Malerei

Der Kunst als solcher hatten sie sich willig entäußert, wäre sie nicht ein Mittel zum Zweck gewesen und hatten sie nicht einen Mann unter den ihren gefunden, dessen machtvoller Persönlichkeit es gelang, der Kunst als solcher nicht nur ihren Platz zu behaupten, sondern dem es auch gelang, seine Kunst als die allein würdige, allein republikanische durchzusetzen. Dieser Mann war Jacques Louis David, ein Künstler, dem der Stil seiner Werke zum Ausdruck seiner Überzeugung wurde, den eine enthusiastische Bewunderung des Altertums zum fanatischen Republikaner machte. Seit 1784 war er berühmt, denn in seinem Schwur der Horatier hatte er wie in einer Formel den Ausdruck für die Sehnsucht seiner Zeitgenossen nach Tugend und heroischer Größe gefunden, hatte er ausgesprochen, was alle dachten. Das Bild des damals 36jährigen war in seinem Vorwurf, wie in der Strenge seiner Linien, der Herbheit seiner Farbe ein lauter Protest gegen das Treiben der herrschenden Gesellschaft, es stellte sie durch seine heftig betonten Kontraste ebenso an den Pranger, wie Beaumarchais Barbier von Sevilla es tat.

Als dann den Jakobinern Kunst und Künstler wegen ihrer bis dahin ausschließlich im Dienste des Adels und der Geistlichkeit ausgeübten Tätigkeit in höchstem Grade verdächtig wurden, da konnte David mit Recht auf seine eigenen Werke hinweisen und dem Konvent das Versprechen ablegen, dass die Kunst von nun an nicht mehr im Dienst der Despotie stehen, sondern ausschließlich solche Stoffe behandeln werde, die der Blicke eines freien Volkes würdig seien.


Er hat mehr getan. Wenn er in seinen Bildern den ermordeten Marat zeigt, den Heldentod des jugendlichen Barra schildert, so schreibt sein Pinsel flammende Manifeste echt republikanischer Gesinnung; durch seinen Schwur im Ballhaus weht das gesteigerte Pathos einer erregten Zeit, die ihren Theorien zuliebe alles, sogar die Vernunft opfert. Der Jakobiner, der Königsmörder David bekennt sich durch diese Werke zu den gleichen wilden Ideen, wie sein Freund Robespierre auf der Tribune; der seiner Seele natürliche Fanatismus des Republikaners reißt auch den Künstler in ihm zur Natur fort, der Antikomane vergisst alle seine Regeln und packt die Wahrheit, die Natur so direkt, so unmittelbar wie möglich.

Das Überzeugende dieser Bilder liegt in dem völlig Ungekünstelten der Mache; wie ein leidenschaftlicher Schrei wirken sie, als sei in ihre Farbe ein Ton der empörten Erregung jener furchtbaren Zeit hineingebannt, wie in der leeren Muschel das dumpfe Brausen des Meeres noch an die ferne Brandung erinnert. Diese Werke, die in David den großen Realisten künden, sind jung geblieben und frisch, wie seine Bildnisse nach dem Leben, während diejenigen, in denen er am meisten er selbst zu sein glaubte, in denen er als Philosoph mit einer ausgebreiteten Kenntnis des Altertums ganz Römer zu sein meinte, völlig veraltet sind. Die Horatier, der Tod Senecas, der Raub der Sabinerinnen u. a. wirken in ihrer frostigen ausgeklügelten Art neben jenen anderen wie ein am Studiertisch ausgetipfeltes Programm neben der vom Augenblick geborenen Beredsamkeit eines Volksredners. Ihm selbst aber, der die Kunst seiner Zeit mit der Allmacht eines Diktators beherrschte, dessen Schüler nach Hunderten zählten, dessen Einfluss über die Welt reichte, der als Hofmaler des Kaisers die großen Ereignisse der an solchen wahrlich nicht armen Zeit darzustellen hatte — ihm galt die antiquarische Maschine als das Höchste, als einzig wahre und berechtigte Kunst. Der Siebziger schreibt 1820 ermahnend an Gros, dass er immer noch kein seiner würdiges Bildgemalt: „vite, vite, feuilletez votre Plutarque.“ Und dieser, der seine glänzendsten Werke jüngst geschaffen, der seinen Pinsel größeren Taten geliehen, als je Plutarch sie beschrieben hatte, glaubt dem berühmten Meister mehr, als der eigenen Begabung, er wird von Gewissensbissen gepackt, dass er mit seinen Bildern, die so eindrucksvoll auf Tatsachen, Leben, Bewegung, Farbe ausgehen, ein schlechtes Beispiel gegeben habe; auch er träumt nur noch von Mythologie und alter Geschichte und geht an einem solchen Werk ganz traurig zugrunde.

Ein anderer David-Schüler hat ebenfalls sein ganzes Leben lang bedauert, dass ihn sein Geschick nicht zur großen Kunst kommen lasse, sondern beim Porträt festhalte: zum Glück! Denn die Nachwelt zieht Gerards Bildnisse seinem mythologischen Zuckerwerk bei weitem vor. Sein einst so berühmtes Bild der Psyche, nach deren Ausstellung alle Damen nur noch weiß auflegten, um ebenso ätherisch auszusehen, zeigt zur Genüge, dass er Körperlichkeit, Leben und Wahrheit unbedenklich zum Opfer brachte, wenn es galt, ideal zu sein, während er in seinen Porträts sich näher an die Wahrheit hielt. Er verstand es, Geist in seine Modelle hineinzusehen und ihnen eine Anmut zu geben, die ein feiner und delikater Geschmack in der Ausführung, eine vornehme und reiche Farbe zur bestechendsten Wirkung brachte. Nichts charakterisiert Gérards weiche anmutige Begabung im Vergleich zu Davids herber Strenge besser, als die Bilder der schonen Juliette Récamier, die beide Meister porträtiert haben. Bei David eine Vestalin, kalt und unnahbar, bei Gerard hingebend, unwiderstehlich, ganz und gar bezaubernd. Kein Wunder, dass er Modemaler wurde, nicht nur unter dem Kaiserreich, sondern auch noch Jahrzehnte später; der Erfolg blieb ihm treu, ebenso wie Thomas Lawrence und Mme.Vigée-Lebrun, mit denen er sich in die Gunst der großen Welt teilte.

Lawrence, in England der Erbe von Reynolds' Ruhm und Klientel, ist auf dem Kontinent erst nach Napoleons Sturz bekannt geworden, als er für Schloss Windsor eine Sammlung ausführte, wie George Dawe für die Eremitage: die Bildnisse rivalisierender Herrscher und Heerführer, die ein gemeinsamer Gegner solange zu inniger Freundschaft verbunden hatte, als er noch zu bekämpfen war.

Das spöttische Urteil, das die Humboldts über das Porträt ihres „rosenwangigen“ Vaters fällten, substantiierte einen Vorwurf, der dem Künstler allgemein gemacht wurde, dass er sich nämlich beim Inkarnat seiner männlichen Bildnisse in Rosa übernähme. Der vornehme Geschmack der Reynolds und Gainsborough wird unter den geschickten Händen dieses letzten der großen englischen Porträtisten zu einer etwas marklosen Eleganz, der die blühende Palette dann noch einen Stich ins Herzige mitteilt, der fatal wirkt. Mme. Vigée-Lebrun war beim Ausbruch der Revolution, trotzdem sie erst 34 Jahre zählte, schon eine gefeierte Malerin. Sie war unter den ersten, die emigrierten, und hat in einem Wanderleben von zwölfjähriger Dauer, das sie allmählich an alle Höfe zwischen Neapel und Petersburg führte, die schönsten Frauen und lieblichsten Kinder ihrer Zeit gemalt. Sie hat den berühmten Bildern von Marie Antoinette, die sie in Frankreich zurückließ, die Königin Luise, die Kaiserin von Russland, österreichische Erzherzoginnen und russische Großfürstinnen angereiht; alle durch das gemeinsame Element der Anmut und Eleganz, Naivität und Grazie einander ähnlich. Darf man ihren Eigenbildnissen trauen, so glaubt man gern, dass die Künstlerin selbst noch verführerischer wie ihre Kunst gewesen sein muss. — Die Französin ist Weltdame, die „gute“ Angelika Kauffmann dagegen ganz Blaustrumpf; in ihren Historien, z. B. Hermann der Cherusker, geradezu unerträglich vor lauter Ziererei, wahrend in ihren Porträts, z. B. dem der vielberufenen Lady Hamilton oder dem weltbeliebten der Prinzessin Maria von Kurland als Vestalin ein mit Schwärmerei gepaarter Liebreiz, eine schon von Goethe anerkannte Leichtigkeit und Gefälligkeit in Form und Farbe, Anlage und Behandlung bestechen.

Wie ein lebender Anachronismus ragt sie in dieses Zeitalter hinein, gerade wie Fragonard und Greuze, deren einst hoch gefeierte Kunst jetzt mitleidslos als „Schande des französischen Volkes“ bezeichnet wurde. Man empfand diese Rokoko-Art als ein „wunderliches Laster“, während man ganz übersah, dass Prudhon, den man laut als den Maler-Dichter pries, sein Können doch auch aus dem 18. Jahrhundert mitgebracht hatte. Das Liebenswürdige und Zärtliche seiner Kunst, ja, gerade das Bestechende in den falschen Tönen seiner Palette waren doch ganz und gar Rokoko, ebenso die ihm eigene spielende Leichtigkeit der Erfindung, wie die tandelnde Pikanterie der Gestaltung. David huldigte den Musen, Prudhon den Grazien, der ernste David strebte nach dem Lorbeer antiker Tugend, der schelmische Prudhon nach den Rosen junger Liebe.

Die „klassische Marmorbraut“, wie Muther so hübsch sagt, erschien gleichzeitig auch den Deutschen und erstickte in ihrer tödlichen Umarmung die Malerei; an Stelle des Bildes tritt die Zeichnung, der Stift an Stelle der Farbe, Asmus Carstens beginnt die Karton-Ära. Die hohe Kunst darf die Schönheit nur im fernen Altertum suchen. An die Spitze derjenigen, die sie in dies gelobte Land führen wollen, stellt sich der alte Goethe, der den „Weimarischen Kunstfreunden“ (d.h. sich selbst und dem Kunscht-Meyer) gar zu gern eine führende Rolle im deutschen Kunstleben errungen hatte. Die Preisaufgaben, die er eine Reihe von Jahren zu freier Konkurrenz stellt, sind natürlich ausschließlich dem Kreis der griechischen Sagenwelt entnommen, als Paris und Helena, Hektors Abschied von Andromache, Achill auf Skyros, Perseus und Andromeda, und es ist ergötzlich, wie der Weimarische Olympier in seinem umständlichen Altersstil über die Ausstellungen orakelt.

Während die weimarischen und andere Freunde die Kunst ganz in den Bann eines öden Klassizismus treiben, geht unbeachtet neben der offiziellen klassischen eine naturalistische Strömung einher, nicht wie jene abseits vom Leben, sondern mitten darin und eben darum übersehen oder gering geschätzt. Sie verbürgte der im Prokrustesbett falscher Ideale misshandelten Kunst eine gesunde Zukunft und wies aus der gespreizten unwahren Theaterei der posierenden Römer und Griechen in den hellen Tag von Leben und Wirklichkeit. Da schafft in Berlin noch der alte Chodowiecki in der guten Gewohnheit einer in Zeit und Ort festwurzelnden Art und weist in seiner sauer erarbeiteten handwerksmäßig tüchtigen Kunst über Carstens hinweg auf die Krüger und Menzel, die ihm folgen werden; da malt der alte Graff in Leipzig noch immer seine nüchtern sachlichen Porträts, da pflegt in Dresden Friedrich eine Landschaft, die, seiner Zeit ganz unverständlich, ihm erst ein Jahrhundert zu spät die verdiente Anerkennung bringt; da ist der Hamburger Runge, der Münchener Edlinger, die in aller Stille und Verborgenheit die gute Tradition fortpflanzen. Vor allem lebt damals Goya, der im Zeitalter einer in Regeln und Formen eingeschnallten Kunst um alle die toten Paragraphen unbekümmert nur mit den Problemen von Luft, Licht und Bewegung ringt, die er erst entdeckt, der, von lauter Pseudo-Römern und Pseudo-Griechen umgeben, Spanier ist und Spanier bleibt und in der Riesengröße und Einsamkeit seiner Kunst von unserer Zeit aus gesehen wie ein Fanal wirkt, dessen blendender Schein die finstere Nacht um ihn herum noch dunkler erscheinen lässt.

Smith, Miss March

Deutsche Miniatur, Damenbildnis

Jens Juël, Dame mit ihrem Sohn

David, Die Malerin Vigée-Lebrun

Ingres, Damenbildnis

1797 Gallery of fashion, London