Reinlichkeit

Es ist bekannt, wie geringen Wert man im 16., 17. und 18. Jahrhundert auf Sauberkeit legte. In Spanien war das Baden als heidnischer Gräuel verboten; die durch ihr galantes Leben berühmte Königin Margarete von Navarra wusch sich höchstens einmal in der Woche, und auch dann nur die Hände; der Sonnen-König wusch sich nie und die einzige Badewanne, die zu seiner Zeit in Versailles existierte, wurde, da das Badezimmer als überflüssig zu anderen Zwecken eingerichtet worden war, erst ganz zufällig zu den Zeiten der Pompadour wieder entdeckt, aber nie benutzt, sondern als Springbrunnen im Garten aufgestellt. Bei solchen Gewohnheiten begreift man die Missbilligung, mit der Napoleon nachgesagt wurde, er bade zu viel! und das Erstaunen, mit dem Mercier im Jahre 1800 konstatiert, dass die Seife in Paris wirklich ein ganz allgemeiner Gebrauchsartikel geworden sei, und man fühlt Reichardt die Verwunderung nach, mit der er 1804 die Franzosen so viel sauberer findet, als vor 20 Jahren!

Gleichzeitige Berichte von Engländern allerdings lauten wesentlich anders: sie gaben ja zu, die Französinnen seien hübsch anzusehen, aber — mit der Nase dürfe man ihnen nicht zu nahe kommen! In Spanien rechnete die Erlaubnis, ihr. — das Ungeziefer absuchen zu dürfen, zu den größten Gunstbeweisen, die eine Schöne ihrem Geliebten erzeigen konnte und Klinger erzählt, wie er seinen Offizieren in St. Petersburg einst ein Mikroskop gezeigt und ein gewisses kleines Tierchen als passendes Demonstrationsobjekt bezeichnet habe, da seien ihm in einem Augenblick von den Hörern so viele dieser kleinen Geschöpfe dargeboten worden, dass er in die peinlichste Verlegenheit geraten sei.


Als der Maler Ludwig Emil Grimm von Georg Brentano 1816 auf eine Reise nach Italien mitgenommen wird, mokiert er sich in seinem Tagebuch beständig über ihren dritten Reisegefährten den Maler Prestel, der jedesmal, sobald sie in einer Stadt ankamen, sofort Toilette machen müsse, „viel Wasser und Handtücher“ dazu brauche, Seife und Bürsten sogar immer bei sich habe und er sei doch gar nicht mehr jung!? Geradezu ergötzlich lesen sich die Artikel von Hufeland, der 1790 einen förmlichen Feldzug gegen die Unsauberkeit eröffnet.

Es sei nicht recht, sagt er z. B., dass man die Kinder nie bade, selten wasche und sie noch seltener die Wäsche wechseln lasse, das sei ungesund, — und in diesem Stil predigt er Jahrzehnte hindurch seinen Zeitgenossen die Urelemente der Körperkultur. München hatte bei 40.000 Einwohnern 17 Klöster, aber nur 5 Badeanstalten mit insgesamt 130 Wannen; Frankfurt a. M. erhielt sein erstes Badeschiff im Main 1800 durch einen Dr. Kohl und Berlin sein erstes Flussbad durch General von Pfuel erst nach 1813.

Wozu hätten wohl Leute, die sich nicht wuschen, einen besonderen Waschtisch gebraucht?! Erst mit der beginnenden Reinlichkeit erscheint auch er, zuerst nur in sehr bescheidenem Umfang, am liebsten als Dreifuß gebildet, Waschbecken und Wasserkrug von geradezu diminutiven Verhältnissen.

Die große Blumenliebe der Engländer hat uns mit dem Blumentisch beschenkt und der Empfindsamkeit, die der Flora holde Kinder sich zu Lieblingen erkor, gesellt sich der Luxus, der mit seltenen Pflanzen oder mit Blüten außerhalb ihrer Jahreszeit prunken will. In Paris erscheint die Blumenliebe erst nach der Schreckensherrschaft, wo sie besonders durch die Kaiserin Josephine, die eine leidenschaftliche Blumenfreundin war, geradezu in Mode gebracht wird; verdanken wir ihr doch die Einbürgerung der Hortensie in unseren Garten. Man ließ schon damals im Winter blühende Blumen aus Nizza und Genua kommen; ja, Napoleon selbst war bei Mme. Bernard auf Bukette abonniert. Für 600 Francs im Jahr erhielt er täglich einen frischen Strauß.

Bei der Bekleidung der Innenräume macht der Empirestil, indem er zur einfachen Tünche oder dünnmustrigen Papiertapete greift, geradezu aus der Not eine Tugend. Die früher allgemein übliche Vertäfelung war mit der zunehmenden Abholzung der Wälder und der Verteuerung des Holzes, die schon zur Einführung von Sparherden und Sparofen gezwungen hatte, dem Bespannen der Wände mit Stoff gewichen, sei es nun in Form von Gobelins, gewirkter Seide oder schließlich bedruckter Kattune.

Neben den Altären, Monumenten und Säulentempeln aber, mit denen der neue Geschmack die Zimmer füllt, neben den dünnbeinigen Stühlchen, all dem klassischen Apparat der Sphinxe, Greife, Löwenkopfe, Karyatiden usw. musste die Wand so kalt und so neutral wie möglich gehalten sein. Die Zimmerwände werden weiß gestrichen, allenfalls mit abgesetzter Borte; Boiserie wird weiß lackiert, Papiertapeten in hellen Farben gehalten und nur ganz schwach gemustert. Sparsamen und Freunden einer aparten Dekoration wurde 1796 in Paris vorgerechnet, dass sie am billigsten zu einer neuen Tapete kamen, wenn sie sich 24 Francs Bargeld in Assignaten umwechselten, für diese Summe empfingen sie Papiergeld im Nennwert von 45.000 Francs, hinreichend, um die Wände eines mittelgroßen Zimmers damit zu bedecken!

Die einseitige Vorliebe der Zeit für die weiße Farbe, die angenommene Farblosigkeit der antiken Tempel und antiken Statuen verschaffte dem grellen Weiß die Ausnahmestellung des allein ästhetisch Zulässigen, hat man ja in so unendlich vielen Kirchen und Wohngebäuden die farbenfrohen Fresken der Vorfahren damals mit Kalktünche bedeckt. Auf die matt und flach gehaltenen Wände des bürgerlichen Wohnzimmers passten keine Ölbilder, deren stark perspektivische Wirkung und schwere Rahmen ganz aus der übrigen leichten Dekoration herausgefallen waren, sie verlieren somit an Wertschätzung und werden für lange Zeit vom Kupferstich, und zwar vom Farbstich verdrängt.

Bartolozzi nach Wheatlev. Winter 1780

L' écolière craintive. La Mésangère, Paris (um 1800)