Der Ruhmsinn und die Stiftungen der Frömmigkeit

Die italienische Baukunst wird seit dem Erwachen der höheren Kultur wesentlich bedingt durch den hier viel früher als anderswo entwickelten individuellen Geist der Bauherren wie der Künstler. Im Zusammenhang mit demselben erstarkt der moderne Ruhmsinn, welcher nicht nur mit seinesgleichen wetteifern, sondern sich unterscheiden will und von einer früh beginnenden Reihe von Aufzeichnungen begleitet ist, welche im Norden fehlen.

Der Norden hat beinahe nur einzelne Rechnungen und Indulgenzbriefe, während in Italien Inschriften, Chronikangaben und Urkunden, reich an tendenziösen Ausdrücken, sowohl die Tatsachen als die Gesinnungen überliefern.


Diese monumentale Baugesinnung, bald mehr auf das Nötige, bald mehr auf das Schöne oder Zierliche gerichtet, bleibt eine der ersten bewussten Lebensregungen der ganzen Zeit vom XI. bis ins XVI. Jahrhundert und begleitet den Versuch der Wiedererweckung der antiken Baukunst im XII. , die Aufnahme des Gotischen seit dem XIII. und die Renaissance seit dem XV. Jahrhundert fast gleichmäßig als höchste Triebkraft.

Beim Kirchenbau natürlich nicht genau auszuscheiden vom Bedürfnis der Frömmigkeit. Der sichtbare Ausdruck der letzteren, Ablass, Kollekten und Almosen, ist auch für Kathedralen nicht entbehrlich und für Bauten von Ordenskirchen die wichtigste Geldquelle. Doch hatte der Ablass in Italien politische Grenzen; wenn die nordischen Kathedralen während ihres Baues jede auch im Gebiete der anderen kollektieren ließen, so wären Pisaner, Bologneser, Sienesen, Florentiner, Venezianer einander wohl sonderbar vorgekommen, wenn eine dieser Städte ähnliches versucht hätte. Höchst einträglich war der Ablass Bonifaz’ IX. für den Dombau zu Mailand 1391, den Besuch der dortigen fünf Hauptkirchen dem der römischen Patriarchalkirchen gleichstellend. Ebenso die jährliche Oblation am Fronleichnamsfeste, daneben ungeheure Kollekten an einzelnen Wallfahrtsstätten; Gaben einer bunt gemischten Pilgerschaft; die alljährliche am Grabe des heiligen Antonius zu Padua warf oft bis 400 Goldstücke ab. In Venedig wurde S. Maria de’ miracoli 1480 aus einer örtlichen raschen Kollekte von 30.000 Dukaten erbaut; ebenso S. Giovanni Crisostomo 1497 meist aus Ablassgeldern.

Besonders zahlreiche Stiftungen und Herstellungen von Kirchen und Klöstern geschehen in Schreckenszeiten, z. B. zu Ende des XV. Jahrhunderts in Perugia. Doch sind die Oblationen bisweilen nur scheinbar freiwillig, wie denn z. B. die für den Domturm von Ferrara seit 1451 tatsächlich vorgeschrieben waren.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Kunst der Renaissance in Italien - Architektur