Arbeitslosigkeit: 144–157.


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Man hat demnächst gegen das zunehmende Fabrikwesen und die erweiterte Anwendung vernunftloser Kräfte den zweiten Einwand erhoben, und ganze Völker, wie z. B. die Chinesen, bei denen fast alle Arbeit ausschließlich durch Menschenhände geleistet wird, sind von dem Grundsatze ausgegangen, daß es besser sey, wenn recht viele Menschen auf der Erde beschäftigt werden und leben, als Pferde und Zugochsen; – und daß zuletzt bei immer mehr zunehmender Anwendung verstandesloser Naturkräfte, die Erde nur von Dampfmaschinen, Wind- und Wassermühlen bevölkert seyn werde! – Von Hause aus ließe sich nun hiergegen die Frage stellen: ob es nicht vorzuziehen sey, daß in einem Lande wenige Menschen glücklich und mit Allem reichlich versehen leben, als daß eine zahlreiche Menschenmenge darin im Elend schmachte, wie es wirklich in China, trotz dem Fleiße seiner Einwohner, der Fall ist. Aber wenn wir vorläufig diese Frage noch unbeantwortet lassen, indem ihre Beantwortung sich aus dem Folgenden von selbst ergeben wird: so ist es doch einleuchtend, daß jener Einwand nur dann begründet seyn könnte, wenn die vernunftlosen Arbeitskräfte entweder dem Menschen wirklich einen Theil seiner Nahrung und den Raum zur Erzeugung derselben, oder die Gelegenheit zur Arbeit und Beschäftigung entzögen.


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Was den ersten Punct anbetrifft, so ist es richtig, daß mit zunehmender Menschenmenge und zunehmender Nachfrage nach Lebensmitteln, namentlich die Unterhaltung der Pferde (da dieselben nicht zugleich, wie die Ochsen, durch ihr Fleisch als Nahrung dienen) immer kostspieliger werden und zu immer ausgedehnterer Anwendung anderer Kräfte, wie der Dampfkraft, Veranlassung geben werde; – so wie jetzt schon die Dampfkraft in vielen Fällen der Pferdekraft vorgezogen wird. Kommt nun noch hinzu, wie wir früher gesehen haben, daß in jedem einzelnen Lande und auf der ganzen Erdoberfläche, ein bei Weitem größeres Quantum von Nahrungsmitteln erzeugt werden kann, als es jetzt der Fall ist: so leuchtet ein, daß der Fall nie eintreten wird, wo die vernunftlosen Kräfte dem Menschen einen Theil seiner Nahrung zu entziehen im Stande seyn könnten.


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Weit wesentlicher erscheint dagegen der zweite Punct, daß dieselben dem Menschen die Gelegenheit zur Arbeit und Beschäftigung rauben, da sich, dem ersten Anscheine nach, unläugbare Beweise dafür in allen Ländern auffinden lassen dürften. Zwar kann man diesen Einwand bald abfertigen, wenn man sagt, die dadurch brodlos gewordenen Arbeiter können zu andern Gewerbszweigen übergehen: allein dieser Uebergang hat für die niedern Klassen der Arbeiter immer große Schwierigkeit, theils werden des Mangels an nöthigen Hilfsmitteln, bis sie bei der neuen Beschäftigung wieder ein genügendes Einkommen haben; theils wegen Ungewohntheit der neuen Arbeit; theils wegen herrschender Vorurtheile; theils wegen der Schwierigkeit, ihr bisheriges Betriebs-Capital und Erwerbstamm los zu werden und nicht gänzlich zu verlieren (z. B. die Webestühle der Weber); theils endlich wegen mangelnder, anderweitiger Beschäftigung. (vergl. auch §. 521.)
Allein daraus folgt noch keineswegs, daß man einer ausgedehnten Anwendung der vernunftlosen Kräfte entsagen müsse: denn der ganze Inhalt der vorliegenden Schrift zeigt nur zu deutlich, daß die Entwicklung der menschlichen Industrie durchgehends auf ein wechselseitiges Ueberbieten (Concurrenz) begründet ist, in Folge deren es Jeder seinen Mitproducenten zuvor zu thun und an Productionskosten zu sparen sucht; und daß es unmöglich ist, alle daraus für den einzelnen hervorgehenden Uebelstände zu beseitigen, ohne zugleich alle Industrie mit zu vertilgen. Es gäbe z. B. sonst keinen verderblichern Vorschlag, als den bekannten Vorschlag Franklins: früher aufzustehen und früher zu Bette zu gehen, um die Kosten der künstlichen Beleuchtung zu sparen, indem durch dessen Ausführung eine Menge Licht- und Lampenfabrikanten brodlos werden müßten; oder es würde auch zuletzt daraus folgen, daß man z. B. eine Stadt nie an einen Fluß bauen müßte, weil dadurch einer Menge Leute die Gelegenheit entzogen wird, durch Wassertragen sich ihr Brod zu verdienen; und was dergleichen Ungereimtheiten mehr sind, die aus einem solchen falschen Grundsatze hervorgehen würden. – Da nun überdem, bei dem vermehrten Verkehr der Völker unter einander, diejenige Nation, welche der zunehmenden Ausbreitung des Fabrikwesens Hindernisse entgegen setzen wollte, bald der Concurrenz anderer Nationen unterliegen müßte: so geht schon hieraus die Notwendigkeit hervor, sich den damit etwa verknüpften Uebelständen zu unterwerfen, um nicht andere viel größere Vortheile aufzugeben.


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Ueberdem treten die Verbesserungen in der Industrie überhaupt, und im Fabrikwesen insbesondere, nie so plötzlich ein, um auf einmal, unerwartet, einer Menge Menschen ihr Brod zu entziehen. Es gehört dazu einerseits ein bedeutendes Capital, andererseits auch längere Zeit, um eine hinreichende Zahl von Arbeitern heranzuziehen. Auch schreitet die Verbesserung der Maschinen überhaupt immer nur langsam vor und wird desto schwieriger, je mehr das Maschinenwesen überhaupt schon ausgebildet ist.
Ferner ist nicht zu verkennen, daß die Einführung und Anlage der Fabriken und die Anfertigung der dazu erforderlichen Maschinen an und für sich schon wieder einer ehr großen Zahl von Menschen Beschäftigung und zwar eine des Menschen besonders würdige Beschäftigung gewährt, da dieselbe vorzugsweise die Verstandeskräfte in Thätigkeit setzt und eine Menge Kenntnisse und Fertigkeiten erfordert.


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Vor Allem ist aber in Betracht zu ziehen, daß durch die Ausdehnung des Fabritsystems, die Production von einer Masse Waaren so sehr erleichtert und um so viel wohlfeiler wird, daß dadurch eine Menge Menschen mehr in den Stand gesetzt werden, sich dieselben zu kaufen, und daß in Folge dessen, wie die Erfahrung zeigt, bei dem fabrikmäßigen Betriebe der Gewerbe zuletzt immer mehr Menschen Beschäftigung finden, als früher. Die Geschichte des englischen Fabrikwesens liefert hierzu die unwiderleglichsten Beweise, indem der Wohlstand und die Einwohnerzahl dieses Landes, namentlich die Einwohnerzahl der Städte, als dem Hauptsitze der Fabriken, trotz aller Prophezeihungen von einem baldigen Untergange, sich mit größerer Ausdehnung des Fabrikwesens immer mehr gehoben hat und immer fort hebt; während gerade in den Ländern, wo das Fabrikwesen am wenigsten ausgebildet ist, wie z. B. in Rußland, die Zunahme des Wohlstandes sowohl, als der Einwohnerzahl der Städte am langsamsten vorschreitet. So ist von 1801 bis 1831 die Einwohnerzahl von

Manchester von 94,800 auf 237,800.
Liverpool von 79,700 auf 189,000.
Birmingham von 73,000 auf 142,250.
Leeds von 53,000 auf 123,000.
Glasgow von 77,300 auf 202,000.


gestiegen, während sie in den russischen Städten beinahe stationär bleibt. Und unter den vielen Beweisen, daß die Fabrikenbevölkerung Englands keinesweges der dürftigste Theil der ganzen Bevölkerung sey, genüge die Bemerkung, daß bekanntlich von den 3 Königreichen, Irland am wenigsten Fabriken besitzt und hier doch gerade das Elend am größten ist.


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Während es zur Zeit der Erfindung der Spinnmaschinen in Großbritannien nur 50,000 Spinner und Weber gab, betrug deren Zahl im Jahr 1824: 1,200,000, und während in Großbritanien die ganze Bevölkerung vom Jahr 1780 bis 1826 um etwa 76%, in Frankreich ebenso etwa um 27% zugenommen hat, betrug die Vermehrung der vernunftlosen Arbeitskräfte in diesem Zeitraume in Großbritanien mehr als 100%, in Frankreich nur etwa 25%, ein Beweis, daß die Vermehrung der vernunftlosen Arbeitskräfte durchaus mit der Vermehrung der Einwohnerzahl ziemlich gleichen Schritt gehalten hat, und beide sich daher keineswegs wechselseitig im Wege stehen oder bekämpfen, so paradox es auch erscheinen mag, daß die Menschenzahl gerade da am meisten zugenommen hat, wo man ihre Arbeit zu entbehren am meisten bemüht gewesen ist.


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Wir werden im weitern Verlauf unserer Betrachtungen (§. 656. u. flgg.) noch Gelegenheit finden, die Möglichkeit dieser Erscheinung ausführlicher zu erklären und darzuthun, daß eine fast unbegrenzt zunehmende Production nützlicher Dinge möglich und der Wohlstand des Menschengeschlechts einer unbegrenzten Vermehrung fähig, mithin die Besorgniß, als könne nie zu viel producirt werden, ganz unbegründet ist: es genüge hierfür jetzt nur, darauf aufmerksam zu machen, daß offenbar der auf jeden Einzelnen treffende Antheil aller producirten Güter und nützlichen Dinge desto größer ist, je mehr überhaupt producirt wird, welches Letztere um so mehr der Fall seyn wird, je mehr sich der Mensch andere Kräften dienstbar macht, für sich arbeiten läßt und für seine Zwecke benützt.


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Nach alle dem werden wir in Bezug auf das Fabrikwesen zu dem Endresultat geführt, daß dasselbe, weit entfernt, die Beschäftigungen der Menschen, ihren Wohlstand und ihre Zahl zu vermindern, vielmehr eins der wirksamsten Mittel ist, dieses Alles, folglich auch zugleich die Macht der Staaten, zu vermehren; daß die Entstehung und Ausbreitung der Maschinen von unendlich vielen äußern und innern Bedingungen und von dem ganzen Culturzustande einer Nation abhänge; daß daher ihre Entwickelung im natürlichen Gange nur langsam fortschreiten kann; daß die daraus mitunter unvermeidlich hervorgehenden temporären Stockungen in der Arbeit und im Verdienst für einzelne Individuen und ganze Klassen, ein nothwendiges und unvermeidliches Uebel sind, was am besten durch die Geschicklichkeit und Sparsamkeit der Arbeiter, selbst gemildert werden kann, die ihnen gestatten, sich anderweitig ihr Brod zu suchen; daß aber dieser Wechsel der Arbeit in der Regel nur unmerklich, folglich selbst für den Einzelnen unschädlich, meist durch bessern, auf andere Weise zu verdienenden Lohn vortheilhaft wird; daß zuletzt, wenn alle diese. Gründe noch nicht befriedigend scheinen, wenigstens zugegeben werden muß, daß jede Nation zu eilen habe, sich der Maschinen und des zweckmäßigsten Betriebs zu bedienen, wenn sie in ihrem Weltverkehr neben andern Nationen, welche diese anwenden, bestehen will; und daß überhaupt ein ausgebreitetes und sicher begründetes Fabrikwesen auf Bedingungen beruht, deren letzter Grund die ganze allgemeine Bildung der Nation und der freie Gebrauch der Kräfte des Einzelnen ist. Und so werden wir uns fürs Erste noch keine Sorge zu machen haben, daß das Maschinenwesen und die Anwendung der Thier- und Elementarkräfte die Menschen ausrotten und, wie Sismondi meint, nur den König übrig lassen werde, um, einsam an der Kurbel drehend, alle Geschäfte des Acker- und Bergbaues, der Fabriken und des Handels allein zu verrichten. Oder es müßte erfunden werden, daß die Maschinen auch denken, sich selbst bauen, erhalten, verbessern und bedienen, und vor Allem, daß sie selbst die Producte, die sie liefern, zu gebrauchen und zu verzehren lernen, weil sonst die ganze, durch sie bewirkte Production keinen Zweck hätte! –


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Alle jene Klagen über zunehmende Arbeits- und Brodlosigkeit müssen daher im Allgemeinen als unbegründet oder wenigstens als ungenügend erscheinen, um darum die Fortschritte des Fabrikwesens hemmen zu wollen. Es scheint auch, daß sie in neuester Zeit immer mehr verhallen, nachdem, durch einen langen Frieden und bessere Einsicht, die anderweitigen Ursachen immer mehr beseitigt worden sind und beseitigt werden, welche jene Arbeits- und Nahrungslosigkeit erzeugten, und welche irrthümlich der Ausbreitung des Fabrikwesens zugeschrieben wurden. Denn bei näherer und vorurteilsfreier Prüfung wird man meistens finden, daß noch ganz andere Ursachen dabei mit im Spiele sind, als z. B. politische und mercantilische Maaßregeln des eigenen Staates und der Nachbarstaaten, neue Ein- und Ausfuhrverbote und Begünstigungen, Handelstractate, Aenderungen in der Besteuerungsweise, Kriege und Unruhen, plötzliche Entlassung von Truppen und großen Arbeitermassen, veränderter Betrieb gewisser Gewerbe, namentlich der Landwirthschaft (z. B. in Folge der Dienstablösungen,) etc. Solche Veränderungen müssen nothwendig immer auf eine Anzahl Arbeiter und Gewerbtreibende nachtheilig einwirken, welche dann Mühe haben, zu anderen Beschädigungen überzugehen.


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Von allen diesen Ursachen wirkt indessen wohl nichts so durchgreifend nachtheilig, als Kriege und häufige Veränderungen in der innern Finanzgesetzgebung. Die Industrie entspringt überall aus zartem und unmerklichen Keimen, die leicht ein rauhes Lüftchen tödtet. Nichts ist derselben zuträglicher, als Bestand und Ruhe, und die Geschichte zeigt uns eine Menge von Staaten, welche bei der mangelhaftesten innern Organisation, bloß durch die Unveränderlichkeit ihrer inneren Einrichtungen, in großen Flor gekommen sind, wie z. B. Venedig, viele deutsche Reichsstädte, England etc.


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Da die Arbeitslosigkeit ein Gemeinplatz ist, den man in allen Klassen mehr oder weniger besprechen hört: so dürfte es hier am Orte seyn, noch etwas näher auf die Ursachen einzugehen, welche dieselbe befördern und der großen Masse in vorkommenden Fällen den Uebergang zu anderen Beschäftigungen erschweren. Dazu ist zu rechnen:
a. ,,Wenn zünftige Einrichtungen und Mangel an Gewerbefreiheit diesen Uebergang hindern oder gar unmöglich machen.“ (Vergl. auch .§. 521.).
Dieß bedarf keines weitern Beweises. Die Ruhe, welche der Preußische Staat in seinem Innern genießt, und sein zunehmender Wohlstand ist gewiß vorzugsweise der seit 30 Jahren darin bestehenden Gewerbefreiheit zuzuschreiben, welche Jedem gestattet, sein Brod wo und wie er will, zu verdienen, aber auch für Niemanden die Verpflichtung übernimmt, für seinen Unterhalt zu sorgen. Es gibt kein triftigeres Argument gegen die Klage über Mangel an Arbeit!
b. ,,Wenn die Arbeiter, durch langen Mißbrauch, Zwang oder Gewohnheit entartet, physisch und moralisch unfähig sind, zu andern Beschäftigungen überzugehen und alles Unternehmungsgeistes entbehren.“
Dieser Punct ist bereits früher ausgeführt worden. Wer könnte nicht Beispiele hievon in der Nähe und Ferne angeben? Man sehe den schlesischen Leinweber, den Tuchmacher in den kleinen polnischen Städten, den polnischen Bauer, den Trödeljuden etc. Oder man suche unter der Menge von Unterbeamten und Leuten, die durch Schreiben ihr Brod verdienen, solche, die auch noch zu andern Geschäften brauchbar sind, und man wird sehen, wie schwer dieß hält.
c. ,,Wenn die große Masse der Arbeiter bloß von der Hand in den Mund lebt und nie einen Sparpfennig zurücklegt, um vorübergehende Zeiten der Arbeitslosigkeit zu ertragen.“
Die natürliche Folge davon ist, daß sie in solchen Fällen entweder der Armencasse zur Last fallen oder sich zu den niedrigsten und schlechteste Arbeiten hergeben und so immer tiefer ins Elend versinken. Wenn überhaupt zugegeben werden muß, daß die Lage der Arbeiter bei uns sehr ungünstig sey, im Vergleich zu den Unternehmern; und wenn es sich um die Mittel handelt, im Laufe der Zeit ein günstigeres Verhältniß in dieser Beziehung herbeizuführen, wie es z. B. in den nordamericanischen Freistaaten und auch in Großbritannien besteht, wo die niedrige Arbeiterklasse sich im Allgemeinen eines unverkennbar höhern Wohlstandes erfreut: so ist, wie wir später dieß ausführlicher zu entwickeln Gelegenheit haben werden, der Besitz eines Sparpfennigs für dieselbe die erste Bedingung, um sie unabhängiger von den Unternehmern zu machen. Eine allgemeine Einführung der Sparkassen, verbunden mit Versicherungsanstalten aller Art, kann daher nicht genug empfohlen und befördert werden, (vergl. §.101. 102.)
d. ,,Wenn die Industrie eines Landes überhaupt noch auf einer niedrigen Stufe steht, und darin nur wenige Gewerbszweige betrieben werden.“
Denn es ist sogleich einleuchtend, daß in einem sehr bevölkerten und gewerbfleißigen Staate, wenn darin eins von tausend Gewerben stockt, die dabei beschäftigt gewesenen Arbeiter leichter anderwärts unterkommen werden, als in einem, von einem rohen Volke spärlich bewohnten Lande. Die Noth gewisser Arbeiterklassen findet daher in reichen und wohlhabenden Ländern und Gegenden immer leichter Abhülfe, als in armen; auch schon deßwegen, weil die Wohlhabendern eher etwas zur Abhilfe der Noth ihrer Mitbürger thun können.
e. ,,Wenn endlich ein Land wenig Communicationsmittel besitzt, und der Arbeiter sich nur mit Mühe da Arbeit und Erwerb suchen kann, wo er sie leichter und besser finden würde.“
Hierzu kommt, daß in Ländern, wo die Verbindungen schwierig und theuer sind, die Gewohnheit fehlt, an einem andern Ort Nahrung und Arbeit zu suchen. Der zunehmende Wohlstand der nordamericanischen Freistaaten ist hauptsächlich mit in der Leichtigkeit der Verbindungen zu suchen, die Jedem gestattet, seine Thätigkeit an einen andern Ort zu verlegen, wo er einen bessern Lohn für sie zu finden hoffen darf. Aus Irland wandern jährlich Tausende nach Großbritannien und Nordamerica, um dem Elende in ihrem Vaterlande zu entgehen. Der Savoyarde verläßt als Knabe seine Heimath und kehrt oft als wohlhabender Mann zurück. Der schlesische Weber verhungert lieber bei 2 bis 3 sgr. täglichen Verdienstes, ehe er seine Heimath verließe; trotz dem, daß er bei seiner Sparsamkeit, wenn er einmal seinen Wanderstab ergriffen hat, z. B. beim Chausseebau, sein gutes Brod zu verdienen weiß.


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Bei dem Allem ist nun noch wohl zu beachten, daß die Klagen über Arbeits- und Brodlosigkeit an und für sich oft ganz unbegründet sind. Kann da z. B. überhaupt von Arbeitslosigkeit die Rede seyn, wo, wie wir dieß täglich noch bei uns erfahren, zugleich überall ein Mangel an geschickten und fleißigen Arbeitern und Gewerbtreibenden fühlbar ist? wo die Meister und Behörden es nicht dahin bringen können, den blauen Montag und die Quatembertage abzuschaffen, wenn auch die dringendsten Arbeiten vorliegen? wo noch immer die aufgehobenen Fest- und Feiertage gefeiert werden? oder wenn die Klage über Arbeitslosigkeit in solchen Gewerben geführt wird, nach denen sich meist nur Leute drängen, welche keine Lust zu angestrengter Thätigkeit haben, wie Krämer, Trödler, Hausirer, Branntweinschänker, Schuhflicker, Barbierer, Leineweber, Scheerenschleifer, Nadler, Korbmacher, Töpfer, Glaser, Bürstenbinder, Handschuhmacher und andere dergleichen, ihren Mann meist schlecht nährende Gewerbe?


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In ähnlicher Art stimmen die meisten Bericht-erstatter darin überein, daß wenn in England von der Noth der Arbeiter und namentlich der Fabrikarbeiter die Rede ist, darunter meistentheils ein Zustand verstanden wird, mit dem die Arbeiter des Continents im höchsten Grade zufrieden seyn würden. So wird in den Briefen eines Verstorbenen erzählt: ,,Als ich eben in Birmingham war, berichteten die Londoner Oppositionsblätter von einer dort herrschenden Hungersnoth unter den Fabrikarbeitern. Diese bestand in der Wirklichkeit darin, daß die Leute statt drei oder vier Mahlzeiten, mit Thee, kaltem Fleisch, Butterbrod, Beafsteacks oder Braten, sich nun eine Weile vielleicht mit einer oder zwei, und bloß mit Fleisch und Kartoffeln begnügen mußten. Es war aber zugleich Erndtezeit und der Mangel an Arbeitern hierbei so groß, daß fast jeder Preis dafür bezahlt wurde. Demohngeachtet versicherte man mich, die Fabrikarbeiter würden eher alle Maschinen demoliren, ja wirklich Hungers sterben, ehe sie sich entschloßen, eine Sense in die Hand zu nehmen, oder Garben zu binden. So verwöhnt und eigensinnig durch allgemeines Wohlleben und Sicherheit des Verdienstes (wenn man nur diesen ernstlich aufzusuchen Lust hat), ist das englische gemeine Volk, und man kann sich nach dem Gesagten abstrahiren, was von den häufigen Artikeln solcher Art in den Zeitungen eigentlich zu halten ist.“ –
Andere Reisende bestätigen vollkommen diese Angaben.


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Auch bei uns hat mich selbst eine vieljährige und ausgedehnte Erfahrung zu der Ueberzeugung gebracht, daß der fleißige, tüchtige und redliche Arbeiter und Handwerker immer Arbeit und reichlich Arbeit findet; daß Arbeits- und Verdienstlosigkeit, namentlich wenn sie länger dauert, immer Schuld der Arbeiter und Handwerker selbst ist, weil sie entweder nicht arbeiten wollen oder nicht zu arbeiten verstehen, oder unzuverläßig, liederlich und dem Trunke ergeben sind; und daß diejenigen, die ewig von den Nachtheilen der Fabriken und der Gewerbefreiheit, so wie von der herrschenden Brodlosigkeit sprechen oder ihnen durch künstliche Mittel: Industrie-Anstalten, Unterstützungen, öffentliche Werkstätten etc. abhelfen wollen, in der Regel der Sache nicht auf den Grund gegangen sind, und nur die Faulheit, Rohheit und Liederlichkeit unterstützen. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Kunst reich zu werden