Einwirkung der geographischen Gestaltung der Erdoberfläche

    Diese Gestaltung hängt ab von der Erhebung der festen Bestandteile der Erdrinde über die tropfbar flüssigen, also durch die Ausdehnung des Landes in die Breite (horizontale) und in die Höhe (vertikale Gliederung). Durch die horizontale Gliederung zerfällt das Land der Erde in größere Massen oder Kontinente und in kleinere Massen oder Inseln. Die letzteren sind entweder durch schmale Meeresarme getrennte Anhängsel eines Festlandes, oder sie liegen entfernt von jedem solchen in reichen Gruppen. Die Kontinente hinwieder sind entweder massig und abgerundet, so dass die Küstenausdehnung hinter dem Flächenraum des Innern zurückbleibt, oder sie verzweigen und gliedern sich in eine Menge von Landengen und Halbinseln, so dass das Innere nirgends in bedeutender Entfernung vom Meere gelegen ist und die Küstenentwickelung diejenige weit größerer, aber ungegliederter Kontinente überwiegt. Die größten Kontinente bestehen aus je zwei diesen beiden Formen angehörenden und nur durch eine schmale Landenge zusammenhängenden Teilen. Es ist dies der Fall im westlichen Kontinente, wo das massige Süd- mit dem gegliederten Nordamerika durch den Isthmos von Panama, und im östlichen Kontinente, wo das massige Afrika mit dem gegliederten Asien und Europa durch den Isthmos von Suez zusammenhängt, während der Kontinent von Australien rein massig ist und mit keinem gegliederten in Verbindung steht. Vollkommen gegliedert ist indessen Asien nicht ; in ihm überwiegt ein massenhaftes Innere die karg entwickelten Glieder bedeutend. Weniger massenhaft und wenn auch in der Gliederung noch immer unvollkommen, doch schlank und gefällig geformt und den Mangel eindringender Meerbusen durch große Seen und Ströme ersetzend ist Nordamerika. In Europa dagegen sehen wir die Gliederform durch und durch ausgebildet; aber hier bietet die Sarmatische Tiefebene wieder einen Übergang zur asiatischen Zwittergestalt dar. Betrachten wir nun diese verschiedenen Kontinente nach ihrer Lage, so werden wir finden, dass diejenigen von gegliederter und gemischter Form im Norden und diejenigen von massiger Form im Süden liegen, ferner dass jene einander bedeutend genähert sind, während diese weite Meeresstrecken zwischen sich haben. Europa ist von Nordamerika durch ein verhältnismäßig schmales Meer, letzteres von Asien nur durch die Behringstraße getrennt. Afrika und Südamerika dagegen haben den breitesten und in das südliche Eismeer auslaufenden Teil des atlantischen, Afrika und Australien den ganzen indischen, Australien und Südamerika den ganzen großen Ozean zwischen sich. Aus diesem doppelten Verhältnisse der Gliederung und Annäherung im Norden, der Abrundung und Entfernung im Süden geht aber mit Notwendigkeit hervor, dass Asien, Europa und Nordamerika ein reger Schauplatz des Verkehrs der Völker, Australien, Afrika und Südamerika aber letzterem höchst ungünstig sein müssen. Und wirklich sind bisher jene drei ganz oder teilweise gegliederten Erdteile, oder vielmehr ihre meist gegliederten Abschnitte das Theater der Welt- und Kulturgeschichte gewesen, und es waren von ihrem Gebiete gerade die von der Gliederung am wenigsten in Anspruch genommenen Teile, — Hochasien und Sibirien, Sarmatien und Nordamerikas Inneres, welche von den historischen Ereignissen, den weltbewegenden Taten am wenigsten berührt wurden und den Fortschritten der Kultur bis auf unsere Tage am längsten widerstanden haben. — Ebenso find die südlichen, massigen Kontinente durchaus unhistorisch. Australien hat gar keine Geschichte, und in Afrika und Südamerika ist es nur je ein Land, dort Ägypten, hier Peru, welches eine Kultur hervorgebracht hat; aber in beiden war es eine allem Anschein nach von Außen eingeführte, eine für sich ängstlich abgeschlossene und eine stabil und ohne Fortschritt gebliebene, an welcher überdies die Masse des Volkes keinen aktiven Anteil nahm, sondern nur als willenlose, von den Pharaonen und Inkas geleitete Sklavenherde erscheint. Was aber in unseren Zeiten in diesen Erdteilen auf dem Gebiete geistiger Kultur geleistet wird, ist eben ein Werk der von den gegliederten Küsten Europas ausgegangenen Kolonisten, wird aber nie dazu gelangen, eine selbständige, die Initiative ergreifende Rolle in der Geschichte zu spielen.
    Aber auch die vertikale Gliederung und der durch sie bedingte Lauf der Gewässer ist von bedeutendem Einflusse auf die Entwicklung der Kultur.
    Beides dient dazu, den einzelnen Gliedern der in solche verzweigten Kontinente einen ausgeprägten Charakter zu verleihen und sie zum Wohnplatze aktiver Kulturvölker geeignet zu machen. Ein allmähliches Emporsteigen des Landes, wobei namhafte Flüsse Raum zur Entwickelung gewinnen und sich zu aderartig verästelten Wassersystemen ausbreiten können, begünstigt die Kultur; ungünstig sind ihr dagegen die Extreme vertikaler Gliederung: weite, höhenlose Tiefebenen auf der einen, schroff sich erhebende Küsten, welche kein Stromgebiet sich gestalten lassen, auf der andern Seite. Beweis dafür ist die Stellung zur Kultur der Menschheit, welche sich die reich bewässerten und sanftansteigenden Stufenländer Deutschlands, Frankreichs und Englands seit ihrem Eintritte in die Geschichte fortwährend und ohne Unterbrechung zu bewahren gewusst haben. Annähernd von derselben Bedeutung, jedoch nicht in stetig fortschreitendem Maße, ist die Westküste Italiens, deren Höhenstufen zu schmal sind, um Mannigfaltigkeit und wohltuende Verteilung der Kulturmomente zu gestatten, sowie die Po-Ebene, die wieder zu flach hierzu ist, während die ziemlich schroffe Ostküste Italiens beinahe ohne Geschichte erscheint. Unbeständig in der historischen Entwickelung und zur Umkehr vom Fortschritte sehr geneigt sind die kontrastierenden Extreme des zwar reich gegliederten, aber ganz in Küstenland aufgehenden Griechenland und des zwar sehr entwickelte Stufenbildung zeigenden, doch in afrikanischer Weise allzu massenhaft ausgerundeten Iberien. Aus allen diesen Momenten scheint geschlossen werden zu dürfen, dass Nordamerika, dessen Ost- und Westküsten sehr buchtenreich sind, während zugleich das Innere musterhaft gegliederte Stromsysteme mit meerartigen Seen enthält und nur mäßige Erhebungen dasselbe von den Küsten trennen, einer großen Zukunft entgegen geht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Kulturgeschichte im Lichte des Fortschritts