Revolutions-Schwärmereien

Heute, wo wir jene Zeit im Zusammenhang übersehen, wo wir wissen, wie wenig die Ereignisse der Folgezeit jenem ersten Aufschwung entsprochen haben, heute, wo wir überzeugt sein müssen: que jamais le peuple ne verra le lever du soleil — da mögen wir über die Begeisterung jener Tage lächeln, für damals aber kann man sich die Wirkung dessen, was in Paris geschah, nicht groß, nicht gewaltig genug denken.

In der Schwärmerei für die französische Revolution trafen sich der alte Klopstock und der jugendliche Schiller; Fichte begrüßt in ihr den Anbruch einer neuen Zeit, Hegel den Sonnenaufgang einer herrlichen Epoche. Kant sah in der französischen Revolution die tatsächliche Bürgschaft dafür, dass die Menschheit in einem beständigen Fortschritt zum Besseren begriffen sei; Johannes von Müller sagte, der 14. Juli 1789 sei „der schönste und wichtigste Tag seit dem Untergang der römischen Weltherrschaft“. Campe ging mit Wilhelm von Humboldt 1791 nach Paris, um der Leichenfeier des französischen Despotismus in Person beizuwohnen.


Graf Fritz Stolberg erblickte in dem Bastillensturme die herrliche Morgenröte der Freiheit. Schlözer, dessen Staatsanzeiger die Geißel der kleinen deutschen Reichsfürsten genannt wurde, glaubte nun, die Engel im Himmel ein Tedeum singen zu hören; Georg Forster, Gentz, Görres, Posselt, glauben ihre kühnsten Träume der Erfüllung nah. Als Goethe bei der Rückkehr aus der Campagne von 1792 Düsseldorf besuchte, fand er, dass in Jacobis Garten in Pempelfort die Büsten von Lafayette und Mirabeau „göttlich“ verehrt wurden. Die sentimentale Sophie La Roche macht sich Stechbücher aus Mirabeaus Reden und die Bewegung beschränkt sich durchaus nicht auf die Kreise der Literaten und Schöngeister, Heinrich Steffens erzählt es anschaulich, wie die Aufregung über die unerhörten Geschehnisse bis in die Häuser, in die Familien einfacher Bürger, selbst in die Schulen drang.

Auf der Karlsakademie entstand ein Freiheitsklub, der den Jahrestag des Bastillensturmes in jährlichen Festen feiern wollte. Knigge erzählt, dass man den 14. Juli in Hamburg öffentlich feierte. Alle Damen waren weiß gekleidet und trugen weiße Strohhüte mit den französischen Nationalfarben. Klopstock las zwei neue Oden vor; „kein Fürstenknecht war eingeladen“. In Deutschland pflanzte sich die Bewegung bis in den hartgedrückten Bauernstand fort, in Hannover, Baden, Hessen-Kassel, Kursachsen, Oberbayern müssten Aufstande mit Gewalt unterdrückt werden. Wie ein Taumel reißt das Evangelium der Freiheit die Menschen fort, ein deutscher Prinz, Karl Konstantin von Hessen, wird als citoyen Hesse ein feuriger Parteigänger der Jakobiner; die Prinzessin Rosalie Lubomirska hält es nicht länger auf ihren polnischen Gütern, sie eilt nach Paris, um — den Tod auf dem Schafott zu finden, den, ein tragisches Schicksal, Friedrich von der Trenck, selbst ein Opfer des Despotismus, mit ihr teilt.

Debucourt, Promenade im Palais Royal (Ausschnitt) 1792

Debucourt, Promenade im Palais Royal (Ausschnitt)




Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724-1803) deutscher Dichter, Freimaurer

Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724-1803) deutscher Dichter, Freimaurer

Humboldt, Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von (1769-1859) deutscher Naturforscher

Humboldt, Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von (1769-1859) deutscher Naturforscher

Kant, Immanuel (1724-1804) deutscher Philosoph

Kant, Immanuel (1724-1804) deutscher Philosoph

Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) deutscher Erzieher und Philosoph

Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) deutscher Erzieher und Philosoph

006 Debucourt, Promenade im Palais Royal (Ausschnitt) 1792

006 Debucourt, Promenade im Palais Royal (Ausschnitt) 1792

007 Debucourt, Promenade im Palais Royal (Ausschnitt) 1792

007 Debucourt, Promenade im Palais Royal (Ausschnitt) 1792

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