Einleitung.

In seiner feinfühligen Broschüre „Th. Storm und der moderne Realismus“ sagt A. Biese;*) „Kalt und tot bliebe die Natur für den Dichter, wenn er sie nicht mit seinem Leben durchströmte, wenn er nicht die Harmonie aufspürte, welche zwischen den Naturformen und der Menschenseele besteht, wenn er die Natur nicht beseelte und in ihren Erscheinungen Symbole für seine eigenen Regungen fände; dann erst beginnt sie zu atmen, zu erwärmen“.

*) A. Biese: „Th. Storm und der moderne Realismus“ (Berlin 1888), Lit. Volkshefte IX, 34.


Dass Storms Novellistik, besonders die seiner ersten Schaffensperiode, zumeist aus seiner Lyrik hervorgesprosst ist, ist bekannt. Dieser enge Zusammenhang zwischen Lyrik und Novellen erklärt auch den auffallend breiten Raum, den die Landschaft in den Novellen der Frühzeit einnimmt; auch sie sind im Grund Lyrik, Prosalyrik. „Ein Gang durch die Mondnacht, eine Mittagsstunde in dem Garten seiner Eltern“, das war oftmals der Inhalt der „unbedeutenden Geschichtchen“, die Gabriel im „Grünen Blatt“ in sein Tagebuch schrieb, und man wird nicht fehlgehen, wenn man diesen Gabriel mit Storm identifiziert, der, wie wir schon früher sahen, keine Landschaft zeichnete, von der sich seine Seele nicht vollgesogen hätte, keine Landschaft, die nicht in gewissem Sinne ein Abbild seines Seelenzustandes gewesen wäre.

Wir können die innere Entwicklung Storms auch in der Wahl und Darstellungsweise seiner Landschaftsmotive verfolgen, wenn wir ihre lange Reihe von „Immensee“ oder „Ein grünes Blatt“ bis zum „Fest auf Haderslevhuus“ oder dem „Schimmelreiter“ durchgehen.

Der junge Storm, ein weicher Träumer, der von Kindheit an gewohnt war, sich seine eigene heimliche Welt aufzubauen, in die kein Schrei des Schmerzes hineinzuschrillen vermochte, der aller Herbheit des Lebens aus dem Wege gehen konnte, — der junge Storm hat auch Landschaften geschildert, die den Charakter weicher Verträumtheit, duftiger Heimlichkeit tragen. Die sanften, oft fast verschwommenen Linien, den dämmerigen Hauch süßer, unbestimmter Sehnsucht zerreist kein Missklang des realen Lebens. Mit der Freude am Einzelnen, am Kleinen, wie sie die alten holländischen Meister in ihren naturtreuen Gemälden bekunden, schildert Storm liebevoll, auch das feinste Stimmchen nicht überhörend, den Wald in „Immensee“, die Heide im „Grünen Blatt“ oder den Garten in der Novelle „Auf dem Staatshof“. Wir werden später noch darauf zurückkommen müssen.

Der ältere Storm wird immer mehr zum Tragiker. Der Krieg Schleswig-Holsteins gegen die Dänen, Storms schwere Verbannungsjahre,*) besonders aber der Tod seiner über alles geliebten Gattin Konstanze (1865) hatten ihn mit jäher Gewalt aus seiner Traumwelt in das für ihn raue Stoppelfeld des realen Lebens gerissen. Seine Motive sind nicht mehr rein lyrischer Art, — es sind Probleme. Die zweite große Schaffensperiode beginnt: die des schärferen Realismus.

*) Vgl. „Storms Briefe in die Heimat“, 1853—64.

In diesen nun viel dramatischeren Novellen erhält auch die Landschaft eine bedeutendere Rolle, obschon, oder vielleicht besser: weshalb ihre Darstellung im allgemeinen gedrungener und mit breiteren Strichen gemalt wird. Sie ist nun viel weniger um ihrer selbst oder um der Stimmung willen da, sondern vielmehr um der Handlung willen, mit der sie bedeutend inniger verwoben wird. Im „Schimmelreiter“ führt sie sogar ein ganz eigenes, die Handlung bestimmendes Leben; sie tritt da ganz gleichsam als Person auf. — Früher schilderte Storm nie eine Landschaft z. B. im rasenden Sturme — jetzt scheut er auch davor nicht zurück; er weicht den Konflikten des Lebens nicht mehr kraft- und kampflos aus.

Einen interessanten, lehrreichen Vergleich bieten etwa folgende zwei Landschaftsschilderungen aus „Immensee“ und dem „Schimmelreiter“; für das Psychische der Handlung bedeuten sie ungefähr dasselbe: der Held steht vor der endgültigen Entscheidung.

Die zu vergleichende Stelle in „Immensee“ lautet: „Draußen aber legte sich der Abend mehr und mehr über Garten und See, die Nachtschmetterlinge schossen surrend an den offenen Türen vorüber, durch welche der Duft der Blumen und Gesträuche immer stärker hereindrang; vom Wasser herauf kam das Geschrei der Frösche, unter den Fenstern schlug eine Nachtigall, tiefer im Garten eine andere; der Mond sah über die Bäume. Reinhard — ging durchs Haus an das Wasser hinab. — Die Wälder standen schweigend und warfen ihr Dunkel weit auf den See hinaus, während die Mitte desselben in schwüler Mondesdämmerung lag. Mitunter schauerte ein leises Säuseln durch die Bäume; aber es war kein Wind, es war nur das Atmen der Sommernacht“. — Schwüle, dämmerige Unbestimmtheit der Naturstimmung symbolisiert hier das Resignierende des Helden Reinhard. Ein anderes, wütendes Kämpfen Hauke Haiens gegen das ebenfalls feindliche Geschick zeigt die Natur im „Schimmelreiter“*): „Eine furchtbare Böe kam brüllend vom Meer herüber, und ihr entgegen stürmten Ross und Reiter den schmalen Akt zum Deich hinan .... Aber wo war das Meer? Wo Jeverssand? Wo blieb das Ufer drüben? — — Nur Berge von Wasser sah er [Hauke Haien] vor sich, die dräuend gegen den nächtlichen Himmel stiegen, die in der furchtbaren Dämmerung sich übereinander zu türmen suchten und übereinander gegen das feste Land schlugen. Mit weißen Kronen kamen sie daher, heulend, als sei in ihnen der Schrei alles furchtbaren Raubgetiers der Wildnis. Der Schimmel schlug mit den Vorderhufen und schnob mit seinen Nüstern in den Lärm hinaus . . .“

Ein Zeitraum von 36 Jahren liegt zwischen der Abfassung der beiden Werke. Die beiden ihnen entnommenen Naturschilderungen beweisen meiner Meinung nach deutlich, dass „jener Entwicklungsfortschritt“ Storms, „der von der romantischen Anschauungs- und Darstellungsweise, von weichen, verschwommenen Umrissen zu der plastischen Gestaltung, zu den fest- und kräftig umrissenen Figuren seiner Meisternovellen hinführte“**), auch in bezug auf die Landschaftszeichnungen erkennbar ist.

*) W. VII., 272.
**) A. Biese, a. a. 0., S. 12.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Landschaft in Theodor Storms Novellen