Marquis Montjoie an Delphine. Paris, am 8. Mai 1774.

Meine Liebe, die Nachricht vom Tode des Königs wird meinem Briefe vorangegangen sein. Als ich am Donnerstag früh in Versailles eintraf, war die Aufregung bereits eine allgemeine. Sowohl die Partei Dubarry mit dem Herzog von Aiguillon an der Spitze, hatte sich versammelt, als die Partei Choiseul, die mit der zur höchsten Empörung des Königs aus dem Exil zurückberufenen Herzogin von Gramont bei der Dauphine zusammentraf. Ein Uneingeweihter hätte aus der unverhohlenen Angst in den Zügen der Einen, dem nicht mehr zu unterdrückenden Triumphgefühl in denen der Anderen, auf den Stand der Dinge schließen können. Gegen Abend wurde der König aus Trianon, wohin die alles vermögende Favorite ihn entführt hatte, um ihn womöglich bis zuletzt in ihrer Gewalt zu behalten, zurückgeführt. Der Eindruck dieser Heimkehr mußte auch einen kühlen Beobachter erschüttern: es regnete in Strömen, als die goldüberladenen Karossen des Königs sich langsam wie ein Leichenzug durch den Schlamm der Straße, dem Schlosse entgegen bewegten. Die Federbüsche der Pferde hingen schwer vom Wasser an ihren Köpfen hernieder. Man hob den König aus den Kissen; sein Kopf sank vorn über, der Schweiß perlte auf seiner wachsgelben Stirn, zwischen den aufeinandergepreßten Lippen drangen hie und da gurgelnde Laute hervor, als er an seinem Hofstaat vorübergetragen wurde. Sobald er auf sein Lager gebettet war, beschwor er seine Umgebung ängstlich, ihm den Stand seiner Krankheit mitzuteilen. Wenn er auch von seinem Heldenmut viel zu reden pflegt, so fürchtete er sich doch von jeher vor nichts so sehr, als sterben zu müssen, und umgab sich auf Schritt mit einer offenen und geheimen Schutzgarde, ohne daran zu denken, daß der Tod sich von ihr nicht würde zurückhalten lassen.

Im Verlaufe der nächsten Tage wurde der König zweimal zur Ader gelassen. Als die Ärzte von der Möglichkeit eines dritten Males sprachen, wurde ihm und seiner Umgebung der Ernst der Lage erst völlig klar. Die Herzöge von Richelieu und von Aumont traten den Ärzten in meiner Gegenwart mit geballten Fäusten entgegen, um die Operation zu verhindern, und da diese ihre Stellung bedroht sahen, gaben sie nach. Am Sonnabend den 30. April bedeckte sich plötzlich der Körper des Königs mit demselben Ausschlag, unter dem er schon in seiner Jugend gelitten hatte. Die Ärzte bezeichneten ihn auch jetzt offiziell als Blattern. Während der König in einen Zustand von Apathie verfiel, gelang es der Partei Choiseul, den Zutritt von Mesdames Adelaide, Sophie und Victoire zu ihrem königlichen Vater zu erzwingen. Der Erzbischof hielt sich erwartungsvoll im Vorzimmer auf; man rechnete bestimmt darauf, durch seinen Einfluß die Ausweisung der Dubarry und ihres Anhangs durchzusetzen. Aber sobald der Kranke zu sich kam, wies er seine Töchter hinaus und verlangte heftig nach der Gräfin. Die Prinzessinnen hätten übrigens die pestilenzialische Atmosphäre im Zimmer des Königs nicht länger ertragen können, während die Gräfin ohne schwindelig zu werden, in seiner nächsten Nähe aushielt.


Kein Wunder, wenn man selbst aus der Gosse stammt.

Wie erzählt wird, soll sie die Kühnheit gehabt haben, ein Diamantenhalsband von märchenhaftem Wert, das der Juwelier Boehmer ihr zum Kauf an geboten hatte, dem sterbenden König vorzulegen und zum Geschenk zu erbitten. Er verstand kaum noch etwas davon, aber er zog das Schmuckstück immer wieder durch seine fieberheißen, von Schwären bedeckten Hände, die die kalten Steine wohltätig kühlten.

Durch Scherze und Zärtlichkeiten suchte die Gräfin den Lebensglauben des Sterbenden aufs neue anzufachen, worin der Herzog von Richelieu sie insofern unterstützte, als er den Erzbischof, der nicht von der Stelle weichen wollte, um dem König rechtzeitig die Beichte abzunehmen, fern zu halten vermochte.

„Wenn es Ihnen, Monseigneur, durchaus nach großen Sünden gelüstet,“ sagte der alte Roué mit seinem ganzen Zynismus, „so nehmen Sie die meinen dafür. Ich garantiere Ihnen, Sie haben in den zwanzig Jahren Ihres Pariser Erzbistums nichts Ähnliches gehört.“

Der Kampf der Parteien um den sterbenden König wurde schließlich so heftig, daß sein Lärm bis in sein Zimmer drang. Vergebens bemühte ich mich, Ruhe zu stiften, denn so feindlich ich auch der Partei Dubarry gegenüberstehe, der König ist immerhin des großen Ludwig Nachfolger gewesen, und verdient als ein Sterbender zum mindesten den stillen Respekt, der allen gewährt wird, die dem ewigen Richter nahen. Erst von dem schon halb Besinnungslosen erreichten die Priester die Entfernung der Gräfin.

Wenige Stunden nach dem Tode des Königs kam ich nach Paris. Überall begegnete ich jubelnden Volksmassen und das „Es lebe Ludwig XVI.“ klang in allen Gassen wieder. So antipathisch mir sonst jeder öffentliche Auflauf ist, in diesem Falle fühlte ich mich durch die Gesinnung mit dem Pöbel eins.

Die erschütternden Ereignisse, die die Geschicke Frankreichs umgestalten werden, haben die persönlichen Differenzen zwischen Ihnen und mir, wie sie kurz vor meiner beschleunigten Abreise von Froberg in Erscheinung traten, in den Hintergrund gedrängt. Ich denke jetzt ruhiger darüber, da ich annehme, daß Ihr Verhalten nur eine Folge der Beschwerden ist, die Ihr Zustand Ihnen verursacht. Ich will mich bemühen, Sie wie eine Kranke zu behandeln, möchte Sie jedoch nur daran erinnern, daß es bei Frauen von guter Erziehung bisher selbstverständlich war, sich auch in der peinlichsten Lebenslage zu beherrschen. Ich verstehe noch heute nicht, wie die liebenswürdige Einladung der Fürstin Montbéliard, und mein Wunsch, durch Ihre Zusage die freundnachbarlichen Beziehungen aufrecht zu erhalten, Ihre Aufregung verursachen konnte. Die Fürstin ist Ihnen, nach Ihrer eigenen Versicherung eine zweite Mutter gewesen, sie sprach in ihrem Brief ausdrücklich von einem „stillen Landaufenthalt in Etupes,“ der Ihnen geboten würde; Ihr Einwand, daß Sie sich mit Ihrer „deformierten Gestalt“ nicht sehen lassen könnten, ist also in diesem Fall nichts als ein leerer Vorwand. Sie würden zu gesellschaftlichen Triumphen gar keine Gelegenheit haben, die Beeinträchtigung Ihrer Schönheit hätte also keinerlei Konsequenzen. Da Ihnen Froberg überdies so unbehaglich ist, würde Ihnen das sonnige Etupes gerade jetzt doppelt wohltätig sein, und die Fürstin würde es in ihrer Güte an hingehendster Pflege nicht fehlen lassen.

Aber die Auseinandersetzung über die Frage der Einladung war ja nur das Vorspiel der Szene, die Sie mit einem unleugbaren Talent für die Rolle einer tragischen Heldin mir dann vorzuführen die Güte hatten. Ich glaubte, Sie damit zu besänftigen, daß ich Sie an die notwendige Rücksicht auf das Kind erinnerte, aber ich warf damit nur neue Nahrung in das Feuer ihres Zorns. „Rücksicht auf das Kind?“ schrieen Sie, ohne bemerken zu wollen, daß Gaillard sich in unverhohlener Neugierde vor Ihren offenen Fenstern zu schaffen machte, „ich will – ich will kein Kind von Ihnen Ich schäme mich dieses Kindes“

Ich hoffe, Sie schämen sich jetzt Ihres eigenen Benehmens, das ich in ihre Erinnerung zurückgerufen habe, um es Ihnen wie einen Spiegel vorzuhalten. Wie gesagt: ich nehme an, Sie waren von Sinnen, wie es bei jungen Frauen in gewissen Zuständen vorkommen soll, und ich verzeihe Ihnen den Affront, den ich durch Sie erleben mußte. Auch auf den Besuch in Etupes will ich nicht bestehen. Soll es doch vorkommen, daß schwangere Frauen gerade ihren Lieblingsspeisen gegenüber einen unüberwindlichen Ekel empfinden.

Ich schreibe Ihnen das Alles, weil ich wünsche, daß nunmehr von der ganzen Sache zwischen uns keine Rede mehr ist.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Liebesbriefe der Marquise. Teil 1