Einleitung

Es war im Winter des Jahres 1852, als ich von einem Jagdtrupp von Ottoe–Indianern in der beschneiten Prärie am Sandy–Hill–Creek aus einer mehr als mißlichen Lage erlöst wurde.

Sechs Wochen, von Mitte November bis Anfang Januar, hatte ich an jener Stelle in einem kleinen Lederzelt im beständigen Kampfe gegen die unerbittliche Kälte, die furchtbarsten Schneestürme und die halbverhungerten Wölfe zugebracht und während dieses ganzen Zeitraums, außer zwei feindlich gesinnten Pawnees, kein menschliches Wesen gesehen.


Seit Wochen waren meine Nahrungsmittel auf das zähe Fleisch der Wölfe und einen kleinen Vorrat von Mais beschränkt gewesen, den mir meine beiden von der Kälte getöteten Pferde übriggelassen hatten. Erst durch das Erscheinen von sechs rüstigen Ottoe–Jägern, die mit Weib und Kind und mit Hilfe von einem Dutzend abgehärteter Mustangs ihrem Dorf am Missouri zueilten, wurde neue Lust zum Leben in mir wachgerufen.

Die guten Leute nahmen mich ohne Aussicht auf Belohnung bei sich auf, pflegten mich, erleichterten mir das Reisen durch die winterliche Wüste soviel als möglich. Allmählich bildete sich sogar ein herzliches Verhältnis zwischen meinen Gastfreunden und mir, das darin seinen Höhepunkt erreichte, daß Wakitamone, der Zauberer und Medizinmann und zugleich Führer des Trupps, mir erklärte, eine eheliche Verbindung zwischen seinen beiden ältesten Töchtern und mir würde ein für ihn erfreuliches und schmeichelhaftes Ereignis sein.

Selbstverständlich lehnte ich diese Ehre ab, indem ich vorgab, nicht im Besitz von hinlänglichen Mitteln zu sein, um das übliche Geschenk an Pferden, Decken und Waffen für die beiden niedlichen Mädchen an ihn entrichten zu können, doch erlitt das gute Einvernehmen zwischen uns dadurch keine Störung.

Wakitamone blieb nach wie vor mein guter Freund, seine Töchter pflegten mich mit unveränderter Zuvorkommenheit, und ich wieder legte meine aufrichtige Dankbarkeit dadurch an den Tag, daß ich getreu zu allen hielt, mich in ihre seltsamen Gebräuche fügte und mich sogar an ihren Medizinmahlzeiten, deren Hauptbestandteil gewöhnlich ein geschlachteter Hund war, beteiligte.

Aber auch um meiner selbst willen stellte ich mich mit meinen rothäutigen Gefährten auf gleichen Fuß. Ich wollte soviel, wie nur immer möglich, von ihrer ganzen Lebensweise kennenlernen, und keine Gelegenheit ließ ich vorübergehen, ohne nach dem Grunde dieses oder jenes Verfahrens zu fragen, und in demselben Grade, in dem ich mich mit meinen Gastfreunden immer besser verständigen lernte, wurde es mir auch erleichtert, meine Wißbegierde zu befriedigen.

Unter den Gegenständen, die vorzugsweise meine Neugierde erweckten, stand Wakitamones Medizinkasten obenan.

Dieser Medizinkasten hatte genau die Form und Größe eines Mantelsacks, wie sie von berittenen Reisenden auf den Sattel geschnallt werden, und aus steinhart gegerbtem Büffelleder bestehend wurde er in ähnlicher Weise verschlossen und geöffnet. Dagegen sah ich ihn nie anders als entweder auf Wakitamones Schulter hängen oder vor seinem Zelt gleichsam als Aushängeschild auf einem einfachen Gerüst oder endlich bei bösem Wetter und zur Nachtzeit als Kopfkissen oder Rückenlehne meines Gastfreundes.

Schon am zweiten Tage meines Zusammenseins mit den Ottoes fühlte ich mich hinlänglich heimisch unter ihnen, um mit meinen Forschungen und Erkundigungen zu beginnen. Ich machte damit den Anfang, daß ich zur gelegenen Stunde meine Hand auf Wakitamones Feldapotheke legte und ihn durch Zeichen bat, mir gestatten zu wollen, seine Heilmittel und zu Beschwörungen von Geistern unerläßlichen Amulette einer sorgfältigen Prüfung unterwerfen zu dürfen.

Wakitamone beantwortete mein Ersuch weniger höflich. Er entriß mir nämlich den Zauberranzen mit Heftigkeit und verdeutlichte mir zugleich, daß mein Einblick in sein Heiligtum mich nicht nur unfehlbar das Leben kosten, sondern auch, was noch bei weitem bedauernswerter sei, seinen Amuletten die Zauberkraft rauben würde.

Diese entschiedene Weigerung hatte natürlich meine Wißbegierde noch verdoppelt, doch hütete ich mich wohlweislich, dies merken zu lassen. Ich stellte mich sogar, als habe seine Erklärung mir eine unüberwindliche Scheu vor dem gefährlichen Instrument eingeflößt, und um sein gegen mich erwachtes Mißtrauen vollständig einzuschläfern, würdigte ich den alten Behälter in nächster Zeit gar keines Blickes mehr. –

Sieben oder acht Tage hatten wir uns unterwegs befunden, als Wakitamone sich bewogen fühlte, einen Rasttag zu halten.

Die scharfe Eiskruste, die den Schnee bedeckte und nicht stark genug war, die Last eines Menschen zu tragen, hatte meine Füße durch die weichen wildledernen Mokassins hindurch derartig wund gerieben, daß ich nur noch unter den größten Schmerzen zu wandern vermochte. Der Tag der Rast sollte nun vorzugsweise dazu dienen, mich mit einer festeren, aus Büffelleder hergestellten Fußbekleidung zu versehen. Warukscha, die zweite Tochter des Medizinmannes, beiläufig bemerkt, mein Liebling, hatte es übernommen, mir ein Paar derbere Mokassins anzufertigen. –

Die Männer waren bereits in aller Frühe ausgezogen; die einen, um auf den spärlich bewaldeten Ufern des nahen Baches einem Hirsch nachzustellen; die ändern, um die dort sehr häufig vorkommenden Waschbären aus ihren hohlen Bäumen herauszuräuchern, und wiederum andere hatten die Fährte eines Luchses aufgenommen.

Den Freunden der Jagd entsagte ich an diesem Tage sehr gern; ich lag auf einer zottigen Bisonhaut vor der in der Mitte des Zeltes ausgehöhlten Feuergrube, abwechselnd mit Rauchen, Zeichnen, Schreiben und dem Putzen meiner Waffen beschäftigt, und da alle Frauen und Kinder sich in dem ändern, etwa zwanzig Schritte entfernten Zelte zum Zweck des Maisstampfens und Ausbratens von Bärenfett zu einer heitern Gesellschaft vereinigt hatten, so befand sich außer einem halben Dutzend Hunde nur noch Warukscha bei mir in Wakitamones Wigwam.

Ich hätte also die schönste Gelegenheit gehabt, die geheimnisvolle Feldapotheke zu untersuchen, wenn nicht eben Wakitamone die Vorsicht gebraucht hätte, diese mitzunehmen. Ich glaube indessen, daß er seinen Schatz weniger aus Furcht vor meiner Hinterlist mit sich führte, als weil er von ihm einen günstigen Einfluß auf den Erfolg seines Jagdausfluges erhoffte. –

Gelegentlich zu Warukscha hinblickend, gelangte ich zu dem Resultat, daß sie vielleicht die einzige Person sei, die Geheimnisse der gefährlichen Feldapotheke vor mir aufzudecken.

Schnell hatte ich meinen Plan entworfen, und etwas weiter um das Feuer herumrückend, rief ich die Indianerin beim Namen.

Auf meinen Ruf schleuderte Warukscha durch eine kurze Bewegung ihres Hauptes die ihr bei der Arbeit über die Stirn gesunkenen Haare zurück, und indem sie das ihr ziemlich geläufige englische Wort „Yes“ aussprach, richtete sich ein Paar Augen auf mich, die an Glanz und Feuer gewiß den allerkostbarsten geschliffenen schwarzen Diamant übertrafen.

„Mädchen,“ fuhr ich darauf mit feierlichem Ausdruck fort, „ich für meine Person halte dich für eine Perle unter den Ottoe–Weibern, ich würde dich indessen für noch viel anmutiger und liebenswürdiger halten, wenn du mir behilflich wärst, zum Frommen der Wissenschaft deinen Vater in einer für ihn höchst unschädlichen Angelegenheit zu hintergehen.“

„Yes“, antwortete Warukscha lächelnd. Das arme Kind hatte mich nicht verstanden und spähte mit rührender Einfalt im Zelt umher, um den Gegenstand zu entdecken, nach dem ich vielleicht verlangt haben könne.

Mit Worten war also nichts auszurichten, und ich mußte daher zu ändern Mitteln meine Zuflucht nehmen.

Ohne zu zögern, ergriff ich eine mir zur Hand liegende Decke, und nachdem ich sie unter Warukschas gespannten Blicken in die Form des Medizinkastens zusammengerollt und mit dem entsprechenden Riemenwerk umgeben hatte, hielt ich ihr diese hin.

Einen Augenblick betrachtete Warukscha das Bündel sinnend; dann aber brach sie in ein herzliches Lachen aus, und ihre kleinen schmalen Hände mit lautem Schall zusammenschlagend, gab sie mir zu verstehen, wie sehr sie meine Kunstfertigkeit bewundere.

Nachdem sie erst das Ebenbild von ihres Vaters Zauberranzen erkannt hatte, kostete es keine große Mühe, ihr mit Hilfe der zusammengerollten Decke meine frommen Wünsche begreiflich zu machen.

Mit ängstlicher Aufmerksamkeit war sie allen meinen Bewegungen gefolgt; doch in demselben Grade, in dem ihr meine Wünsche klar wurden, verlor ihr Antlitz den freundlichen, arglosen Ausdruck; und als sie dann endlich gewahrte, wie ich mit ruchloser Hand die Riemen von der Decke löste und vorsichtig in den geöffneten Scheinmedizinranzen hineinschaute, starrte sie sprachlos vor Entsetzen zu mir herüber. Sie schien meine Verwegenheit gar nicht fassen zu können, und unwillkürlich streckte sie mir ihre Hände entgegen, wie um mich an der Ausübung eines so furchtbaren Verbrechens, dem nach ihrer Meinung die Strafe auf dem Fuße nachfolgen mußte, zu verhindern.

Sie hatte mich also vollständig erraten, und nun bedurfte es von meiner Seite nur einiger geringfügigen Zeichen, um ihr zu erklären, daß ich bei meinem gefährlichen Unternehmen ihr die Hauptrolle zugedacht habe.

Meine Zumutung, das Original, nach dem ich das Bündel geformt hatte, auf einige Stunden für mich zu entwenden, traf die arme Warukscha wie ein Wetterschlag; sie zitterte am ganzen Körper und sich schmollend von mir abwendend, begann sie mit großer Emsigkeit an den Mokasins zu nähen, ihre Arbeit mit einer leisen monotonen Melodie begleitend.

„Kero–Kero–Kero–li–la,“ sang Warukscha, und ich, um ihr nichts nachzugeben, kehrte ihr ebenfalls den Rücken zu, worauf ich das Lied von der schönen Lorelei anstimmte. Kaum aber hatte ich zu singen angefangen, so schwieg sie still.

Sie liebte nämlich Melodien zivilisierter Nationen über alles, und keine größere Freude konnte ich ihr bereiten, als wenn ich ihr irgendein deutsches Liedchen vortrug und mit zwei klingenden Stäben auf einem dritten Stück Holz den Takt dazu trommelte.

Da es nun keineswegs in meiner Absicht lag, Warukscha angenehm zu unterhalten, im Gegenteil, ich sie meinen ganzen Zorn wollte fühlen lassen, so schwieg auch ich sogleich wieder und um überhaupt nicht ganz unbeschäftigt zu sein, begann ich mit vielem Bedacht meine Pfeife zu füllen.

Wie gewöhnlich reichte auch dieses Mal das aufmerksame Mädchen mir mit der eigentümlichen Unterwürfigkeit einer indianischen Frau einen Feuerbrand dar.

Ich aber hatte mich mit aller mir zu Gebote stehenden Grausamkeit gewappnet und den Feuerbrand mit Verachtung zurückweisend, suchte ich mir selbst unter der heißen Asche eine geeignete glimmende Kohle hervor.

Traurig begab Warukscha sich wieder an ihre Arbeit, und in den nächsten zehn Minuten herrschte in unserm Wigwam das tiefste Schweigen.

Das Feuer knisterte; in dem von einem galgenartigen einfachen Gerüst niederhängenden Kessel brodelte und schäumte es, und halb auf dem Rücken liegend beobachtete ich die meiner Pfeife entströmenden blauen Wölkchen, wie sie, in mancherlei bizarren Formen emporwirbelnd, sich mit dem Rauch des Feuers und dem Dampf des Kessels vereinigten und mit diesen in der äußersten Spitze des pyramidenförmigen Zeltes durch eine sinnig angebrachte Öffnung das Freie suchten.

Auch auf dem siedenden Inhalte des Kessels hafteten meine Blicke zuweilen und auf den langfingerigen Tatzen von Waschbären, die eine so merkwürdige Ähnlichkeit mit kleinen Händen trugen und gemeinschaftlich mit gelben und roten Maiskörnern von den zischenden Blasen gelegentlich emporgeworfen wurden, um eine Weile mit komischer Beweglichkeit auf der brodelnden Oberfläche zu tanzen, daß es sich ausnahm, als hätten sie noch Leben besessen und sich mit aller Gewalt gegen das ihnen bestimmte Los gesträubt.

Dann spähte ich auch heimlich zu Warukscha hinüber, um aus ihrem Wesen zu erraten, wie lange sie es wohl ertragen würde, mit mir auf gespanntem Fuße zu leben. Die Indianerin seufzte mehrfach tief auf, und die Wildflechsen, mittelst deren sie die festen Lederstücke in Schuhform zusammenfügte, entglitten mehrfach ihren Händen.

„Nahanga!“ rief sie endlich nach einer langen Pause im Flüsterton zu mir herüber.

Nahanga war der Name, den mir meine Ottoe–Freunde beigelegt hatten.

„Nahanga!“ ertönte es zum zweiten Male und etwas lauter.

Ich beachtete den Ruf scheinbar nicht.

„Nahanga!“ rief Warukscha wieder, und als ich auch jetzt noch immer störrisch schwieg, erhob sie sich, und in der nächsten Minute kniete sie an meiner Seite, die zusammengeschnürte Decke in ihren zitternden Händen haltend.

Anfangs erriet ich nicht, was sie bezweckte; sobald sie aber, ihre ängstlichen Blicke auf mich gerichtet, die Decke auseinanderrollte, begriff ich, daß der Wunsch, Frieden mit mir zu schließen, den Sieg über ihre abergläubische Furcht davongetragen habe.

Ich gab ihr daher meine vollste Zufriedenheit zu erkennen, worauf ich ihr durch leicht verständliche Zeichen versprach, ihrem Vater nichts entwenden, sondern nur einen Blick in seine Apotheke werfen zu wollen.

Unser freundschaftliches Verhältnis war somit wiederhergestellt, und wenn die Indianerin meinen Worten vollen Glauben beimaß und mein Versprechen ihre Besorgnisse zum größten Teil verscheuchte, so wußte ich, daß ich nicht minder fest auf ihre Zusage rechnen durfte.

Sechs Tage waren wieder verstrichen, den Missouri hatten wir nach fünf mühevollen Märschen durch Schnee und Eis erreicht und unterhalb der das breite Tal begrenzenden Hügel in einem Dickicht von Weiden und Pappelbäumen unser Lager aufgeschlagen.

Von dort aus brauchte ich nur über den fest zugefrorenen Strom zu wandern, um mich bei einem hart am Ufer angesiedelten Pelztauscher mit einigen Lebensbedürfnissen zu versehen, deren Mangel sich bereits seit langer Zeit sehr fühlbar gemacht hatte.

Wakitamone zeigte sich gnädiger gegen mich denn je. Er hatte mich wohlbehalten an den Missouri gebracht und damit seine Aufgabe gelöst, und zu genau wußte er, daß ich nicht verfehlen würde, ihn für seine geleisteten Dienste auf einem weiter oberhalb gelegenen Handelsposten nach meinen besten Kräften zu belohnen.

Der Morgen war frisch, die Atmosphäre klar; ein scharfer Nordwind fegte erstarrend durch das Tal des Missouri und trieb die losen feinen Eiskristalle auf der spiegelglatten Decke des regungslosen Stromes lustig vor sich her.

Ich stand im Begriff, den auf dem andern Ufer wohnenden Weißen einen Besuch abzustatten und war eben aus dem Dickicht ins Freie getreten, als ich von Warukscha durch ein lautes Zischen in den Schutz der dicht stehenden Weiden zurückgerufen wurde.

Natürlich leistete ich augenblicklich Folge, und meine freudige Überraschung war nicht gering, als die junge Indianerin mich benachrichtigte, daß nunmehr die Zeit zum Handeln gekommen sei. Mit ängstlicher Gebärde forderte sie mich auf, bald nach Einbruch der Dunkelheit in der Nähe von ihres Vaters Wigwam auf weitere Zeichen von ihr zu harren, woran sie die wiederholte Versicherung schloß, daß meine Neugierde befriedigt werden würde.

„O Weiber“, rief ich entzückt aus, indem ich Warukscha zärtlich umarmte und einen Kuß auf ihre Lippen – den einzigen unbemalten Teil ihres sonst gewiß recht anmutigen Gesichtes – drückte, „o Weiber, selbst die indianischen Squaws nicht ausgenommen, wie viele Millionen Jahre muß Mutter Eva im Fegefeuer brennen, wenn sie alle Erbsünden, die sie auf ihre weibliche Nachkommenschaft übertrug, abbüßen soll?“

Warukscha aber, zum Zeichen der Vorsicht den niedlichen Zeigefinger quer über die Lippen legend, schlüpfte gewandt wie ein Wiesel in das Dickicht zurück.

Zur verabredeten Stunde traf ich auf der bezeichneten Stelle mit Warukscha zusammen.

Viel miteinander sprechen konnten wir nicht, unsere beiderseitige Sprachkenntnis reichte dazu nicht aus, doch verstand ich, daß weiter oberhalb, hart an der Mündung des Nebraska, wo die Wigwams der Ottoes gedrängter standen, das glückliche Eintreffen des letzten Jagdtrupps durch einen großen Medizintanz gefeiert und verherrlicht werden solle.

Dann führte sie mich auf einem Umwege an die Rückseite des Zeltes, wo ich durch eine kleine Öffnung in dem straff gespannten Leder das ganze Innere ziemlich genau übersehen konnte.

In dem Zelte befanden sich nur Wakitamone und zwei schlanke, schön gebaute Jünglinge, alle drei sehr emsig damit beschäftigt, ihre nackten Oberkörper, Arme und Gesichter festlich zu bemalen. Die übrigen Bewohner des Zeltes hatten sich bereits dahin begeben, wo ein großer Feuerschein, der einem mächtigen Scheiterhaufen entströmte, Zuschauer wie handelnde Mitglieder von nah und fern zusammenlockte.

Eine halbe Stunde war verstrichen, die Indianerin hatte sich von mir getrennt und war ins Zelt geschlüpft, als ich von meinem Posten aus bemerkte, daß die drei Krieger sich erhoben und die zu dem Tanz notwendigen Waffen und Zierraten auf ihren Körpern befestigten.

Der Medizinranzen schien ebenfalls seine Rolle bei den Festlichkeiten spielen zu sollen, denn Wakitamone hatte ihn neben sein Lager auf die Erde gelegt, offenbar mit der Absicht, ihn ganz zuletzt, wenn er sich in seine Büffelhaut gehüllt haben würde, um seine Schultern zu schlingen.

Vorerst aber nahmen die Krieger die großen Fleischstücke in Empfang, die Warukscha mittelst eines gabelförmigen Stabes aus dem brodelnden Kessel fischte und ihnen zur Stärkung mit auf den Weg gab. Dabei blitzten des Mädchens Augen verstohlen im Kreise herum, als wenn es mit einem kühnen Entschluß umgegangen wäre, und nur auf die geeignete Gelegenheit, ihn auszuführen, lauerte.

Endlich trat sie handelnd auf, und zwar mit einer solchen Gewandtheit und so schlauer Berechnung, daß ich kaum ein verräterisches Lachen zu unterdrücken vermochte.

In demselben Augenblick nämlich, in dem Wakitamone seinen Schatz an sich nehmen wollte, verlor der über dem Feuer hängende Kessel durch eine geschickte Bewegung des Mädchens das Gleichgewicht, so daß ein großer Teil des siedenden Inhaltes herausstürzte und nicht nur Wakitamones Lagerstätte, sondern auch den so heilig gehaltenen Medizinranzen überströmte.

Der Medizinmann sprang unter dem schallenden Gelächter seiner beiden jungen Gefährten zurück; gleich darauf bewegte er sich aber wieder mit derselben Schnelligkeit nach vorn, um sein Heiligtum vor Schaden zu bewahren; allein er kam zu spät. Das steife Leder war durch die siedende Flüssigkeit zum Teil aufgeweicht worden und befand sich in einem Zustande, daß es Stunden des vorsichtigen Trocknens bedurft hätte, um dem Zusammenschrumpfen vorzubeugen.

Wakitamones Schreck über den Unfall war so groß, daß er vergaß, seiner Tochter wegen des von ihr verübten Verbrechens Vorwürfe zu machen.

Bald aber beruhigte er sich, nachdem er die Überzeugung gewonnen hatte, daß von der zerstörenden Flüssigkeit nichts in das Innere des Behälters eingedrungen war. Leicht auch fügte er sich in die Notwendigkeit, ohne die äußeren Embleme eines weisen Zauberers der nächtlichen Festlichkeit beizuwohnen. Wie mir schien, betrachtete er den Vorfall als eine höhere Weisung, die er, anstatt darüber zu hadern, dankbar entgegenzunehmen habe.

Seine beiden jüngeren Gefährten waren unterdessen schon ungeduldig geworden, und gemahnt durch deren Bitten, wie auch durch das wilde Gellen und Heulen, das von dem Ufer des Nebraska bis zu ihm ins Zelt drang, belehrte er nur noch Warukscha, wie sie, ohne den Behälter zu öffnen und ohne Nachteil für dessen Inhalt, mit dem Trocknen zu Werke zu gehen habe, worauf er die Büffelhaut fester um seine Schultern zusammenzog und den beiden vorausgeeilten jungen Leuten schnell folgte.

Kaum befand sich Wakitamone aus der Hörweite, als ich, durch ein Zeichen Warukschas dazu aufgefordert, zu ihr ins Zelt schlich.

Mit vieler Sorgfalt breiteten wir zunächst die nassen Decken des Medizinmanns zum Trocknen vor dem Feuer aus, und nachdem wir einen ausreichenden Vorrat von Holz zur Unterhaltung des Feuers in unsere Nähe gelegt hatten, nahmen wir die alte Feldapotheke zwischen uns, um mit kühner Stirne allen bösen Geistern der indianischen Unterwelt Trotz zu bieten und mit unseren ungeweihten Händen nach Herzenslust zwischen den verborgenen Heiligtümern zu wühlen.

Der Medizinranzen hatte, wie schon erwähnt, die Form und Größe eines Reiterfelleisens. Er wurde durch drei zähe Riemen zusammengehalten, deren jeder einzelne an der niederwärts hängenden Seite eine lange schwarze Skalplocke als Verzierung trug. Die Skalpe waren noch mit dem freilich schon sehr zerstörten Schmuck versehen, den deren ursprüngliche Besitzer einst auf ihrem Wirbel befestigt hatten. Namentlich fiel mir die größte dieser unheimlichen Trophäen auf, in der sich eine Strähne weißer Haare befand. Bei näherer Untersuchung der gedörrten Kopfhaut stellte sich heraus, daß die Haare infolge einer schweren Verwundung, deren Narbe noch deutlich erkennbar, diese Farbe angenommen hatten.

Während ich mich nun mit den alten Siegestrophäen beschäftigte, betrachtete Warukscha die Riemen und Knoten aufmerksam, und erst nachdem sie deren Lage und Verschlingungen ihrem Gedächtnis genau eingeprägt, gestattete sie mir, den merkwürdigen Behälter zu öffnen.

Als ich das Deckelleder zurückschlug, erblickte ich zuerst die getrocknete Haut einer der großen, rautenförmig gezeichneten Klapperschlangen.

Diese lag so, daß sie den übrigen Inhalt verbarg und mir nicht nur ihre achtzehn, bei der leisesten Berührung schnurrenden Klappern, sondern auch den weitgeöffneten, mit mächtigen, indes nur zur Hälfte aus den getrockneten Giftschläuchen hervorragenden Fangzähnen bewaffneten Rachen entgegenstreckte.

Sie mit leichter Mühe entfernend, lagen endlich die zur Beschwörung von Geistern und Heilung von Kranken erforderlichen und unfehlbaren Zaubermittel vor mir.

Mit größtem Interesse betrachtete ich die wunderliche Sammlung eine Weile, ohne sie anzurühren. Warukscha gewann dadurch Zeit, sich die Ordnung, in der sie verpackt waren, zu merken. Dann nahm ich ein Stück nach dem andern in meine profanen Hände.

Manche Gegenstände waren mir fremd, und es gelang mir auch nicht, von der jungen Indianerin Aufschluß darüber zu erhalten; was ich aber erkannte, genügte vollkommen, um mir einen ziemlich klaren Begriff von dem indianischen Medizinalwesen zu verschaffen. Zum Beispiel die auf einen Riemen gestreiften weißen Schnäbel großer schwarzer Spechte, die Füße einer Landschildkröte, Fänge und Schnabel eines Kriegsadlers, mehrere getrocknete Eidechsenleichen, ein in Blut getauchter Lederstreifen, eine Probe von dem berühmten roten Pfeifenkopffelsen, eine alte Quittung über empfangenen Sold vom Jahre 1816, Beutelchen mit Asche und andere, die menschliche Fingerknochen und noch mit blechernen Zierraten geschmückte Ohrzipfel enthielten. Als ich dann aber wieder die Haut einer kleinen Prärieklapperschlange hervorzog und dadurch die unterste Schicht der seltsamen Apotheke bloßlegte, glaubte ich meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als ich eine dicke Rolle vergilbten und engbeschriebenen Papiers entdeckte.

Behutsam nahm ich die Rolle zur Hand, denn auch sie wurde von den Giftzähnen der Klapperschlange und der gefährlichen Copperhead bewacht, deren abgeschnittene Köpfe mittelst eines Streifens Otterfell sinnig an ihr befestigt worden waren. Es ging daraus hervor, daß Wakitamone einen hohen Wert auf „sprechendes Papier“ legte und einen großen Teil seiner Erfolge auf Jagdzügen und Kriegspfaden der Wirkung der Zauberrolle zuschrieb.

Diese bestand aus mehreren hundert Quartblättern, die, obgleich von verschiedener Größe, Güte und Farbe, doch sehr sorgfältig numeriert und nach den Nummern geordnet und zusammengeheftet waren. Augenscheinlich um Raum zu sparen, waren sie sehr eng beschrieben, und nach der bald sehr blassen, bald dunkleren und bräunlich oder bläulich gefärbten Tinte zu schließen, mußte der Schreiber bei der Beschaffung der erforderlichen Materialien mit zahlreichen Hindernissen zu kämpfen gehabt haben. Am meisten überraschte mich indessen, daß der Verfasser, wer er auch immer gewesen sein mochte, sich der deutschen Sprache und deutschen Schrift bedient hatte.

Ich schlug die Blätter auseinander und las bei dem flackernden Licht der Flammen eine mir zuerst in die Augen fallende Stelle. Ich las die erste Seite, die zweite, die dritte und vierte, und vergessen waren der Zauberer und seine Tochter, vergessen meine Umgebung und die Gefahr, die mir drohte, wenn mein Gastfreund zufällig heimgekehrt wäre.

Und je weiter ich las, um so mehr befestigte sich in mir der Entschluß, die Rolle um keinen Preis wieder aus den Händen zu geben.

Warukscha saß neben mir; ich fühlte, daß ihre besorgnisvollen Blicke auf mir hafteten, aber ich las ruhig weiter.

Da trug ein Windstoß den tollen Lärm bei dem Medizinfeuer lauter und deutlicher zu uns herüber. Erschreckt fuhr ich empor, und ebenso erschreckt langte Warukscha nach der geöffneten Rolle.

Erst eine Stunde war seit Wakitamones Aufbruch verstrichen, seine Rückkehr also in nächster Zeit noch nicht zu befürchten. Aber ich mußte auf alle Fälle vorbereitet sein, und die Blätter wieder zusammenrollend und in meine Kugeltasche schiebend, traf ich Anstalt, mit dem Einpacken der umherliegenden Gegenstände zu beginnen.

Doch Warukscha bemerkte nicht sobald meine Absicht, das Manuskript als gute Beute erklären zu wollen, da wurde ihre abergläubische Furcht rege, und mich mit allen Zeichen des Entsetzens umklammernd, suchte sie mir den aufgefundenen Schatz zu entreißen.

Verdrießlich blickte ich umher; zur Gewalt meine Zuflucht zu nehmen, erschien mir undankbar, so wählte ich denn einen Ausweg, der mich zwar einige Blätter des Manuskriptes kostete, dafür aber die der Verzweiflung nahe Indianerin wieder einigermaßen beruhigte.

Ich riß nämlich mehrere weiße Bogen aus meinem von mir unzertrennlichen Skizzenbuch, ferner nahm ich einige uralte Nummern des New–York–Herald, die ich zum Verpacken von präparierten Vogelbälgen bei mir führte, hierzu fügte ich noch ein Stück von meiner sehr schadhaften Weste, und nachdem ich alle diese Gegenstände in eine ähnliche Rolle, wie die entwendete, zusammengedreht hatte, wickelte ich zuletzt die beiden äußersten und am wenigsten leserlichen Blätter des Manuskriptes darum; dabei ging ich so geschickt zu Werke, daß es nicht leicht war, die falsche Rolle von der echten zu unterscheiden.

Das Schürzen der Knoten übernahm Warukscha, die sich zufrieden gab, als sie, noch einmal dicht an die Flammen herantretend, sich überzeugt hatte, daß selbst das schärfste Auge keinen Betrug zu entdecken vermöge. Sie auch hing den Medizinranzen, wie ihr von ihrem Vater geheißen worden war, in angemessener Entfernung von dem Feuer zum Trocknen auf, durch gelegentliches Umdrehen verhütend, daß das feuchte Leder in der Hitze zusammenschrumpfe.

Meiner eigenen Sicherheit wegen, wie auch um Warukscha zu beruhigen, ging ich noch in derselben Nacht über den Missouri zurück.

Damals ahnte ich nicht, welchen Wert die alten Schriften dereinst noch für mich haben würden. Ich war nur froh, mitten in tiefster Wildnis eine Unterhaltung für die langen Winterabende gefunden zu haben.

Später aber, als ich den Inhalt des ganzen Manuskriptes kannte und noch andere, seinen Wert erhöhende Umstände hinzutraten, betrachtete ich es als eine wunderbare Fügung des Geschicks, in den Besitz desselben gekommen zu sein.

Mein an sich harmloser Verrat kam nie ans Tageslicht. Warukscha erhielt zum Lohn für ihre Mühewaltung von mir einen feuerfarbigen wollenen Rock und ein ansehnliches Paketchen Prozellanperlen, während ich ihren Vater mit einem bedeutenden Vorrat von Tabak und Pulver und Blei und mehreren schönen wollenen Decken beschenkte.

Beide waren, als sie mich später bei den Omahos besuchten, munter und guter Dinge, und ich habe allen Grund anzunehmen, daß die alten Zeitungen, das Stück Weste und die leeren Blätter aus meinem Skizzenbuch ihren Zweck als Amulette mindestens ebensogut erfüllen, wie es vorher das Manuskript getan hatte.

Was das Manuskript aber enthielt, das lasse ich hier ohne wesentliche Veränderungen in der Form folgen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Mandanenwaise