Die Mode

Der Ruf Rousseaus nach der Zuruckführung der staatlichen und gesellschaftlichen Zustände auf die Natur bedeutete für die Kleidung den Sieg des Gesunden, Vernünftigen und Zweckentsprechenden über das Geschnürte und Verkünstelte. Das Kraftgefühl des zum Bewusstsein erwachenden Menschentums sprengte die in veralteten Formen erstarrte Gesellschaft, aber lange bevor diese auch äußerlich zusammenbrach, fand die Sehnsucht der Menschen nach neuen Lebensformen ihren Ausdruck schon in der veränderten Kleidung. Der selbstverständlichste, weil jedem am nächsten liegende Ausdruck individuellen Strebens nach Schönheit und Harmonie, nach einem Ausgleich zwischen Charakter und Erscheinung ist die Art, sich zu kleiden. Die neuen Ideen von Natur und Freiheit drückten sich also folgerichtig am ersten in der Opposition gegen die herrschende Hoftracht aus. Die Revolution begann mit einer Empörung gegen Schnürleib und Reifrock, Puder und Stöckelschuh!

Den ersten Vorteil von dieser Bewegung hatten die Kinder. Nicht nur, dass eine Hochflut pädagogischer Reformen hereinbrach, die den alten, ganz einseitig auf Stärkung des Gedächtnisses angelegten Unterricht davontrug, um an Stelle der bloßen Dressur Willen und Verstand auszubilden, dass ganze Reihen von Pädagogen, wie Basedow, Salzmann, von Rochow, Campe, später Pestalozzi und Niemeyer eine auf Natur basierende Erziehung in Systeme brachten, nein, man beginnt vor allem auf eine natürliche Entwicklung und Pflege ihres Körpers zu halten.


Bis 1780 etwa waren die Kinder wie Erwachsene gekleidet worden; der Knabe frisiert und gepudert, wie der Vater, das Mädchen geschnürt, wie die Mutter, ihre Kleider waren von gleichem Stoff und Schnitt, wie die der Erwachsenen. Man sehe, nur auf den Porträts oder den Bildern von Chardin, Chodowiecki u. a.,“ wie drollig und ehrpusselig die Kleinen da aussehen, wie steif sie sich halten müssen im Zwange ihrer unbequemen Tracht. Das wird jetzt mit einem Male anders. Von England aus kommt eine vernünftige, dem kindlichen Körper angepasste Kleidung ; alles Einschnürende fällt fort. Man fatscht die Säuglinge nicht mehr, lässt die Größeren am liebsten mit bloßem Kopf und bloßen Füßen gehen und die reisenden Mütter, die damals England besuchten, können sich gar nicht genug wundern, über die englischen Kindern gewährte Freiheit und ihr blühendes Aussehen. Der Endzweck des Gesunden hat die Verbreitung der englischen Kinderkleidung so befördert, dass dieser bereits vernunftmäßig gekleideten Generation Gutsmuths 1793 seine Gymnastik für Kinder bescheren darf.

Aus England, woher den Kindern das Heil gekommen war, kam es nun auch den Erwachsenen. Der bürgerliche Zuschnitt des Lebens dieses Volkes, das seinen Aufenthalt mit Vorliebe in die freie Natur verlegte, bedingte eine ganz andere Art der Kleidung, als es das Hofkleid kontinentaler Salonmenschen war, einfacher, zweckmäßiger, gesünder. Unter diesem Gesichtspunkt traf sich die englische Mode mit Bestrebungen, welche die damaligen Ärzte zu einem Feldzuge gegen das Gesundheitsschädliche der männlichen und weiblichen Kleidung veranlassten. Auf eine Anregung aus Schnepfental hin redete 1788 der berühmte Anatom Sommering den „deutschen Weibern, die noch echt deutschen Charakter haben“ wegen der Schädlichkeit der Schnürbrust ins Gewissen, machte sie der ebenso berühmte Camper auf die Nachteile der hohen Absätze aufmerksam und eine ganze Reihe minder berühmter Ärzte schloss sich ihnen an, so Josef Frank und Walter Vaughan, die gegen die engen Beinkleider der Männer schrieben.

Schon die eben mitgeteilte Widmung von Sömmerings Schrift, die das „deutsche“ so stark betont, lässt erkennen, dass die Bestrebungen, die auf eine „natürliche“ Kleidung abzielten, ipso facto in Opposition gegen die französische Mode waren und das Natürliche auch gern mit dem Nationaldeutschen verbunden hatten. 1786 erörtert Bertuch schon die Frage: „Ist eine deutsche Nationalkleidung einzuführen nützlich und möglich ?“ ohne zu einem Resultat zu gelangen, während der auf das Praktische gerichtete Herausgeber des Frauenzimmer-Almanachs, Franz Ehrenberg in Leipzig, Daniel Chodowiecki 1785 zu dem Entwurf eines „deutschen Frauen-Reform-Kleides“ veranlasst. Die von dem liebenswürdigen Künstler „in griechischem Geschmack“ entworfenen Haus-, Besuchs- und Staatskleider haben aber nichts mit jenem „Reformkleid“ zu tun, jenem traurigen Kompromiss zwischen Nachthemd und Malschürze, das wir, die wir leben, schaudernd entstehen sahen, die schlampete Fahne, unter der sich alle armen Hascherln zusammenfanden und zu einem neidvollen Kampf gegen Grazie und Schick verschworen!

Diese mit einer „Nationalkleidung“ spielenden Gedanken sind nicht wieder zur Ruhe gekommen. Wir werden im Laufe unserer Darstellung noch wiederholt Bestrebungen begegnen, welche in Zeiten besonderer politischer Erregung in Frankreich sowohl wie in Deutschland immer wieder den Wunsch nach „patriotischer“, „nationaler“ Kleidung äußern. Im Gegensatz zu unserer heutigen Anschauung, welche der Kleidung nur eine ganz nebensächliche Bedeutung zuerkennt, werden wir in diesen Bewegungen (wie resultatlos sie auch jedesmal verlaufen sein mögen) doch einen Beweis dafür erkennen müssen, welch hoher psychologischer Wert, wenn auch unbewusst, gerade der Kleidung innewohnt. Frühere Epochen haben das dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie die Stände sich verschieden kleiden ließen. Nicht nur die Berufe, etwa Geistlicher und Soldat waren zu unterscheiden, nein, auch der Edelmann trug sich anders, als der Bürgerliche, die vornehme Dame anders, als die Kaufmannsfrau, die Frau des Handwerkers anders, als die Angehörige der dienenden Klasse. So blieb es bis zur großen Revolution, wenigstens auf dem Kontinent, denn in England fällt es schon vorher den Reisenden, die vom Festland kommen, auf, dass die Stände sich dort in ihrer Kleidung durchaus nicht voneinander unterscheiden, ohne dass doch der Höherstehende deswegen an Würde einbüße! So wäre wohl auch in England unmöglich gewesen, was sich in Frankreich ereignete, als im Mai 1789 endlich die Stände zusammentraten. Der Oberzeremonienmeister, Dreux de Brézé, griff nämlich auf das Hofzeremoniell von 1614 zurück und schrieb den Mitgliedern der Versammlung eine Tracht vor wobei er mit besonders glücklichem Takt den Angehörigen des tiers-état ein in seiner Farb- und Schmucklosigkeit geradezu beleidigendes Kostüm gab! Dieses Meisterstück eines feinen Hofmannes ließ die Versammlung schon mit einer starken Verstimmung zusammentreten und trug von vorn herein einen gereizten Ton in ihre Verhandlungen. Mirabeau erhielt dadurch die billige Gelegenheit zu seiner ersten Kraftrede gegen die Ungleichheit der Kleidung. Eine der ersten Taten der Nationalversammlung war denn auch die feierliche Abschaffung aller Standesunterschiede in der Kleidung. Der Edelmann, der so eifersüchtig Federn, Stickereien, rote Absatze an den Schuhen u. dergl. für sich allein beansprucht hatte, musste zusehen dass die Bürger erklärten, sie legten ferner keinen Wert mehr auf solche Lappalien, sondern überließen sie gern den — Lakaien. Das bedeutete für den dritten Stand den Sieg auf der ganzen Linie, das erste Vorrecht der privilegierten Klasse war gefallen, ihm folgten alle andern mit beängstigender Schnelle. Für uns hat das noch die Folge gehabt, dass die ganze Pracht und Herrlichkeit der Männerkleidung von vor 1789 für immer verschwand. Sie geriet in Misskredit, weil sie das Kennzeichen einer verhassten Klasse war. Alle Bemühungen Napoleons um ihre Wiedereinführung haben den geradezu verheerenden Einbruch des Schwarz nicht mehr aufhalten können! Ein geistreicher Oberzeremonienmeister hatte die schwarze Kleidung den verachteten Bürgerlichen als eine Zurücksetzung zugedacht, — sie machten, allen Hofschranzen zum Trotz, ein Ehrenkleid daraus! Die demokratische Strömung, die dadurch zur Geltung kam, ist seitdem an Stärke nur gewachsen. Der plebejische Zug der Gleichmacherei hat es nach 100 Jahren glücklich so weit gebracht, dass nicht allein die Männerkleidung zu einer trostlosen Uniformität gelangte, sondern auch die weibliche Kleidung alle Unterscheidungsmerkmale von Rang und Stand notgedrungen aufgeben musste.

Die Demokratisierung der Kleidung hatte sich in England ganz in der Stille vollzogen; als aber die Franzosen sich dieses Gedankens bemächtigten, inszenierten sie seine Betätigung mit einem Knalleffekt und der Kontinent glaubte, verführt durch die lärmende Mache, Frankreich zu folgen, während er in Wahrheit in Englands Spuren trat. Wie die Gedanken der englischen Deïsten durch Voltaire, so haben auch die englischen Moden erst ihre Verbreitung gefunden, wenn sie in Paris Namen und Anerkennung erhalten hatten. Noch heute gilt das lange Beinkleid, das für das Einsetzen der neuen Mode so überaus charakteristisch ist, für eine französische Neuerung, während es in Wahrheit nichts anderes als die Hose der englischen Matrosen war und seinen Namen „Pantalon“ jenem bekannten Typ der italienischen Stegreifkomödie, dem Pantalone, entlehnte, den uns schon Callot zu Beginn des 17. Jahrhunderts in diesem Kleidungsstück vorführte. In der Aneignung, geschickten und geräuschvollen Verarbeitung fremder Gedanken haben die Franzosen ohne Zweifel Bedeutendes geleistet. Wir werden später sehen, dass auch das sogenannte griechische Kleid der Revolution ursprünglich aus England gekommen ist.

Das Kostüm der Frauen, welches die Revolution vorfand, war etwa seit dem Jahre 1780 entstanden. Ungefahr mit diesem fielen der Reifrock und die hochgetürmten Frisuren, aber die Mode müsste nicht Mode d. h. systematische Übertreibung sein, wenn sie wirklich geduldet hätte, dass an Stelle des die Hüftbreite so kolossal steigernden, sehr breiten und dabei ganz flachen Reifrocks nicht irgend ein anderer Körperteil des Weibes in übertriebener Weise zur Geltung gebracht worden wäre. Sie wählte den Busen. Die Röcke blieben weit und lang, sehr faltig und ringsum schleppend, wie sie in ihrer kleidsamsten Form etwa die Bilder von Reynolds und Gainsborough zeigen. Die Zaraco genannte Schoßtaille mit halblangen Ärmeln wird sehr lang und dabei hochschnürend getragen, so dass der Busen stark zur Geltung gebracht wird. Der halboffene Ausschnitt wird mit eichten Flortüchern, Fichus, bedeckt, die anfangs nur bauschig gesteckt, später immer höher gezogen und immer gewölbter getragen werden, um als „Trompeusen“ schließlich fast das Kinn zu erreichen, wobei sie in der Leichtigkeit ihres Aufbaus durch gorges postiches von Atlas gestützt werden. Den Riesenaufbau der Haare, der schließlich eine Höhe erreicht hatte, dass man behauptete, bei einer Elegantenlage das Gesicht in der Mitte ihres Körpers, trug die Mode um die gleiche Zeit ab; wie die Anekdote will, weil Marie Antoinette bei der Geburt des ersten Dauphins so viel Haar verloren habe, dass es nicht mehr möglich gewesen sei, sie in der alten Art zu frisieren. Man türmte das Haar nicht mehr so auf, aber die vollen üppigen Locken, die den Kopf umgaben, fielen nun dafür in Fluten bis in die Taille hinab. Die Damen fuhren fort, sich zu pudern, aber die in das Haar geflochtenen Coiffüren, all die Bänder, Spitzen, Blumen, Federn, Aigretten usw., zu deren Arrangement der Friseur oft mehrere Stunden gebraucht hatte, blieben fort. Um sich derselben nicht völlig zu berauben, packte man den ganzen Staat auf die Hüte, deren Form, Umfang und Aufputz nun ebenso extravagant wird, wie es eben noch die Coiffüren waren. Je einfacher und glatter mit der Zeit der Rock wird, um so phantastischer und überladener wird die Kopfbedeckung. — Diese Mode hat sich dann zunächst wenig geändert. Man wählte für die Farben wohl andere Namen, man nannte sie nicht mehr: caca Dauphin; vomissement de la reine; Cardinal sur la paille — sondern wählte freiheitliche Bezeichnungen: à la Republicaine; à l'Egalite; à la Carmagnole; man trug — schon weil es gefährlich war, es nicht zu tun ! — überall die Nationalkokarde; der Schnitt aber blieb der gleiche. Die Rocke werden enger, die Brust steigt, bis sie etwa um 1793 eine Hohe erreicht hat, die allen Damen das Aussehen von Kropfleidenden gibt!

Der auffallendste Unterschied ist der Wechsel der Stoffe. Der in Paris durch die Not herbeigeführte Ersatz von Seide und Atlas durch bedruckten Kattun und gemusterte Baumwolle pflanzt sich auch in das Ausland fort, soweit es der französischen Mode folgt, und bewirkt in Frankreich den völligen Ruin der Seidenweberei.

Jetzt scheint die Mode eine Weile stille zu stehen. Den Damen, welche sonst in Paris die Mode gemacht hatten, fehlte es teils an Zeit, weil sie sich in die Politik stürzen mussten, teils an Geld, teils an Gelegenheit, weil sie emigriert waren Schon im Juni 1790 schreibt ein Berichterstatter aus Paris, dass sich Unerhörtes ereignet habe: es seien seit 6 Monaten keine neuen Moden erschienen! Bis zum Januar 1793 fristet zwar Le Bruns Journal de la mode et du goût noch seine Existenz, dann aber hort es auf, der Schrecken hat alles verschlungen. Auch die ersten Schneider und Schneiderinnen sind emigriert. Die berühmte Mile. Bertin, Modistin Marie Antoinettes, begibt sich 1792 nach Mainz, wird von der Kaiserin nach Wien engagiert, zieht aber schließlich London zu dauerndem Aufenthalt vor. Auch die Mode verfällt der Demokratie, wofür ein erster Beweis das Einsetzen der Konfektion ist, die gleichmäßig die Bedürfnisse aller befriedigen kann.

Seit 1791 gibt es in Paris Magazine fertiger Kleider, Quénin jeune für Bürger, Mme. Teillard für Bürgerinnen, beide versenden auch schon gedruckte Preiskurante und finden bald auswärts Nachfolger, in Hamburg seit 1799, wo Korn & Hosstrup fertige Herrengarderobe vorrätig halten.

Die Mode schlägt ihren Thron nun in England auf, nicht in Paris. In dem stockkonservativen England geht die Revolution in der Kleidung vor sich, von hier nimmt das neue — das antike Kleid seinen Ausgang. Die Entstehung dazu ist eine höchst komische. Als die bei Hofe und in der Gesellschaft äußerst beliebte Herzogin von York 1793 das erstemal in andere Umstände kam, wurde es bei Frauen und jungen Mädchen modern, gestopfte Haarkissen vorn unter dem Gürtel zu tragen; man nannte sie in England pads, in Deutschland ventres postiches. Diese — gelinde gesagt — eigentümliche Mode hat den Anstoß zu der kurzen Taille gegeben, die, seit 1794 in England allgemein getragen, sofort ihren Weg auf den Kontinent findet und den Taillenschluss vorn unter die Brust und hinten direkt unter die Schulterblätter verlegt.

Diese anfangs nur „englisch“ genannte Mode wird in Paris mit Begeisterung aufgenommen und tritt von hier ihren Siegeszug um die Welt an, als 1795 nach dem Sturz der Schreckensmänner die schöne Frau Tallien, allgemein nur „Notre Dame du Thermidor“ genannt, den verwaisten Thron der Mode einnimmt. Die vom Druck der Schreckensherrschaft erlösten Pariserinnen, die sich sofort in die lang entbehrten Vergnügungen stürzen, treiben die neue Mode sofort zur äußersten Extravaganz. Sie machen unter dem Vorwand, antik sein zu wollen, aus der „englischen“ alsbald die „nackte“ Mode! Nicht nur das Korsett und die Unterröcke fallen, auch das Hemde folgt — die Mondaine trägt an den bloßen Füßen Ringe, seidene Trikots und als einziges Kleidungsstück die bis zum Knie offene, durchsichtige „Chemise“. Unter den halbtollen Eleganten entsteht ein Wettstreit, welche von ihnen imstande ist, am wenigsten anzuziehen! Man sprach nicht von „gut angezogen“, sondern von „gut ausgezogen“ und begann als Gesellschaftsspiel, die Anzüge der Damen zu wiegen. Die gesamte Kleidung einer Frau inkl. Schuhen und Schmuck durfte im Jahre 1800 das Gewicht von 16 Lot nicht überschreiten! Den Rekord hatte Mme. Hamelin erreicht, die schöne Frau eines reichen Schweizer Bankiers, die einst, nur mit einem Gazeschleier bekleidet, im Garten der Tuilerien spazieren ging, bis sie die Zudringlichkeit des Publikums nach Hause trieb, aber Mile. Saulnier schlug ihn, denn — sie trat als Venus in dem Ballett „Das Paris-Urteil“ ganz nackt auf!

Wie nun das „englische“ Kleid, das langärmelig und bis an den Hals geschlossen über den Kanal nach Paris gezogen war, „griechisch“ zurückkam, bis zur Unmöglichkeit dekolletiert und ärmellos, da lehnten die Engländerinnen es ab. Als Mrs. Jordans es im Drury Lane-Theater auf die Bühne zu bringen wagte, warf man ihr aus dem Parkett Taschentücher zu, um sich zu bekleiden, und zwang sie, sich umzuziehen. — Dafür haben die Engländerinnen an diesem Kostüm noch festgehalten, als man es auf dem Kontinent schon längst abgelegt hatte, so das Gabriele von Bülow einmal bemerkt, die Engländerinnen seien so wunderbar angezogen, dass man immer an eine Maskerade denken müsste, — aber sie trugen es so dezent, dass eine Dame gelegentlich aus London schreibt, das, was man in England unter „totaler Rocklosigkeit“ verstehe, wäre immerhin in Leipzig oder Berlin für drei Damen noch übergenug!

In Hannover hat 1801 eine Dame gewettet, sie würde, nur mit Hemd und Halstuch bekleidet, spazieren gehen, ohne dass man es bemerken würde, — und sie gewann glänzend. Schwerer kann man sich jedenfalls vorstellen, dass 1799 auf einer Maskerade in Bückeburg ein Pärchen als Adam und Eva erschien, in „Nichts, als seine Unschuld“ gehüllt! Anständig oder unanständig, kleidsam oder nicht — die Mode war jedenfalls viel zu neu und überraschend, als dass sie nicht sofort hatte zündend wirken müssen. 1794 hatte ein Berliner Kritiker der Schauspielerin Baranius noch vorgeworfen, sie gehe in die Grenzen der rohen Natur zurück, sei der Moralität zuwider, beleidige die Sittsamkeit, ja, erwecke Ekel — und das alles nur, weil sie es wagte, mit bloßen Armen auf der Bühne zu erscheinen und — im Jahr darauf sind die Schnurleiber, samt langen Ärmeln und Trompeusen schon verschwunden und die „nackte“ Kleidung triumphiert allerorten. In Russland führte die Malerin Mme. Vigée-Lebrun die neue Mode ein, teils durch ihre Bilder, teils persönlich. Sie kleidete 1795 die Großfürstin Elisabeth nach der neuen Mode zu einem Hofball, aber die Kaiserin war empört. An einigen besonders rückständigen Höfen, wie dem von S. James, bleibt die alte Hofkleidung, sogar der Reifrock für die Gala noch bestehen. Bis zum Tode der Königin Charlotte mussten die Damen den unförmlichen Reifrock von Wachstuch mit Fischbeinstäben beibehalten für die große Cour. Sie trugen dazu hochstehende Straußfedern im Haar; sieben genügten, erzählt Gräfin Boigne, die Regel aber waren zwölf bis fünfzehn, manche brachten es auf 25 Stück. Am längsten hielt der Hof in Dresden an dem alten Kostüm fest. Den Besuchern, die in den zwanziger Jahren nach Dresden kamen, schienen König, Prinzen und Prinzessinnen wie Gespenster der Vergangenheit. In Berlin kleiden sich die Königin und die Gräfin Voß schon zur Huldigung 1798 „à la Romanine“. Königin Luise war jung und hübsch, also putzsüchtig, was ihr manche Zeitgenossen zum Vorwurf machten. „Luise liebte den Putz mehr als nötig war“, schreibt F. A. L. v. d. Marwitz, „sie konnte dem König nie modisch und elegant genug gekleidet sein. Die Mode war die sogenannte griechische Kleidung. Die Frauenzimmer hatten nur ein Hemde und ein möglichst dünnes Kleid an, in welchem alle ihre Formen sichtbar waren. Die Königin ging in dieser Mode voran.“ „Ich begreife nicht, wie dieser liebe König seiner koketten Frau erlauben kann, sich so anzuziehen, wie sie es tut“, schrieb Gräfin Tina Brühl am 10. März 1799 ihrem Mann. „Das ist nicht mehr der elegante Anzug eines eleganten Hofes, sondern der einer sehr niedlichen Schauspielerin, dekolletiert nach der Möglichkeit und coiffiert in einer Weise, wie sie nur einer so hübschen Person stehen kann wie diese allerliebste Königin ist.“ Königin Luise war damals in einem weißen Kleide erschienen, hatte nach einer Stunde den Anzug gewechselt, um ihn vor Tische noch einmal mit einem dritten zu vertauschen!

Ungefähr zehn Jahre behält das Frauenkleid die Form bei, welche es im Jahre 1794 erhalten: Rock und Taille aus einem Stück, ganz glatt, wirklich nur wie ein Hemd, so dass man auch damals nicht von einer Robe, sondern immer nur von der Chemise sprach. Der enge Rock endet in einer Schleppe, die an Länge zunimmt, für die Straße 6 Ellen, für Gesellschaften bis zu 14 Ellen!

Mit dem Erscheinen der Schleppe setzt auch a tempo der Kampf gegen sie ein, ebenso lächerlich und ebenso übertrieben, wie vor wenigen Jahren bei uns; hat doch beim Semesterschluss der Königl. Realschule in Berlin 1795 ein Schüler die „Bitte eines Jünglings an die Schönen Berlins wegen der Schleppen“ vorgetragen ! Die „Schönen Berlins“ waren jedenfalls weniger einfältig oder geduldiger denn wir haben nicht erfahren — weder damals, noch jetzt — dass sie den Spieß umgedreht und eine Bitte an die Jünglinge wegen des Rauchens gerichtet hatten!

Jedenfalls bequemten sich die Damen auch damals schon dazu, ihre Schleppen zu tragen. Sie wickelten sie mehrmals um den Körper und nahmen nur den äußersten Zipfel in die Hand, oder sie legten sie, z. B. beim Tanzen, dem Herrn über die Schulter. Das ging um so eher, als man nur ganz leichte Stoffe trug: Musseline, Linon, Battist, Popeline u. dgl. und die Rocke nicht mit schweren Garnituren besetzt, sondern nur en plein gestickt oder mit eingewirkten Bordüren verziert waren. Dafür, dass auch die Einfachheit noch kostspielig war, sorgten dann schon die Schneider. Ein Kleid von indischem Perkal kostete in Paris z. B. 2.000 Fr. ; — gestickt und mit Schleppe aber 6 — 8.000 Fr.! Ein mit Stahlperlen besticktes Kleid der Prinzessin von Württemberg kostete 3.000, eine gestickte Redingote derselben Dame 900 Fr. Der Trousseau der Kaiserin Marie Luise enthielt viele gestickte Kleider, eins in Gold- und Silberlahn für 7.400, eins in rosa Tüll für 4.500 und ein Blondenkleid für 6.000 Fr.

Dass bei dieser vogue der leichten Stoffe die Spitzenkleider zu Ehren kommen, lässt sich denken. In Paris waren die von Mlle. Lange besonders berühmt, die als Maitresse des Kommissärs Mandrin alle Spitzen Marie Antoinettes in ihren Besitz gebracht hatte. Später besaß die Kaiserin Josephine die kostbarsten, im Preise zwischen 40.000 und 100.000 Fr. variierend. Um das Jahr 1800 herum begann man, der glatten langen Rocke überdrüssig, den Rock zu teilen. Man öffnete ihn entweder vorn über einem Unterkleid von anderer Farbe oder anderem Stoff, oder schnitt ihn rückwärts auf, so dass der Oberrock wie eine Schürze wirkte; dieses Oberkleid nannte man, da es mit der Taille zusammenhing, Caraco tablier. Vielfach schnitt man auch den oberen Rock etwa in Kniehohe ab, wodurch eine Tunika entstand, die man glatt oder gerafft trug. Zu diesen Oberkleidern wühlte man für Gesellschaften wieder schwere Stoffe, Samt, Seide, Atlas, bei Hofe mit reichen Stickereien.

Die Mode der langen Schleppen war etwa 1804 auf ihrem Höhepunkt. Sie fiel in Paris zusammen mit den prachtvollen Krönungsfesten Napoleons, die auf seinen ausdrücklichen Befehl mit dem größten Pomp begangen wurden. Seine und der Kaiserin Krönungskleider, die bei Leroy und Mme. Raimbaud angefertigt wurden, kosteten zusammen 1.123.000 Fr., aber auch jede Hofdame der Kaiserin erhielt für ihre Toiletten 10.000 Fr. angewiesen, und die mussten sie gefälligst auch ausgeben, denn, wenn Napoleon bei Empfangen einer Dame zweimal in demselben Kleid begegnete, so konnte er sie anschnauzen, wie ein preußischer Unteroffizier seine Rekruten. Frau von Rémusat erzählt denn auch mit Stolz, wie wunderschön sie alle bei der Krönung ausgesehen hatten, und da sie es von ihren Freundinnen sagt, darf man es da wohl bezweifeln?! Josephine gab als Kaiserin über eine Million jährlich für ihre Toilette aus, in 5 1/2 Jahren hatte sie 6.647.580 Fr. für Putzartikel vertan. Sie besaß 600 Kleider und ließ sich jedes Jahr 100 bis 140 neu machen. Mme. Maret, die eleganteste Frau des Hofes, besaß eine große Robe für 1.500 Fr., die übrigen blieben unter 600 Fr. Im Gegensatz zu Josephine hat Marie Luise, die monatlich 30.000 Fr. für ihre Toilette ausgeben durfte, von dieser Summe noch Ersparnisse gemacht. Ihr Trauungskleid hatte 12.000 Fr. gekostet, ihr Trousseau enthielt als Kostbarstes ein großes Hofkleid für 8.000, vier Kleider mit Schleppen zwischen 1.200 und 12.500 und sechs Ballkleider für 600 bis 2.500 Fr.

Man trug zuweilen auch zwei Kleider. So erzählt Reichardt, dass er einst Frau Récamier in einer prachtvollen Sammetrobe in Gesellschaft getroffen habe, und als es dann zum Tanzen kommt, zieht sie dieselbe aus und hat darunter ein gesticktes Ballkleid von weißer Seide an!

Die Taille, wenn man von einer solchen überhaupt noch sprechen kann, behielt ihren tiefen Ausschnitt und die kurzen Ärmel. Sie erhält aber ein anderes Aussehen durch „romantische“ Elemente; die Ärmel werden gepufft und das Decollete mit einer hochstehenden Spitzenkrause umgeben. Solchen Reminiszenzen an das Mittelalter begegnet man in Berlin schon 1793, als die Schauspielerin Unzelmann Ritterkragen in die Mode bringt und wieder 1796, als die Berlinerinnen sich à la Jane Grey mit Puffärmeln und Schnebbenhaube tragen, immer mit der kurzen Taille. In die Weltmode aber bringt erst wieder England die Kragen um 1801 durch die „Betsies“, nach der Queen Bess getaufte Spitzenkrausen, die, von Brabanter Kanten gefertigt, in London 15 bis 20 £ kosteten. Diese altmodischen Betsies lanciert Paris als neuestes unter dem Namen Chérusses, deren allein echte und antike Form der berühmte Schneider Leroy nach eingehenden Studien auf der Bibliothek festgestellt hatte. Diese Krausen verdichten sich allmählich um den Hals, die kurzen Ärmel puffen nach und nach bis an das Handgelenk und so bildet sich etwa 1805 ein neuer Schnitt, der von dem bisherigen zwar die kurze Taille beibehält, auf alle seine sonstigen Vorzüge aber verzichtet. Vor allem fällt die Schleppe fort, der Rock bleibt eng, wird aber rund, um 1808 fußfrei und nach 1810 knöchelfrei! Das Kleid scheint heraufzurutschen, denn was es unten an Länge verliert, setzt es oben zu, es bedeckt Schultern und Arme und kraust sich in dicken Wülsten um den Hals. Die schlanken ätherischen Nymphen und Göttinnen sind verschwunden und haben grotesk verhüllten Alräunchen Platz gemacht, deren Erscheinung kaum noch an Menschen erinnert!

Die Höhe der Geschmacklosigkeit erreicht Wien etwa 1817, wo das Kleid, ohne Taillenschluss am Hals ansetzt, en dents de loup ausgezackt weit über den Knöcheln aufhört und den in gestickten Vapeurstreifen endigenden Spitzenhöschen erlaubt, etwa noch handbreit darunter hervorzusehen. Dazu die Hüte von damals — und die Vogelscheuche ist fertig! Das überraschendste an der Mode der kurzen Taille ist jedenfalls der Umstand, dass die Frau so lange auf das Schnürleib Verzicht geleistet hat, denn ein Leibchen von 20 Fischbeinstäben hat ihr doch unmöglich die gleichen Dienste leisten können, und das Eisengerüst, das sich 1811 als Korsett in Paris hervorwagt, findet keinen Anklang; weniger vielleicht weil Canova sich heftig dagegen erklärt, als weil die Trägerin sich gar nicht darin bewegen kann!

Sicherlich hat sich die Frau nie unvorteilhafter gekleidet, als es etwa zwischen 1811 und 1817 der Fall war. Man steht in der Erwägung, dass doch der einzige Lebenszweck der Frau der ist, schön zu sein und zu gefallen, diesen Erscheinungen ganz fassungslos gegenüber und versteht gar nicht, dass Moden, die so unkleidsam waren, sich doch immerhin jahrelang behaupten konnten! Vielleicht war es nur ein Reiz mehr für den Mann, zu untersuchen, was für ein Kern wohl in diesen wunderlichen Gehäusen stecke. Wer weiß? Jedenfalls hat sich damals auch unter den Frauen selbst keine gefunden, die ihre Schwestern auf das Unharmonische und Groteske ihrer Erscheinung aufmerksam gemacht hatte. Heute wäre das nicht mehr möglich, wo die täglich zunehmende Betätigung der Frau auf literarischem, künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiete den glänzenden Beweis für die — unendliche Nachsicht und Geduld des Mannes erbracht hat!

Die große Vorliebe für die leichten Stoffe ließ dieselben auch im Winter tragen. Es war Mode und unvernünftig, zwei Gründe, gegen welche die Ärzte mit all ihren Warnungen nicht aufkamen. Sie nannten die katarrhalischen nur noch Musseline-Krankheiten und schoben die Verheerungen der Schwindsucht damals allgemein der zu leichten Kleidung zu. Als die Influenza 1803 erstmals in Paris grassierte, zählte man bis 60.000 Kranke täglich, eine Ziffer, deren Höhe ebenfalls dem Musseline zur Last gelegt wurde. Immerhin suchte man doch einen Schutz gegen die Unbilden der Witterung und so verbreitet sich seit 1796 auf dem Kontinent der englische Flanell, für den einzelne Ärzte, wie Vaughan geradezu begeistert agitieren. Seit 1802 wird auch von London aus Reklame für wasserdichte Stoffe gemacht. Die Abneigung gegen das Verhüllen der Formen bringt den Mantel so gut wie ganz außer Gebrauch, verhilft dagegen dem Kaschmirschal zu einer geradezu despotischen Herrschaft. Dieses Toilettenstück besaß aber auch alle Vorzüge, die ein weicher, warmer Stoff, geschmackvolle Muster, hoher Preis und kleidsame Handhabung nur gewähren konnten; er hat sich in verschiedenen Formen denn auch ungefähr ein Jahrhundert hindurch behauptet. Er erscheint zuerst in der Form des Longschals (6 Ellen lang, 2 Ellen breit) etwa seit 1786 in London, kostet 100 bis 200 Taler und kommt so in Aufnahme, dass er für die ärmeren Klassen sogleich in bedruckter Baumwolle imitiert wird. Gegen die Begeisterung der Franzosinnen für den Schal war selbst ein Napoleon machtlos.

Auf die Einfuhr des echten Kaschmir standen hohe Strafen, aber das war natürlich nur ein Reiz mehr und der Kaiser musste dulden, dass Josephine 300 — 400 Kaschmirschals besaß, das Stück im Preise von 15.000 bis 20.000 Fr., — wenn er sie auch gelegentlich höchst eigenhändig in Wut und Zorn zerschnitt! Auch im Trousseau der Kaiserin Marie Luise befanden sich noch solche von 1.200 bis 5.000 Fr. und für die minder hochstehenden Damen hielt Corbin sein Lager in der Rue de Richelieu, wo man schon ganz hübsche Schals für 600 Fr. haben konnte. Die Schals, die nur 50 Louisdors gekostet hatten, schreibt Frau von Rémusat, wurden verachtet, man rühmte sich der Preise, die man für die seinen ausgegeben hatte. Die Beliebtheit dieser Mode rührte nicht nur davon her, dass der Besitz ein großer Luxus war, in dem man mit Nebenbuhlerinnen rivalisieren konnte, nein, das Tragen des Schals war eine Kunst, eine ganz persönliche Kunst! Den Schal zog man nicht an, wie einen Mantel, man drapierte sich damit und besaß die Möglichkeit, im spielenden Gebrauch desselben seinen individuellen Stil zu zeigen, im Enthüllen und Verhüllen Grazie, Anmut und Geschmack zu entfalten. Man sagte damals auch nicht: die Dame ist gut angezogen; man sagte: sie ist schon drapiert. Von der Kaiserin Josephine schreibt Frau von Remusat: sie drapierte sich mit einer Grazie wie ich sie nur an ihr gesehen habe. Ware wirklich eine Trägerin im Zweifel darüber gewesen, ob sie selbst den Schal nicht am elegantesten zu handhaben wisse, so hatte sie bei Mme. Gardel darin Unterricht nehmen können; diese Künstlerin trat nicht nur in Paris öffentlich im Schaltanz auf, sondern gab auch Stunden in Attitüden! — Erst um 1808 kommen in Paris Pelzmäntel für Damen auf, die man Witzschoura nannte, weil sie ursprünglich aus Russland stammten. Der Schal behauptet sich aber neben ihnen, 1812 kommen von Wien aus die türkischen quadratischen Schals zu 2.000 bis 3.000 fl. in Aufnahme.

Den Wechsel des Kleides begleitet naturgemäß ein Wechsel in der Frisur. Man trägt die Haare flacher auf dem Kopf und sucht sich besonders von antiken Statuen Formen der Haartracht anzueignen, so dass die wüste chevelure à la sauvage von 1796 ganz langsam ihre Wildheit ablegt. Die Haare werden eng um den Kopf gelegt, auch in Netze gefasst, Löckchen flach in die Stirn gedreht, Zöpfe geflochten. Die Haare, die den Kopf lange völlig versteckten, betonen jetzt seine Form so weit als möglich. Konnte die Frau 1796 gar nicht so viel Haar besitzen, wie sie brauchte, so konnte sie schon 1806 kaum wenig genug haben!

Viele Jahre hing die Eleganz der Erscheinung wesentlich von der Frisur ab. Man plünderte Altertum und Mittelalter, um nur immer Neues bieten zu können, und weil das eigene Haar ja doch schließlich nicht genug Abwechslung bot, trug man ganz allgemein Perücken. Das ist so weit gegangen, dass um das Jahr 1800 herum wohl kaum eine Dame ihr eigenes Haar getragen hat. Man wechselte nicht allein die Art der Frisur, man wechselte auch die Farbe, — trug morgens blonde, abends schwarze Haare usw.! Mme. Tallien besaß allein 30 verschiedene Perücken, von denen jede 10 Louisdor kostete. Der Haarhandel kam dadurch in ordentlichen Schwung; das Pfund blondes Haar wurde vom Kopf weg mit 70 Fr. bezahlt. In den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts hört auch allmählich das Pudern der Haare auf. Duplan, der Friseur der beiden französischen Kaiserinnen, erhielt 42.000 Fr. Gehalt im Jahr. Die veränderte Frisur begleiten die Hüte, die schon 1794 kleiner werden und für einige Zeit die Form antiker Helme annehmen: Casquets à la Minerve mit Girlanden von Lorbeer garniert; Turnierhelme von schwarzem Sammet mit hochstehenden Straußfedern bilden den Übergang zu den Schuten, die sich dann so lange behauptet haben. Das früheste Erscheinen derselben ist bis 1797 zurück zu verfolgen, wo Dlle. Mees in Hamburg in Grétrys Oper „La caravane du Caire“ zum ersten Male eine Schute auf der Bühne trug. Sie hat dann Formen angenommen, welche das wagrecht liegende Ofenrohr mit dem senkrecht stehenden vertauschten, den Kopf völlig einhüllten und das Gesicht zwischen gigantischen Scheuklappen verschwinden ließen, so dass damalige Witzblätter die Damen als die „Unsichtbaren“ verhöhnten!

Im Stoff nahm man die Gestelle aus Stroh, gezogenem Tüll oder leichtem Filz und putzte sie mit senkrecht stehenden Blumen oder wehenden Federn, hüllte sie wohl auch ganz in Schleier ein, im Sommer 1814 schmückten die Berlinerinnen ihre Hüte sehr sinnig mit Palmwedeln und Lilien! Neben diesen Ungeheuern behaupten sich aber auch Toques und Baretts, die besonders pikant wirken, wenn sie etwa eine Feder über die Stirn auf das rechte oder linke Auge fallen lassen; auch begegnet man Formen wie umgekehrten Blumentöpfen und sehr hohen Zylindern ohne Krempe. 1805 bringt Mme. Belmont als Fanchon die lose gesteckten Kopftücher auf, während die glatt über das Haar gelegten Iphigenien-Schleier den Spanierinnen entlehnt waren. Im Winter 1804 zu 1805 kam nach Frau von Rémusat die Mode der Turbane bei Hofe auf. Man wickelte sie aus weißem Musselin oder noch lieber aus recht farbenprächtigen türkischen Stoffen.

Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bürgert sich das Häubchen ein, das, den Kopf eng umschließend, das Gesicht mit einer Spitze umrahmte und solchen Beifall findet, dass in Berlin 1815; auch die jüngsten Mädchen, die noch lange nicht „unter die Haube“ kommen können, doch nicht auf das Tragen derselben verzichten wollen.

Diese Art Gleichmacherei, die nicht nur Standes-, sondern auch ebenso gut Altersunterschiede in der Kleidung aufhebt, ist damals schon den Zeitgenossen missliebig aufgefallen. Reichardt z. B. schreibt seiner Frau 1803 aus Paris, dass nicht nur Mutter und Tochter Kleider von gleichem Schnitt und gleicher Farbe tragen, sondern dass er auch einmal auf der Bühne 5 Männer verschiedenen Standes und Alters ganz gleich angezogen gesehen habe.

Da es keine Unterröcke mehr gibt und die Kleider keine Taschen haben, waren die Damen gezwungen gewesen, ihre sieben Zwetschgen in der Hand zu tragen, würden sie nicht vorziehen, dieselben in einem réticule zu sammeln und mit sich zu führen. Seitdem die Gelehrten konstatiert haben, dass schon die alten Athenerinnen Ridiküls trugen, nimmt auch die Pariserin keinen Anstand mehr, dies öffentlich zu tun. Man fertigt sie gern in der Gestalt antiker Urnen aus Pappe, lackiertem Blech und dergl. und schmückt sie wie etruskische Vasen, so dass die schöne Trägerin sich immer als Priesterin fühlen darf.

Die antikisierende Kleidung in der Einfachheit ihrer Linien und Farben schrie förmlich nach Schmuck und man hat denselben denn auch fast im Übermaß getragen. Mit Vorliebe wählte man anfangs Kameen und die Requisitionen an kostbaren antiken Stücken, die angeblich für die französischen Museen gemacht wurden, führten ganze Kabinette römischer Fürsten nach Paris, wo sie dann durch Josephines verschwenderische Hände den Weg in die Schatullen ihrer Freundinnen fanden. Man trug Armbänder um Hände und Füße Ringe an Fingern und Zehen, Ketten 6 — 7 mal um den Hals, Ohrringe mit 3 Pendelocques, Kamme und Diademe im Überfluss. Kaiserin Josephine liebte die Kameen über alles und zog sie den Diamanten vor. Der Juwelier Nitot machte ihr einen Schmuck von 46 Kameen, 36 Intaglios und 82 Diamanten, der herrlich ausfiel aber — zu schwer war, um ihn tragen zu können.

Die Gräfin Potocka besaß außer 300 kostbaren Schmuckstucken allein 144Ringe und als während eines Balles die Gräfin Schwichelt ihrer Freundin, Frau von Demidoff, für 40.000 livres Diamanten stiehlt, hat sie ihr nur einen kleinen Teil ihres Vorrats genommen! Als die Gräfin Voß in ihr Tagebuch schreibt, dass sie am preußischen Hofe schon lange keine Edelsteine mehr gesehen habe, schätzt man in Paris auf einem Hofball, der den Zug der Peruaner nach dem Sonnentempel darstellt, den Schmuck der Damen auf 20 Millionen Fr.! Mme. Duroc besaß für 100.000 Taler Diamanten, Mme. Ney für 100.000 Fr. ; die Damen Maret und Savary für je 50.000 Fr. Der Familienschmuck des Fürsten Nicolaus Esterhazy besaß einen Wert von 7 Millionen Gulden. Seine ungarische Parade-Uniform, die ganz mit Perlen gestickt war, erforderte nach jedem Tragen eine Reparatur, die 8.000 Gulden kostete, man schätzte diese Uniform auf 4 Millionen Gulden. Die Ritterdamen der berühmten Ritter-Quadrille, die bei dem Wiener Kongress in der Hofburg stattfand, trugen zusammen für 30 Millionen Francs Juwelen, davon Fürstin Esterhazy allein für 6 Millionen. Bezeichnend zugleich für den Geschmack der Parvenüs am französischen Hofe ist der Umstand, dass Perlen nicht beliebt waren, während man damals den Amethyst noch als Edelstein bewertete, da die an diesen Steinen so reichen brasilianischen und russischen Gruben noch nicht erschlossen waren.

Als die preußischen Frauen 1813 das Wenige, was ihnen die Franzosen noch gelassen, gutwillig dem Vaterland zum Opfer brachten, da gaben sie „Gold für Eisen“ und trugen eisernen Schmuck, wie ihn der Medailleur Loos in Berlin in den Handel brachte. Als ein charakteristischer Zug jener Zeit, die selbst dem Putz etwas doktrinär Pedantisches ankleben musste, erscheint der lithologische Ring, den 1793 Dresdener Mineralogen, Dr. Greß und Dr. Titius, in den Handel brachten; er bestand aus einem goldenen Ring, dessen Stein zum Wechseln eingerichtet war; mit 30 verschieden assortierten Steinen kostete der Ring 14 — 19 Taler.

Einen weniger aufdringlichen Luxus als mit Schmuck treibt das Kaiserreich mit Wäsche. Kotzebue schrieb 1804 aus Paris, eine elegante Frau müsse zwar 600 Kleider besitzen aber nur 12 Hemden. Darin ging den hieran gar nicht gewöhnten Franzosen das Kaiserpaar mit gutem Beispiel voran. Zum größten Erstaunen seiner Umgebung wechselt Napoleon täglich seine Wäsche. Josephine besaß 498 Hemden und wechselte sie dreimal am Tage, sie zog kein Paar Strümpfe zweimal an. Ihrer Nichte, Frl. Tacher de la Pagerie, gab sie, als sie dieselbe ausstattete, für 25.000 Fr. Leibwäsche in den Trousseau! Marie Luise führte die Caleçons in Paris ein, die sie aus Wien mitgebracht hatte. Die greise Marquise von Coislin, die 1817 im Alter von 85 Jahren starb, äußerte sich in dieser Zeit schon ungehalten zu Chateaubriand über die neue Mode des Wäschewechsels: zu meiner Zeit, sagte sie, hatten wir kaum zwei Hemden und man kaufte ein neues, wenn das alte verbraucht war, aber dafür waren wir in Seide gekleidet und sahen nicht aus wie Grisetten! — Für die Schnupfer gibt es bunte Sacktücher, 1812 macht man sie aus Perkal und bedruckt sie mit Landkarten; 1814 sind sie aus Baumwolle und tragen Apotheosen Wellingtons oder Spottbilder Napoleons.

Um 1810 Le Bon Geure, Paris
The Repository 1809
Gillray, Die Grazien im Sturm
Les Ennuyées de Longchamp (aus « Le ban Genre)
La belle assemblée 1811
Repository 1813
Belle assemblée 1814
Belle assemblée 1814
Eckersberg. Die Familie Nathanson
C. Vernet, Tanzende Hunde (Ausschnitt)
Repository 1813
1812 La Belle Assembler, London
1801 Hamburger Journal der Moden und Eleganz
Reformkleid von Chodowiecki aus dem „Frauenzimmeralmanach“ 1786
Malgo nach Hickel, Prinzessin Lamballe 1789
Bartolozzi nach Cosway, Marie Cosway 1785
David, Mme Sériziat
Gallery of fashion 1794
Russischer Meister, Junge Dame
1801 Hamburger Journal der Moden und Eleganz
Gallery of fashion 1795
Desrais, Auf dem Boulevard des Italiens 1797
Smith, What you will! 1791
Gallery of fashion 1795
Magasin des Modes 1790 Gallery of fashion 1795
Gallery of fashion 1796
Hoppner, Kinderbildnis
Gallery of fashion 1796
1802 Hamburger Journal der Moden und Eleganz
Gallery of fashion 1796
Gallery of fashion 1796
Gallery of fashion 1798
Lauer, Frl. von Knobelsdorf
Gallery of fashion 1797
Debucourt, Junges Madchcn 1799
1802 Hamburger Journal der Moden und Eleganz
Versteckspiel (aus „Le bon Genre“)
Verwechselt das Bäumchen (aus „Le bon Genre“)
Debucourt, Die alten Liebhaber 1804
Das Frühstück (aus „Le bon Genre“)
Gillray, Die fashionable Mama
Debucourt, Les époux à la mode
Charis 1801
Mittelgruppe aus Debucourt, Der moderns Paris (s. S. 157) 1804
W. Böttner, Königin Luise
Ingres, Mlle de Montgolfier
Ah quel vent! (aus La Mésangère)
Der Spaziergang (aus La Mésangère)
1810 The Repository, London
Boilly, Die Billardpartie
Die Schleppenplage (aus „Le bon Genre“)
Um 1810 Le Bon Genre, Paris
Craighel-Kenerley Costume anglais 1807
Gränicher, Leipziger Köchin 1806
The Repository 1809
La belle assemblée 1809
Haller v. Hallerstein, Die Hüte von 1810