Geselligkeit

Wenn man sich einen Augenblick die ungeheuren Lasten vergegenwärtigt, welche alle Länder Europas in den Jahrzehnten, von denen wir hier sprechen, gleichmäßig drückten, „das fürchterliche Zusammenbrechen aller Verhältnisse“ wie Goethe sagt, berücksichtigt, so wird man versucht, zu glauben, den Menschen müsse dazumal jeder Lebensmut und jede Freude abhanden gekommen sein, sie müssten erlegen sein unter dem Gewicht von Sorgen und Mühen und Unruhe.

Und doch war dem durchaus nicht so — man hat sich wohl selten mehr und nie in schnellerem Tempo amüsiert, als damals, wo man nie wusste, was der morgige Tag an Überraschungen bringen würde! Der Hang zur Unterhaltung übertäubt die bitteren Gefühle. So schildert Albrecht Adam die Zustände in Wien 1809, die Galanterie der Franzosen fand bei den Damen Gnade, alles war lustig und guter Dinge. Marschall Davoust, der in Ansbach kommandierte, war nach den Aufzeichnungen K. H. von Langs ein kleines Männlein, das nicht satt werden konnte zu walzen. Während Breslau bombardiert wurde, erzählt A. von Holtei, hausten die Bewohner in den Kellern, aber sie hörten darum nicht auf, sich zu Tee- und Kaffeegesellschaften einzuladen und ausgelassen vergnügt zu sein. Es war ein Hauptspaß, zu raten, ob herein oder herausgeschossen würde?


Friedr. von Raumer richtet 1806 in Königs-Wusterhausen Bälle ein, zu denen die Wirte den Einquartierten das Essen schicken, die französischen Herren aber das Getränk bezahlen und die Musik stellen. 1809 gaben die französischen Offiziere in Fallersleben den Bürgern einen Ball, der den Gastgebern 150 Taler, ihre ganze Besoldung kostete. Goethes Mutter schreibt ihrem Sohn höchst anschauliche Berichte von der Unruhe und Unsicherheit in Frankfurt, wie die reichen Leute mit gepackten Koffern und angespannten Wagen dasitzen, jeden Moment zur Flucht bereit; sie leidet so sehr unter der Last der fortwährenden Einquartierung — die Preußen bringen gleich Frau, Kind und Magd mit — dass sie ihr schönes Haus um jeden Preis verkauft, um nur dieser Plage überhoben zu sein, und dazwischen kommen dann Nachrichten von Gesellschaften und Theaterbesuch, und die größte Sorge der alten Dame ist die, dass sie nur auch ja das Modejournal aus Weimar erhält!

In Dresden müssen Kügelgens wochenlang auf Stroh schlafen, weil das ganze Haus mit Soldaten belegt ist, neunmal stärker, als gesetzmäßig! Perthes hat 1807 zwölf Spanier im Quartier; sogar Clemens Brentano, der als Zimmerherr in Landshut wohnt, bekommt zwei Mann und zwei Pferde Einquartierung! Andere entfliehen der Heimat, Schlossers erst nach Ansbach, dann nach Eutin, Jacobi aus Pempelfort nach Wandsbeck, die Fürstin Gallitzin aus Münster nach Holstein; man versteckt und vergräbt seine Kostbarkeiten oder schickt sie Vertrauenspersonen, wie z. B. Goethe aus dem Süden und Westen von Freunden um Aufbewahrung ihrer Wertsachen gebeten wird.

Lilla von Kügelgen schreibt: Alles wankt und weicht unter unseren Füßen — und dem allem zum Trotz gehen die Vergnügungen, wie Goethe sich ausdrückt: in düsterer Folge fort; musste doch 1807 in Frankfurt a. M. das Entree der öffentlichen Maskenbälle zweimal erhöht werden, um dem übergroßen Andrang zu wehren!

Vernet, Merveilleuse; um 1814
Watteau d. J., Pavillon