Die Frau

Man war in Gefahr, aus lauter Einseitigkeit absurd zu werden, wäre der zu weit gehende Einfluss, den man der Gelehrsamkeit im täglichen Leben einräumte, nicht durch die Frau paralysiert worden. Im gesellschaftlichen Leben Deutschlands übernimmt die Frau erst am Ende des 18. Jahrhunderts die führende Rolle; sie ist es, die das neue Ideal der Empfindung propagiert und die der neuen Gesellschaft ihre Wesenheit gibt. Mit den feinen geselligen Formen der alten Gesellschaft sucht sie die Gelehrsamkeit der bürgerlichen zu vereinen und bringt, indem sie über die Trockenheit gelehrten Wissens die Leichtigkeit vielseitiger Bildung, das Herz über den Kopf stellt, die anmutige Oberflächlichkeit zur Herrschaft.

Statt dass die Wissenschaft sich wie bisher in lange Reihen mächtiger Folianten und Quartanten ergossen, tändelt sie nun in zierlichen Almanachen und Taschenbüchern über sämtliche Gebiete des Wissens und noch einige. Die Frau kann sich nicht ernsthaft mit der Wissenschaft beschäftigen, aber sie darf mit ihr spielen; sie hört gelehrte Vorträge, sie kauft fertige kleine Sammlungen von Naturalien, physikalischen Instrumenten, Herbarien u. dergl., sie macht das Ideal der Prinzenerziehung — von allem etwas und nichts gründlich zu verstehen — auch zu dem ihren. Vor allem aber pflegt sie doch ihr eigenstes Wesen, Phantasie und Empfindung wie eine natürliche Reaktion gegen die geistige Richtung der Zeit, die in dem herrschenden Rationalismus den Verstand in völlige Nüchternheit führt. Die Jahre der plattesten Aufklärung fallen mit denen der überschwänglichsten Empfindsamkeit zusammen.


Aus „Moses, Costumes modernes“

Lavreince, Le coucher des ouvrieres

Bovi, Die tanzenden Schwestern

Dayes-Soiron, Prommenade im St. James’ Park (Ausschnitt)

Die Schaukel (aus „La Mesangère“.)