unternehmungen der Landarmee nicht mehr zu denken. Sie mußte froh sein, auf englischen Schiffen später den Weg in die Heimat zurückzufinden.

Der Friede zu Amiens 1802 schuf eine kurze Zeit der Ruhe, aber schon 1803 standen sich die beiden Völker wieder gerüstet gegenüber. In den französischen Häfen wurde eine umfassende Landung in England vorbereitet. Gleichzeitig besetzte eine französische Armee Hannover und die Elb- und Wesermündung. Wenn nun die Wegnahme Hannovers auch zweifellos ein großer Erfolg Frankreichs war, so wurde er doch durch das Mißgeschick zur See alsbald wieder aufgehoben. 1805 erlitt der französische Admiral Villeneuve mit der Landungsflotte und vereint mit den Spaniern bei Trafalgar eine entscheidende Niederlage. Damit war Frankreichs Seemacht auf lange Zeit zurückgedrängt. Im März 1806 hatte England einen Schiffsbestand von 243 Linienschiffen und 219 Fregatten, dem Frankreich nur 19 Linienschiffe und ebensoviele Fregatten, alle europäischen Staaten (mit Frankreich) zusammen nur 239 Linienschiffe und 277 Fregatten entgegenstellen konnten. 1) Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hatte also England die Machtstellung inne, die es noch heute aufrecht zu halten bemüht ist.

Von nun an ging Napoleons ganzes Streben dahin, möglichst viele Staaten durch Vertrag oder Gewalt zu einer gemeinsamen Abschließung gegen den englischen Handel zu bewegen, Sicher hat ihn dieser Gedanke bei dem Kriege gegen Preußen und bei der Besetzung der norddeutschen Uferstaaten (einschließlich Mecklenburgs) beherrscht. Als er Preußen bei Jena niedergezwungen hatte und in die Landeshauptstadt eingezogen war, hielt er den Zeitpunkt für gekommen, seinen Willen öffentlich kund zu geben.




1) Nach her List of the royal navy, angeführt bei Hitzigrath, Hamburg und die Kontinentalsperre. Hamburg 1900.