Reisen

Das Reisen war in jener Zeit kein Vergnügen; nur, wer musste, machte eine Reise. In vielen deutschen Territorien hielt man es im 18. Jahrhundert für ein Gebot volkswirtschaftlicher Klugheit, die Straßen in schlechtem Zustand zu erhalten, denn dann blieben die Einheimischen mit ihrem Geld zu Hause, die Fremden aber mussten für Vorspann, Reparaturen, Aufenthalt usw. einen schönen Batzen dalassen. So waren die Wege absichtlich oder unabsichtlich aufs höchste vernachlässigt und wenn Napoleon auch überall schöne Chausseen bauen ließ, so gerieten sie doch bald durch die unablässige Abnützung durch seine Artillerie, Train u. dgl. wieder in einen Zustand, der Reisewagen und Postkutschen sehr gefährlich wurde. Die Klagen darüber sind denn in der Literatur auch etwas Stehendes, die Berichte über Unfälle bei Reisebeschreibungen etwas ganz Selbstverständliches.

Von Livland bis Neapel ist Kotzebue in einem Entsetzen über den schlechten Zustand der Posten; ob die Königin Luise von Königsberg nach Warschau, Bettina mit Lulu Jordis von Kassel nach Berlin, Humboldts von Rom nach Neapel, Kügelgens nach Ballenstedt reisen, ist ganz gleich — umgeworfen werden sie sicher und können noch von Glück sagen, wenn sie heil davonkommen und nicht wie Wielands, als sie mit dem Wagen über den Tiefürter Berg hinunterfallen, schwer beschädigt werden! Erbprinz Carl Ludwig von Baden verlor am 16. Dezember 1810 bei Arboga in Schweden sein Leben durch einen Sturz aus dem Wagen.


Nur England machte wieder eine Ausnahme und wer einmal dort gewesen ist, kann sich die Wege auf dem Kontinent überhaupt nicht mehr vorstellen. Die englischen Straßen sind so vorzüglich, dass die „Flugfuhren“ z. B. Campe, der von Yarmouth nach London reist, sehr schlecht bekommen und er sich über das schnelle Fahren beschwert, „denn da konnte man doch von der Gegend nichts sehen“!? Dabei sind noch auf dem Kontinent der Schikanen mit Zollen und Pässen kein Ende. Auf der Elbe sind allein zwischen Dresden und Magdeburg 16 Zollstellen, auf dem Rhein 32, auf der Weser zwischen Minden und Bremen noch 22! Als Ferdinand Grimm 1812 nur von Kassel nach München will, muss er in Nürnberg eine Woche liegen bleiben, weil sein Pass in Kassel nicht vom bayerischen Gesandten visiert worden ist.

Die Passe der Brüder Riepenhausen, die 1802 von Göttingen nach Rom wandern, tragen einige 20 Visa, die doch alle unterwegs mit Unbequemlichkeiten und Kosten eingeholt werden mussten! Die schlechten Straßen ziehen auch die kürzeste Reise unglaublich in die Länge; dass man von Berlin nach Rom zwei Monate braucht, während das Gepäck ein Jahr unterwegs ist, — dass man von Wien nach Rom 1 Monat benötigt, ist nicht zu verwundern, aber von Cleve nach Münster reisen Sethes 1803 drei Tage; Wilhelm Grimm braucht 1816 mit dem Hauderer vier Tage von Kassel nach Leipzig! Reichardt preist sich glücklich, 1802 in nur vier Tagen von Frankfurt nach Paris zu kommen (für 185 Taler!).

Bedenkt man dann außer dem schlechten Zustand noch die Unsicherheit der Straßen und die erbärmlichen Wirtshäuser, so versteht man, dass wer nicht fort musste, daheim blieb. Dass Frauen in Männerkleidern auf die Reise gehen, ist aus allen diesen Gründen damals etwas ganz Gewöhnliches. Die schöne abenteuerliche Mme. Gachet, das Urbild von Goethes Natürlicher Tochter, die immer unterwegs war, trug nur selten die Kleider ihres Geschlechts; Bettina und Lulu Jordis reisen als Männer und auch Humboldts stecken ihre vier Mädchen zur Reise nach Rom in Hosen! So liest man auch kaum von Vergnügungsreisen aus damaliger Zeit. Selbst die Naturschönheiten der nächsten Umgebung blieben lange unbekannt; Carl Julius Weber, der Deutschland von einem Ende zum andern kannte, hörte 1805 zum ersten Male von den Schönheiten des Salzkammerguts reden; 1800 erst baut Graf Stolberg das Brockenhaus und ein Besuch von 1.000 Gästen im Jahr gilt für etwas Außerordentliches!

Man reiste, wenn es hoch kam, ins Bad. Die Modebäder waren Pyrmont und Karlsbad, erst um 1803 beginnt Norderney in Aufnahme zu kommen. Den Preußen war durch eine Kabinettsorder im Jahre 1799 verboten worden, ihre Gesundheit in außerpreußischen Bädern wiederherstellen zu wollen! Über Pyrmont ist Ende des 18. Jahrhunderts nur eine Stimme, wie schmutzig es sei, wie teuer, wie schlecht die Verpflegung, wie unaufmerksam die Bedienung usw. Der Kursaal wird nur beleuchtet, wenn ein Gast die Kerzen zahlt; aber gespielt wird mit unglaublicher Leidenschaft von hoch und nieder; in Pyrmont ist es 1812 passiert, dass ein Bedienter einen unschuldigen Knaben ermordete, um ihm den kleinen Finger abzuschneiden, der ihm Glück im Spiel bringen sollte!

1816 The Repository, London
Debucourt nach Vernet, Reitepisode
Klein, Postwagen
Leprince, Ankunft der Post 1819