Die Liebesbriefe der portugiesischen Nonne
Autor: Blei, Franz (1871-1942) österreichischer Schriftsteller, Übersetzer und Literaturkritiker, Erscheinungsjahr: 1909
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Liebesbriefe, Nimmerwiedersehen, Leidenschaft, Reiterabenteuer, Franz Blei
Im Januar 1669 erschien bei Barbin, dem führenden Pariser Verleger, ein kleines Buch, das nichts sonst als fünf unsignierte und nicht adressierte Briefe enthielt — ein kurzes Vorwort teilt nur mit, daß sie aus dem Portugiesischen übersetzt und an einen französischen Edelmann gerichtet seien, der in portugiesischen Diensten gestanden habe; aus den Briefen ersah man nichts sonst als daß ihre Schreiberin eine Nonne war. Von dem Aufsehen, das der kleine Duodezband machte, zeugen nicht nur die zahlreichen Neu- und Nachdrucke, die rasch folgten, sondern auch die Imitationen, die „Neue Briefe“ brachten und „Antworten“ und „Neue Antworten“ bis in das späte 18. Jahrhundert hinein. Dieses Erfolges Grund war — man möge an dem Wort nicht Anstoß nehmen — die Modernität des Buches. Ja: die Briefe waren das erste moderne Buch in diesem Wortverstande, daß es ohne Rhetorik und ohne literarische Ambition in keiner andern Sprache als der der unverstellten Leidenschaft und mit der heftigen Unmittelbarkeit der schmerzergriffenen Seele den Zustand eines Weibes aufzeichnet, das im selben Augenblicke alles gewonnen und alles verloren hatte. Mancher kennt, aber niemand liest wohl mehr die große Epistelliteratur, die vornehmlich im Frankreich des 17. Jahrhunderts blühte und die, eine Folge des Humanismus, selbst dort, wo sie von Liebesgefühlen zu handeln meint, diese nur in schönen gelehrten Zitaten zu geben vermag, wie das Fräulein von Scudery, die im Corneille blättert, um darin nach treffenden Ausdrücken für ihren Schmerz zu suchen. Die „Lettres Portugaises“ machten dem Musterbrief ein Ende. Die Sprache des eigenen Herzens redete hier zum erstenmal ohne Schmuck, direkt, einfach, unverhüllt, echt, und die Zeit war reif für dieses Ereignis, das sie rasch erwarb, untilgbar und bedeutsam für die Folge bis auf uns.
Dass diese Briefe an den jungen Marquis von Chamilly, den späteren Marschall von Frankreich und Helden in vielen Schlachten gerichtet waren, das wusste schon Saint-Simon; daß die Nonne Mariana Alcoforado im Kloster von Beja sie geschrieben hat, dies erfuhr man erst 1810 durch einen Zufall: Boissonade entdeckte in einem Exemplar der ersten Ausgabe diese Feststellung von einer gleichzeitigen Hand. Späteren Bemühungen gelang dann die Rekonstruktion der Vorgänge, soweit sie den Helden betreffen. Danach focht der sechsundzwanzigjährige Chamilly 1664 als Befehlshaber eines Dragonerregiments auf portugiesischer Seite gegen Spanien und zeichnete sich in den Schlachten, die Portugal die Unabhängigkeit gaben, vielfach aus. Mit dem Fall des Kastells Ferreira, dessen Belagerung der Marquis leitete, war der Krieg faktisch zu Ende, und auf dem Wege nach Lissabon kam der junge Sieger durch das nahe Beja. Im Schritt ging sein Pferd durch das jubelnde Volk, das die Straßen füllte; Rosen und Fächer flogen von den Fenstern wie auf einen Toreador. Er schaute auf: da beugte sich über das Balkongitter des Klosters Maria Concepcion eine Nonne, und zwei Augen zwangen den Reiter, daß er vom Pferde mußte und bleiben — „ich habe Sie nur vorüberreiten sehen und darüber die Ruhe meines Lebens verloren,“ — Für den tapferen Chamilly war diese Liebe ein kurzes Reiterabenteuer zwischen zwei Schlachten; er hält sich bei einer Frau nur so lange auf wie bei einer belagerten Festung: bis zur Kapitulation. Schicksale kümmern ihn nicht. Der Nonne von Beja aber war aus dieser Liebe alles Glück und aller Schmerz auf einmal süß und bitter erblüht. Alles versucht sie, den Treulosen zu halten, und alles versucht sie umsonst. Und so groß ist ihr Schmerz, daß ihre sonst heftige Mutter weich und gütig zu ihr wird und die Schwestern des Klosters voll Mitleid — „Alle rührt meine Liebe, nur Sie allein bleiben gleichgültig und schreiben mir so kalte Briefe, in denen Sie gedankenlos immer dasselbe sagen; und die halbe Seite lassen Sie leer, daß ich nur ja sehe, wie schnell Sie mit dem lästigen Schreiben fertig sein wollen.“ Im Innersten hoffnungslos, will sie sich täuschen: „Können Sie denn jemals glücklich sein mit einer Liebe weniger heftig als meiner? Sie werden anderswo vielleicht schönere Frauen finden (obwohl Sie mir immer sagten, wie schön ich sei), aber Sie werden niemals wieder so viel Liebe finden, und alles andere ist ja doch nichts.
Schreiben Sie mir aber doch nicht so gleichgültige Dinge, und machen Sie sich nicht die Mühe, mich daran zu erinnern, an Sie zu denken. Ich kann Sie ja nicht vergessen und kann auch nicht vergessen, daß Sie mich hoffen ließen, Sie würden für eine Weile wieder zu mir zurückkommen,“ Dann in dem dritten Brief: „Ich bring es nicht fertig, mich zu dem Wunsch zu überreden, Sie möchten nicht länger mehr an mich denken, nein, ich bin wütend eifersüchtig auf alles, was Sie glücklich machen kann, was Ihr Herz und Ihre Sinne rühren kann. Ich weiß nicht, weshalb ich Ihnen schreibe. Ich sehe ganz gut, daß Sie nur Mitleid mit mir haben, und ich mache mir nichts aus Ihrem Mitleid, Ich bin wütend auf mich, wenn ich daran denke, was ich Ihnen alles geopfert habe, und was mir den Zorn meiner Verwandten einbrachte, die schweren Strafen meines Ordens, und das schlimmste von allem: Ihre Undankbarkeit. Und doch weiß ich bei alldem nur zu gut, daß mein wirkliches Gefühl ein anderes ist und dass ich für Ihre Liebe noch weit Schlimmeres als all das ertrüge.“ — Es kam sehr bald der Tag, da Schwester Marianne auch auf die kurzen, gleichgültigen Briefe des Marquis vergeblich wartete. Noch ein letztes Mal schreit sie auf, dann zieht sie den Schleier dichter um ihr Haupt und geht in die graue Einsamkeit ihres Klosters zurück, fremd allen Festen und Gästen, während der junge Marschall in Paris, wenn vom Handwerk genug geredet ist, die Briefe seiner kleinen portugiesischen Nonne aus dem Portefeuille holt, den Kameraden lachend zu zeigen, daß ihm nicht nur Bellona hold, sondern auch Venus gnädig war, und daß der Spruch Pilosus aut fortis aut libidinosus doch keine ausnahmslose Regel sei. Und um denen, die dem Portugiesisch nicht trauten die Zweifel zu nehmen, betraute er den witzigen Gascogner Pierre Girardin de Guilleragues damit, die Briefe in ein vorzügliches Französisch zu übersetzen und bei Barbin in der Rue de l'Abbesse drucken zu lassen. Dies vertrug sich damals mit der Galanterie. Rousseau war der erste, der meinte, die Briefe der Nonne hätte ein Mann geschrieben, und er wandte viel Scharfsinn darauf, dies zu beweisen, Wäre das so, dann müsste man in dem Autor einen ganz außerordentlichen Künstler bewundern und bedauern, sonst nichts von ihm zu wissen. Aber es spricht mehr und alles fast dafür, daß es der Zufall eines Erlebens und eines weiblichen Erlebens war, der diese Briefe in die Welt brachte, und nicht künstlerische Absicht. Rousseaus eigene sehr feminine Natur konnte sich wohl in ein solches Unternehmen hineindenken. Schwester Marianne weiß, daß ihr Brief zu lang ist — sie kann ihn nicht schließen, ihre Erregung findet das Ende nicht, nur einen Schluss; einer wartet, der den Brief überbringen soll, aber der Brief ist ihr wie Gegenwart des Geliebten, sie kann sich nicht trennen. Sie weiß, alle ihre Klage vermag nichts und kaum einen Trost, aber sie kann nichts darüber, es ist stärker als sie. Nichts sonst ist in den Briefen als ihre Liebe, ohne Hintergrund, Ort, Zeit und anderes Geschehen, nur ihre Leidenschaft schreit immer dasselbe — „aufregend wie das Schreien eines ungesehenen Menschen in der dunklen Nacht auf einen fällt, der ohnmächtig zu helfen am Fenster steht und horcht.“ In einem Brief schreibt die Nonne: „Wie beneide ich Emanuele und Francisco! Warum bin ich nicht wie sie immer bei Dir!“ Die beiden mögen wohl Diener gewesen sein, von Mariana erfahren wir nichts als diese beiden Namen — ein Erfinder dieser Briefe hätte die Namen nicht so ohne Bezug in dem Ganzen gelassen. Auch Stil und andere Art der Nachahmungen und Fortsetzungen, die die fünf Briefe von 1669 fanden, spricht für ihre Echtheit, wie die subtilsten Gründe noch, daß die Nonne von Beja sie geschrieben hat, daß sie aus dem Granatgarten ihres Klosters den Guadiana hinabsah, auf dem ihr Geliebter davongefahren war, auf Bald zurück, wie er lächelnd sagte, auf Nimmerwiedersehen, wie er aufatmend dachte.
Dass diese Briefe an den jungen Marquis von Chamilly, den späteren Marschall von Frankreich und Helden in vielen Schlachten gerichtet waren, das wusste schon Saint-Simon; daß die Nonne Mariana Alcoforado im Kloster von Beja sie geschrieben hat, dies erfuhr man erst 1810 durch einen Zufall: Boissonade entdeckte in einem Exemplar der ersten Ausgabe diese Feststellung von einer gleichzeitigen Hand. Späteren Bemühungen gelang dann die Rekonstruktion der Vorgänge, soweit sie den Helden betreffen. Danach focht der sechsundzwanzigjährige Chamilly 1664 als Befehlshaber eines Dragonerregiments auf portugiesischer Seite gegen Spanien und zeichnete sich in den Schlachten, die Portugal die Unabhängigkeit gaben, vielfach aus. Mit dem Fall des Kastells Ferreira, dessen Belagerung der Marquis leitete, war der Krieg faktisch zu Ende, und auf dem Wege nach Lissabon kam der junge Sieger durch das nahe Beja. Im Schritt ging sein Pferd durch das jubelnde Volk, das die Straßen füllte; Rosen und Fächer flogen von den Fenstern wie auf einen Toreador. Er schaute auf: da beugte sich über das Balkongitter des Klosters Maria Concepcion eine Nonne, und zwei Augen zwangen den Reiter, daß er vom Pferde mußte und bleiben — „ich habe Sie nur vorüberreiten sehen und darüber die Ruhe meines Lebens verloren,“ — Für den tapferen Chamilly war diese Liebe ein kurzes Reiterabenteuer zwischen zwei Schlachten; er hält sich bei einer Frau nur so lange auf wie bei einer belagerten Festung: bis zur Kapitulation. Schicksale kümmern ihn nicht. Der Nonne von Beja aber war aus dieser Liebe alles Glück und aller Schmerz auf einmal süß und bitter erblüht. Alles versucht sie, den Treulosen zu halten, und alles versucht sie umsonst. Und so groß ist ihr Schmerz, daß ihre sonst heftige Mutter weich und gütig zu ihr wird und die Schwestern des Klosters voll Mitleid — „Alle rührt meine Liebe, nur Sie allein bleiben gleichgültig und schreiben mir so kalte Briefe, in denen Sie gedankenlos immer dasselbe sagen; und die halbe Seite lassen Sie leer, daß ich nur ja sehe, wie schnell Sie mit dem lästigen Schreiben fertig sein wollen.“ Im Innersten hoffnungslos, will sie sich täuschen: „Können Sie denn jemals glücklich sein mit einer Liebe weniger heftig als meiner? Sie werden anderswo vielleicht schönere Frauen finden (obwohl Sie mir immer sagten, wie schön ich sei), aber Sie werden niemals wieder so viel Liebe finden, und alles andere ist ja doch nichts.
Schreiben Sie mir aber doch nicht so gleichgültige Dinge, und machen Sie sich nicht die Mühe, mich daran zu erinnern, an Sie zu denken. Ich kann Sie ja nicht vergessen und kann auch nicht vergessen, daß Sie mich hoffen ließen, Sie würden für eine Weile wieder zu mir zurückkommen,“ Dann in dem dritten Brief: „Ich bring es nicht fertig, mich zu dem Wunsch zu überreden, Sie möchten nicht länger mehr an mich denken, nein, ich bin wütend eifersüchtig auf alles, was Sie glücklich machen kann, was Ihr Herz und Ihre Sinne rühren kann. Ich weiß nicht, weshalb ich Ihnen schreibe. Ich sehe ganz gut, daß Sie nur Mitleid mit mir haben, und ich mache mir nichts aus Ihrem Mitleid, Ich bin wütend auf mich, wenn ich daran denke, was ich Ihnen alles geopfert habe, und was mir den Zorn meiner Verwandten einbrachte, die schweren Strafen meines Ordens, und das schlimmste von allem: Ihre Undankbarkeit. Und doch weiß ich bei alldem nur zu gut, daß mein wirkliches Gefühl ein anderes ist und dass ich für Ihre Liebe noch weit Schlimmeres als all das ertrüge.“ — Es kam sehr bald der Tag, da Schwester Marianne auch auf die kurzen, gleichgültigen Briefe des Marquis vergeblich wartete. Noch ein letztes Mal schreit sie auf, dann zieht sie den Schleier dichter um ihr Haupt und geht in die graue Einsamkeit ihres Klosters zurück, fremd allen Festen und Gästen, während der junge Marschall in Paris, wenn vom Handwerk genug geredet ist, die Briefe seiner kleinen portugiesischen Nonne aus dem Portefeuille holt, den Kameraden lachend zu zeigen, daß ihm nicht nur Bellona hold, sondern auch Venus gnädig war, und daß der Spruch Pilosus aut fortis aut libidinosus doch keine ausnahmslose Regel sei. Und um denen, die dem Portugiesisch nicht trauten die Zweifel zu nehmen, betraute er den witzigen Gascogner Pierre Girardin de Guilleragues damit, die Briefe in ein vorzügliches Französisch zu übersetzen und bei Barbin in der Rue de l'Abbesse drucken zu lassen. Dies vertrug sich damals mit der Galanterie. Rousseau war der erste, der meinte, die Briefe der Nonne hätte ein Mann geschrieben, und er wandte viel Scharfsinn darauf, dies zu beweisen, Wäre das so, dann müsste man in dem Autor einen ganz außerordentlichen Künstler bewundern und bedauern, sonst nichts von ihm zu wissen. Aber es spricht mehr und alles fast dafür, daß es der Zufall eines Erlebens und eines weiblichen Erlebens war, der diese Briefe in die Welt brachte, und nicht künstlerische Absicht. Rousseaus eigene sehr feminine Natur konnte sich wohl in ein solches Unternehmen hineindenken. Schwester Marianne weiß, daß ihr Brief zu lang ist — sie kann ihn nicht schließen, ihre Erregung findet das Ende nicht, nur einen Schluss; einer wartet, der den Brief überbringen soll, aber der Brief ist ihr wie Gegenwart des Geliebten, sie kann sich nicht trennen. Sie weiß, alle ihre Klage vermag nichts und kaum einen Trost, aber sie kann nichts darüber, es ist stärker als sie. Nichts sonst ist in den Briefen als ihre Liebe, ohne Hintergrund, Ort, Zeit und anderes Geschehen, nur ihre Leidenschaft schreit immer dasselbe — „aufregend wie das Schreien eines ungesehenen Menschen in der dunklen Nacht auf einen fällt, der ohnmächtig zu helfen am Fenster steht und horcht.“ In einem Brief schreibt die Nonne: „Wie beneide ich Emanuele und Francisco! Warum bin ich nicht wie sie immer bei Dir!“ Die beiden mögen wohl Diener gewesen sein, von Mariana erfahren wir nichts als diese beiden Namen — ein Erfinder dieser Briefe hätte die Namen nicht so ohne Bezug in dem Ganzen gelassen. Auch Stil und andere Art der Nachahmungen und Fortsetzungen, die die fünf Briefe von 1669 fanden, spricht für ihre Echtheit, wie die subtilsten Gründe noch, daß die Nonne von Beja sie geschrieben hat, daß sie aus dem Granatgarten ihres Klosters den Guadiana hinabsah, auf dem ihr Geliebter davongefahren war, auf Bald zurück, wie er lächelnd sagte, auf Nimmerwiedersehen, wie er aufatmend dachte.