Um das Schloss und um die Schlosskirche hat sich aber einst die Kunst sehr rege bemüht. . .

Um das Schloss und um die Schlosskirche hat sich aber einst die Kunst sehr rege bemüht. In den Tagen Friedrichs des Weisen fanden hier schönheitliche Bestrebungen ihre Stätte: Das haben mich wieder die nüchternen Rechnungen gelehrt, jene des Staatsarchives zu Weimar.

Dass es an einem Hofe, wie jenem des Kurfürsten allerlei Maler, Bildhauer und Bauleute gab, ist selbstverständlich. Ihre Namen sind aber meist nur für den Fachgelehrten von Wert: Mancher aber erhebt sich über diese hinaus zu einer allgemeinen Bedeutung. Da ist Meister Kunz, der Steinmetz. Konrad Pflüger, wie er sonst heißt, war der größte Baumeister seiner Zeit in Mitteldeutschland. Er baute die Schiffe der Peters- und Paulskirche zu Görlitz, die Gewölbe der Kreuzkirche in Dresden, war beteiligt an der Nikolaikirche zu Leipzig, der Stadtkirche zu Dresden und dem Dome zu Bautzen und Meißen. Er ist es auch, der unverkennbar in des Kurfürsten Auftrag die Allerheiligenkirche am Wittenberger Schloss errichtete.


Diese Kirche ist von eigener Art: Ein langgestreckter Chor, in dem zwei Emporen ringsum führten. An den Chor legte sich kein Querschiff, kein Langhaus: es war nie ein solcher geplant. Ähnlich die Kapelle des Schlosses Moritzburg in Halle, die Erzbischof Ernst von Magdeburg seit 1484 errichten ließ, der jüngere Bruder des Kurfürsten Friedrich. Für diesen Bau sammelte er und sein Nachfolger Erzbischof Albrecht von Brandenburg die zahlreichen „Heiligtümer“, die die Moritzburg zu einer Sehenswürdigkeit ersten Ranges machten. Die kühnen Anfänge eines den neuen staatlichen Lebensverhältnissen entsprechenden Schlossbaues, mit denen die Brüder Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht am berühmten Meissner Schloss eingesetzt hatten, fanden hier ihre Fortsetzung: Die auf einer starken Beamtenschaft begründete Staatsordnung des sächsischen Fürsten forderte Sesshaftigkeit, Räume für die Versammlungen der Lehns- und Dienstleute, für die Behörden, Räte wie Schreiber. Das Schloss trat an die Stelle der Burg. Und es ist Arnold von Westfalens, des Baumeisters des Meissner Schlosses großes Verdienst, in diesem kunstgeschichtlich so merkwürdigem Bau eine selbständige Form für das deutsche Schloss gesucht und gefunden zu haben.

Sein Schüler war Konrad Pflüger, der für Kurfürst Friedrich das Schloss Wittenberg baute. Dort lebte er 1488. Begonnen wurde das Werk allerdings während er im Dienst der Stadt Görlitz war, 1490. Aber 1496 berief ihn der Kurfürst zurück, 1500 war er in festem Dienst, 1503 baute er an der Allerheiligen-Schlosskirche.

Die Baurechnungen erhielten sich: In den Jahren 1490 bis 1509 wurden rund 11.400 Schock vom Rentmeister ausgezahlt; das wären rund 550.000 Mark unseres Geldes. Heute würde man nicht so billig bauen können.

Aber der Glanz hat nicht lange gedauert: Schon im Jahre 1546, als der Krieg gegen den Kaiser Karl V. und Herzog Moritz sich vorbereitete, brach man an den Türmen des Schlosses wie der Stadtkirche die spätgotischen Helme ab, um Plattformen für Kanonen zu schaffen; gleichen Zweck hatte die Brücke zwischen den Türmen der Stadtkirche zu Wittenberg, sie verbreiterte den Geschützstand für hochgestellte, also weittragende Kanonen, ebenso an anderen Orten: Noch 1760 schoss man auf die Batterien Friedrichs des Großen vom Turm der Dresdener Kreuzkirche. Erst 1558 wurden die zerstörten Helme der Schlosstürme wieder aufgebaut; Melanchthon schrieb die Gedenkschrift, die in ihren Knopf gelegt wurde. Kurfürst August I., der Bruder Moritzens und seit dessen Tode Herr der Stadt, billigte den Wortlaut der Urkunde in hohem Grade, lobte namentlich die Erwähnung Luthers, wollte aber des Verfassers Bescheidenheit nicht gelten lassen, der seiner selbst nicht Erwähnung tat, und befahl daher dem Probst der Schlosskirche, Paul Ebers, die entsprechenden Einschaltungen zu machen. Ja zu Pfingsten desselben Jahres kam der Erbauer des Dresdner Schlosses, Kaspar Voigt von Wierandt, nach Wittenberg, mit dem Auftrag, den Werkleuten anzugeben, wie ohne Gefahr und mit wenig Kosten die beiden Schlosstürme abzutragen und welcher Gestalt sie neu zu bauen seien. Hans Kramer, der Hofsteinmetz, leitete den Bau. Im Jahre 1559 war dieser, namentlich an den Türmen, im vollen Gange, jede Woche fuhren 15 bis 20 Untertanen Schutt und Steine gegen 6 Pfennige Lohn und die Zeche. Der bis 1562 andauernde Bau hat wohl weniger Neues geschaffen als die Wehrfähigkeit der Türme verstärkt. Denn noch liebte man es, solche anzulegen. Jene an der Pleissenburg zu Leipzig und am Schloss zu Nossen sind Beweise dafür. Aber die Österreicher schossen im siebenjährigen Kriege 1760 das Wittenberger Schloss in Brand, das nun an seiner Außenseite die letzten Kunstreste einbüßte und zum ödesten Kasernenstil herabsank; eine zweite Beschießung durch die Verbündeten von 1813 konnte hier kaum noch etwas verderben, sie verwüstete aber leider auch die an die alte Schildmauer sich anlehnenden Bauten.

Und grade diese waren von Alters her der Stolz Wittenbergs gewesen. Der Hof des Schlosses zeigt noch deutlich die Spuren der spätgotischen Anlage, eine unverkennbare Verwandtschaft mit demjenigen zu Meißen: Jene beiden geschickt angelegten Treppentürme in den Ecken, jene eigentümlichen Vorhangbogen an den Fenstern, jene schon geregeltere Durchbildung des Grundrisses weisen darauf hin, dass Kurfürst Friedrich den prächtigen Sitz weiter oben an der Elbe nicht vergessen hatte, den sein Vater bei der Erbteilung hatte verlassen müssen. Auch die Ausschmückung der Treppe mit Bildwerk ist in Meissen ähnlich angeordnet. Aber jenes zu Wittenberg, so beschädigt und verstümmelt es ist, steht ungleich höher: Eine höfische Zierlichkeit, eine spielende Anmut lebt selbst noch in den traurigen Resten; Vorzüge, die den Verlust ihrer Gesamtwirkung erst recht beklagenswert machen.

In den Schlosshof gelangt man durch ein bescheidenes Tor. Ein Posten wandelt vor der im Hof stehenden Wache auf und ab. Sie mag nicht sehr unterhaltend sein, diese Schlosswache, denn sobald ich den Hof betrat, füllten sich ihre kleinen Fenster mit lachenden breiten Soldatengesichtern. Das Erscheinen eines Zivilisten war anscheinend ein überraschendes Ereignis. Der wachhabende Gefreite war gnädig, er gab mir einen Mann zur Besichtigung des Schlosses mit, der jedoch seinerseits, bei sonst bestem Willen, dadurch dem Zivilisten seine Nichtachtung bekundete, dass er nur mit den Händen in den Taschen mit gänzlicher Verleugnung militärischer Höflichkeit mit mir sprach. Nur sich nichts vergeben! ist ein alter Grundsatz kriegerischer Schneidigkeit.

Alle Achtung vor dem preußischen Heer, auch im Frieden! Aber als Erhalter von Kunstschätzen hat es sich bisher nur passive Verdienste erworben. In Wittenberg wie im Schwesterschloss zu Torgau bestehen diese in einer eigenartigen Schutzvorkehrung für die Bauformen; Das Reglement fordert gut geweißte Wände; und so wird denn mit der großen Malerquaste und Kalkmilch seit dreiviertel Jahrhundert über das Erhaltene hingefahren. Während der Anstrich am Lederzeug der Grenadiere abbröckelt, bleibt er an den Mauern der Kasernen hängen. Immer rundlicher und unklarer werden die überstrichenen Formen. Endlich verschwinden sie ganz: Das Ornament erscheint dann irgend einem besonders scharfsichtigen und ordnungsliebenden Hausinspektor als malpropere Unebenheit und wird durch Ausstreichen mit einer Kalkschicht gänzlich beseitigt. Die Bauformen sind dann zwar nicht ganz zerstört, aber sie verschwinden. Zum Glück nicht für immer. Wenn endlich das Kriegsministerium das kunstsinnige Einsehen gewinnt, dass der alte Schlossbau zur Kaserne zu schlecht sei und wenn dann nicht grade ein abreißlustiger Bauinspektor in der Nähe ist — dann ist die Hoffnung vorhanden, dass das Übermalte und Überstrichene wieder zum Vorschein kommt, dann schält sich unter dem kratzenden Eisen der Stein aus der dutzendfachen Verkleisterung wieder heraus. Auch das Wittenberger Schloss liefert vielleicht noch einmal Überraschungen.

Wir stiegen die rechte Treppe hinauf. Wie geistreich sie angelegt ist, wie wohlüberlegt die Treppenstufen bald auswärts, bald einwärts geschwungen wurden, so dass der Austritt zu den beiden Stockwerken bequem und doch die Spirale nicht durch ein Podest unterbrochen ist. Die Form der Wölbung, das ganze System des Baues ist von Meissen entlehnt. Die andere Treppe aber hatte ich bisher gemieden, weil von ihr her ein Krachen wie von Gewehrfeuer herübertönte: Die vom Feldmarsch heimgekehrten Infanteristen klopften ihre Beinkleider mit wahrer Berserkerwut aus — zum Glück für sie, nachdem sie sich andere angezogen hatten. Die staubumflatternde und vom Gedröhn erschütterte Treppe glich architektonisch ihrer Schwester nebenan.

Im Innern des Schlosses erinnert leider nichts mehr an die alte Zeit. Die Stockwerkshöhen selbst sind geändert, die bombensicheren Gewölbe durchweg neu, die Künste völlig aus dem Reiche des Mars verdrängt — abgesehen von dem, was vielleicht noch unter dem Kalk schlummert.

Und da schlummert vielleicht noch etwas: In den Weimarer Archiven fand ich einen Rechnungsposten, der heißt: „14 Schock Albrecht Maler vor der geschnitzten Stube und meines gnädigen Herrn Gemach zu malen. 8 Schock Albrecht Maler auf die Arbeit am Gewölbe und kleinen Emporkirchen getan.“ Diese Beträge wurden 1503 gezahlt. Albrecht Maler! Wer ist das? Ist das Dürer?

Es kamen noch mehr Nachrichten über Dürer aus den Rechnungsbüchern hervor: 1496 erhält „ein Maler von Nürnberg für eine neue Tafel“, d. h. für ein auf Holz gemaltes Bild 100 Gulden. Das aus der Wittenberger Schlosskirche stammende dreiteilige Bild Dürers der das Kind anbetenden Maria in der Dresdner Galerie wurde 1496 in Nürnberg gemalt. Also bezieht sich dieser Rechnungsposten auf den großen Maler. Und bald sollten die Rechnungen Dürers Namen klarer bringen. Im Jahre 1501 bezahlte der Nürnberger Agent des Kurfürsten in Nürnberg dem Barbier für einen Knaben, der sich das Bein gebrochen hatte, einen kleinen Beitrag. Der Knabe hieß, wie wir weiter erfahren, Friedrich. Und 1502 heißt es, der Agent habe 26 Gulden gezahlt „die er Albrecht Dürer auf Schrift meines gnädigsten Herrn gegeben, vom Knaben, den er lernt.“ Ähnliche Posten kommen noch mehrfach vor. Also schon 1501 gab der Kurfürst auf seine Kosten dem damals 30jährigen Maler einen Knaben in die Lehre. Und 1503 kaufte Friedrich nicht nur Bilder bei diesem, sondern hatte ihn selbst nach Wittenberg gezogen. Dürer malte jene Schlosskirche aus, an deren Türe anderthalb Jahrzehnt später Luther seine Thesen schlug. Die beiden größten Männer der Zeit verbindet geistig der Bau Friedrichs des Weisen.

Aber Dürer war nicht der einzige Künstler, der damals in Wittenberg lebte. Er zog auch bald fort, ohne die Verbindung mit dem Kurfürsten aufzugeben. Noch 1513 sendete er an diesen einen Knaben, der dem Kurfürst „etzliche neue in Kupfer gestochene Stücklein bringen und schenken sollte“.

Zunächst galt es die Kirche würdig auszugestalten. Der Kurfürst wetteiferte mit seinem Halleschen Bruder und später mit seinem Nachbar Albrecht von Brandenburg im Bestreben seine Kirche glänzend auszustatten. In Nürnberg lebte der Goldschmied Paul Möller. Dieser hauptsächlich war es, dem die Aufgabe zufiel, für die vom Fürsten angesammelten Reliquien kostbare Behältnisse zu schaffen. Das „Heiltumsbuch“, das Lucas Cranach herausgab, stellt den ganzen Schatz der Allerheiligenkirche dar. Andere Goldschmiede wurden hinzugezogen. Zu Hunderten standen auf den Emporen der Kirche die vielbewunderten Schätze, die am Tage Allerheiligen die Gläubigen zusammenriefen. Es war ein Festtag für die Schaulustigen, diese Stätte künstlerisch verklärter Liebe für Sonderbarkeiten zu besichtigen. Denn der Schaulust mehr als dem Glauben wurde hier gedient durch die wunderliche Menge der heiligen Reliquien, der Knochen und Haare, Gewandstücke und Kreuzesteile, die hier in langen Reihen in kostbare Silberfassungen aufgestellt waren.

Nicht nur die Kirche kam zu Ehren. Ein Meister Hans von Amberg schuf bis 1495 jene „geschnitzte Stube“, von der ein Inventar von 1611 sagt, sie sei ringsum von formiertem Tafelwerk eingefasst gewesen; über den Gesimsen waren Historien, gelb in blau, auf der Decke aber auf Leinwand das Kurwappen umgeben von anderen Wappen gemalt gewesen. Hier also hatte Dürer 1503 gearbeitet, an diesen Malereien hatte er Anteil. Und 1505 arbeitet in einem „Stüblein“ zu Wittenberg „Meister Jakob, der welsche Maler“, der ebenfalls seit 1503 im Kurdienste nachweisbar ist. Es war also ein Italiener neben Dürer beschäftigt und dieser hieß Jakob. Da ist kaum ein Zweifel, dass Jacopo dei Barbari, der Venetianer, neben Dürer den Pinsel führte, dass sie Genossen in der Ausstattung eines Werkes waren. Ungleiche Genossen: Don Jacopo hatte Dürer voraus die hohe Schule der Oberitaliener. Er kannte Mantegna, kannte Bellini, kannte somit die Antike und das frische Naturstudium der Meister von jenseits der Alpen. Dürer musste mit Bewunderung die künstlerische Vollendung in der Schaffensart Jacopos sehen. Aber er war zu groß, überragte zu hoch seinen Lehrer, als dass nicht ein rascher Blick ihm das Handwerkliche von dessen Kunst gelehrt hätte. Indem er ihm folgte, überholte er ihn alsbald, indem er nahm, wurde er zum Gebenden!

„Ein Mann,“ schrieb Dürer später, „Jakobus genannt, von Venedig geboren, wies mir Mann und Weib, die er aus dem Maß (also nach Gesetzen der Proportionen) gemacht hatte und ich in dieser Zeit lieber sehen wollte was seine Meinung wäre, denn ein neues Königreich. Aber ich war in derselben Zeit noch jung und hatte nie von solchen Dingen gehört!“ Aber 1506, als Dürer selbst in Venedig war, schrieb er: „Das Ding das mir vor elf Jahren so wohl gefallen hat, gefällt mir jetzt nicht mehr, und wenn ich’s nicht selbst sähe, so hätte ich’s keinem Andern geglaubt.“ Also seit 1495 bestanden Dürers Beziehungen zu Jacopo. Wo hatten sie sich kennen gelernt: In Venedig, in Nürnberg oder schon damals in Wittenberg?

Und dazu kommt noch ein dritter Künstler von großem Ruf: 1491 traf „Aus Niederland“ ein Maler Meister Hans in Wittenberg ein, der dann bei ansehnlichem Jahresgehalt in Torgau seinen Sitz erhielt. Er begleitete den Kurfürsten 1494 nach den Niederlanden, nach Mecheln und Antwerpen, und wurde gleich darauf mit Wechselbriefen zu einer Reise nach Krakau ausgestattet; von dort zog er nach Venedig.

Wer war das? Die Vermutung führt auf Jan Mabuse, den ersten niederländischen Maler, der mit Absichtlichkeit die heimische Art aufgab und sich in die Schule der Italiener stellte. Später, 1513, war Mabuse gemeinsam mit Jacopo in den Diensten des Grafen Philipp von Burgund. Auch sonst finden sich Spuren der Gemeinsamkeit beider Meister, freilich nicht genug, um mit Sicherheit über das Wesen dieser zu entscheiden. Aber eins geht doch klar hervor: Wittenberg ist nicht kunstgeschichtlich so unbedeutend, als es heute erscheint.

In der Stadt Luthers liegt zu gutem Teil die Entscheidung über einen der wichtigsten Vorgänge des deutschen Kunstlebens. Hier wurden die Anregungen zur Aufnahme italienisch antiker Formen gegeben, nachdem sich schon früher in Meissen die Abwendung von den verfallenden Formen der Gotik vollzogen hatte. Die zwischen Wittenberg und Nürnberg sich spinnenden Fäden zogen eine neue Kunst herbei. Die Stadt der Reformation war auch Pflanzstätte der Renaissance, vielleicht die wichtigste!

Während das Schloss noch Kaserne ist, hat man sich endlich der Schlosskirche erbarmt. Der Ausbau, den sie 1770, nach den Zerstörungen im dreißigjährigen Krieg erhielt, war armselig. Die Kunstschätze schon längst in alle Welt verstreut. Ein Orgelbauer erhielt die Altarflügel als altes Holz und baute sich 1790 einen Schrank daraus, indem er die Flügelbilder als Schranktüren und Wände verwendete. Den Schrank fand ich vor einigen Jahren im Besitz eines sächsischen Pastors, des Nachkommen jenes Orgelbauers. Die Bilder zieren jetzt mein Esszimmer; Arbeiten vielleicht jenes Friedrich, des Schülers Dürers — der sich freilich als wahrer Meister in ihnen nicht bekundet.

An der Kirche erhielten sich die Umfassungsmauern und deren Außenformen unbeschädigt. Hier also hatte die Erneuerung nur für Erhaltung des Alten zu sorgen. Nur jene Tore waren schon verändert worden, an die Luther seine Thesen schlug. König Friedrich Wilhelm IV. hatte Türflügel in Bronze gießen und dieses mit den Thesen Luthers zieren lassen. Denn hier verkündete der Reformator, noch nicht ahnend, welche Aufgabe ihm zufallen würde, nach Brauch der Universität durch Anschlag an das ,,schwarze Brett“, wie man es heute nennen würde, seine Lehrsätze, um sie zur Disputation zu stellen. Diese Tür öffnete der Reformation den Weg durch Europa, über die Erde!

Schlimmer als dem Äußeren der Kirche erging es dem Innern. Feindliche Bomben hatten das Gewölbe wiederholt eingeschlagen, die Emporen niedergebrochen. Zum Glück erhielten sich die Denkmale der Männer der Reformationszeit. Sie fanden wieder ihre Aufstellung. Da ist aus älterer Zeit ein großer Grabstein eines askanischen Fürstenpaares, des Kurfürsten Rudolf III. († 1419) und seiner Gemahlin Anna, aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts, an der die weibliche Figur zu dem Schönsten gehört, was jene Zeit schuf. Ein Kopf voll hoher Würde, Weichheit und Milde und doch von seltener Kraft. Da sind prächtige Bronzewerke aus der Vischerschen Gießhütte zu Nürnberg, die beiden großen Kurfürsten der Reformationszeit darstellend; da ist ein aus derselben Werkstätte stammendes herrliches Relief. Zwei kniende Statuen derselben Fürsten, in Kalkstein (Oolith) ausgeführt, warten noch der kunstgeschichtlichen Bewertung! Sie sind mit einer leichten Stückschicht überzogen und auf dieser farbig behandelt, ähnlich den Holzfiguren des Mittelalters.

Aber diese Schätze sind nur ein Rest dessen, was einst hier sich befand. Viel von ihrem ruhmreichen Besitze hat die Allerheiligen-Kirche verloren, so ihre Dürer, die jetzt in Dresden sich befinden, ihren unermesslichen Schatz an Reliquien, die in kostbare Geräte gefasst waren. Nur aus einem alten Buche, das sich im Archiv zu Weimar findet und aus jenen Nachbildungen, die Cranach im Holzschnitte herausgab, eine Art Führer durch das Museum von Reliquien und Antiquitäten, sehen wir, welche Menge edel geformter Geräte, Bildwerke u. s. w. in Silber und Gold die Gewissensangst der sächsischen Fürsten zusammentrug, ehe der Erlöser vom Übel des Heiligenkults kam, ehe der Lehrer auftrat, der die nach Seelenruhe Suchenden auf die vernachlässigten Schätze im tiefsten Innern ihrer Seelen hinwies.

Der Zustand der Schlosskirche erschien im 19. Jahrhundert als ein Vorwurf für die Anhänger der Lutherschen Lehre. Man sehnte sich nach erneuter Ausgestaltung des Baues. Kaiser Wilhelm I. und Kronprinz Friedrich Wilhelm nahmen sich der Sache an. Seit 1885 begann unter Friedrich Adlers Leitung der Ausbau; am 31. Okt. 1892 fand die Neuweihe der Kirche in Gegenwart des Kaisers Wilhelm II. und zahlreicher evangelischer deutscher Fürsten statt.

Der Umbau ging bei der Einrichtung der Innenarchitektur von dem Grundsatze aus, das Alte, früher Vorhandene wieder zur Erscheinung zu bringen. Es ist dies ein Grundsatz der Selbstbeschränkung, der dem schaffenden Künstler einzunehmen schwer sein mag. Denn hier gilt es nicht, das eigene Empfinden zur Geltung zu bringen, den eigenen Geschmack und die eigenen Kunstüberzeugungen, sondern sich dem Vorhandenen unterzuordnen. Jede Einzelheit soll nach Vorbildern gleichzeitiger Bauten geschaffen, die ganze Anlage auf den ursprünglichen Stand zurückgeführt werden, soweit dieser noch erkennbar ist.

Ob das Ziel erreicht wurde, ob der prunkvolle Bau wirklich dem entspricht, was man von einer der Mutterkirchen des Protestantismus fordern darf? Ich bin seither öfter in Wittenberg gewesen und habe seine Kirchen besucht! Mich zieht es nicht in die wappenblitzende, formenprächtige Kirche. Da weht mir zu sehr jener Geist, den die Reformation beseitigen wollte: Man hat den Bau wieder hergestellt, den Kurfürst Friedrich der Weise errichtete, den Bau, der in der Zeit vor der Reformation entstand, den Bau, dem die Thesen angeheftet wurden, als Ruf zum Kampf gegen die Werkheiligkeit der Kirche, gegen das unmäßige Schaffen und Sorgen um die Dinge dieser Welt.

Luther aber, seit er Herr der Geister in Wittenberg geworden war, zog hinüber in die schlichte Stadtkirche.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Lutherstadt Wittenberg