2. Die menschliche Arbeit: 38–44.

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Wir haben bereits oben gesehen, daß bei Erzeugung fast aller Güter des Lebens die menschliche Thätigkeit oder Arbeit (im weitesten Sinne genommen) mitwirkt und mitwirken muß, weil ohne ihr Zuthun die Natur nur wenige und unvollkommene Güter des Lebens darbietet und daß dieselbe daher die zweite wesentlichste Güter- oder Vermögensquelle ist. Es ist zugleich einleuchtend, warum man hiernach früher die menschliche Arbeit für die einzige Güterquelle halten konnte. Andrerseits hat man aber auch eine lange Zeit geglaubt, und diese Meinung findet jetzt noch Vertheidiger, daß die natürlichen Güterquellen die einzigen wahren seyen, und die menschliche Arbeit zur Vermehrung und Verbesserung der Güter des Lebens nichts beitrage. Diese Ansicht ist, wie die ganze vorliegende Schrift darthut, eben so irrig, als die ebenerwähnte, daß die Güter des Lebens lediglich aus der menschlichen Arbeit hervorgehen und diese daher die einzige wahre Güterquelle zu betrachten sey. Beide Ansichten beruhen auf einem Mißverständniß, dessen Beseitigung sich leicht aus einer aufmerksamen Zergliederung der Art und Weise ergibt, wie die verschiedenen Güter des Lebens entstehen.
Wenn übrigens einerseits die Arbeit eine notwendige Bedingung ist, um uns die Güter des Lebens zu verschaffen; so ist dieselbe zugleich andernseits vermöge einer sehr weisen und gütigen Einrichtung der Natur, unser bester Zeitvertreib, unsere Freude und unser Trost; so daß die fleißigen Menschen immer auch die glücklichsten sind. Der gebildete Mensch arbeitet nicht bloß, weil er dazu genöthigt ist, sondern auch noch weit mehr, weil es ihm Vergnügen macht. Nur der rohe, ungebildete Mensch findet im Faullenzen einen Genuß.
Dieser Umstand ist besonders geeignet, den Werth und die Bedeutung der verschiedenen industriellen Beschäftigungen des Menschen gehörig zu würdigen, indem er uns zeigt, daß der bloße Erwerb und die Beschaffung von materiellen Gütern und Genüssen keineswegs der ausschließliche Zweck dieser Beschäftigungen ist. Ein arbeitsames Volk wird nicht bloß wohlhabend, sondern auch tugendhaft und glücklich seyn, und dasselbe läßt sich auch im Allgemeinen von dem einzelnen Menschen sagen.


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Die verschiedenen Abstufungen in der Thätigkeit des Menschen, von der rohesten Handarbeit bis zur gesteigertsten geistigen Thätigkeit des Künstlers und Gelehrten, gehen so allmählig in einander über, daß es durchaus unmöglich ist, sie in bestimmte Klassen zu sondern. Im gewöhnlichen Leben sondert man meistens den Nährstand vom Lehr- und Wehrstand. Diese Eintheilung ist eben so unvollständig, als andere, die man versucht hat. Um jedoch unsere Begriffe in dieser Hinsicht möglichst zu ordnen, wollen wir die menschlichen Beschäftigungen eintheilen in materielle und immaterielle Beschäftigungen, oder nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, die Menschen, welche überhaupt ein nützliches Geschäft treiben (was mit produciren nach dem Eingangs darüber Gesagten gleichbedeutend ist) eintheilen in solche, die etwas Nützliches machen (verfertigen, oder auch nur von andern Orten herbeischaffen: (Stoffarbeiter) und solche, die gerade kein nützliches Ding erzeugen, aber doch etwas Nützliches thun (Dienste). Wenn gleich diese Sonderung in zwei Klassen ebenfalls keineswegs streng durchzuführen ist, so wollen wir sie doch hier ihrer Einfachheit wegen, zu Grunde legen.


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Die Leute, welche etwas Nützliches machen oder schaffen (produciren), lassen sich wiederum, der bessern Uebersicht wegen, in zwei verschiedene Klassen sondern, zwischen denen jedoch ebenfalls keine bestimmten Grenzlinien bestehen: in eigentliche Arbeiter und in Unternehmer.
Wenn Jemand z. B. glaubt, daß ein gewisser Stoff, Leinwand, Tuch etc, so gesucht sey, daß der dafür zu erhaltende Preis seine Mühe ihm vergüte und seine Auslagen decke: so vereinigt er alle die verschiedenen Mittel, die erforderlich sind, um diesen Stoff hervor zu bringen und läßt sie zu dem vorliegenden Zweck zusammenwirken, kauft also das erforderliche Material, läßt es spinnen, weben, färben, appretiren etc. und gehört dann zur Klasse der Unternehmer. Diejenigen dagegen, welche bei diesen verschiedenen Operationen durch ihre Händearbeit unmittelbar mitwirken, sind eigentliche Arbeiter, oder Arbeiter engern Sinn. Ein Gutsbesitzer ist ein Unternehmer, welcher durch Mitwirkung seiner Arbeiter, deren Thätigkeit er leitet, Feldfrüchte aller Art etc. producirt. In ähnlicher Art ist ein Ballen Kaffee das Resultat einer industriellen Unternehmung in dem Lande, in welchem er gebaut wurde; dann einer andern, durch welche er nach Europa gebracht wird; dann einer dritten, durch die er in kleinen Quantitäten in die Hände des Krämers gelangt, um von diesem wieder an die einzelnen Verzehrer verkauft zu werden. Zu allen diesen Operationen waren eine Menge verschiedener Arbeiter: Knechte, Matrosen, Fuhrleute, Schreiber, Commis etc. erforderlich.


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Der Unternehmer aber muß die verschiedenen mitunter künstlichen Operationen genau kennen, welche zu der von ihm beabsichtigten Erzeugung eines gewissen Products erforderlich sind; und diese Operationen sind wiederum mehr oder weniger auf wissenschaftliche Kenntnisse begründet, welche oft nur das Resultat der tiefsinnigsten und Jahrhunderte lang fortgesetzte Forschungen sind. Das Daguerrotyp ist eine der nützlichsten und angenehmsten Erfindungen, die bald eine allgemeine Verbreitung finden wird. Aber diese Erfindung war nur möglich, nach den Fortschritten, welche die Chemie in neuerer Zeit und namentlich seit 50 Jahren gemacht hat. Auf ähnlichen, ein langwieriges Studium erforderten Kenntnissen beruht z. B. auch die Kunst, die verschieden Stoffe zu färben, die Locomotiven der Eisenbahnen zu bauen etc. Alle diese Dinge würde der Mensch entbehren müssen, wenn es nicht zu allen Zeiten Menschen gegeben hätte, welche ihr Leben ausschließlich wissenschaftlichen Forschungen gewidmet hätten, und dies sind die Gelehrten, als die erste Unterabtheilung derjenigen Klasse, welche, ohne gerade etwas Nützliches zu verfertigen, doch ein nützliches Geschäft treiben. Man sieht zugleich, wie thöricht es ist, das Geschäft dieser Leute und namentlich der Gelehrten für improductiv zu erklären.


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Eine zweite Unterabtheilung dieser Klasse sind die Beamten, dazu bestimmt, die Ordnung des Staatsgebäudes aufrecht zu erhalten und den übrigen Klassen der Gesellschaft den nöthigen Schutz angedeihen zu lassen. Es bedarf keines weitern Beweises, daß sie ebenfalls ein sehr nützliches Glied der Gesellschaft ausmachen, und darum ihr Geschäft, wenigstens mittelbar als Productiv, oder die allgemeine Production fördernd angesehen werden muß.
Aehnliches läßt sich von dem zur Verteidigung des Staate bestimmten Militair sagen. Endlich gibt es noch eine zahlreiche untergeordnete Klasse von Menschen,. Welche andern durch ihre persönlichen Dienste, als Dienstboten, Knechte, Commis etc. nützlich sind, und deren Arbeit eben darum wenigstens mittelbar als Productiv (nützlich) angesehen werden muß, wenn sie gerade auch keine Stoffe verarbeiten.


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Hiernach werden wir also in der menschlichen Gesellschaft eigentlich nur diejenigen Personen für improductiv erklären müssen, welche gar nichts Nützliches thun oder vermöge ihrer körperlichen und geistigen Beschaffenheit thun können. Wir werden zu dieser Klasse auch vorzugsweise die Rentiers rechnen müssen, welche ohne alle Anstrengung bloß von ihren Einkünften leben, wenn sie nicht ihr Geld zu nützlichen Zwecken verwenden und sich, wenn auch nur zu ihrer Unterhaltung und Belehrung, mit etwas Nützlichem beschäftigen.


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Ehe wir die wichtigsten dieser verschiedenen Beschäftigungen einer nähern Beleuchtung unterwerfen, muß vorher wiederholt erinnert werden, daß die Grenzen dieser verschiedenen Classen keineswegs genau bestimmt sind, Jemand auch recht füglich zu mehrern dieser Klassen gehören kann. Ein Apotheker kann zugleich Arbeiter seyn, indem er selbst seine Medicamente mischt; Unternehmer, indem er die Geschäfte seiner Apotheke leitet; Gelehrter, indem er Chemie studirt und diese Wissenschaft durch neue Untersuchungen bereichert; Beamter, wenn er nebenbei einen städtischen Posten bekleidet; endlich Militär, indem er zur Landwehr gehört.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Kunst reich zu werden