Graf Guy Chevreuse an Delphine. Am 20. Juli 1773.

Vergebens suche ich, schönste Frau Marquise, in Ihrem Briefe an Clarisse nach einem noch so leisen Zeichen, das ich als eine Erinnerung an mich hätte deuten können. Bin ich Ihnen wirklich so ganz gleichgültig? Oder sah das Gespenst Ihrer einstigen Gouvernante Ihnen über die Schulter, als Sie ein Schreiben verfaßten, dessen würdevoller Trockenheit sich die reizende Klosterschülerin von l’Abbaye aux Bois geschämt hätte? Ich würde der selbstsüchtigen Sehnsucht, mich Ihnen zu Füßen zu legen, widerstanden haben, aber der ritterlichen Verpflichtung, die Dame meines Herzens von dem Einfluß der bösen Geister Ihres alten Bergschlosses zu befreien, kann ich mich nicht entziehen. Nur Ihr ausdrückliches Verbot wird mich davon zurückhalten, meine Schwester auf der Reise zu Ihnen, die sie unmöglich ohne meinen Schutz machen kann, zu begleiten. Seien Sie gewiß: mit dem ersten Lächeln, das ich um Ihre roten Lippen hervorzaubere, wird die Erinnerung an mich, als an Ihren getreusten Bewunderer, zurückgekehrt sein. Und Sie müssen und Sie werden lächeln, wenn erst ein Hauch Pariser Luft Ihre Rosenwangen streichelt.

Sie vibriert von Leichtsinn, Erregung, Leidenschaft sie ist wie verflüchtigter Champagner und wer sie ständig atmet, ist immer trunken. Es gibt Salons, die so sehr von ihr erfüllt sind, daß die Pulse schneller klopfen, sobald man ihre Schwelle überschreitet. Darf ich Ihnen heute zu einer Promenade à deux den Arm reichen, die einen der entzückendsten dieser Salons zum Ziele hat? Wir wandern durch die Allee dunkler Taxushecken bis zu dem stillen Wasserspiegel, in dem die üppigen Leiber steinerner Nymphen baden. Ein Schlößchen, nein: ein Traum in Gold und Weiß, steigt dahinter empor. Schlanke Säulen tragen die Sternendecke der Vorhalle; jubelnde Bacchanten schwingen den Thyrsosstab auf dem Fries über den Türen. Sie stehen weit offen. Licht und Lachen, süßer Duft und rauschende Musik dringen heraus. Die Wände des Saals, den wir betreten, sind aus weißem Marmor, goldene Pilaster unterbrechen sie, und vor den hohen Spiegeln in den acht Ecken des Raums, stehen auf Sockeln von Malachit lebensgroße Bronzegestalten lichtertragender Frauen. Strahlende Helle strömt von ihnen aus und vereint sich mit dem Kerzenglanz kristallener Lüster. Auf die Decke zauberte Drouais den ganzen Olymp, aber die Grazien und Musen, ja Venus selbst werden von der Schönheit der sterblichen Frauen unter ihm überstrahlt. Von der Galerie herab singt ein Chor von Knaben –, Adonis und Ganymed konnten nicht reizender sein –, Grétrys süßeste Lieder, rings um ihn lehnen tiefdekolletierte, fächerschlagende Damen an der vergoldeten Balustrade; und unten um die runde, mit Spitzen und Blumen, mit schwerem Silber und rosenübersätem Porzellan geschmückte Tafel schart sich eine illustre Gesellschaft von Gräfinnen und Marquis, Prinzen und Herzoginnen. Ihre Augen, ihre Diamanten, ihre Wangen, ihre seidenen Kleider und goldenen Parüren wetteifern an Glanz miteinander, und schwellende Busen beschämen das schimmernde Weiß der Perlen, die zärtlich auf ihnen ruhen. Angesichts dieser chaotischen Fülle von Schönheit und Reichtum müßte sich das Auge ermüdet schließen, wenn sie nicht in einer Erscheinung, wie in einem Brennpunkt, zusammenflössen. In der Mitte der Tafel thront sie, Venus selbst, die eine gütige Woge aus unbekannter Tiefe an das Gestade der Irdischen warf.


Wage ich es, vor Ihren keuschen Ohren den Namen zu nennen, den sie für ihre Wiedergeburt in Frankreich gewählt hat? Es ist die Gräfin Dubarry

Sie erschrecken Dürfen Sie das als loyale Französin? Wissen Sie nicht, daß Ihr König sie zu sich erhob, daß der Kanzler, daß der Finanzminister, daß die ersten Damen des Landes zu ihrem Hofstaat gehören? Und sind nicht auch Sie ihr Dank schuldig, weil sie Choiseul, den Minister der Philosophen und der Freigeister zu Falle brachte und den gefährdeten Einfluß der Kirche wieder gefestigt hat? Sie lächeln – endlich Das Pathos der hohen Politik steht Guy Chevreuse so schlecht, wie Ihnen die steife Würde einer elsässischen Schlossfrau. Ich frage nach den Verdiensten und den Sünden der Gräfin ebensowenig, wie der König nach der Herkunft seiner Göttin gefragt hat. Daß sie uns amüsiert, ist ein ausreichender Grund ihrer Existenz. Es scheint, wir brauchen von Zeit zu Zeit solch eine frische Quelle aus der Tiefe des Volkes, damit wir Armen, seit Urzeiten im gleichen Boden Wurzelnden, nicht verdorren.

Also sträuben Sie sich nicht länger, reizende Frau Marquise Dort in dem runden Salon, dessen Spiegelwände Fragonards Liebesszenen, die sein Pinsel auf die gewölbte Decke malte, hundertfach zurückwerfen, schwingt sich die Volkstänzerin Courtille in ihren grotesken Vorstadttänzen, und nicht lange, so stampfen Prinzessinnenfüßchen mit ihr um die Wette die Fricasée. Das ist kein Menuett mehr mit Fingerspitzenreichen und ehrfurchtsvoller Verneigung, das ist ein Haschen und Greifen, ein Wiegen und Schmiegen voll heißer Lust.

Sie erröten? Kommen Sie weiter, holde Delphine, durch die chinesische Galerie mit ihren Vasen und Vögeln und Drachen, bis in den Theatersaal. Vor seiner Bühne verstecken selbst die Pariserinnen das Antlitz zuweilen verschämt hinter dem Fächer. Man spielt nämlich nicht mehr Racine und Molière und holt sich nicht mehr die Schauspieler der königlichen Theater. Collés „Vérité dans le vin“ läßt uns plötzlich erinnern, daß wir, aller Etikette zum Trotz, noch herzhaft lachen können, und Larrinée, der Straßensänger, bringt uns mit seinen Kuplets dazu, uns selbst zu verhöhnen, während Audinot, der Gott der Crapule, uns mit seinen Verbrecherromanzen Schauer des Entsetzens über den Rücken jagt, – ein Gefühl das wir bisher nicht kannten.

Sie atmen rascher –, Sie klammern sich an mich. Jetzt sind Sie es, die nach mehr – noch mehr verlangen Aber wir müssen gehen. Für die schwere Bronzetür dort hat, – wenigstens im Augenblick –, nur der König den Schlüssel.

Und nun ist es Abend geworden und das Feenreich von Louveciennes versinkt im Dunkel der Nacht.

Wie denken Sie jetzt über die „wohltuende Einsamkeit von Froberg“, über „die beste Gesellschaft der vornehmen, frommen Mutter“? Schwarze Dominos stehen Ihnen nicht, Frau Marquise

Ich möchte auch Ihre Seele in Sonnenfarben gekleidet wissen. Darum wird es mir schwer, den einzigen Wunsch zu erfüllen, den Sie meiner Schwester geäußert haben: den nach neuen Romanen. Unsere Schriftsteller sind heute nichts als Lumpensammler; sie wühlen im Schmutz des Leids und des Elends; und finden sie wirklich einmal einen Fetzen der Vergangenheit, so ist auch er schwarz und zerrissen. Allen Schmerz der Welt versuchen sie in den engen Rahmen einer Erzählung zu spannen. Sie bilden sich ein, tiefsinnig zu erscheinen, und sind nur langweilig, schwächlich, nervös. Sie schneiden ein langes Gesicht, schlagen die Augen nieder und ziehen die Mundwinkel herab; und meinen dann den Philosophen oder den Engländern ähnlich zu sehen, die heute beinahe noch mehr gelten als jene.

Bis ich nach Froberg komme, werde ich irgend etwas finden, was französisch und daher heiter ist, aber da schöne Frauen Bücher nur lieben, wenn es Ihnen an Anbetern fehlt, so werden Sie mich gewiß des Auftrags entheben.

Verzeihen Sie die Länge dieses Briefes. Es ist so süß, wenigstens in Gedanken in Ihrer Nähe zu sein, daß man versucht wird, die Trennung so weit als möglich hinauszuschieben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Liebesbriefe der Marquise. Teil 1