Die Graphische Kunst

Wie der Kampf um die Photographie in natürlichen Farben durch das 19. Jahrhundert, so zieht sich die Geschichte der Versuche, Kupferplatten in Farben abzuziehen, durch das 18. Jahrhundert. Von Jacob Christoph Le Blon, einem in Frankfurt a. M. geborenen Kinde refugierter Franzosen, erfunden, haben eine ganze Anzahl französischer Künstler an der Weiterentwicklung dieser mühseligen Technik gearbeitet, einem Verfahren, das um so undankbarer, als der den Stich Ausführende in Bezug auf die Wirkung seines Blattes ganz und gar von demjenigen abhängig ist, der die Platte einfärbt und abzieht. Gautier d'Agoty hat anatomische Bilder in größtem Format, Alix schone Porträts geliefert, Debucourt und Janinet haben das Sittenbild gepflegt und uns die höchst absonderlichen Erscheinungen der damaligen Gesellschaft in Szenen aufbewahrt, die in der Übertreibung des Stils so leicht karikiert wirken.

Auf die Höhe dessen, was mittels des Farbstiches geleistet werden kann, gelangt das Verfahren erst, als die Engländer es auszuüben beginnen, gerade wie auch englische Künstler die von Deutschen erfundene Schabkunst erst auf die Höhe einer nicht mehr zu übertreffenden Meisterschaft geführt haben. Sie haben auch aus dem Farbstich alles herausgeholt, was diese Technik an Reizen besitzt, alle Wirkungen zur Geltung gebracht, die doch bei ihm innerhalb sehr eng gezogener Grenzen liegen, denn sie gehen nie über die Anmut hinaus. Für die schmelzende Grazie der professional beauties nach Reynolds und Gainsborough haben sie in den weichen Lagen ihrer Striche und Punkte, den zartgestimmten Tönen ihrer gebrochenen lichten Farben ebenso den passenden Ausdruck gefunden, wie sie die Lieblichkeit der Clarissa Harlowe, Caroline Lichfield, das Verführerische der Lovelace und Grandison aus der Phantasie der Romanwelt heraus in die herzige Sichtbarkeit von Rosa und Himmelblau übersetzten. Eine ungemeine Liebenswürdigkeit spricht aus allem, was die Hoppner, Singleton, Morland, Smith, Ward, White, die völlig englisierten Bartolozzi, Cipriani, Schiavonetti u. a. uns von dem englischen Leben von damals erzählen.


Man befindet sich bei ihnen in der besten und vollkommensten der Welten, wo alle hübsch, wohlgekleidet und gesund sind, wo so brave Hunderln, so süße Kinder und so gute Eltern leben, wo hinter jeder Tür eine Freude wartet, wo alle Traume von Glück eine schöne Wirklichkeit geworden! Diese mit technischer Vollendung und großem Geschmack vorgetragene Kunst fand eine begeisterte Aufnahme und langdauernde Gunst, sogar Goethe machte sich in den Propyläen zu ihrem Herold, und besonders beliebte Darstellungen, wie George Morlands Geschichte der Lätitia, die 1789 zum erstenmal herauskam, musste 1811 mit modernen Kleidern überarbeitet, nochmals aufgelegt werden.

Debucourt, Promenade im Palais Royal 1787