Klassizismus
Der Ausbruch der französischen Revolution bildet nicht nur politisch einen markanten Wendepunkt im Leben der Volker, sondern er kennzeichnet sich auch durch das Entstehen einer neuen Gesellschaft, deren raison d'être in der Betonung des Bürgerlichen bestand. Die Gesellschaft des Rokoko war aristokratisch und exklusiv; sie lehnte ab, was außerhalb ihrer Kreise lag und wen sie aufnahm, den assimilierte sie sich vollständig, ihr Zweck ging auf Lebensgenuss auf Grund von Reichtum und geistiger Kultur.
Im Gegensatz zu ihr war die neue Gesellschaft durchaus nicht exklusiv, denn sie ging auf Bildung und nicht auf Sinnenfreude aus; sie suchte ihren Zweck nicht im Raffinement einer auf die Spitze getriebenen Pflege sinnlichen Genusses, sondern in der rein geistigen Kultur von Herz und Gemüt, und da sie die Herrschaft mit lautem Widerspruch gegen das Bestehende antrat, so ist sie auch in ihrem Stil von Übertreibung so wenig freigeblieben wie von Pedanterie. Die regellose Willkür des Rokoko hatte schließlich ein Unbehagen ausgelöst, das, seit Caylus und Winckelmann auf die Antike hingewiesen hatten, zu einem allmählichen Eindringen klassischer Formen in den Betrieb der schönen Kunst führte.
Schon unter Ludwig XV. beginnen die geschwungenen Linien, die kecken Verkröpfungen wieder Lineal und Winkelmaß zu gehorchen, dringen Mäander und Palmette in die Ornamentik; die Flächen werden wieder eben, die Konturen geradlinig; der so entstehende, langsam erblühende Stil gewinnt unter Ludwig XVI. seine größte Anmut, um unter völligem Verzicht auf Grazie unter dem Kaiserreich eine Strenge zu erreichen, die nur durch pedantische Absichtlichkeit erklärt werden kann. Bis dahin hatten nur die schönen Künste diesem Stil gehorcht, jetzt aber sollten seine Gesetze für die gesamte Kultur, für alle Äußerungen des Lebens maßgebend sein, vom innersten Kern ihres Wesens aus wollte die neue Gesellschaft antik sein. Auch diesen Wunsch hatten Rousseaus Ideen von der Rückkehr zur Natur, zur Einfachheit des Lebens gezeitigt, das natürliche Wesen bürgerlichen Lebens schien der Gesellschaft im Altertum beschlossen, klassisch wollte man sein, weil man damit natürlich zu sein glaubte. Man nahm sich das Altertum zum Vorbild und leitete Regeln und Gesetze daraus ab, denen die Menschheit sich sklavisch beugte.
Aber die Redner, die in der französischen Nationalversammlung von antiker Freiheit und antiker Große rodomontierten, die Bureaukraten, welche den Kalender antikisierten, die Künstler, welche ihre Bilder nach antiken Statuen komponierten und antike Feste anordneten, die Staatsmänner, die den ephemeren Republiken, die sie schufen, antike Namen gaben, die Frauen, die sich antik zu kleiden glaubten — sie alle, alle handelten in gutem Glauben und gehorchten freiwillig einem Gesetz, dessen Strenge übertrieben war, das aber der Gesellschaft, die es sich auferlegte, Stil gab. In diesem Sinne war die Gesellschaft jener Jahre überhaupt die letzte, welche Stil besaß, denn einheitlich waren Wollen und Können, Gedanke und Ausdruck, Wesen und Erscheinung. Die Bedürfnisse modernen Lebens immer mit den Gesetzen des antiken Stiles in Einklang zu bringen, war eine beinahe unmögliche Aufgabe, und uns, die wir bei alleiniger Herrschaft des Nützlichkeitsprinzips längst jeden Stil des Lebens verloren haben, will es wunderlich dünken, dass man sich vor hundert Jahren auch bei der alltäglichsten Alltäglichkeit erst noch mit einer anspruchsvollen Ästhetik abzufinden bemühte. Aber selbst das Nachtkastl durfte ja kein Nachtkastl sein, es musste einen dem Gott des Schlafes geweihten Altar darstellen und diese Weihe „Somno“ gab ihm damals lange seinen Namen; der Waschtisch (von allerbescheidenstem Umfang!) war der Altar der Göttin der Reinlichkeit, der Ofen ein Altar, dem Gott des Winters geweiht.
Romney, Serena 1799
1794 Gallery of fashion, London
Marguerite Gérard, L’enfant chéri
Im Gegensatz zu ihr war die neue Gesellschaft durchaus nicht exklusiv, denn sie ging auf Bildung und nicht auf Sinnenfreude aus; sie suchte ihren Zweck nicht im Raffinement einer auf die Spitze getriebenen Pflege sinnlichen Genusses, sondern in der rein geistigen Kultur von Herz und Gemüt, und da sie die Herrschaft mit lautem Widerspruch gegen das Bestehende antrat, so ist sie auch in ihrem Stil von Übertreibung so wenig freigeblieben wie von Pedanterie. Die regellose Willkür des Rokoko hatte schließlich ein Unbehagen ausgelöst, das, seit Caylus und Winckelmann auf die Antike hingewiesen hatten, zu einem allmählichen Eindringen klassischer Formen in den Betrieb der schönen Kunst führte.
Schon unter Ludwig XV. beginnen die geschwungenen Linien, die kecken Verkröpfungen wieder Lineal und Winkelmaß zu gehorchen, dringen Mäander und Palmette in die Ornamentik; die Flächen werden wieder eben, die Konturen geradlinig; der so entstehende, langsam erblühende Stil gewinnt unter Ludwig XVI. seine größte Anmut, um unter völligem Verzicht auf Grazie unter dem Kaiserreich eine Strenge zu erreichen, die nur durch pedantische Absichtlichkeit erklärt werden kann. Bis dahin hatten nur die schönen Künste diesem Stil gehorcht, jetzt aber sollten seine Gesetze für die gesamte Kultur, für alle Äußerungen des Lebens maßgebend sein, vom innersten Kern ihres Wesens aus wollte die neue Gesellschaft antik sein. Auch diesen Wunsch hatten Rousseaus Ideen von der Rückkehr zur Natur, zur Einfachheit des Lebens gezeitigt, das natürliche Wesen bürgerlichen Lebens schien der Gesellschaft im Altertum beschlossen, klassisch wollte man sein, weil man damit natürlich zu sein glaubte. Man nahm sich das Altertum zum Vorbild und leitete Regeln und Gesetze daraus ab, denen die Menschheit sich sklavisch beugte.
Aber die Redner, die in der französischen Nationalversammlung von antiker Freiheit und antiker Große rodomontierten, die Bureaukraten, welche den Kalender antikisierten, die Künstler, welche ihre Bilder nach antiken Statuen komponierten und antike Feste anordneten, die Staatsmänner, die den ephemeren Republiken, die sie schufen, antike Namen gaben, die Frauen, die sich antik zu kleiden glaubten — sie alle, alle handelten in gutem Glauben und gehorchten freiwillig einem Gesetz, dessen Strenge übertrieben war, das aber der Gesellschaft, die es sich auferlegte, Stil gab. In diesem Sinne war die Gesellschaft jener Jahre überhaupt die letzte, welche Stil besaß, denn einheitlich waren Wollen und Können, Gedanke und Ausdruck, Wesen und Erscheinung. Die Bedürfnisse modernen Lebens immer mit den Gesetzen des antiken Stiles in Einklang zu bringen, war eine beinahe unmögliche Aufgabe, und uns, die wir bei alleiniger Herrschaft des Nützlichkeitsprinzips längst jeden Stil des Lebens verloren haben, will es wunderlich dünken, dass man sich vor hundert Jahren auch bei der alltäglichsten Alltäglichkeit erst noch mit einer anspruchsvollen Ästhetik abzufinden bemühte. Aber selbst das Nachtkastl durfte ja kein Nachtkastl sein, es musste einen dem Gott des Schlafes geweihten Altar darstellen und diese Weihe „Somno“ gab ihm damals lange seinen Namen; der Waschtisch (von allerbescheidenstem Umfang!) war der Altar der Göttin der Reinlichkeit, der Ofen ein Altar, dem Gott des Winters geweiht.
Romney, Serena 1799
1794 Gallery of fashion, London
Marguerite Gérard, L’enfant chéri
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Mode - Menschen und Moden im neunzehnten Jahrhundert. 1790 bis 1817