Die früheren Novellen.

Nachdem wir festgestellt haben, welche Eigenschaften allen Landschaftsdarstellungen Storms gemein sind, wollen wir kurz noch untersuchen, welche Züge die frühern und die spätem voneinander unterscheiden. Es besteht ein Unterschied zwischen ihnen, und wir müssen seine Ursache wieder im Dichter selbst suchen.

Der Storm der Frühzeit ist ganz und gar Lyrriker; er selbst sagt: „Meine Novellistik hat sich aus der Lyrik entwickelt und lieferte zuerst nur einzelne Stimmungsbilder . . . . , wo dem Verfasser der darzustellende Vorgang einen besondern Keim zu poetischer Darstellung zu enthalten schien“.*) Der junge Storm war ein Träumer, ein elegischer, dämmeriger Charakter, der Schöpfer von Resignationsdichtungen. „Die den Dichter umgebende Landschaft, deren Eindruck sich so tief verwebt mit dem heranwachsenden Jüngling, — Heide, Moor und Meer — wies ihn in sein Selbst zurück, denn ihr Zauber erschließt sich nur dem tiefen Gemüt, das ins Unendliche schweift; sie legt den Grund zum Sinnen und Träumen und melancholischen Grübeln“.**) Wir haben bereits bemerkt, dass die Landschaften der Frühzeit gegenüber den späteren eine viel größere Ruhe zeigen. Und oft scheint es die Landschaft zu sein, die den „Perpendikel-Anstoß“ zu einer Novelle gibt. Aus diesem Grunde ist ihr naturgemäss größerer Raum und größere Bedeutung zuerteilt als in den späteren Novellen, wo sie die Handlungsvorgänge nur begleitet, aber auch erhöht, wie etwa die Musik in einem Melodrama. So finden wir, dass sie in den Frühnovellen meist eingehender, mit allen Einzelheiten gezeichnet ist, wie ein holländisches Stilleben. Es werden oft fast ängstlich alle und alle Stimmen aufgeboten, um eine Symphonie zu bekommen; denken wir nur etwa an die Szene „Im Walde“ aus „Immensee“ oder wieder an die Heide und den Wald in der Novelle „Ein grünes Blatt“ u. a. m. Storm selbst schreibt in bezug auf letzteres an Fontane (Ostermontag 1853): „. . . es liegt nämlich über dem Ganzen eine gar einförmige Stille, die einen beim Vorlesen fast ungeduldig machen kann“. Durch das ängstliche Aufbieten aller Stimmen und Stimmchen, wie wir es in den Landschaften der Frühnovellen öfters wahrnehmen können, wird zwar die einheitliche Stimmung kaum beeinträchtigt, aber dieses Fastzuviel von Stimmen und Düften legt über das Ganze einen Schleier, der die Konturen zu trüben und verschwommen zu machen vermag. Vergegenwärtigen wir uns z. B. nur die Meerfahrt in „Eine Halligfahrt“. Diese Naturmalereien, sind sie auch viel plastischer als die der Romantiker, so sind sie doch mit diesen ziemlich nahe verwandt in der Stimmung der brütenden Einsamkeit. Träumerei, bewusstes und unbewusstes Aufsuchen und Genießen des Einsamkeitsgefühles, sie lockten aus Storm solche Landschaften heraus. „Und so passt vornehmlich zu dem Träumerischen der Resignationsnovelle die Stille, das sanfte Rinnen der Nacht; das leiseste Geräusch, welches das Schweigen unterbricht, wird von Storm geschildert, wie das elektrische Knistern des Laubes, das feine Getön der Insektenwelt, der Atem der Abendluft, der durch die Bäume weht, das stumme ruhelose Blitzen der Sterne usf. . . .“***) Durch all diese vielen Einzelzüge, so fein beobachtet und so fein dargestellt sie auch sind, verlieren viele Landschaftsschilderungen der Frühzeit doch den Charakter der Grösse und der Kraft.


*) Schütze, S. 298.
**) A. Biese : Th. Storm und der moderne Realismus, S. 23.
***) Biese, a. a. O., 8. 88.


Es lässt sich übrigens in bezug auf die Naturmalerei keine feste Grenze ziehen zwischen den frühern Novellen und den späteren. Denn auch in den Frühnovellen finden wir prägnantere, großzügigere Landschaftsdarstellungen: „Der Nachttau rieselte zwischen den Blättern, die Nachtigall hatte aufgehört zu schlagen. Allmählich wurde auch das tiefe Blau des Nachthimmels von Osten her durch einen blassgelben Schimmer verdrängt; ein frischer Wind erhob sich und streifte Reinhards heiße Stirn; die erste Lerche stieg jauchzend in die Luft“ (I., 37), oder „Die Dämmerung war schon stark hereingebrochen. Von dem Ackerstücke, an welchem wir vorüberkamen, vernahm man die kurzen Laute der Brachvögel, die unsichtbar in den Furchen lagen; mitunter flog ein Kiebitz schreiend vor uns auf, und auf den Weiden stand das Vieh in dunkeln unkenntlichen Massen beisammen“ (I., 80).


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Landschaft in Theodor Storms Novellen