Theater

Wenn wir uns zum Theater wenden und uns vergegenwärtigen, dass damals Goethe, Schiller, Haydn, Beethoven lebten, dass Lessing unlängst und Mozart eben erst gestorben war, so werden wir beim Durchblättern der Theaterzettel der deutschen Bühnen mit Erstaunen gewahr, dass diese klassischen Großen zu ihrer Zeit nur recht selten auf dem Spielplan erscheinen. Es war um 1790 eine Bewegung im Gange, Lessing ein Denkmal zu errichten; die Vorstellung der Minna von Barnhelm, die 1791 in Kassel zum Besten des Denkmalfonds gegeben wurde, erbrachte aber nur 15 Taler und 12 Groschen! In Berlin wurden Goethes Iphigenie, der Tasso vor leeren Häusern gespielt; 1800 bei der Erstaufführung der Iphigenie in Wien gehen Hof und Adel nach dem zweiten Akt fort; die zweite Aufführung bleibt leer und dann vergehen 15 Jahre bis zur dritten.

In München erscheint Don Carlos etwa alle drei Jahre einmal und die Berliner gehen in die Räuber überhaupt nur, wenn Iffland spielt. Als Haydns „Schöpfung“ 1801 in Paris gegeben wird, ist die erste Aufführung überfüllt, da es sich um ein mondänes Ereignis handelt, zu mehr als zweien kommt es aber aus Mangel an Interesse überhaupt nicht, während die verschiedenen Parodien darauf, die in Pariser Theatern gespielt werden, wochenlang volle Häuser erzielen. Am 20. November 1805 ist in Wien die Premiere von Fidelio; es dauert sieben Jahre bis zur ersten Wiederholung!


Den gleichzeitigen Komponisten, wie Reichardt, schien Beethoven verrückt und die Rezensenten werfen seiner Musik die „Vernachlässigung einer edlen Simplizität“ vor und fanden sie im „Effekt etwa gleich ungeschliffenen Diamanten“. Dabei war der Theaterbesuch ein sehr reger; die sechs Wiener Theater waren selbst 1813 täglich ausverkauft; im März 1811 gab es in Berlin 16 Konzerte und alle sollen überfüllt gewesen sein; in Hamburg spielten drei Theater, ein deutsches, ein englisches und ein französisches gleichzeitig. Das Interesse am Theater war so rege, dass an Orten, wo stehende Bühnen fehlten, Liebhaber für Geld spielten, wie in Bremen 1792 oder in Leipzig, wo es außer dem Stadttheater im Jahre 1800 fünf Privatbühnen gab, die dem Besuch zugänglich waren. Küstner rühmt in Leipzig besonders das ausgezeichnete Liebhabertheater des Oberhofgerichtsrat Blümner. „Es sind 30 Liebhabertheater hier“, schreibt Bettine 1808 aus München an Achim von Arnim, „vom ersten Minister bis zum Lampenputzer spielt alles Komödie, keiner will dem andren zusehen, ein jeder will selbst spielen.“ Man bevorzugte gegenüber dem klassischen Repertoire das leichtere Genre und man findet auf den Zetteln außer den vergessenen Namen der Spieß, Junger, Vulpius, Babo am häufigsten Iffland und Kotzebue.

Der letztere zumal traf den Zeitgeschmack mit sicherem Gefühl und fand in seiner ungeheuren Fruchtbarkeit den Weg auf alle Bühnen, in Deutschland wie im Ausland. In Wien erhielt er für jedes neue Stück 60 Dukaten, in London gar £ 100; seine Sonnenjungfrau, Menschenhass und Reue, die Indianer in England u. a. waren Jahrzehnte hindurch überall Kassenstücke; seine Possen sind es heute noch auf Schmieren, während Ifflands bürgerliche Rührstücke, wie die Jäger, sich bis jetzt auch auf größeren Bühnen gehalten haben. Iffland galt nach Eckhofs Tode für Deutschlands größten Schauspieler; er wurde 1796 mit 3.000 Taler Gage in Berlin engagiert, brachte aber viele Monate des Jahres auf Gastspielen zu. Sein Spiel galt für so wunderbar, dass einzelne seiner Rollen in ganzen Serien von Darstellungen im Kupferstich festgehalten worden sind; es war, wie dasjenige des gleichzeitigen berühmten Tragöden Talma, eine Kettenfolge wirkungsvoller Attitüden und mimischer Grimassen. Talmas Deklamation fanden deutsche Beurteiler eintönig, denn er sprang fortwährend mit der Stimme von der höchsten Höhe in die tiefste Tiefe und verfiel von lautem Geschrei in dumpfes unverständliches Murmeln. Karl von Raumer schreibt im Winter 1808 — 1809 aus Paris: „Als ich die erste Tragödie sah, meinte ich die Schauspieler seien toll, solch Schreien und Brüllen, solch wütende Gestikulationen! Der berühmte Talma mäßigte sich etwas und weil er ein schöner Mann war, so entstellte ihn die Art Affekt nicht so sehr. Desto mehr entstellte sie eine hässliche Schauspielerin Mlle. Duchesnois, die im Schweiße des Angesichts Applaus erarbeitete.“

Die Oper beherrschen in diesen Jahren Méhul, Cherubini, Paër, Salieri, Winter, Weigel, Dittersdorf; als Sängerinnen feiert man Mme. Paër, die 1806 für 30.000 Francs Gage für Paris gewonnen wird, und besonders Angelica Catalani. Sie erhielt in Paris für zwei Monate 100.000 Fr. und für eine season in London 240.000 Fr. An einzelnen verstaubten Bühnen fristet die alte italienische Opera seria noch ein kümmerliches Dasein, wie in Berlin 1791, wo die Kastraten Concialini und Tosoni als Darius und Alexander Hauptheldenrollen singen; selbst 1811 ist in Berlin noch ein Kastrat Tombolino engagiert, dessen Stimme drei volle Oktaven umfasst, vom tiefen bis zweigestrichenen B!

Schließlich war es damals, wie heute — man ging ins Theater, um sich zu amüsieren und etwas Hübsches zu sehen, und die Direktoren, die ihrem Publikum dafür das meiste boten, hatten den berechtigten — den Kassenerfolg für sich! So war es in Paris 1799, als das Vaudeville eine Jahresrevue spielte; so 1809 in Wien, als der Rochus Pumpernickel die Bretter betrat. In Ausstattungsstücken ließ aber England alles hinter sich, was man bis dahin gesehen oder gehört hatte. Das Drurylane Theater in London, welches 1797 den eisernen Vorhang einführte, gab 1799 ein Stück, in dem eine Pulvermine auf der Bühne ein Schloss in die Luft sprengte! Dagegen kam man in München nicht auf, wo man 1810 „Übereilung und Argwohn“ von Holbein sehr bewunderte, — weil in einem Akte fließendes Wasser bis zur höchsten Täuschung dargestellt war; eher konnte noch Berlin mit den englischen Effekten rivalisieren, wo man 1812 in Fontenelles Hekuba den Brand von Troja „schauderhaft wahr“ fand! Das starke Interesse am Theater zeitigte Versuche, wie Goethes in Weimar, der Terenz in antiken Masken spielen ließ, oder solche, wie am Theatre Feydeau in Paris mit Abschaffung der Kulissen und Einführung einer stehenden Dekoration gemacht wurden. Das Interesse an den Personen der Darsteller hat die Claque ins Leben gerufen, welche im Kampf der rivalisierenden Tragödinnen Duchesnois und Georges Weymer in Paris 1804 zum ersten Male erscheint; 1799 hat das Publikum in Hamburg einmal einen Schauspieler ausge — gähnt!

Zirkusvorstellungen sind auf dem Kontinent noch etwas Ungewöhnliches, 1797 besucht die Gräfin Voß in Berlin zum erstenmal in ihrem Leben einen solchen, während sie in England, dem klassischen Land des Reitsportes, etwas längst Gewohntes darstellen. Der berühmte Zirkus Astley in London ist schon zur Pantomime vorgeschritten und führt bereits im Juli 1791 als aktuellen Vorwurf die Flucht der Königlichen Familie nach Varennes auf, die kaum drei Wochen zuvor stattgefunden. Die Vorliebe der Zeit für die schöne Geste, die plastische Pose hat ein Genre von Vorstellungen gezeitigt und geschätzt, welches darin bestand, dass eine Person durch ihre Attitüden und ihre Mimik Charaktere darzustellen unternahm. Die Erfinderin dieses Genres, war Lady Emma Hamilton, die Geliebte Nelsons, welche als Sophonisbe, Iphigenie, Vestalin, Niobe, Kleopatra, Maria Magdalena u. a. durch die Schönheit ihres Körpers, den seelenvollen Ausdruck ihres Mienenspiels jeden, der sie sehen durfte — und Goethe hat auch dazu gehört — entzückte. Öffentlich trat dann das Tänzerpaar Vigano in solchen Vorstellungen auf und sie fanden viele Nachahmer, seit durch Rehberg und Schadow ihre und der Lady Hamilton Attitüden in Kupferwerken bekannt gemacht worden waren. In Deutschland waren Henriette Hendel-Schütz und Elise Burger darin berühmt, bis sie zu dick wurden und Deklamation und Drapierungskünste nicht mehr imstande waren, Alter und Fett für Anmut und Grazie auszugeben. Wilhelm von Kügelgen erzählt sehr drollig von den mimischen Exzessen der Hendel-Schütz, und eine satirische Schilderung nach dem Leben lässt E. Th. A. Hoffmann seinen Hund Berganza davon entwerfen. In Brighton produzierte sich eine Mrs. Humphries in Attitüden im Wasser und ein Herr von Seckendorf, der meist im römischen Kostüm mimte, beschloss seine Darstellungen gewöhnlich — ganz nackt als Apollo!

Den Sieg über Schauspieler, Sängerinnen und Mimoplastiker trugen aber um die Jahrhundertwende — die Wunderkinder davon. In England machte der zwölfjährige Tragöde Betty Roscius das Publikum ganz toll; in Deutschland konzertierten die zehn- und elfjährigen Violinspieler Pixis aus Mannheim und Niele aus Hannover und die neunjährige Kathinka Krebs ließ sich mit Bravour-Arien bis ins eingestrichene A hören, aber vor dem Ruhm der Sängerin Karolina Stenz musste der der anderen erblassen, diese Künstlerin konnte zwar wenig, aber sie war dafür auch erst 3 1/2 Jahre alt!

La Belle Assemblée, London 1816, 1817
Debucourt nach Vernet, Zirkus Franconi