Die Kunst auf dem Jahrmarkt.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 6. 1871
Autor: A. P., Erscheinungsjahr: 1871

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Jahrmarkt, Messen, Taschenspieler, Gaukler, Kunstreiter, Landvolk, Seiltänzer, Künstler
Das abenteuerliche Leben der bekannten umherziehenden „Künstler“ der Messen und Jahrmärkte hat schon manchem Maler den Stoff zu einem gelungenen Genrebilde geliefert. Bald sehen wir einen Taschenspieler vor dem erstaunten Landvolke aus einem Hute lebendige Tauben hervorzaubern, oder der Maler versetzt uns in die Garderobe einer Kunstreiterfamilie und führt uns eine Reihe charakteristischer Gestalten aus diesen Kreisen vor, denen er, meist mit Humor, ihre Eigentümlichkeiten abgelauscht hat, wie es denn meist auch heitere Szenen sind, die uns da geboten werden.

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Anders hat M. Beyle, der Maler des Bildes, von dem wir auf S. 429 einen Holzschnitt geben, sich seine Aufgabe gestellt; er nahm sich einen der tragischsten Zwischenfälle zum Vorwurf, die im Leben dieser armen Gaukler vorkommen, und lässt uns in dem verwundeten Führer einer Seiltänzertruppe den tiefen Gegensatz empfinden zwischen dem Elend, der Gefahr, denen diese Leute täglich ausgesetzt sind, und dem bunten Flitterstaat, der sie umgibt. Der Lebenszweck dieser Akrobaten ist, die Anderen zu belustigen, ihnen durch ihre Künste, ihre Körpergewandtheit die Zeit angenehm zu vertreiben, dies hat vorhin der erste Held dieser Truppe in der anstoßenden Bretterbude getan — als ein Fehltritt auf dem Seile ihn herabfallen ließ. Der Sturz war unglücklich, eine heftig blutende Wunde an der Schläfe des Mannes bezeugt es. Seine Leute eilten herbei und trugen den Bewusstlosen hinaus vor das ambulante Wohnhaus der Künstlerfamilie, den Omnibus.

Der Spaßmacher der Gesellschaft, der Hanswurst, dessen Aufgabe sonst ist, die Zuschauer innerhalb der Bretterbude durch seine Schnurren zum Lachen zu bringen, spielt jetzt schnell im tiefsten Ernste den Arzt und bemüht sich, die Wunde auszuwaschen und das quellende Blut zu stillen; die alte Großmutter reicht ihm die Schüssel mit Wasser, die Gattin hält Kopf und Hand des Verunglückten, während der älteste Sohn mit einer schnell bereiteten Erfrischung herbeieilt, und seine Geschwister links auf dem Bilde mit einer gewissen stumpfen Neugierde zusehen, die übrigen Gesellschaftsmitglieder aber, rechts im Hintergründe, ihre Meinungen über die Verwundung austauschen. Wohl spricht aus all den Gesichtern, die der Maler uns hier zeigt, ein gewisses Abgehärtetsein gegen die Stöße und Püffe des Geschicks, aber rührend ist dennoch der Zug von Pietät, der unter den Angehörigen des Verwundeten zu Tage tritt und den M. Beyle treffend zu zeichnen verstanden hat. Das Bild war vor Beginn des Krieges im Kunstsalon von Paris ausgestellt und fand reichen Beifall.

Vom Seil gefallen

Vom Seil gefallen