c. Gelehrte und Lehrer: 61.; Volksbildung. 62.


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c. Gelehrte und Lehrer. Ihre Notwendigkeit und ihr Nutzen in der menschlichen Gesellschaft ist, wie früher schon (§. 41.) dargethan worden, nicht zu verkennen. Die alleroberflächlichste Prüfung zeigt sogleich, wie weit wir noch in allen gewerblichen Unternehmungen zurück seyn würden, wenn es nicht zu allen Zeiten Leute gegeben hätte, welche sich dem Studium der Wissenschaften hingegeben hätten. Man wird zwar dagegen einwenden, das wisse man Alles aus Erfahrung, und ein Arbeiter und Werkmeister brauche kein Chemiker und Mathematiker zu seyn, um einen Stoff zu fabriciren oder zu färben. Dieß mag wahr seyn: aber wenn nicht Jemand einmal sich diese Kenntnisse erworben, wenn er sie nicht Andern mitgetheilt, wenn er sie nicht in Schriften niedergelegt hätte, so würden die Fabricanten sie offenbar nicht in Anwendung bringen können.
Und dabei ist es keineswegs erforderlich, daß das Studium der Gelehrten immer schon die unmittelbaren nützlichen Anwendungen der erworbenen oder neu gewonnenen Kenntnisse zum Zwecke habe. Denn einerseits ist fast niemals vorauszusehen, welcher Gebrauch von den neu erworbenen Kenntnissen werde gemacht werden können. Als Döbereiner die merkwürdige Eigenschaft des Wasserstoffgases, das sich in Verbindung mit Platina entzündet, entdeckte, konnte er nicht vorher wissen, daß diese Entdeckung in den Platinafeuerzeugen eine so nützliche Anwendung finden werde, und solcher Beispiele ließen sich unzählige anführen. Andererseits ist es aber dem Wesen des gelehrten Studiums um so mehr entgegen, „dasselbe nur immer zu einer melkenden Kuh zu machen die uns mit Butter versorgt,“ als Kenntnisse für sich selbst schon für den gebildeten Menschen eines der edelsten, wenn auch unkörperlichen Güter sind, weßhalb man die gelehrten Studien schon an und für sich als eine der reichsten Güter- und Genußquellen ansehen kann, während Kenntnisse zugleich eines der wirksamsten Bildungsmittel des Menschen in moralischer Beziehung sind.
Von diesen Gesichtspunkten aus angesehen, kann uns der Stand der Gelehrten in der menschlichen Gesellschaft nur als höchst ehrenvoll und nützlich erscheinen (und, wie wir gesehen haben, heißt productiv zuletzt nichts anders) es mögen nun deren Studien den Zweck haben, sich selbst Kenntnisse zu erwerben, oder als Lehrer die erworbenen Kenntnisse unter ihre Mitbürger zu verbreiten.


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Es ist nicht möglich, daß jeder Mensch Alles wisse. Darum theilen wir die Kenntnisse in Elementar- und in gelehrte Kenntnisse. Die erstern sind solche, deren allgemeine Verbreitung möglich und wünschenswert ist; die letztern dagegen nur für das Studium einer geringern Zahl geeignet. Eine bestimmte Grenze zwischen beiden lätzt sich nicht ziehen. Ein Mensch kann niemals zu viel wissen, wenn nur unter seinem Wissen seine Urteilskraft nicht leidet und er nicht dadurch verschroben wird, was leider häufig statt findet und die Gelehrsamkeit so leicht bei der großen Menge in Verruf bringt. Viel besser ist es freilich, Weniges gut, als Vieles halb und schlecht zu wissen. Demnächst ist es gewiß für das Wohl der Nationen viel ersprießlicher, wenn, statt einer allzugroßen Zahl von Gelehrten, lieber die Elementarkenntnisse recht allgemein unter dem Volke verbreitet sind. Unter Ludwig XIV. hatte Frankreich viele ausgezeichnete Gelehrte und Künstler, die ihres Gleichen in andern Ländern suchten; desto mehr fehlte es der großen Masse an nützlichen Kenntnissen. Kein Landmann konnte lesen und schreiben; der Landadel zeichnete sich nur durch seinen Stolz vor der untern Klasse. Auch in neuerer Zeit dürften in dieser Beziehung die Franzosen ihren Nachbarn, den deutschen und Britten, noch nachstehen.

Vom wesentlichsten Einflusse bleibt in dieser Beziehung die Auswahl der Lehrgegenstände in den niedern Schulen. Immer mehr nimmt glücklicherweise auch bei uns die Ansicht überhand, daß es besser sey, den jungen Leuten, welche sich den eigentlichen Gewerben widmen wollen, statt des vielen Griechisch und Lateinisch, lieber solche Dinge zu lehren, welche sie als Männer brauchen können, also neuere Sprachen, angewandte Mathematik, Physik, Chemie, Geographie, Naturgeschichte, Zeichnen etc.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Kunst reich zu werden