Abschnitt 1

IV.


Von den schädlichen Wirkungen der Kontinentalsperre auf das wirtschaftliche Leben unserer Heimat macht man sich eine ganz falsche Vorstellung, wenn man annimmt, daß die Schiffahrt während der ganzen Zeit so gut wie völlig geruht habe. Schon die Erwägung, daß dauernd nur englische und Kolonialwaren, dazu zeitweise schwedische, verboten waren und erst von Ende 1810 ab allgemein die Ausfuhr von Landesprodukten verhindert wurde, während im übrigen dem Seehandel keine gesetzlichen Hindernisse entgegenstanden, sollte dem widersprechen. Endgültig wird aber eine solche Ansicht widerlegt, wenn man die Aufzeichnungen prüft, die damals über Schiffahrt und Handel gemacht sind. Daraus ergibt sich, daß der mecklenburgische Seehandel sich für verschlossene Absatzgebiete sofort neue gesucht hat, daß er in den Jahren 1809 und 1810 sogar eine gewisse Blütezeit erlebte und erst von Ende 1810 an ziemlich lahm gelegt ist.


Für Wismar konnte ich dank dem Entgegenkommen G. G. Rats die Rechnungen über die städtische Akzise von Mariä Geburt (8. September) 1805-14 benutzen, die auf losen Zetteln die aus- und eingehenden Schiffe notiert und die Abgaben an Akzise und Hafengeld verzeichnet haben. Leider sind die Jahrgänge 1806-7 und 1811-12 im Rats-Archiv bisher nicht aufzufinden, sodaß man nur für 1808-10 und 1813 den ganzen Umfang des Seeverkehrs erkennen kann. Überdies ist in den Akziserechnungen über einlaufende Schiffe anscheinend eine Anzahl mit Ballast oder Transitogut beladene Schiffe fortgeblieben, weil sie das Hafengeld erst bei der Ausfahrt erlegt haben; so würde sich jedenfalls die Differenz zwischen den Zahlen der aus- und einfahrenden Schiffe am leichtesten erklären. Trotz dieser Mängel bilden die Akziserechnungen ein sehr schätzenswertes statistisches Material, dessen Angaben über die Zahl der Schiffe (bei den angekommenen Schiffen als Mindestzahl), über ihre Bestimmung und Herkunft, über die Warengattungen und über die Menge des ausgeführten Getreides wohl zu beachten sind.

Zur Bestimmung des Rostocker Seehandels waren mir nur die im Großh. Haupt-Archiv aufbewahrten Berichte des Militärbureaus, das eine scharfe Aufsicht über den Handel ausübte, zugänglich. Die Berichte reichen nur über die kurze Zeit vom 6. Juni 1808-25. Juni 1810, haben aber, nach den Überschriften zu urteilen, ebenfalls alle Schiffe aufgeführt. Das Getreide ist hier nach den einzelnen Sorten auseinandergehalten.

Die Tabellen der Anlage sind auf Grund der Akziserechnungen und der Berichte der Militärbureaus aufgestellt. Sie lassen erkennen, daß der mecklenburgische Seehandel während der Absperrung Schwedens vom Kontinent vollen Ersatz in den Ostseeprovinzen Rußlands und in dem damals von russischen Truppen besetzten Finnland fand. Die Ausfuhr dahin erreichte 1809 mit 60 Wismarschen und 81 Rostocker Schiffen seinen Höhepunkt. Dieser russische Verkehr bildete aber nur eine Ausnahme. Kaum war die Schiffahrt nach Schweden anfangs 1810 infolge des Friedensschlusses wieder freigegeben, so schlug der Handel wieder seine altgewohnten Wege dorthin ein. 1810 gingen von Wismar schon 48 Schiffe, 1813 gar 111 Schiffe und in den ersten 6 Monaten 1810 von Rostock aus 43 Schiffe nach Schweden ab, während gleichzeitig der russische Handel ganz bedeutungslos wurde.

Auffallend ist der rege Verkehr in den letzten Monaten von 1809 bis in den Herbst 1810 hinein. Nach Mitteilung des Ratsarchivars Dr. Techen erwarben in dem einen Jahr 1809 28 Schiffer, darunter 22 fremde, in Wismar das Bürgerrecht, was ganz erheblich gegen die voraufgehenden und nachfolgenden Jahre absticht; auch sah sich der Rat veranlaßt, am 13. November 1809 zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Hafen das Löschen und Laden der Schiffe durch eine Interimsverordnung genau zu regeln. Für diesen Aufschwung des Seehandels wird der Hauptgrund in der Wiedereröffnung des Verkehrs mit Schweden liegen. Außerdem wird zur Belebung des Küstenhandels zwischen Mecklenburg und dem benachbarten Schleswig-Holstein und Dänemark die Abstellung der Übergriffe der dänischen Kaper zu Anfang 1809 viel beigetragen haben; gingen doch 1809 37 und

1810 gar 132 kleine Schiffe und Boote meist mit Ballast aus dem Wismarschen Hafen hinaus, um von Neustadt, Heiligenhafen, Kiel, Flensburg Transitogüter und Holz zu holen, und ist auch für Rostock in dieser Zeit eine erhebliche Zunahme des Verkehrs dorthin nachweisbar.

Die Regierung hat bei jeder Gelegenheit dem Seehandel aufzuhelfen gesucht. Zu Beginn 1809 lagen sieben Rostocker Schiffe in Gothenburg und anderen schwedischen Häfen, die das Kontinentalverbot von der Heimat fernhielt Da nun ihre Rückkehr damals um so größere Vorteile bot, als der schwedische Import in allen benachbarten Ländern ohne Zweifel bis zum bevorstehenden Friedensschluß mit Schweden untersagt bleiben würde, so mußte der Gesandte v. Lützow die Angelegenheit in Paris vortragen. Er erreichte wirklich von Napoleon am 7. April 1809 die Erlaubnis zur Rückkehr dieser Schiffe mit schwedischer Ladung, worauf die Regierung noch dänische Geleitbriefe erwirkte.

Durch diesen Erfolg ermutigt, wünschte die Kaufmanns- und Schifferkompagnie zu Wismar, der Herzog möge sich dafür verwenden, daß der Verkehr mit Schweden allgemein wieder hergestellt werde. Korn und Wolle, so stellte die Kompagnie am 27. Juni 1809 vor, haben früher einen sicheren Absatz in Schweden gehabt. Die von dort bezogenen Waren, wie Teer, Eisen und Holzwaren, werden gegenwärtig mit Gold aufgewogen. Die Folge davon ist, daß die Kaufleute verarmen, danach auch die Gutsbesitzer und Pächter, wie die vielen Güterkonkurse und Bitten um Pachterlaß klar beweisen.

Der Herzog mußte dies Gesuch wegen der damaligen politischen Lage, gewiß sehr gegen seinen Wunsch, abschlagen. Es dauerte dann aber nur noch drei Monate, bis die französische Regierung selbst den Verkehr mit Schweden unter gewissen Einschränkungen vorläufig wieder zuließ.

Die größte Notlage für Mecklenburg entstand gegen Ende 1810, als neben der schweren Belastung der eingeführten Kolonialwaren die Ausfuhr der Landesprodukte unterbunden wurde. Das führte zu ernstlicher Vorstellung der Regierung sowohl in Paris als beim Conseil special in Hamburg. Mit Ergebung und selbst bereitwillig, so schrieb am 7. Dezember 1810 der Freiherr v. Brandenstein, haben wir den Stillstand des Handels ertragen, solange er sich auf die Kolonialwaren und die englischen Fabrikwaren beschränkte. Denn deren kann sich ein mäßiges Volk, wie die Mecklenburger, leicht begeben. Seit aber der Stillstand den Handel mit den Naturprodukten des Landes ergreift, sehen wir mit Schrecken die Hülfsquellen versiegen, aus denen der Staat sein Leben fristet Wir sehen aus dem Lande das letzte Stück Geld herausgehen, ohne Mittel zu finden, es zu ersetzen.

Mecklenburg bedarf vieler Dinge absolut notwendig. Es hat nötig aus Frankreich Seidenwaren, Tuche, Biberfelle, Wein, Öl und anderes, aus Schweden und Rußland Bauholz, Eisen, Kupfer, Vitriol, Teer und Hanf. Und das Land hat kein Mittel, sich das Geld zum Erwerb dieser Gegenstände zu verschaffen, als den Verkauf seiner Naturprodukte, Wolle, Pferde und besonders Getreide.

Es ist unmöglich, Getreide auf Wagen auszuführen (die alle anderen Kaufmannswaren fortschaffen, selbst Weine von Bordeaux bis zum Norden Deutschlands), weil es den Fuhrlohn nicht tragen kann. Wenn die Häfen uns geschlossen bleiben, wird der Preis des Getreides fast gleich null, und unser einziges Unterhaltungsmittel wird für uns unnütz.

Hoffentlich, so schloß Brandenstein, wird der Conseil special sich davon überzeugen, daß der Getreidehandel über See die Ausführung der Sperrdekrete nicht stören kann, - solange der Handel beschränkt ist auf Holland, Dänemark, Norwegen und Schweden und nicht mißbraucht wird.