Siebentes Kapitel. Das Landleben. — Die Hirtinnen. — Ihre Tänze. — Geräusch der Städte. — Ruhe des Landes. — Mein Aufenthalt auf dem Landsitze meines Oheims.

Sein und seines Sohnes trauriges Ende. — Ich werde meiner Tante durch meine Belesenheit in den Kirchenvätern gefährlich. — Bibliothek des Schlosses. — Einiges über Büffon. — Bruchstück aus dem ersten Gedicht, welches von mir im Druck erschienen ist. — Dampierre. — Sein Charakter. — Sein Tod. — Ich bilde ein junges Landmädchen zur Operntänzerin. — Ihre Erkenntlichkeit. — Nachteile der großen Welt — Hirtenleben. — Glück des Landlebens. — Meine Moral. — Kritik des Hoflebens. — Ich werde niemanden bessern. — Der Intendant von Alencon und seine Gattin. — Bemerkung des Herrn von Meilhan über die Intendanten. — Dessen Eitelkeit. — Geschichte eines Geräderten. — Eines Diebes. — Seltsamer Raub. — In welcher Gefahr die Frauen schweben. — Herr von D . . . eignet sich den Schmuck der Intendantin zu. — Mein Abscheu vor Libellen.

Et in Arcadia, Ego.


Auch ich war Hirt, auch ich habe ein Schäferleben geführt, habe den Frieden der Landluft eingeatmet, habe mit naiven Bäuerinnen beim Tone der ländlichen Schalmei neben dem Kirchhof getanzt, wo ihre Mütter ruhen, welche zu ihrer Zeit, auf derselben Stelle, Gras und Blumen im Takt einknickten. Ich habe jenem so leicht zu erringenden Glücke Lebewohl gesagt, an Höfen und in prunkhaften Städten meine Sitten zu verderben, in leichtsinnigen und strafbaren Verirrungen meinen Geist abzustumpfen, eine Welt zu langweilen, welche mich zehnmal mehr langweilt hat, – in ihr den reichsten Schatz, das einzige wirkliche Erbteil der unglücklichen Erdbewohner, die Gesundheit, zu verlieren, zu vergeuden!!!

Nachdem ich ein Schreiben von meiner Sophie erhalten, verließ ich auf einige Zeit die Garnison, in welcher mich der Leser zurückgelassen, um mich auf den Landsitz eines nahen Verwandten, den ich in der Provinz Maine hatte, zu begeben. Sophie schrieb mir: sie sei glücklicher gewesen, als sie es verdient, alles sei in ein undurchdringliches Geheimnis gehüllt, sie sei völlig hergestellt, sei im Begriff, zu Frau von ... auf ihr Landgut zu gehen, und werde sie spätestens in vier Monaten nach Paris zurückbegleiten.

Diese Nachrichten bestimmten mich, meine Zeit so lange auf dem Lande zuzubringen, bis der günstige Augenblick erschiene, wo ich mich mit dem Gegenstande meiner Liebe wieder vereinigen könnte, – einer Liebe, welche durch unsere Trennung neuen Zuwachs erhalten hatte.

Ich kam ganz unerwartet bei meinem très-galant-homme von Oheim an,*) dem diese Erscheinung mehr überraschend als ungelegen war. Er versicherte mir, sein Haus stehe mir ganz zu Diensten; er sterbe nur vor Furcht, ein Merveilleux wie ich, möchte bei der Lebensweise auf dem Schlosse und bei der Einförmigkeit des Landlebens überhaupt, vor Langeweile umkommen; es lägen zwar in geringer Entfernung zwei Städte, B. und A., (Belesme und Alençon) mit ganz leidlichen Einwohnern. Die Frauen wären züchtig, die Männer langweilig und eifersüchtig. Uebrigens sei man bei ihm gewohnt, sich früh schlafen zu legen, er bringe für seine Person den ganzen Tag mit der Landwirtschaft, mit dem Betrieb seiner Bauten, mit häuslichen Geschäften zu, sei des Abends ein schlechter Gesellschafter und falle noch vor zehn Uhr vor Müdigkeit um. Seine Frau Gemahlin sei fromm, lese nur Andachtsbücher, und bringe einen großen Teil ihrer Zeit abgeschieden und in geistiger Sammlung zu. Uebrigens (fuhr er fort) stehe mir sein mittelmäßiger Büchervorrat, sowie sein ganzes Haus zu Gebote; man werde mir nichts vorenthalten und nicht ermangeln, jeden Morgen meine Befehle wegen des Küchenzettels einzuholen, damit, wenn ich vor Langweile abmagern sollte, ich die Schuld nicht auf seinen Koch schieben könne; sein Gärtner werde alle Morgen in Bereitschaft sein, mich auf den Fischfang, und sein Jäger mich auf die Jagd zu begleiten. Es wurde noch hinzugesetzt: er pflege im Orte kleine ländliche Bälle zu geben, wo dann die hübschen Bauerndirnen hinkämen und unter den Augen der Mütter, Tanten und Liebhaber sich mit Tanz belustigten.

Hierauf erwiderte ich: Die soeben gehörte Schilderung sei in meinen Augen ein bezauberndes Landschaftsgemälde; ich sei gekommen, die Reize einer tugendhaften Gesellschaft und die reinen Vergnügungen der Natur zu genießen; und mein lieber Oheim möge mir aufs Wort glauben, wenn ich ihm hier die Versicherung gebe, solcher Genüsse nicht unwert zu sein.

Die Gattin eines Onkels ist nicht so sehr Tante, daß man es nicht wagen dürfte, ihr den Hof zu machen; aber meine geehrteste Frau Tante (die sich übrigens sehr gut konserviert hatte) war es so sehr, daß sie mir, beim ersten Worte von Liebe, das ich aussprach, mit ihrem Beichtvater drohte. Ich mußte einlenken und vor einer so wohlverwahrten Tugend die Segel streichen. Ich beteuerte ihr demzufolge: was ich soeben gesagt, sei nur eine hergebrachte Sitte, ein bloßes Kompliment gewesen, eine Redensart der Artigkeit, des Anstandes (!); ich hätte nur meine Schuldigkeit tun und die äußere Form nicht unterlassen wollen, damit sie mich in ihrem Herzen nicht beschuldigen könne, ihren Wert übersehen zu haben, oder gleichgültig dagegen gewesen zu sein. Sie dankte mir mit einer besonderen Bescheidenheit. Wir verloren kein Wort weiter darüber, und sprachen weitläufig vom heiligen Augustin und heiligen Hieronymus. Ich hatte absichtlich das Gespräch auf beide gelenkt, da bekanntlich jener in seiner Jugend viel Liebschaften gehabt und dieser sich fast ebenso sehr durch die Siege berühmt gemacht hat, welche er über sein brennendes Temperament und seine Feuerseele davongetragen, als durch seine Schöngeistigkeit. (bel-esprit) Sie konnte sich nicht satt an mir hören, sich nicht genug über meine Belesenheit wundern, und ich fing an, gefährlich für sie zu werden, sobald sie die Entdeckung gemacht, daß ich in den Kirchenvätern so gut bewandert sei. „Vetter,“ rief sie aus, „was hätte aus Ihnen für ein frommer Mann werden können! Vetter, Vetter, es ist jammerschade um Sie!!“

Heilige Seele! Ich weiß, sie lebt noch, (Sie ist tot. Späterer Zusatz des Verf.) doch diese Memoiren sind zu weltlich ... sie wird sie nie lesen! ...

Also gibt es eine Verführung für jede Frau; also gibt es eine Schlinge, in welcher die strengste sich fangen läßt!

Ich fing nun an, die sogenannte Bibliothek durchzumustern. Sie verdiente den Namen, den mein Oheim ihr gegeben hatte. Was fand ich? Einige mystische Bücher, einige Romane des Calprenede,**) die Geschichte des P. Daniel, zwei bis drei unvollständige Teile von Corneille, den Parfait Maréchal, den Grand Jardinier, die Cuisinière Française: das waren ungefähr die Hauptbücher. Zu meinem Glücke waren aber Pascals Lettres provinciales, und eine unvollständige Ausgabe von Büffons Werken darunter. Ich machte mich mit Ernst und Eifer über diesen her, obschon seine Theorien und sein System mir nie ein volles Zutrauen haben abgewinnen wollen, und es mir leichter scheint, seinen Stil zu loben, als ihn tadelsfrei zu finden. Ich habe von der Harmonie und Fülle des Büffonschen Stils viel Rühmens machen gehört. Er besaß die Kunst, sich selbst und anderen die gerundeten, volltönenden Perioden meisterhaft vorzulesen, die er so mühsam zusammengetragen hatte. Ich bin weit entfernt, seinen Schriften das Verdienst der Schreibart absprechen zu wollen; aber ich darf behaupten, daß er sein großes unsterbliches Werk nicht mit gleichförmiger Mühe und Anstrengung geschrieben; denn man stößt auf lange Stellen, welche, ich will nicht nur sagen, mit großer Nachlässigkeit geschrieben, sondern voller Fehler und Flecken sind, die man nicht ohne Befremden bemerkt, die ich aber nicht die Verwegenheit und Anmaßung habe, einzeln anzuführen.

Ich teilte meine Zeit ein, und brachte sie mit Lesen, mit Jagen, mit Spazieren, mit meinem Oheim und meiner Tante zu, welche beide ich doch nur selten, außer bei Tische, sah. Des Abends, wenn die Natur ruhte, machte ich Verse. Ich entsinne mich, in diesem ländlichen Aufenthalt das erste kleine Gedicht zu Papier gebracht zu haben, das nachher unter meinem Namen erschienen ist, und aus welchem die Zeitschriften folgende Fragment ausgehoben und mit Lobe angeführt haben:***)

Sous Darius, un Courtisan,
Poli, galant, homme à bonne fortune,
Autant que peut l’être un Persan,
(Mais Chardin dit qu’il en trompa plus d’une)
Ce satrape, en un mot, avec beaucoup d’esprit,
Fut exilé, malgré tout son crédit,
Dans le fond de la Bactriane.
Le visir Artabane Lui porta les ordres du roi,
Fit semblant de pleurer, et dit:
Comptez sur moi;
Vous savez combien je vous aime!
Et quinze jours après fut renvoyé lui-même.
Le premier fut cacher dans un triste manoir
Sa douleur et son espérance:
Car en Perse c’est comme en France,
Un courtisan n’est jamais sans espoir.
Il s’ennuya beaucoup la première quinzaine,
Il envoya deux courriers à la cour,
Il errait tristement tant que durait le jour,
Et la nuit, le sommeil, pour adoucir sa peine,
Ne venait point fermer ses yeux.
Enfin se résignant, il reprit son courage,
De sa raison il essaya l’usage;
Espérant un peu moins, il dormit un peu mieux.
Il écrivit, il aima la lecture,
Il aima ses vassaux, les arts et la nature,
Il chassa loin de lui les regrets superflus,
Et dormit tout à-fait quand il n’espéra plus.
Il aima son exil, il eut une maîtresse;
Le mieux serait de s’en passer.
Le roi le rappela; mais il eut la sagesse
Et le bon sens de refuser.
Il mourut dans les bras d’une beauté fidèle
A qui dans ses malheurs il s’était engagé,
Et quelque temps après dans les plaines d’Arbelle
Par Alexandre il fut vengé.

Ich führe diese Verse an, weil sie, als erstes Erzeugnis meiner jugendlichen Muse, einen Begriff von dem geben können, was ich in der Dichtkunst hätte leisten können, wenn nicht Zerstreuungen aller Art mein Leben umlagert hätten. Rivarol, den ich um so lieber und um so öfter anführe, da man sich eingebildet hat, ich erwähnte und lobte ihn nicht oft und gern, – Rivarol hat mir mehr als einmal bei Gelegenheit dieser Verse gesagt: „Sie sind ganz in Dorats Manier; Dorat hat vielleicht in seiner ganzen bändereichen Sammlung keine besseren aufzuweisen.“ Aber da er weder die Manier, noch die Person, noch das Talent Dorats liebte, so hütete ich mich wohl, sein Urteil als ein Lob für mich auszulegen, und begnügte mich, es für das gelten zu lassen, was es in seiner Meinung ausdrücken sollte.

Uebrigens war die lange Epistel (denn was ich hier angeführt, ist nur ein kleines Bruchstück) an den braven Dampierre gerichtet. Er war damals Offizier in der Garde, und ich hatte ihm, als ich Paris verließ, versprechen müssen, in Versen an ihn zu schreiben. Wir hatten einigemal zusammen, in kleinem literarischem Komitee, bei einem Manne gefrühstückt, der sich später von einer sehr schlechten Seite gezeigt hat. (Der Herzog von Orleans, Philippe Egalité.Verf.) Um mich nützlich zu beschäftigen, trug mir Dampierre bei meiner Abreise jene poetische Arbeit auf.

Damals wäre es überaus schwer gewesen, sowohl seine Lebensschicksale, als sein Ende vorauszusehen. Grundgut, einfach, rechtschaffen im Privatleben, in seinen öffentlichen Verhältnissen ein Mann von Ehre, von Zartgefühl, war er, ich weiß nicht wie, in nähere Verbindung mit dem Herzog von Orleans getreten, gehörte zu dessen engsten Vertrauten, stürzte sich in die Revolution, und brav wie Cäsar – dessen Talente ihm jedoch abgingen – brachte er ihr sein Leben zum Opfer, an der Spitze einer der siegreichen Armeen,****) welche dem schönen Frankreich seinen Boden und seinen Namen erhalten haben.5)

Doch, um wieder auf mein Landleben und auf meine Schafe6)zurückzukommen, so verwandelte ich mich, wie schon gesagt, alle Sonntage in einen Schäfer. Ich tanzte mit allen Dorfmädchen, und fand bald eine kleine Blondine, an die ich meine Artigkeiten verschwendete, und welche gegen diese Hirtengalanterie nicht unempfindlich blieb. Sie ist seitdem Tänzerin bei einem der ersten Theater von Paris geworden und hat es mir Dank gewußt, daß ich sie aus dem Staube ihres Dorfes hervorgezogen. Hätte das Schicksal sie, wie Alinen, auf den Thron von Golconda erhoben, sie würde sich zuverlässig ebenso erkenntlich, wie jene, gegen mich bezeigt haben.

Die ländliche Existenz hat ihre Reize. Vier Monate verflossen mir mit der Schnelligkeit eines friedlichen Traumes. Jetzt, wo alle meine Leidenschaften beruhigt sind, frage ich mich oft: wie kommt es, daß man die Städte nicht längst mit den Dörfern und das Stadt- mit dem Landleben vertauscht hat? Doch diese Frage habe ich erst spät an mich gerichtet; erst spät hat es mich Wunder genommen, wie man so blind sein könne als man ist. Wieviel Jahre haben verstreichen müssen, ehe ich mich von Paris habe losreißen und die Möglichkeit begreifen können, anderswo zu leben als in Paris, oder allenfalls in den großen Hauptstädten von Europa.

Wollte man nur einen Augenblick über die Langeweile, den Ueberdruß, das Treiben, die Trätschereien, die Widersprüche nachdenken, die man sich ersparen würde, wenn man sein Leben nicht in der großen Welt aufzehrte und die Erfüllung seines Berufs und seine Hauptbeschäftigung nicht darin suchte, von einem Gesellschaftskreis in den andern zu gehen, um Nichtigkeiten (des riens) auszukramen und auf diesen Kampfplätzen der Anmaßung, der Herabsetzung anderer, der Ungerechtigkeit, der falschen Urteile und der Albernheiten und Ungereimtheiten aller Art sich herumzutummeln – wie leicht würde man zur Ueberzeugung gelangen, daß die Natur, daß der Genuß, den wir in uns selbst finden, im Schoße der Freiheit und der Unabhängigkeit uns ungemischte, zwanglose Vergnügungen darbieten! Wie schnell würde man so viel Lärmen um nichts, so viel eitles Treiben und Weben mit einem stillen Aufenthalt vertauschen, den Natur und Kunst um die Wette ausschmücken, den die Freundschaft belebt, den ein wenig Liebe vollends zum Eden macht!

Es gibt noch Völker, die wir mit dem Namen der Barbaren belegen und die den wahren Begriff vom Leben haben. Sie bringen es, ohne auf den Schaden ihrer Nebenmenschen zu sinnen, mit Musik, in ihren Gärten, beim Saft der Reben, an wohlbesetzten Tafeln, in den Armen ihrer Weiber zu, während wir uns über politische Entwürfe, über ehrgeizige Pläne den Kopf zerbrechen und unsern Geist anstrengen, Wissenschaften zu erlernen, die wir nie erschöpfen, Talente zu erlangen, die wir nie besitzen, oder die uns streitig gemacht werden und nie in den Augen anderer den Grad des Wertes erhalten, den wir ihnen beilegen. So viel ist ausgemacht und unwandelbar: was wir sehen und empfinden, ist wirklich unser (wenn es überhaupt etwas Wirkliches gibt); aber der Glanz eines großen Namens, das Leere der Lobeserhebungen, die Eitelkeit des Beifalls, sind Dinge, die wir uns mit Mühe verschaffen, die wir mit mancher Demütigung erkaufen, die wir dem Widerstande abgewinnen müssen; und wenn uns ein Sieg zuteil wird, so ist dieser Sieg ein magerer Ersatz für den Verlust der Zeit und der Gesundheit, der uns das Leben verleidet, ohne uns von der Furcht vor dem Tode zu befreien.

Läßt sich das wahre Glück nicht auch in der großen Welt finden?

Nein.

In der großen Welt wirst du von der Gattin verraten, die dir in der Einsamkeit treu geblieben wäre. Du hattest ihr Herz und ihre Sinne besiegt; du kannst sie aber nicht fesseln, die Eigenliebe entrückt sie dir. Ein anderer ist mehr nach der Mode als du; eine bekannte Kokette spannt ihn an ihren Wagen; deine Gattin will es ebenfalls, will ihn erobern, will sie demütigen, und du kannst von Glück sagen, wenn du in diesem Kampfe nicht ein Gegenstand des Hasses für sie wirst! Wenn die dir den Fehler, den sie gegen dich begeht, nicht ebenso wenig verzeiht, als den, welchen du gegen sie hättest begehen können!

In der Abgeschiedenheit eines einsamen Aufenthalts würde der Freund deiner Kindheit und Jugend fortdauernd dieselben Gesinnungen gehegt haben; ihr wäret einander Orest und Pylades geblieben: aber im Geräusch und Gewühl der Welt wird er beim ersten Unfall, der dich trifft, beim ersten Zusammenstoß seines Stolzes mit dem deinigen, dich verlassen; er wird dir deine Geliebte und vielleicht das Leben rauben, um sich den Besitz der neuen Helena zu sichern.

Die schöne Literatur und die schönen Künste, welche dir in deiner Einsamkeit zum Troste gereicht haben würden, worin du es vielleicht zur Vollkommenheit der größten Meister gebracht hättest, werden dir in der großen Welt tausend Schwierigkeiten in den Weg legen, deinem Streben ihre Dornen entgegenstellen. Du hättest vielleicht reiche Früchte getragen; dein Geist, gereift durch Nachdenken und Forschung, hätte vielleicht Meisterwerke erzeugt; die Schönheiten der Natur – und der Kunst, die der Natur am nächsten kommt – würden dir geläufig und du vertraut mit ihnen geworden sein: so aber, mitten in einer Welt, welche am Krebsschaden der Lüge, der Entwürdigung und einer gezierten Künstlichkeit kränkelt und dahinschwindet, werden sich diese Schönheiten von dir nicht fassen und festhalten lassen.

Und ihr selbst, himmlische Wesen, herrliche Geschöpfe, Zierden der Welt, göttliche Frauen, wird nicht im Scheine von tausend Kerzen eure Schönheit verdunkelt? Wird in wenig Jahren die Blume eurer Reize nicht ihre frische Farbe verlieren? Werden die für euch so schädlichen Nachtwachen, die Sucht nach Intrigen, welche euch so schnell dahinwelken läßt, die verderblichen Spieltische, wobei euer Herz ebenso große Gefahr läuft, als euer Gesicht und euer Vermögen, – werden sie nicht die Frühlingsblüte vor der Zeit von euren Wangen abstreifen? Eure, schon an sich so schnell verwitternden Reize schwächt ihr noch vorsätzlich und laßt sie lange vor dem Ziel sich entblättern, das ihnen die Natur gesteckt hat! Hättet ihr, statt dessen, folgsam den Gesetzen der Natur, mehr in ihrer Nähe und im vollem Genuß ihrer Wohltaten gelebt, so würdet ihr in euch selbst und in der Seelenruhe ein unzerstörbares Glück gefunden haben. Oh, glaubt es einem Manne aufs Wort, der sich lange in den Taumel und in das Geräusch der Welt verliebt hat, der in beiden nicht einmal den Schatten des Glücks gefunden, dem es aber gelungen ist, es selbst zu erringen, seitdem er in stiller Einsamkeit lebt: – nur in ruhiger Abgeschiedenheit werdet ihr lernen, euch zu suchen, euch zu finden, euch zu kennen, euch und die kleine Anzahl der Teuren zu lieben, die euch umgeben. Ihr werdet – glaubt es mir aufs Wort – ihr werdet in jener stillen Sammlung und Absonderung, die zartesten Stimmungen, die entzückendsten Gefühle genießen, und nachdem ihr als Gegenstände der Achtung, der Verehrung, der allgemeinen Wertschätzung gelebt, werden Tränen über euren Tod und Klagen über euren Verlust euch jenseits des Grabes begleiten!

Doch, mein Sermon wird niemanden bessern.... War ich doch selbst lange Zeit unverbesserlich; war ich doch lange, sehr lange, ein Anbeter des Weltrausches, der sogenannten großen Gesellschaft! Solange es Menschen gibt, wird es auch Leidenschaften geben; und in der Gesellschaft, wie sie einmal eingerichtet ist, wird es nie an Kabalen fehlen, nie an Wermutskelchen, welche von Hand zu Hand gehen, nie an immer wieder aufkeimenden Plackereien, welche die große Welt hassenswert machen, ohne deshalb die Menge von dem Wunsche abhalten zu können, darin zu leben, und von der Begierde, sich in ihren Strudel zu stürzen.

Auf der Rückreise nach Paris hielt ich mich einige Zeit zu Alençon bei dem dortigen Intendanten auf. Der Mann war eine durchaus gute Haut; weniger gehaßt als seine Kollegen, doch mehr als er es verdiente. Auch er hat auf dem Blutgerüste, ein sechzigjähriger Greis, seinen Tod gefunden, und dem Beil der Guillotine viel zu schaffen gemacht, denn er war von ungeheurer Dickleibigkeit. Sein Geheimnis, sich zu mästen, bestand in folgendem: Vierzig Jahre lang aß er nicht zu Mittag, ließ sich aber alle Abende eine halbgare Hammelkeule von zehn Pfund auftragen.7) Er war ein vortrefflicher Geschäftsmann in seinem Fache, ein unermüdlicher Arbeiter; dabei im Grunde gefällig, obschon er sich, wie damals alle seinesgleichen, das Ansehen eines römischen Prokonsuls in einer eroberten Provinz gab und das Gute was er tat, ungern und notgedrungen (de mauvaise grâce) zu tun schien. Ein Tyrann mit der freundlichen Larve des Anstandes (avec des formes) würde sich mehr Gunst und Beifall zu verschaffen gewußt haben. Gestehen wir es: dergleichen Stellen gehörten zu den Mißbräuchen der alten Regierung; es wäre zu wünschen gewesen, daß man sie in der neuen Ordnung der Dinge nicht unter einer neuen Gestalt (der Präfekten. Uebers.) wieder ins Leben gerufen hätte. Doch, welche menschliche Einrichtung ist von Unzuträglichkeiten und Widerwärtigkeiten frei? In welchem System, von Menschen erdacht, findet man nicht Nachteile, (des nuisances) immer bereit und fertig, an die Stelle der abgeschafften zu treten?

Ich erinnere mich, daß Herrn von Meilhan, Exintendanten von Valenciennes, einst in Aachen ein Wort gegen mich entschlüpfte, das mich frappierte. „Wären die Provinz-Intendanten“, sagte er, „vornehme Herren gewesen, sie würden zu mächtig gewesen sein.“ Er hatte recht. Das Gegengewicht ihres Ansehens lag in ihrer Herkunft und in der öffentlichen Meinung, welche sie immer auf diesen Punkt, auf ihren ersten Ursprung (début) und auf ihre Persönlichkeit zurückverwies.

Dieses Geständnis des Herrn von Meilhan war bescheiden genug von seiten eines Mannes, der sich nicht eben zur Bescheidenheit bekannte, der, weil er einige oft unbedeutende und meistenteils mehr witzige als gehaltreiche Bogen geschrieben hatte, die Höhe der größten Schriftsteller erstiegen zu haben glaubte, und überhaupt eine an Stupidität grenzende Eitelkeit verriet).8) Er hielt sich für den ersten Geschäftsmann in Frankreich. Mit der ernsthaftesten Miene und mit vieler Gravität versicherte er mir einst: „Ehe der König Herrn von Calonne zum Generalkontrolleur der Finanzen ernannte, ließ mich Se. Majestät rufen. Der Monarch wollte mich sehen. In einer Unterhaltung von mehr als zwei Stunden entwickelte ich ihm die unfehlbaren Mittel, den Staat zu retten. Er schien von dem, was ich sagte, innig überzeugt. Ich darf behaupten, daß meine einleuchtenden Gründe den Weg zu seinem Verstand gefunden. Schon hielt ich mich für versichert, am folgenden Tage meine Ernennung zum Generalkontrolleur zu erhalten, und dann war Frankreich aus dem politischen Schiffbruch gerettet, der es zu verschlingen drohte!! Aber ein Höfling stach mich aus; ich verlor die Stelle, für die ich gemacht war, und der Mann von Witz trug den Sieg über den Mann von Genie davon!“

Ich kehre zu meinem Intendanten von Alençon zurück. Ich habe zwar schon ein langes und breites von ihm gesagt; aber seine Gattin bleibt mir doch zu beschreiben übrig. Man denke sich eine Frau, die beim Reversi fluchte, ein seltsames Gemisch von schneidendem und gemeinem Tone. Vor allem aber verzeichne ich hier eine Anekdote, die sie mir bei Tische erzählte, und die mir dergestalt auffiel, daß ich noch jetzt glaube, ihre Stimme zu vernehmen und zu hören, wie sie mir ins Ohr zischelte: „Sehen Sie die große Frau dort mit dem kupferigen Gesichte, die Frau, der Monsieur l’Intendant den Hof macht: er stellt sich aber nur in sie verliebt, denn im Grunde liebt er nur sich ganz allein. Sehen Sie sie?“ – „Ja, Madame.“ – „Nun, Monsieur, sie ist die Tochter eines roué.“ 9) – „Ei,


eines Mannes, der gerädert worden, eines, dem des Henkers Rad die Knochen zerschlagen, sage ich Ihnen. Verstehen Sie mich jetzt?“ – „Was? Abscheulich!“ – „Ich will’s Ihnen nach Tische genauer erzählen, denn die Dame horcht, wie mich dünkt. Wir haben noch einige Touren zu spielen. Sein Sie hübsch artig, lassen Sie mich nicht so oft den Quinola verlieren, sonst erfahren Sie meine Geschichte nicht.“ –

In der Tat, als wir aufgestanden und ich so ziemlich allein mit ihr war, erzählte sie mir, die Mutter dieser Dame sei für eine Landschönheit ziemlich hübsch und dabei von exemplarischer Tugend gewesen; sie habe einen Mann gehabt, der, ich weiß nicht, welches Geschäft getrieben, und oft abwesend habe sein müssen; während eines sehr heißen Sommers, den sie auf dem Lande zugebracht, sei sie gewohnt gewesen, im ersten Stock des Hauses, nach der Gartenseite zu, bei offenen Fenstern zu schlafen; an den Garten habe ein See gegrenzt, dessen jenseitiges Ufer an die Landstraße gestoßen; ein Dieb sei über den See geschwommen, und durch den Garten bis zum Hause gelangt; er habe eine Strickleiter in eines der offenen Fenster geworfen, sei hinauf- und hineingestiegen, habe die Dame schlafend gefunden: ihr Anzug sei so beschaffen gewesen, wie man sich nur einem Ehemanne, und zwar einem geliebten Ehemanne zu zeigen pflege, dem man alles erlaube; der Dieb sei ein Dieb in der Regel gewesen; erst habe er ein Schränkchen oder eine Kommode, was weiß ich? ... leise mit einem Nachschlüssel geöffnet, habe alles, was ihm gepaßt, herausgenommen, habe dann die Dame ermorden wollen, welche in der Zwischenzeit erwacht, und schon mehr tot als lebendig gewesen; habe sie aber näher betrachtet, Mitleid und Liebe gefühlt; ... er habe sich nun ... der Hitze wegen ... entkleidet, die Nacht mit der Dame zugebracht, sei erst kurz vor Tagesanbruch durchs Fenster hinabgeschlichen, nachdem er ihr den ganzen Raub und obenein ein hübsches kleines Mädchen zurückgelassen, welches aber erst neun Monate später sichtbar geworden, und eben diese Dame sei, mit der ich gespeist hätte.

Die Frau Mama sagte ihrem Manne kein Wort von der Begebenheit, als er zurückkam, denn gewisse Geheimnisse, auch wenn sie unfreiwillig darin verwickelt ist, weiß jede wohlerzogene Frau zu verschweigen. Die kluge Gattin tat ihr mögliches, aus ihrem Gatten einen zärtlichen, galanten – Liebhaber zu machen. Umsonst. Er hatte sich diese Sitte längst abgewöhnt, ließ sein Weibchen in der Verlegenheit, und ihm fiel das Mittel nicht ein, sie durch Liebkosungen davon zu befreien. In dieser Not, und als sie vollends erfuhr, daß ihr nächtlicher Besucher nach allen Regeln in Domfront gerädert worden, blieb ihr nichts übrig, als sich in einem Kloster zu verbergen, um von der Diebestochter auf eine anständige Weise entbunden zu werden. Vorher hatte sie einen pathetischen, erbaulichen Brief an ihren Gatten geschrieben, und nun wurde sie eine Braut der Kirche und suchte Schutz hinter den Riegeln und Gittern, welche nur von solchen Dieben gesprengt werden können, von denen man sich freiwillig bestehlen lassen will. Sie starb ungefähr fünfzehn Jahre später, und da sie Vermögen besaß und keine andere Erbin hatte als ihre Tochter, so fand sich ein gewisser Herr von P..., der eine Art von Hofamt hatte, bei dieser ein, und heiratete sie. –

Das nenne ich einen furchtbaren Beweis zugunsten des Fatums, das alle Dinge auf Erden lenkt und regiert! Gibt es wohl für die Tugend eine schrecklichere Art, verloren zu gehen? Gibt es auf der ganzen Welt einen abscheulicheren, seltsameren Dieb? Und müssen alle Frauen und Mädchen, zu deren Kenntnis diese Geschichte gelangt, sich nicht auf ähnliches gefaßt machen? Haben sie nicht ähnliches zu befürchten, wenn sie mitten in den Hundstagen bei offenem Fenster schlafen?

Diese und noch andere Betrachtungen stellte ich bei mir an, als ich über die Erzählung der Frau Intendantin nachdachte. Tags darauf begab ich mich wieder auf den Weg, ohne dem Herrn Intendanten oder seiner Frau Gemahlin die geringste Beleidigung zugefügt zu haben; gegen Madame wäre es vollends unmöglich gewesen, den gebührenden Respekt aus den Augen zu setzen. Sie schien sich übrigens ganz und gar nicht vor – Dieben zu fürchten, und stand in dem Rufe, daß ihr in der Tat mehr als einer begegnet sei, unter andern ein gewisser Herr von D..., welcher, wie jedermann weiß, eine Rolle beim französischen Hofe gespielt und hernach in einem andern Lande eine vorteilhafte Ehe geschlossen hat. Dieser Herr machte sich kein Gewissen daraus, der Frau Intendantin an einem schönen Morgen brillantene Ohrringe und Armbänder unter dem Vorwande wegzunehmen, daß, wer schön sei, den Schmuck der Edelsteine entbehren könne.

Doch ich will nicht, daß dieses Kapitel am Schlusse in ein Libell ausarte. Ich habe mir selbst versprochen und mir die Pflicht auferlegt, keine lebende Person zu kompromittieren. Aber Anfangsbuchstaben sind keine Namen. Diese Vorsicht genügt meinem Zartgefühl, und indem sie mich mit mir selbst aussöhnt, bin ich zugleich überzeugt, auf diese Art mich auch besser mit meinen Lesern abzufinden, in deren Moralität ich billigerweise keinen Zweifel setzen darf.

*) Mein Oheim war ein rechtlicher Mann, von geradem, schlichtem Verstande, von trefflichem Herzen; nichts weniger als glänzend, aber besonnen und von gesunden Grundsätzen. Er besaß ein ziemliches Vermögen und fand seine Lust daran, es von Jahr zu Jahr zu vermehren. Dessenungeachtet ist er in einem Armenhause gestorben. Man hatte ihn in der Schreckensperiode, aus besonderer Vergünstigung, aus dem Gefängnisse, wo er lange hatte schmachten müssen, dahin gebracht. Sein Sohn, ein vielversprechender junger Mann, wurde auf des Vaters Schloß – in den Tagen der Freiheit – von einem Gendarmen erschossen. Verf.

**) Verfasser der Sylvandre, der Cassandre und Cléopatre, des Pharamond usw. Man fand seine Verse lose, schwach (lâches) und sagte es ihm einmal. „Was!“ rief der Gascogner aus, „in der Familie Calprenede ist nichts lâche (feige)!“ Uebers.

***) Wir geben es hier im Original, damit unsere Leser sich einen Begriff von der Poesie des Verfassers machen können, wovon er selbst an mehreren Stellen dieser Schrift viel zu halten scheint. Uebers.

****) August Heinrich Maria Picot de Dampierre, geboren zu Paris den 17. August 1756, stand unter Dumouriez, wohnte der Schlacht von Jemappes bei, griff die Oesterreicher am l. Mai bei Quivrain an, verteidigte am 8. das Lager von Famars, wo ihm eine Kanonenkugel die Hüfte zerschmetterte, und starb sechs Stunden darauf an der Wunde. Uebers.

5) Ein großer Teil der Franzosen war der Meinung, man wolle Frankreich zerstückeln und sich darin teilen. Uebers.

6) In dem Avocat-Patelin von Brueys verwechselt der Tuchhändler Maître Guillaume in seiner Anklage vor dem Dorfrichter Bartholin beständig son drap et ses moutons, und dieser ruft ihm alle Augenblicke zu: à vos moutons! woraus das bekannte Sprichwort: revenez à vos moutons, auf Deutsch: zur Sache! entstanden ist. Kotzebue, in seinen Kleinstädtern, hat Sache und Sprichwort zugleich aufgenommen und läßt den Bürgermeister Staar wiederholentlich sagen: „Um wieder auf besagten fetten Hammel zu kommen usw.“ Uebers.

7) Im Original steht: un gigot tout entier et incuit. In Polen, wo viel Hammelfleisch gegessen wird, gilt bekanntlich ein Fettkern im dicken Fleische, innerhalb des Gelenkes, für den leckersten, nahrhaftesten Teil und für die größte Delikatesse. In großen Häusern schneiden die Köche aus soviel Keulen, als Gäste sind, dieses Stück aus und bereiten es auf besondere Weise zu. Uebers.

8) „Hören Sie,“ sagte er mir einst, „meine Definition vom Luxus: sie steht hoch über alle bisherigen.“ – Behalten Sie sie für sich, erwiderte ich; für mich ist sie überflüssig. Verf. (Ein unübersetzbares Wortspiel zwischen le luxe est du superflu, und votre définition est du superflu (est superflue). Uebers

9) Roué hat einen doppelten Sinn. Erst den allgemein bekannten: „ein Geräderter“. Dann den unter der Regentschaft eingeführten unübersetzbaren Sinn, den wir nur sehr unvollkommen durch Galgenvogel ausdrücken: „ein Mensch ohne Sitten und Grundsätze, ein Rädernswürdiger“. Uebers.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Memoiren des Grafen von Tilly. Erster Band