Patriotismus

Das, was wir heute unter Patriotismus verstehen, existierte damals gar nicht. Franzosen und Deutsche bestimmten die Richtung ihrer Gefühle nicht nach der Nationalität, sondern nach der Anhänglichkeit an bestimmte politische Ideen. Auf der einen Seite die Anhänger des Alten, auf der andern die Freunde des Fortschritts, und sie freuten sich über den Sieg ihrer Anschauungen, auch wenn er etwa von Franzosen auf Kosten der Deutschen errungen wurde. 1792 schreibt Perthes: „als Mensch und Weltbürger freue ich mich über die Siege der französischen Armeen“. Franzosen haben Friedrich II. gefeiert, als er bei Roßbach das Heer der verhassten Pompadour und ihrer Kreaturen geschlagen hatte, und dieselben Franzosen haben 1814 — 1815 die Heere der Alliierten, die sie von Napoleon befreiten, mit offenen Armen empfangen.

Die Deutschen verdanken ihr Vaterlandsgefühl erst Napoleon. Ihm, der in den sittlichen Machten des Volkerlebens die gefährlichsten Feinde seiner Weltmonarchie sah, der alles zu ihrer Unterdrückung tat, war es vorbehalten, dieselben zu wecken und die Völker, die er uneins gefunden, durch den unerträglichen Druck seiner Politik zu einen. Er gab den in hundert kleine und kleinste Staaten Zersplitterten erst die Idee an ein gemeinsames Vaterland, an Deutschland zurück. So hat er auch, indem er Italien unter seinem Zepter vereinte, den Italienern die Einheitsidee geschenkt, so die Polen aufgestachelt, so Spanier, Katalanen, Portugiesen für Jahre ihren gegenseitigen Stammeshass vergessen lassen.


Wie weltbürgerlich Goethe über den Begriff Vaterland dachte, und wie Schiller in dem gleichen Sinn darüber an Körner schrieb, ist bekannt genug; das linke Rheinufer ist französisch geworden, französische Heere brandschatzten Süddeutschland, da lebten die Menschen in Thüringen, Sachsen und Preußen noch, als ginge sie das alles gar nichts an. Als das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zusammenbrach, da hielt ihm Josef Görres eine von Hohn und Spott getränkte Leichenrede; Österreich war bei Austerlitz zu Boden geschlagen, da bekannte Fichte: das Vaterland des Europäers sei Europa!

Die Katastrophe von Jena hat in Süddeutschland lediglich Schadenfreude ausgelöst. Den großmäuligen Preußen gönnte ein jeder die Demütigung von ganzem Herzen, denn man braucht z. B. nur Sethes Erinnerungen an seinen Aufenthalt in Münster nachzulesen, um zu erfahren, wie die Preußen es verstanden, sich überall, wohin sie mit ihrer Anmaßung kamen, unbeliebt zu machen. Napoleons Hand musste schon jahrelang schwer auf Deutschland gelastet haben, ehe endlich, als Österreich 1809 im Kampf gegen den Unterdrücker zu verbluten schien, ein allgemein deutsches Gefühl erwachte. Und zu diesem Aufwachen haben die ungeheuren Opfer an Gut und Blut, welche die Fremdherrschaft forderte, nicht am wenigsten beigetragen.

1791 Journal des Dames

David, Krönung Napoleons (Ausschnitt)

019 Friedrich der Große Kupferstich von Nilson

019 Friedrich der Große Kupferstich von Nilson

Johann Wolfgang von Goethe. Ölgemälde von Joseph Stieler, 1828

Johann Wolfgang von Goethe. Ölgemälde von Joseph Stieler, 1828

Friedrich der Große 1712-1786

Friedrich der Große 1712-1786

alle Kapitel sehen