Nationaltracht

Es ist schon weiter oben von solchen die Rede gewesen und wir können hier anfügen, dass man in Frankreich, wo man alles ausrotten wollte, was an die Vergangenheit erinnerte, wo man einen neuen Kalender einführte und den Spielkarten neue Namen gab, auch versucht hat, ein neues bürgerliches Kostüm einzuführen. Aber alle dahinzielenden Vorschläge des leidenschaftlichen David sind über Versuche nicht hinausgekommen. Er hat wohl bei den von ihm arrangierten öffentlichen Festzügen die Chöre der Greise, Männer, Frauen, Jünglinge, Knaben und Mädchen nach der Antike kleiden und bekränzen können, aber er konnte nicht, wie er wollte, Hüte, Halsbinden, Manschetten und Hosen abschaffen.

Er konnte die Männer nicht dazu veranlassen, in der Tunika mit bloßem Hals, nackten Armen und Beinen herumzulaufen, und wenn die Frauen sich wirklich einige Zeit, wie sie glaubten, „antikisch“ kleideten, so war das nicht Davids Verdienst, sondern Schuld der „englischen“ Mode. Genau die gleiche Erfahrung hat man 20 Jahre später in Deutschland gemacht, als die hochgehende patriotische Begeisterung nach einem deutschen Nationalkostüm verlangte.


Da wollte Karoline Pichler die Männer und Frauen je nach ihrem Stand uniformieren; Wilhelmine von Chezy fordert eine Volkstracht für deutsche Frauen; Rudolf Zacharias Becker ; L. W. Wittich u. a. erfinden echt „teutsche Feyerkleider“, aber es ist trotz der redlichsten Bemühungen, an denen sich auch Ernst Moritz Arndt mit verschiedenen Schriften beteiligte, zu nichts als einigen Versuchen gekommen, die nur wie Maskeraden zu einem bestimmten Zweck wirkten und durchaus nicht die „Mode als Sitte deutscher Tugend“ eingeführt haben.

Das „ächt teutsche“ dieser in Vorschlag gebrachten Nationaltracht bestand in nichts anderem, als einigen Erinnerungen an mittelalterliche Moden, die selbst durchaus nicht deutschen Ursprungs gewesen waren. Da begegnen wir dem französischen Puffärmel, dem Stuartkragen, dem spanischen Barett u. a. und auch das Kostüm der deutschen Männer, zu dem sich edle Jünglinge 1815 in Frankfurt a. M. verbündeten, hat in seinem der Militär-Uniform genäherten Schnitt nichts Eigentümliches, in der äußerst sparsamen Verwendung von Wäsche aber, die sich auf „Vatermörder“ zu beschränken scheint, riecht es verdächtig nach dem Wolljäger.

Das „Altteutsche“ blieb nur eine kurze Mode, aber behende Konfektionäre wussten ihr sehr umsichtig Rechnung zu tragen. Bei Lichtenauer in Hannover gab es Leibchen zu kaufen, die jedes Kleid sofort in ein „altteutsches“ umwandelten, gerade wie vor kurzem die Kimonos jedes Kostüm japanisierten, und die Firma Milter in Kassel zeigte Halskrausen a la Rembrandt an, für Männer zu 3, für Frauen zu 2 1/2 Taler. Auch die polnische Nationaltracht, welche die Warschauer 1789 annahmen, die aber nur von den Männern getragen wurde — die Polinnen fuhren fort, sich französisch zu kleiden — hat, wenigstens was die vornehme Welt betrifft, den großen nationalen Aufschwung des Polenaufstandes unter Kosciuszko nicht überdauert.

Einzelne, besonders landesübliche Kleidungsstücke, wie die spanische Mantille, konnten wohl dem Anzug einen stark gefärbten nationalen Anstrich geben, — so erschien es z. B. Frau von Humboldt, als sie 1799 durch Spanien reiste, als trügen die spanischen Frauen sich durchaus in Nationaltracht, während gerade ihre Beschreibung des Rockes mit sehr kurzem Leib auf die französische Tagesmode hindeutet. Der Nationalcharakter wurde nur durch die Mantille behauptet, welcher die Spanierinnen ja Gott sei Dank bis heute auch treu geblieben sind. Die spanische Frauenwelt der besseren Klasse trug sich durchaus nach Pariser Mode, allen voran die Königin Maria Luisa, deren Erscheinung, — den schönen Körper mit dem wüsten Gesicht! — Goya so oft, und immer in der neuesten Pariser Mode, frisiert à la flèche, festgehalten hat. Der Umstand, dass die Franzosen ihre nächsten Verwandten auf das Schafott geschleppt hatten, hat diese Herrscherin nicht abgehalten, ihre Toilette ausschließlich aus Paris zu beziehen, bis eine ihrer Damen ihr einst einen bösen Streich spielte. Die Herzogin von Alba, ebenso oft von Goya gemalt wie die Königin, hatte es erreicht, bei einer Gelegenheit aus Paris ganz dieselben Roben zu erhalten wie die Königin, und als diese sich in der neuesten Mode zuerst öffentlich zeigte, schickte die Herzogin ihre Jungfer genau ebenso angezogen auf die Promenade! Diese Bosheit zog ihr eine längere Ungnade zu. Die dreieckig vermählte Königin sandte im Jahre 1800 an Napoleon ein Geschenk von 18 andalusischen Pferden aus dem Königlichen Marstall, — als Gegengeschenk empfing sie französische Kleider. Josephine war so aufmerksam, ihre eigene Schneiderin, die citoyenne Minette, zum Anprobieren mitreisen zu lassen, was diese schlaue Person zu einem guten Geschäft benutzte: statt 10 Kisten nahm sie 27 mit, um deren Inhalt an Pariser chiffons sich die Madrider Damen dann gerissen haben.

Johs. Melch. Kraus, Abend bei der Herzogin Anna Amalia in Weimar