a. Der eigentliche Ackerbau und dieViehzucht: 166–169.; Verschiedenheit der Erndten; Hungersnoth: 170–171.


166
a. Der eigentliche Ackerbau ist immer mit Viehzucht verbunden: weil einerseits zur Ernährung der Thiere viele vegetabilische Stoffe erforderlich sind, andererseits der Ackerbau des thierischen Düngers bedarf. Dagegen kann die Viehzucht auch ohne Ackerbau betrieben werden, da wo man im Stande ist, ohne Anbau von Gewächsen das Vieh zu überwintern. Dieß geschieht z. B. dei den herumziehenden Nomaden-Völkern, bei den Lappen (wo das Rennthier im Winter seine Nahrung unter dem Schnee sucht) und auf den Alpen, wo man ohne Anbau genügendes Heu für den Winter gewinnt.

Das Nomadenleben, bedingt durch die Notwendigkeit, immer frische Weideplätze aufzusuchen, gestattet keine beträchtlichen Fortschritte im Wohlstande, weil derselbe von nichts Anderem, als den vorhandenen Weideplätzen abhängig ist, keine anderen Naturkräfte mit zu Hilfe gezogen werden, die Bevölkerung daher nur immer spärlich ist und der Mangel an festen Wohnsitzen mehr oder weniger die Entwickelnd der gewerblichen Thätigkeit und die Ansammlung von Capital hemmt. Der Ackerbau und die durch ihn bedingten, feststehenden Wohnsitze haben daher zu allen Zeiten als die ersten Bedingungen der Zivilisation gegolten, (vergl. Schillers Eleusische Fest).


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Der Ackerbau liefert in jedem Lande jährlich in den Nahrungsmitteln bei Weitem die größte Gütermenge, dem Geldwerth nach: indem hier die wichtigste der natürlichen Capitalien, der Grund und Boden vorzugsweise in Wirksamkeit kommt. Er hat ferner den Vortheil, daß der Landmann, so sehr auch die ländlichen Producte im Werthe sinken mögen, doch wenigstens die dringendsten Lebensbedürfnisse, Nahrung, Kleidung, Heitzung, durch die eigene Production befriedigen kann. Außerdem wird das Landvolk im Allgemeinen für rüstiger, biederer und weniger verbildet gehalten, als andere Gewerbtreibende, ohngeachtet sich Manches dagegen einwenden ließe: wenn auch allerdings die Lebensweise des Landmanns seiner geistigen und körperlichen Entwicklung eine andere Richtung geben muß, als andere Beschäftigungen.


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Die Landwirtschaft kann, wenigstens in den Gegenden, wo die Beschaffenheit des Bodens und des Climas nicht zu ungünstig sind, weit mehr Menschen mit Bodenerzeugnissen versorgen, als sie mit ihren Verrichtungen beschäftigt. Je mehr dieser Ueberschuß beträgt, je mehr Menschen können neben der Landwirtschaft sich andern Beschäftigungen widmen, und je blühender wird der Zustand des Landes seyn, wie wir dieß später noch ausführlicher zu entwickeln Gelegenheit haben werden. Umgekehrt ist in vielen Ländern der Verkehr, die Zahl der anderweitig beschäftigtest Menschen und die Nachfrage nach landwirthschaftlichen Erzeugnissen so gering, daß die Landbauer hauptsächlich nur ihren eigenen Bedarf erzeugen und die Preise der ländlichen Producte nicht genügend sind, um zu einer künstlichern Bodenbewirthschaftung Veranlassung zu geben. Wenigstem muß dieselbe immer Schritt halten mit der Gelegenheit zum Absatz und mit dem Preise der über den eigenen Bedarf hinaus gewonnenen Producte. In neuerer Zeit gewinnt auch die Ueberzeugung immer mehr die Oberhand, daß der allgemeine Wohlstand hauptsächlich nur durch gleichzeitige Fortschritte und Ausdehnung der Landwirthschaft und der übrigen Gewerbe befördert werden kann (vergl. 667. flgg.)
Des Irrthums der sogenannten Oeconomisten oder Physiocraten im 18. Jahrhundert, welche nur den Bodenerzeugnissen einen reellen Werth beilegten, und davon allein den Zuwachs des Volksvermögens abhängig glaubten, ist bereits früher (§. 38.) Erwähnung geschehen. Man findet indessen noch häufig dieselbe irrige Ansicht in Zeitschriften und größern Werken von Unkundigen ausgesprochen.


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Es kann hier nicht der Ort seyn, einen Un-terricht in dem Ackerbau und in der Viehzucht zu geben. Eine zahlreiche Auswahl von Schriften darüber sind Jedermann zugänglich. Vielleicht ist keine darunter, welche mehr wie ,,Koppe’s Unterricht im Ackerbau und in der Viehzucht“ den gewöhnlichsten Landmann sowohl, als den gebildeten Oeconomen befriedigte, – das sichere und einzige Kennzeichen wahrhaft populärer Bücher. Es kann daher hier auch nicht näher ausgeführt werden, welche Aenderungen im Betriebe der Landwirthschaft, auf den verschiedenen Landgütern, die Größe derselben, das Verhältniß des Ackerlandes zum Wiesenlande, die Stellung des landwirthschaftlichen Unternehmers (ob er Eigentümer oder Zeitpächter ist), die Dienstverhältnisse und Gewohnheiten der Arbeiter, das Clima und die Länge des Winters, die Entfernung von großen Städten etc. herbeiführen. Auch wird darüber noch Einiges bei Gelegenheit der Grundrente beigebracht werden. Hier mögen daher nur noch folgende allgemeine Bemerkungen ihren Platz finden.


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Die Erndten fallen in verschiedenen Gegenden jedes Jahr sehr verschieden aus. Es wäre ein großes Unglück, wenn die Zahl der Menschen, welche davon leben können, in gleichem Verhältnisse damit stünde: indem dann bei einer schlechten Erndte immer eine Anzahl verhungern müßte, was doch nur in ganz einzelnen höchst seltenen Fälleu geschieht. Der Grund hievon liegt darin, daß, wenn die Erndte schlecht ist, der Preis des Getreides steigt und dieß Veranlassung gibt, daß die Armen und auch wohl die Reichen etwas weniger Brod und Branntwein verzehren; man schlachtet mehr Geflügel und Vieh und das Fleisch wird wohlfeiler; man verzehrt die aus frühern Jahren gesammelten Vorräte von Getreide, man kauft im Auslande Getreide auf etc.
Umgekehrt bewirkt eine gute Erndte ein Sinken der Getreidepreise: es wird viel mehr Brod verzehrt, namentlich von den Armen; man verwandelt mehr Getreide in Branntwein; man zieht mehr Geflügel und Vieh auf, – und speichert so gewissermaßen einen Theil des Ueberflusses in dem Fleisch der Thiere auf; außerdem wird Getreide und Mehl selbst, aufgespeichert und ein Theil davon ins Ausland ausgeführt.


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Demnächst müssen die Mißerndten auch desto seltener werden, je verschiedenartiger die Gewächse sind, welche man baut, indem nicht leicht alle zugleich mißrathen. Die Kartoffel ist darum eine so nützliche Frucht, weil sie einerseits nicht so leicht mißräth, andererseits die Mißerndte an Körnerfrüchten ausgleicht. Durch ihren allgemeinern Anbau ist daher die Möglichkeit einer Hungersnoth viel seltener geworden, während in Ostindien die Mißerndte des Reises, welcher dort fast das einzige Nahrungsmittel der niedern Classen bildet, oft die furchtbarste Noth erzeugt. In ähnlicher Art gleicht die mit der Verbesserung des Ackerbaues zunehmende Zahl des gehaltenen Viehes ebenfalls immer mehr die Mißerndten aus, ebenso wie dieß auch die zunehmende Verbesserung der Transport- und Verbindungsmittel thut, indem dadurch das Mittel gegeben ist, den Bedarf einzelner Gegenden durch Zufuhren aus immer größern Entfernungen zu decken. Und da der jährliche Ertrag der Erndten auf der ganzen Erde und auch auf größern Ländergebieten wohl so ziemlich sich ausgleiche dürfte: so müssen Hungersnöthe auf der Erde immer seltener werden und zuletzt, in den civilisirten Ländern wenigstens, etwas ganz Unbekanntes seyn, wie schon die heutige Zeit von diesem Uebel viel seltener und in viel geringerem Maaße heimgesucht wird, als die frühern Jahrhunderte, welche uns herzergreifende Schildernden davon hinterlassen haben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Kunst reich zu werden