Die Verjudung in den gesetzgebenden Körpern und in der Presse

Um den Einfluss der Juden in den gesetzgebenden Körpern, Kammern und Reichstag, abzuwägen, müssen wir auf die während der letzten 13 Jahre einflussreichste politische Partei Deutschlands einen Blick werfen, denn in ihren Beziehungen zu dieser Partei liegt der Schwerpunkt der Anklagen sowohl Herrn Marr's als der Zentrumsorgane gegen die Juden.

Der Lieberalismus vulgo Nationalliberalismus ist für Herrn Marr die „Verjudung“ und das liberale Deutschland ist für ihn das „verjudete“ Deutschland. Aber wir werden finden, dass weder die Geschichte dieser Partei, noch ihre Bestrebungen, noch der ihr von Juden allenfalls geleistete Vorschub zu dieser Bezeichnung berechtigen. Die Bezeichnung soll einfach eine Beschimpfung jener Partei sein, wie der Pöbel häufig „Jude“ als Schimpfnamen gebraucht; ist ja „verjudet“ manchen Blättern schon zu klassisch, und sie haben „verjüdelt“ erfunden. Andererseits hat die neu aufgeworfene „Judenfrage“ keinen anderen Zweck, als die Juden für ihren Liberalismus zu züchtigen. „Auf den Sack schlägt man, den Esel meint man.“ Den germanischen Liberalen kann man nichts anhaben, aber „der Jude wird verbrannt.“


Als nach den Befreiungskriegen das deutsche Volk in seinen Hoffnungen sich getäuscht sah, entstand eine oppositionelle Partei, welche die Forderungen: ein einiges Deutschland und freiheitliche Institutionen auf ihr Programm setzte. Da derjenige, der die Freiheit fordert, sie konsequent für Alle fordern muss, da ferner Ausgleichung der Standesunterschiede mit zu den Attributen der freiheitlichen Institutionen gehört, so war die bürgerliche Gleichstellung der Juden (Emanzipation) ein Teil des Programms fast aller Liberalen von ehemals. Es war also kein Wunder, dass die Juden sich dem Liberalismus zuwandten.

Im Jahre 1848 explodierte die oppositionelle Spannung. Die siegende Reaktion vernichtete zwar die Früchte jenes Jahres; aber schon in der Paulskirche teilte sich die Opposition in zwei Gruppen, von denen die eine die Einheit, die andere die Freiheit in den Vordergrund stellte.

Die Einheit Deutschlands war auf einem ungeahnten Wege und auf überraschend glanzvolle Weise hergestellt. Die Mehrheit des deutschen Volks, namentlich die gebildeten Mittelstände jubelten ihr zu. Die Partei, welche die Einheitsidee, den nationalen Gedanken, bei mäßiger Freiheit betonte, war die zahlreichste, sie ward Regierungspartei, so unterstützte sie die Umgestaltung Deutschlands, wie keine andere.
Wenn es nun wahr sein sollte, wie mir scheint, dass die Mehrzahl der deutschen Juden zu dieser Partei hielten, kann man ihnen einen Vorwurf darüber machen, dass sie der Mehrheit ihrer germanischen Mitbürger und der Reichsregierung sich an schlossen.

Kommen wir nun zu den gesetzgebenden Körpern. Es kamen auch Juden in die Parlamente, aber, was hervorzuheben ist, durchaus nicht durch die Juden. Germanische Wahlkörper wählten Juden, nicht weil, sondern obschon sie Juden waren; sie wählten denjenigen, der ihnen ihre politische Anschauung am besten zu vertreten schien, und es wird wohl kaum ein Wahlkreis nachgewiesen werden können, wo die Juden zu Gunsten eines Juden den Ausschlag gaben; und wenn das wäre; kann man den Juden zumuten, nichtjüdischer zu sein, als ihre germanischen Mitbürger ?!

Was nun die jüdischen Abgeordneten betrifft, so war deren Zahl durchaus nicht verhältnismäßig zu groß, noch, und das ist ganz besonders zu betonen, gehörten sie einer und derselben (der nationalliberalen) Partei an. Herr Marr gibt unumwunden zu, dass die Juden im Reichstage (mit Ausnahme des Zentrums) den verschiedensten Parteien angehörten. Jedermann weiß, dass die wenigen Juden im Parlamente auf Sozialdemokratie, Volkspartei, Fortschritt und Nationalliberale sich verteilen. Daraus ergibt sich unwiderleglich, dass die Juden in der Politik einem einheitlichen Plan gar nicht folgen, und dass von einer „Verjudung“ in den gesetzgebenden Körperschaften eben so wenig Spuren zu entdecken sind, als irgendwo in den staatlichen Institutionen.

Es liegt außer dem Bereiche meiner Aufgabe, zu untersuchen inwieweit die Vorwürfe gerechtfertigt sind, welche man bezüglich der Wirtschaftsgesetzgebung derjenigen Partei macht, der einige über das Mittelmaß hinausragende Juden angehörten. Jedenfalls trifft die jüdischen Abgeordneten nicht mehr Schuld als die ganze Partei – die Juden außer dem Parlamente, jedenfalls nicht mehr als die übrigen Wähler. Nun lässt sich aber beweisen, dass gerade ein Jude sich auf diesem Gebiete Verdienste erworben hat. Otto Glagau, den Sie doch kennen, erzählt: (Gründerschwindel S. 14.) Herr Miquel vergaß sich (am 20. Mai 1870 bei der Beratung des Aktiengesetzes) sogar etwas stark, indem er dem Aufsichtsrat, resp. Vorstand einer Aktiengesellschaft gewisse Täuschungen und „Verschleierungen“ freigeben wollte, worauf er sich von Herrn Lasker zur Besinnung gerufen sah. Ferner bestätigt Glagau (S. 240–245) dass eben dieser selbe Herr Lasker schon am 17. April 1872, also schon 3/4 Jahre vor seinen berühmt gewordenen Enthüllungen vom 7. Februar 1873, im Reichstage gegen das Gründertum vorgehen wollte, aber von vielen (wohl germanischen) Kollegen abgehalten wurde, sowie, dass Herr Lasker am 4. April 1873 nochmals auf dieses Thema zurückkam, und vom Regierungstische eine Antwort erhielt, die Herr Glagau in einer Weise kritisiert, dass ich des Letzteren Worte aus Rücksicht auf den jetzt vom Schauplatze abgetretenen hochverehrten Mann nicht wiederholen mag.

„Ihr habt ja viele Wächter
„Warum denn litten's die?
„Euch dient so mancher Fechter
„Und keiner kämpft um sie?“

Trotz aller Nergeleien und Verdächtigungen der Absicht bleibt einem Juden unbestreitbar das Verdienst, beim Zustandekommen der jetzt vielleicht mit Recht angefochtenen Gesetzgebung den „Radschuh“ eingelegt und bei der Bekämpfung der aus dieser Gesetzgebung entstandenen Exzesse die erste Rolle gespielt zu haben.

Dennoch ist der „Nationalliberalismus“ und die unter seinem und der Reichsregierung Einfluss entstandene Gesetzgebung „die Verjudung“! Warum sind auch die Herren Lasker und Bamberger Juden und die Hunderte ihrer Kollegen Germanen. Natürlich – den germanischen Wählern und Abgeordneten lässt sich nichts anhaben – der Jude aber, nein alle Juden werden verbrannt.

Aber der Kulturkampf! Nun ja, Herr Marr ist Antikulturkämpfer und, wie wir bald sehen, Kulturkämpfer in einer Person – also über den Kulturkampf nur das, dass die jüdischen Abgeordneten im preußischen Abgeordnetenhaus gegen die Maigesetze stimmten. Ich denke sie haben das aus politischer Überzeugung getan. Wenn aber gewisse
Leute, darunter auch Herr Marr meinen, sie waren dazu aus Anstand und Zartgefühl verpflichtet, so setze ich dem ein energisches „quod non“ entgegen. Wenn die Wähler einen Juden wählen, so setzen sie von ihm voraus, dass er daran bei seinen Abstimmungen nicht denke, sondern an das, was er für das Staatswohl als das Heilsamste betrachte. Doch stimmten die Juden gegen den Kulturkampf und ist auch bei dieser Frage in den gesetzgeben den Körpern keine Spur von „Verjudung.“

Der Leser hat mit mir eine ziemlich lange Wanderung durch alle Gebiete staatlichen Lebens gemacht – nirgends fanden wir eine Spur von beachtenswertem spezifisch jüdischen Einfluss oder gar von „Verjudung“ und wir hätten jetzt nur noch von der Presse zu sprechen, die von diesem Kapitel sich schwer trennen lässt und die Presse soll ja nach Herrn Marr und Consorten die allerärgsten Symptome der Verjudung zeigen, hat sie ja Herrn Marr, wie er behauptet, hinausmanövriert – brauchts mehr!

Doch sehen wir uns zunächst die possierlichen Männchen an, die Herrn Marr's Rosinante vor uns macht. (S. 25 ff) Herr Marr ist konfessionslos, wie er mit Vorliebe betont, und doch kann er es den Juden nicht verzeihen, dass sie (nach seiner Behauptung) sich in „unsere“ (d. h. Herrn Marr's) „konfessionelle“ und Kulturkämpfe mit dem Ultramontanismus mischen. Die konfessionellen Kämpfe eines Konfessionslosen! Doch das ließe sich mit etwas Rabulistik zurecht legen. Aber: „Es gab große Zeitungen“ sagt Herr Marr, „in welchen wir Germanen in der Kulturkampffrage nicht zum Worte gelassen wurden, weil – weil wir, um den römischen Fanatismus zu kritisieren, diesen als Ausfluss des alttestamentarischen Fanatismus bezeichneten. In seinen Zeitungen unterdrückte es (das Judentum) selbst die dem Ultramontanismus feindlichen Darlegungen, sobald Israel dabei nur leise gestreift wurde !!“ Soweit Herr Marr.

Die Ausrufezeichen und Gedankenstriche sind sehr gut angebracht; denn was hier geboten wird, ist gar zu köstlich. Die Juden sollen sich in ihren Zeitungen nicht in den Kulturkampf mischen, aber – – sie sollen Herrn Marr's „dem Ultramontanismus feindliche“ Artikel aufnehmen.

Wie aber, muss man denn ein Jude sein, um Ihre Scherr'sche Doktrin von dem Ursprung des römischen Fanatismus als unhaltbar zu erkennen und als Redakteur eines Blattes abzulehnen? Dann, wenn nun in jüdischen Händen befindliche Blätter nur die politische Seite des Kulturkampfs besprechen und auf fernliegende Scherr'sche oder Marr'sche Hypothesen nicht eingehen, von einer Bekämpfung des Katholizismus als Religion nichts wissen wollten? Wenn endlich Inhaber oder Redakteure solcher Blätter – was ich fast bezweifle – wirklich ihr Bekenntnis nicht wollten verhöhnen lassen? Sie müssen uns Juden, was wir nie beanspruchten, für Engel betrachten. Wir sollen Herrn Richard Wagner's Schmähungen ertragen – und schweigen; wir sollen die Ihrigen drucken und – Sie dafür honorieren. Nicht übel.

Und sollte sich wirklich kein Blatt gefunden haben für ihre Artikel – deren Brauchbarkeit vorausgesetzt; Hat ja Glagau eines der gelesensten Blätter gefunden und tut sich nicht wenig darauf zu gute. Es gab und gibt Hunderte von Kulturkampfblättern, die außer allem jüdischen Einfluss stehen, warum wendeten Sie sich nicht an diese? Warum gerade an solche, die Sie als jüdisch bezeichnen? Mussten Sie zwei Fliegen mit einem Schlage treffen? Da ist z. B. die Augsb. Allgem. Ztg., ein Hauptorgan des Kulturkampfes, das auf Juden sicherlich nie schonende Rücksicht genommen – konnten Sie da oder bei ähnlichen nicht ankommen, dann, dann vermute ich, dass sie ihre Arbeiten nicht brauchen konnten oder wollten; für beide Annahmen dürfte es Gründe geben.


Übrigens ist das Geschrei von der Presseherrschaft der Juden, wenn nicht ganz erlogen, so doch exorbitant übertrieben. Außer einigen Blättern in Berlin gibt es nur sehr wenige, die intellektuell oder finanziell in Judenhänden*) sind. Ist aber der Jude berechtigt, eine politische Meinung zu haben, warum soll er sie nicht aussprechen dürfen. Es gibt freilich etwas viel jüdische Publizisten; aber wer trägt die Schuld? Ihr habt die Juden zum Studieren ermuntert, aber – nur selten angestellt: sollten sie verhungern? Sie gingen zur Presse. Jedes Volk hat seine Juden. Wären sie Kaufleute oder Bankiers geworden, viele taten es, oder wären sie Schuhmacher geworden, ihre Konkurrenten würden genau so schreien, wie jetzt die Publizisten.

*) Die „Frankfurter Zeitung“ war immer gegen den Kulturkampf.

Dann noch eins. Wer Brot oder Stiefeln braucht, muss sie anschaffen, wenn er auch kein Geld hat. Weil aber der liebevolle germanische Wetter sehr ungerne ohne Sicherheit borgt, geht man zum Juden, und schreit, wenn man zahlen soll, über Missbrauch des Notstands, weil der Jude seine Ware nicht verschenkt. Lässt sich auch wohl ein Pressenotstand konstatieren? Zeitungen werden pränumerando bezahlt, wer muss sie kaufen?

Endlich ist der Satz, dass die Presse die öffentliche Meinung beherrsche, nur zum geringsten Teil wahr. Die öffentliche Meinung beeinflusst vielmehr die Presse. Hat sich irgend eine neue politische oder soziale Strömung im Volke oder einer Fraktion desselben Anhänger verschafft, so muss auch die Presse mit dem Strome schwimmen,
wenn sie ihr Publikum sich erhalten will. Das haben wir 1866, 1870 gesehen, das sehen wir heute.

Wenn also die Fabel von dem mächtigen Einfluss der Juden auf die Presse auch Wirklichkeit wäre, so bliebe die Behauptung, dass sich vor dem jüdischen Einfluss auf die Presse Alles beugen müsse, noch immer eine unwahre.

Zuletzt ist noch das hervorzuheben. Die wenigen von Juden beeinflussten Blätter, denen eine Unmasse solcher gegenübersteht, die von Juden unabhängig sind, sind größere für gebildete Leser berechnete. Aber die Provinzial- und Lokalpresse, sie ist nicht nur von Juden ganz unabhängig, sondern größtenteils judenfeindlich. Es ist uns fast unmöglich, auch nur als Annonce einen abwehrenden Artikel selbst in freisinnige Blätter zu bringen, weil diese mit Recht die Berührung mit ihrem judenfeindlichen Gegenüber scheuen. Denn was dieser Teil der Presse „in Judenhass“ leistet, wie diese Blätter die „liebevolle“ Geißel über die Juden schwingt – wer weiß es nicht; wer war noch nie versucht zu glauben, sie haben ein Pressebüro in der Hölle und den leibhaftigen Gottseibeiuns als dessen Vorstand. Es ist ein Glück für die Juden, dass die Massen die Juden von besserer Seite kennen, sonst hätte diese Jahre lang fortgesetzte „Hatz“ schon längst Szenen, des 12. und 13. Jahrhunderts würdig, hervorgerufen.

Es gibt keine Regel ohne Ausnahme. Von dieser Presse sprechend wird mir's nicht schwer „non scribere satyram.“ Ich möchte da nicht mit Fausthandschuhen hineingreifen. Es ist aber charakteristisch und weil zur Sache gehörig, sei es erwähnt: Obwohl Herr Marr es selbst ausspricht, dass er den römischen Fanatismus kritisieren wollte, dass er dem Ultramontanismus feindliche Artikel geschrieben, die ihm jüdische Zeitung en nicht abgenommen haben, ob schon – dennoch zitieren diese Blätter Herrn Marr täglich wie einen Kirchenvater, wie einen Bibeltext.

Und dies geschieht – wenigstens nach der Überzeugung der Massen – im Namen einer Firma – ich will sie nicht nennen – aber sprecht immerhin von jüdischer Frechheit – Angesichts der täglich an uns vollzogenen moralischen Hinschlachtungen, sollt ihr auch nicht sagen, dass wir feig sind – darum will ich zwar die Firma nicht nennen, aber diskret andeuten, dass es dieser Firma nicht zur Unehre gereichen würde, wenn sie die ihr angesonnene stille Teilhaberschaft, wenn auch nur leise, ablehnen würde, damit man nicht an die Wahrheit jener Verse glaube, welche Goethe seinem Mephisto bezüglich dieser Firma in den Mund legt. –

Da spreche mir einer von „Verjudung der Presse.“ Lug und Trug ist das ganze Märchen der Verjudung. Ich bin mit meiner Suche zu Ende, nirgends haben wir sie gefunden.