Einleitung.Begriff des Reichthums. Güter des Lebens: 1–5.; Nutzen, Tauschwerth, Preis: 6. 7.

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Wenn wir uns fragen, worin der Unterschied zwischen den Menschen, welche wir civilisirte nennen, und den Wilden bestehe: so können wir ihn nur darin finden, daß jene einen höhern Grad moralischer Bildung und eine Menge von Kenntnissen und Fertigkeiten voraus haben. außerdem aber eine Menge nützlicher und angenehmer Dinge, als z. B. bessere und feinere Nahrungsmittel, bequemere und schönere Kleider, zweckmäßigere und prachtvollere Wohnungen etc. besitzen und sich überhaupt einer Menge Annehmlichkeiten des Lebens erfreuen, welche dem Wilden fremd sind.
Einen gleichen Unterschied finden wir zwischen Individuen und Nationen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern.


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Alle diese nützlichen und angenehmen Dinge nun, welche der Mensch mehr oder weniger in einem ausgebildetern und weiter vorgeschrittenen Zustande der Gesellschaft sich zu verschaffen weiß und gewußt hat, bezeichnen wir im Allgemeinen mit dem Ausdrucke: Güter des Leben (auch wohl Genußmittel), und es ist nicht schwer einzusehen, daß sie eigentlich dasjenige ausmachen, was wir Reichthum nennen: denn derjenige Mensch, diejenige Nation ist am reichsten, welche sich am meisten von diesen nützlichen und angenehmen Dingen zu verschaffen im Stande ist. Geld ist nur ein Mittel dazu (wie wir dieß später ausführlicher sehen werden), und es kann Jemand sehr reich seyn, ohne jemals viel Geld (d. i. baares oder Papiergelde zu besitzen oder in die Hände zu nehmen, wenn er nur die Mittel oder, wie man sagt, das Vermögen besitzt, sich recht viele von diesen Gütern des Lebens zu verschaffen.


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Uebrigens ist es keineswegs möglich, genau zu bestimmen, sondern ziemlich willkührlich, was alles zu diesen Gütern des Lebens zu rechnen sey. Für unsern Zweck kommen diejenigen unter diesen Gütern des Lebens nicht in Betracht, welche der wohlthätige Schöpfer den Menschen allgemein und im Ueberfluß verlieh, wie Licht, Luft, Wasser etc.; eben so wie wir auch die persönlichen Güter, als: Gesundheit, gute Laune, öffentliches Vertrauen etc. hier unbeachtet lassen. Unter den übrigen nützlichen Dingen und Genußmitteln, welche wir hier betrachten wollen, gibt es indessen ebenfalls viele, welche ganz unkörperlich sind, wie z. B. Musik, Gedichte, die Rathschläge eines Arztes und Sachwalters, der Unterricht, den Lehrer mittheilen etc., so wie gegentheils z.B. ein höherer Grad von moralischer Aus-bildung und der Besitz höherer Kenntnisse nicht ohne den Besitz eines gewissen Vermögens gedacht werden kann, weil man sich ohne dasselbe nicht die dazu erforderlichen Hilfsmittel, als: Unterricht, Bücher, Instrumente etc. verschaffen kann.


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Es ist oft bestritten worden, daß der Reichthum oder diese Güter des Lebens, sowohl körperliche als unkörperliche, welche der civilisirte Mensch vor dem Wilden und der reichere vor dem Aermern voraus hat, ein Glück seyen. Namentlich Rousseau hat dieß bestritten. Ohne uns aus eine nähere Prüfung dieses Gegenstandes einzulassen, wird die Bemerkung genügen, daß, wenn der Wilde in der Regel nicht mit dem civilisirten Menschen tauschen will, dieß nur aus Unkenntniß und Angewohnheit geschieht; der civilisirte Mensch dagegen wird, mit seltenen Ausnahmen, nicht wieder in den Zustand der Wildheit und Entbehrung zurücktreten wollen, in denen er den Wilden findet. Noch mehr aber muß jenen Gütern des Lebens der bereits erwähnte umstand das Wort reden, daß ohne sie nicht einmal ein hoher Grad von moralischer und intellectueller Ausbildung möglich und denkbar ist. In der Wildniß, und von diesen Gütern entblößt, kann und wird der Mensch niemals den höchsten Grad seiner Ausbildung und Vollkommenheit erlangen, und von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, muß uns die Lehre von der Hervorbringung, Verteilung und Verwendung dieser Güter, oder die Volkswirtschaftslehre, in einem günstigern Lichte, als viele Eiferer auf sie werfen wollen, ja als die Grundlage aller Untersuchungen über den geselligen Zustand des civilisirten Menschen erscheinen.


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Man bezeichnet im gemeinen Leben die verschiedenen Grade der Fähigkeit, sich jene Güter des Lebens zu verschaffen, oder mit andern Worten, die verschiedenen Stufen des Vermögens mit verschiedenen Ausdrücken: Ueberfluß und Reichthum, Wohlstand, Auskommen, Dürftigkeit, Armuth, Mangel, – ohne daß sich jedoch eine bestimmte Grenze für diese Abstufungen, ja nur für die äußersten Grade derselben, angeben ließe. Immer kommt dabei der Vermögenszustand der Mitmenschen in Betracht und nur im Vergleich zu demselben und deren gewohnten Lebensweise ist Jemand reich, wohlhabend, arm oder Mangel leidend. Der ärmste Bettler bei uns würde noch nicht mit dem Feuerländer oder Eskimo tauschen, und ein reicher Bauer wäre nur immer ein armer Lord.


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Eben so wenig aber, wie sich ein bestimmter Maaßstab für den Reichthum angeben läßt, ebenso wenig gibt es einen solchen für den Nutzen oder die Annehmlichkeit (absoluten Werth) der einzelnen Güter des Lebens. Auch dieser hängt ganz von Umständen, Gewohnheit, Sitte und Zeitalter ab. Was für Einen großen Werth hat, wird von dem Andern verachtet. In kalten Gegenden ist ein Pelz ein sehr nützliches Ding; in warmen will ihn Niemand haben. Unter Umständen kann ein Glas Wasser und ein Stück Brod viel nützlicher seyn und daher viel mehr Werth für uns haben, als der kostbarste Edelstein, und ähnliche Beispiele ließen sich unzählige anführen. Ganz verschieden hievon ist indessen der Tauschwerth der Dinge, indem wir täglich sehen, daß die Menschen bereit sind, ein Gut gegen ein anderes, z. B. einen Scheffel Hafer gegen einen halben Scheffel Roggen, oder gegen eine gewisse Menge Silbers, oder gegen eine gewisse Summe Geldes zu vertauschen oder umzusetzen. Diesen Tauschwerth nennt man Preis, wenn er in Geld ausgedrückt wird, dessen Eigenschaften wir später kennen lernen werden.


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Nach Vorstehendem muß, wenn vom Tauschwerth eines Gutes oder nützlichen Dinges gesprochen wird, immer noch ein anderes Gut genannt oder wenigstens gedacht werden, wodurch dieser Werth bestimmt wird.
Es muß zugleich hier darauf aufmerksam gemacht werden, daß, wenn man sagt, der Preis eines Gutes (d. i. sein Tauschwert in Silber oder Gold oder Geldstücken oder Geld überhaupt ausgedrückt) sey wohlfeiler geworden, dies auch eben so gut ausgedrückt werden kann: das Gold und Silber oder das Geld sey in Bezug auf das fragliche Gut theurer geworden, und umgekehrt; eine Art, sich auszudrücken, welche später öfter gebraucht werden wird, und deren Bedeutung daher wohl zu beachten ist.
Endlich erhellt auch, daß der Nutzen aller Dinge, aller Güter des Lebens, von ihrem Werth (Tauschwerte gänzlich verschieden sey, – für 1 Thaler Eisen ist fast immer viel nützlicher, als für 1 Thaler Gold, oder für 1 Thaler Brüsseler Spitzen, obwohl beiden denselben Werth haben; – wenn man gleich allerdings, wie wir weiter unten sehen werden, in vielen Fällen eine recht nützliche Sache lieber wird theurer bezahlen wollen, als eine weniger nützliche. Uebrigens werden im gewöhnlichen Leben und auch in Schriften, die drei Begriffe: Nutzen (absoluter Werth), Werth (Tauschwerth) und Preis (Tauschwerth in Gelde ausgedrückt) sehr oft verwechselt. Wir werden in der Folge den Ausdruck: Werth, immer in der Bedeutung: Tauschwerth, gebrauchen.


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Nachdem wir auf diese Weise im Allgemeinen gesehen haben, welches die nützlichen Dinge oder Güter des Lebens sind, welche den Reichthum der Einzelnen sowohl, als ganzer Völker ausmache, ist es zuvörderst nothwendig, daß wir uns mit denselben, so wie mit deren Entstehung (Erzeugung, Production) näher bekannt machen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Kunst reich zu werden