Prinz Louis Rohan an Delphine. Straßburg, den 21. Februar 1775.

Schönste Frau Meine Umgebung schließt aus meiner üblen Laune bereits auf die schwersten politischen Komplikationen. Sie ist so deutsch, so grenzenlos deutsch, daß sie die Größe meines Schmerzes, eine Einladung zu Ihnen ablehnen zu müssen, ebensowenig versteht, wie sie von der Größe der Wirkung eine Ahnung haben kann, die Ihr Erscheinen in Straßburg auf mich ausüben mußte. Seit Eröffnung des Hotels Montjoie verwandelt sich der Ort der Verbannung in eine Insel der Seligen.

Mein Pariser Kurier hat die kleinen Pasteten, die ich Ihnen für das Souper versprochen hatte, mitgebracht. Der Neid auf Ihre glücklichen Gäste könnte mich fast verführen, sie vergiften zu lassen Was er sonst mitbrachte – Briefe und Journale – ist kaum der Rede wert. Hier haben Sie im Zeitungsstil unserer jüngsten Literatur ein Ragout von Allem. Ihr Geist wird verstehen, es Ihren Gästen als das Neueste aus Paris geschmackvoll vorzusetzen:


Aus den Zeichen am Himmel Frankreichs verkünden unsere weisen Sterndeuter das Nahen starker Gewitter. So hat die kleine Lucy vom Vaudeville jüngst in der Komödie zwei Verse bedeutungsvoll betont: „Il est des sages de vingt ans et des étourdis de soixante“ und ist wegen Majestätsbeleidigung auf zwölf Tage eingesperrt worden. Ich überlasse es Ihrem Scharfsinn, zu enträtseln, ob es der tote oder der lebendige König war, den sie beleidigte.

Sodann ist in Voltaires neuester Tragödie der Satz: „sous les débris du trône écrasent les sujets“ wütend applaudiert worden, wobei das Parterre an den Trümmern des Throns, die Logen an den niedergeworfenen Untertanen ihren Enthusiasmus entzündeten.

Ferner hat Herr von Malesherbes seinen feierlichen Einzug in die Akademie gehalten, „Herr von Malesherbes“ so schreibt mein Korrespondent, „der das Erscheinen der Encyklopädie ermöglichte“. Er begleitet diesen Satz mit drei schreckhaften Ausrufungszeichen; er ist nämlich noch nicht alt genug, um wissen zu können, daß nur Tote unter die „Unsterblichen“ gehen.

Und schließlich hat der Marquis Mirabeau sich der Öffentlichkeit als Plato eines neuen Sokrates vorgestellt, indem er einen gewissen Dr. Quesnay, der jüngst das Zeitliche segnete, als den Erlöser von allen Übeln, an denen wir kranken, pries. Das ist meines Erachtens das einzige Ereignis, das einen Augenblick lang nachdenklich stimmen könnte. Nicht wegen des Herrn Quesnay, der den gloriosen Gedanken, den Degen mit der Mistgabel, den Fächer mit dem Milchkübel zu vertauschen, im Boudoir der Marquise Pompadour konzipierte und nun der Heilige der Ökonomisten geworden ist, von dessen Wundertaten sie die Rückkehr zur Natur erwarten, sondern wegen der Persönlichkeit seines Propheten. Schiffbrüchige Aristokraten, die sich mit Volksbeglückung befassen, sind gefährlich, denn das aufreizende Gift der Unzufriedenheit brennt denen, die Alles verloren haben, stärker im Blut als armen Hungerleidern, die nichts besaßen und sich mit einem Stück Brot den schon zum Schreien aufgerissenen Mund wieder stopfen lassen.

Im übrigen, schönste Frau, seien Sie gewiß: Sie würden in Paris so sicher tanzen können, wie in Straßburg, denn die einzige Revolution, die wirklich die Gemüter erhitzt, spielt sich nicht auf der Straße, sondern in der Oper ab, wo die Piccinisten mit den Gluckisten in wütendem Kampfe stehen; selbst dem Frieden der Familien droht Zerstörung, wenn der eine Teil für die Melodien des Italieners, der andere für die Trommeln und Trompeten des Deutschen schwärmt.

Ich werde mir gestatten, mich nach Ihrem Fest persönlich um Ihr Befinden zu erkundigen und hoffe, mir dadurch für die verlorenen Stunden in Ihrer Nähe reichlichen Ersatz zu schaffen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Liebesbriefe der Marquise. Teil 1