Der Adel

Wer sich die Zustände Deutschlands am Ende des 18. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen sucht, wird sich nicht mehr über die Begeisterung wundern, mit der die französische Revolution, zumal in den Kreisen des gebildeten Bürgertums, aufgenommen wurde; das Deutschland von dazumal war noch weit mehr als heute ein Kastenstaat, in dem Adel und Bürgertum durch unüberbrückbare Schranken getrennt waren. Im Staat waren Macht und Einfluss, und mit ihnen Ehren und Einkünfte, dem Adel allein vorbehalten, der Bürgerliche, mochte er selbst reich und geistig bedeutend sein, war ipso facto ein zweitklassiges Geschöpf, ausgeschlossen vom höheren Dienst in Verwaltung und Heer, ein Staatsgrundsatz, der sich im Leben ebenso stark wie verletzend geltend machte.

In der schonen Literatur von damals wird in Romanen wie Schauspielen der Konflikt mit Vorliebe dadurch herbeigeführt, das die Liebenden ungleichen Standes sind, eine Tragik, der wir heute, wo allein das Geld Gleichheit oder Ungleichheit bedingt, verständnislos gegenüberstehen. Damals aber ging ein Adliger, der eine Bürgerliche heiratete, nicht nur für sich, sondern auch für seine Nachkommen zahlloser Vorteile verlustig, die mit der Reinhaltung des Stammbaumes verknüpft waren; er riskierte den Verlust von Majoraten, Lehnsgütern, Stiftsstellen, Ritterorden, ungerechnet die zahllosen gesellschaftlichen Kränkungen, denen er sich und die Seinen aussetzte. Man denke z. B., dass auf den Assembleen im Redoutenhause in Mainz nur Adlige Eintritt hatten, welche 16 Ahnen nachweisen konnten; dass bei den Mittwochsgesellschaften des Kurfürsten bürgerliche Offiziere zwar zugelassen wurden, aber — stramm stehen mussten, während ihre adligen Kameraden sitzen durften!


Im Theater in Mannheim hatten bei gleichem Entree die Bürgerlichen nur Anspruch auf die letzten Bänke, in Linz wartete man mit dem Beginn der Vorstellungen, bis der Adel seine Platze eingenommen hatte. Auf der Karlsakademie, wo Schiller erzogen wurde, aßen die adligen und die bürgerlichen Zöglinge an getrennten Tischen und in Berlin musste eine bürgerliche Dame, kam sie öffentlich je mit einer Gräfin zusammen, mindestens sechs Stühle weit von dieser entfernt sitzen. In Pyrmont tanzten auf den Ballen der Badegesellschaft nur Adlige, Bürgerliche mussten zusehen; ja, in Freienwalde haben sich 1798 die pommerschen und märkischen Junker ehrenwörtlich verpflichtet, nicht mit bürgerlichen Damen zu tanzen! In Karlsbad war der sächsische Saal für den Adel reserviert, dagegen trug man dort der Minderwertigkeit des Bürgertums wenigstens insofern Rechnung, als die Kurtaxe für adlige Badegäste 2 fl., für bürgerliche nur 1 fl. betrug.

Zumal aus Preußen wird aus jenen Jahren Unendliches von der Geringschätzung und dem Übermut besonders der adligen Offiziere gegen die kleinen Leute berichtet, aber diese Anmaßung dokumentierte sich durchaus nicht allein in Norddeutschland: in Stuttgart z. B. ließ 1786 ein Leutnant von Boehn einen bürgerlichen Kammerrat, weil er nicht höflich genug von ihm gegrüßt worden war, auf die Wache führen und ihm fünfundzwanzig aufzählen! ein Schneid, der ihm in der Karriere sicher genutzt hat. Der Dichter der Räuber musste sich adeln lassen, damit seine Frau den Hofzutritt behielt und ähnlichen Gründen, nicht ihrer geistigen Bedeutung, verdanken Goethe, Herder, Johannes von Müller das „von“ vor ihren Namen. Kränkungen und Demütigungen war der Bürgerliche nur seiner Geburt wegen alle Tage ausgesetzt und wenn sich auch nicht jeder ein derartiges Vorkommnis so zu Herzen nahm, wie der junge Jerusalem, der sich in Wetzlar erschoss, weil man ihn aus der „hochadligen“ Teegesellschaft bei Graf Bassenheim ausgewiesen hatte, so begreift man doch, welche Summe von Hass und Erbitterung sich in den Herzen der Menschen ansammeln musste, die Selbstbewusstsein genug hatten, um ihren selbsterworbenen Wert gegenüber rein zufälligen Vorzügen richtig einzuschätzen. In der erzahlenden Literatur, wie in Briefen und Tagebüchern jener Jahre, begegnet man häufig dem Bekenntnis, dieser oder jene sei ein „Mensch im edelsten Sinne“ trotz ihres Adels.

Gewiss hat es auch nicht an geistig hochstehenden Adligen gefehlt, die, wie die Fürstenberg, Reventlow, Galitzin, Moltke, Bernstorff, Nesselrode, Stollberg, Dalberg u. a. mit den ihnen geistig ebenbürtigen oder überlegenen Bürgerlichen herzlich und freundschaftlich verkehrten, aber sobald der in diese Kreise Aufgenommene vergisst, dass er nur geduldet wird und etwa in die Familie aufgenommen werden will, — Gerhard Kügelgen z. B. um Lilla von Manteuffel freit, — da erhebt sich sofort die Schranke himmelhoch und dem Wunsche der Liebenden werden Schwierigkeiten entgegengetürmt, die wir gar nicht mehr verstehen.

Wie hätte man in Deutschland unter solchen Umständen nicht jubeln und den Anbruch besserer Zustände in Frankreich auch als Verheißung für Deutschland begrüßen sollen? Erst recht, als in den ersten Jahren der Revolution alle Vorurteile, alle Vorrechte zu fallen schienen und die Scharen der adligen und hochadligen Emigranten Deutschland, England, Russland überflutend jedem, der es sehen wollte, die Augen dafür öffneten, wie gut Frankreich daran getan, sich von dieser Bagage zu befreien! Später, als im Vorschreiten der Bewegung die radikalen Elemente des Jakobinertums die Überhand gewannen, als eine völlige Vernichtung alles Bestehenden in Frankreich drohte, da wurden die Sympathien der Besitzenden schwacher und die erwachende Besorgnis der Regierungen suchte der Ausbreitung der revolutionären Ideen Einhalt zu tun. In Preußen hatte der Minister Wollner in weiser Voraussicht des Kommenden die ganze Aufklärung schon 1788 kurzerhand verboten. In der Pfalz bestrafte die Regierung 1790 jeden mit Gefängnis, der Zeitungen aus Frankreich einführen würde, in Österreich untersagte die Regierung 1793 den Familien das Halten französischer Lehrer, Gouvernanten, Domestiken, und als der polnische Adel kurz vor dem Untergang der Republik 1793 die Abschaffung der Leibeigenschaft seiner Bauern beschließt, da schreiten Preußen, Österreich und Russland gegen diese menschenfreundliche Maßregel als einen Ausfluss französischen Jakobinergeistes ein und nehmen sie zum Vorwand, den kleinen Rest Polens völlig unter sich aufzuteilen! Eichendorff erzählt, dass es unter einem Teile des schlesischen Adels geraume Zeit für plebejisch galt, von der französischen Revolution überhaupt nur zu sprechen. Die Gönner des armen Robert Burns zogen sich von ihm zurück als sie seine Sympithien mit der Revolution bemerkten und ließen ihn 1796 im Elend verkommen und sterben. Ja, wer den Geistern mit der Polizei gebieten könnte!

Tischbein, Königin Luise und ihre Schwester Friederike

Gerard, Mme. Laetitia Bonaparte

008 Tischbein, Königin Luise und ihre Schwester Friederike

008 Tischbein, Königin Luise und ihre Schwester Friederike

009 Gerard, Mme. Laetitia Bonaparte

009 Gerard, Mme. Laetitia Bonaparte

Herder, Johann Gottfried (1744-1803) deutscher Dichter, Übersetzer, Schriftsteller, Theologe und Philosoph

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