Die Goldaderleiden

D. Die Goldaderleiden.

§. 271.


Wer seine Jugend zweckmäßig verlebte, wer da seine physischen Kräfte schonte, für die Entwicklung seiner geistigen Anlagen vernünftige Sorgfalt trug, der dürfte von Hämorrhoiden, wenn er sie nicht als Erbgut mit auf die Welt brachte, frei bleiben.

§. 272.

Obwohl das männliche Geschlecht mit Stärke und Vollkommenheit in seinen organischen Gebilden und psychischen Fähigkeiten ausgerüstet auf dem Schauplatze des Lebens erscheint, so dürften doch die Goldaderleiden fast zu den herrschenden Krankheiten unter jenen Ständen gezählt werden. Wenn nun der Mensch so glücklich war, — und die wenigsten dürfen sich dieses seltenen Loses freuen — wenn er so glücklich war, über die dräuenden Klippen der Jugendjahre unversehrt hinweg zu schiffen, und in das weite, Aussichten gewährende Land des Mannesalters eintritt, so sollte er dann nicht pochend und trotzend auf seine Kräfte sich den nun mit größerer Heftigkeit erwachenden Begierden und Leidenschaften hingeben; denn dann hat er nichts gewonnen; er umwölkt gar bald den sonnigen Freudenhimmel seines männlichen Alters mit jenen trüben und dichten Wolken des Greises.

§. 273.

Viele Männer betrügen sich auf diese Weise selbst, verhängen ein Heer von Krankheiten, worunter gewöhnlich die Goldaderleiden oben anstehen, über sich, indem sie zugleich mit falschen Entschuldigungen für ihr Gewissen oder ihre Umgebung auftreten, worin sie sich auf verkehrte Erziehung, die ihnen einst zu Teil wurde, auf angeerbte Schwäche und dergleichen berufen.

§. 274.

Die Goldaderleiden, diese traurigen und treuen Gefährtinnen des männlichen Alters, kommen seltener bei jungen Menschen vor, weil diese häufiger Bewegung machen, ihre Zeit weniger am Schreib-, Amts- oder Studientische hinbringen; es wird also dem Blute ein steter Impuls erteilt, durch die großen und kleinen Gefäße der Lungen und des Unterleibes zu gehen; auch ist das Blut flüssiger, ein Punkt, der wohl zu berücksichtigen kommt. Der Lebensprozess selbst ist mehr in den Lungen basiert, im männlichen Alter aber in den Organen des Unterleibes, daher alle Leiden in dieser Sphäre vorkommen.

§. 275.

Viele gebildete Männer, wenn sie mehr auf eine regelmäßige Diät, auf Ordnung in ihren Berufsgeschäften, auf Mäßigung in ihren Leidenschaften achteten, könnten sich von diesem Übel frei halten, wenn sie die ersten Vorboten desselben wohl berücksichtigten: als das Eingenommensein des Kopfes, Schmerzen im Hinterhaupte, zeitweiliges Nasenbluten, Schläfrigkeit, Schlaflosigkeit, Mattigkeit in den Gliedern, Kreuzschmerzen, Diarrhoe, abwechselnd mit Verstopfung und ein Gefühl von Stechen und Brennen im After. Würden sie da eine vernünftige Lebensweise einschlagen, den Rat eines vernünftigen Arztes einholen, und nicht, wie es gewöhnlich geschieht, gerade das Gegenteil dieser zweckmäßigen Maximen befolgen, so wird das Übel im Keime besiegt. Die Natur ist im Beginne immer versöhnlich; hat sie aber einmal eine wirkliche Krankheit erzeugt, so geht sie konsequent auf der eingeschlagenen Bahn weiter.

§. 276.

Allein, was tun viele zum Ruine ihrer Gesundheit? Sie lassen sich von einer scheinbaren Schwäche verleiten, schwelgen im Genusse geistiger Getränke: als Punsch, Tee, Kaffee usw., suchen sich durch stark gewürzte Speisen zu stärken; um sich schnell von der lästigen Leibesverstopfung zu befreien, missbrauchen sie alle Elixire, die Charlatane als Wundermittel anpreisen: und so ist es ganz natürlich, daß sie das kommende Übel schnell in einem Grade zur Reife bringen, wohin es vielleicht, oder durch den Zusammenfluß von widrigen Umständen, erst in Jahren gekommen wäre.

§. 277.

„Die goldene Ader,“ sagt Unzer, „würde unter den Menschen wenig Unglück stiften, wenn ein jeder, sobald er einige Spuren von ihr an sich wahrnimmt, die gute Diät genau beobachtete, die wider ihre gewöhnlichen Ursachen gerichtet ist, und sich für ihre allermeisten Zufälle schickt. Entweder ist hierin die Unwissenheit oder die Nachlässigkeit der Leute fast allgemein, und gleichwohl ist nicht eher an eine befriedigende Kur durch Arzneien zu denken, als bis man sich in die Lebensordnung bequemt, die dieses Übel oft ganz allein heilt.“

§. 278.

Die meisten Männer, die am Amts- oder Studiertische ihre Tage zu verleben bestimmt sind, werden von oben bezeichneten Leiden gequält. Als praktischer Arzt trifft man unter fünf männlichen Individuen, die man zu behandeln hat, bestimmt drei an, die über Goldaderleiden klagen.

§. 279.

Der Mangel an körperlicher Bewegung bedingt Störungen in den Eingeweiden des Unterleibes, wodurch diese zu ihren normalen Verrichtungen weniger belebt und aufgeregt in einen Zustand von Trägheit versetzt werden. Die Säfte, die sie durch ihre Kräfte bereiten, werden zähe; das Blut, das aus diesen gebildet wird, erhält eine ähnliche Beschaffenheit; es treten Stockungen in den Wandungen der Gefäße ein, wo dieses konsistentere Blut fortbewegt werden sollte, wozu die körperliche Bewegung doch auch einen der wichtigsten Impulse gibt. Erwägt man nun auch, daß schon im gesunden Zustand der Blutumlauf im Unterleibe durch die organische Struktur der Pfortader ein langsamerer ist: so werden alle diese angeführten Erscheinungen umso erklärbarer, und es ist leicht begreiflich, wie sie in ihrer Gesamtheit die Goldaderleiden erzeugen können. Die Stockung in den Blutgefäßen einerseits, so wie die zähere und dichtere Beschaffenheit des Blutes andererseits, bedingt durch die sitzende Lebensweise, erzeugen dieses Leiden, das man Goldaderleiden nennt, weil man einst dieses Übel für höchst zuträglich der Gesundheit hielt; — von diesem allgemeinen Wahne sind die Ärzte und das Publikum längst zurück gekommen, und während jene das genannte Leiden von praktischer Seite gehörig würdigen, ist dieses bereits in seinen medizinisch-populären Erfahrungen in so weit aufgeklärt, es nicht für einen gesundheitsgemäßen Zustand zu halten.

§. 280.

Oft verhüten sie wohl ein größeres Leiden, wie ich mich selbst überzeugte. So z. B. erinnere ich mich eines Falles, wo sie bei einem Blutbrecher von den besten Folgen waren, indem sie das aus den unterdrückten Hämorrhoidalleiden erzeugte lebensgefährliche Übel auf eine natürliche Weise hoben. Immerhin muß man sie doch als einen abnormen Zustand betrachten, der dem regelmäßigen Gange der tierischen Maschine mehr oder weniger Eintrag macht.

§. 281.

Betrachtet man aber, wie die meisten Männer, die von diesem Übel gequält werden, den Rat einer Frau Muhme oder irgend eines Quacksalbers als heilsamer wähnen, statt sich an einen wohlmeinenden Heilkundigen zu wenden, so wird es leicht begreiflich, warum diese Leiden so hartnäckig werden und viele Nachübel ins Dasein rufen, von denen die Hypochondrie nicht das letzte ist. Wenn die Goldaderleiden durch ihre proteusartigen Vorboten ihre nahe oder ferne Ankunft im menschlichen Körper verkünden, und Kopfschmerz, Rückenschmerz, Schwindel, Abgeschlagenheit in allen Gliedern, Frostschauer, Mangel an Schlaf und Appetit, Hartleibigkeit, Gemütsunruhe und eine Reizbarkeit durch geringfügige Ursachen, so wie oft eine gänzliche Interesselosigkeit an moralischen, physischen und geistigen Objekten sich einstellen, so ist es höchste Zeit, wenn man nicht schon früher darauf bedacht war, ein geregeltes Leben einzuleiten.

§. 282.

Die Ordnung behauptet hier den obersten Rang, denn sie ist die Begründerin eines langen, gesunden Lebens, die Quelle der Zufriedenheit, die Freundin der Vernunft; sie ist die geheimnisvolle Zaubermaschine, die, wenn sie nach den Gesetzen des Geistes und des Körpers eingerichtet ist, dem Menschen alle Mittel an die Hand gibt, wie er vielen Leiden vorbeugen, gegenwärtige mildern und selbst große Hindernisse, die sich seinem Streben entgegen türmen, leicht und schnell besiegen kann. Betrachten wir die wunderbare Schöpfung Gottes, wie alles knospet, keimet und blühet, wie Tag und Nacht, Frühling und Sommer, Herbst und Winter, wie Blüten und Früchte nach ewigen Gesetzen vor unserem Blicke sich entfalten: so wird sich uns bald der Schleier lüften, und wir werden einsehen, daß Ordnung alle ihre Werke beseelt, die wir bewundernd verehren.

§. 283.

Die Blüte des Lebens, die Jugend, ist die beste Zeit, wo wir uns angewöhnen sollen, ein ordnungsmäßiges Leben zu führen. Wer in dieser wichtigen Lebensperiode seine Kräfte zur gehörigen Zeit übt, und nach der Anstrengung ihnen Ruhe gönnt, der wird auch im Sommer des Lebens, in der beseligenden Epoche des Mannesalters keine Hindernisse finden, nach der Norm zu leben, die er sich bestimmte, und die seinen geistigen und physischen Kräften zusagt. In der Jugend gewöhne man sich dem Tage und der Nacht ihre Rechte zu lassen und nicht die Gesetze der Natur umzukehren. Im Lenze seiner Jahre gewöhne man sich am Tage seine Berufsgeschäfte mit Eifer und Liebe zu verrichten, am lebensfrohen Tage sich den ernsten Wissenschaften zu widmen und in dem Tempel der schönen Künste Erholung für ernstere Stunden zu genießen.

§. 284.

In der Blüte des Lebens, wo wir für alle Gefühle und Empfindungen empfänglicher und aufregsamer sind, bezähme man die empor keimenden Neigungen, ehe sie zu Begierden empor wuchern und in unselige Leidenschaften ausarten; daß hiezu ein ordnungsmäßiges Leben, durch Vernunft und Verstand geleitet, sehr viel beiträgt, bedarf keiner Erörterung. Wer sich gewöhnt hat, alles in gehöriger Zeit zu verrichten, fühlt sich geistig und körperlich wohl. Im Sonnenuntergange, zu ernsteren Betrachtungen gestimmt, überblicke man die verrichteten Geschäfte des Tages und bereite sich zu jenen des kommenden vor; dann gönne man seinem Geiste und Körper Ruhe in den Armen des erquickenden Schlafes. So tritt man dann am Morgen neu gestärkt, freudig und mutig zurück ins holde Leben; alle Kräfte und Fähigkeiten sind in neuer Blüte entwickelt, und fröhlich und hoffnungsvoll geht es wieder an das rüstige Tagewerk des Lebens.

§. 285.

Mäßigkeit ist das zweite Haupterfordernis, das ein Mensch, der an Goldaderzuständen leidet, in allen seinen geistigen und physischen Genüssen zu berücksichtigen trachten muß. Die meisten Fehler werden bei der Auswahl der Nahrungsmittel und Getränke, sowohl ihrer Qualität und Quantität nach, so wie in Bezug auf ihre Zubereitung begangen. Ein gleiches gilt von der unpassenden, oft aus Eigensinn, oft aus Lust, oft durch fremde Eingebung erzeugte Wahl der Getränke bei Tische, beim Nachtmahle oder wohl gar schon zum Frühstücke. Anstatt eine leicht verdauliche, erweichende, mehr kühlende als erhitzende Diät, die für solche Menschen fast als unentbehrlich betrachtet werden muß, zu wählen und die Blutmasse zu verdünnen, daß sie weniger reizend auf die Gefäße wirke und leichter in denselben ihre Bahn durchziehe, laßt man sich von einer scheinbaren Schwäche und kränklichen Empfindlichkeit verleiten, und genießt Kraftsuppen, sehr nahrhafte Fleisch- oder stark blähende Mehlspeisen.

§. 286.

Da der Missmut, der solchen Menschen die Tage verbittert, sie kleinmütig und ängstlich, und zu wahrhaft unglücklichen Geschöpfen macht, so suchen sie die Wolken des Missvergnügens in Bachus Tempel zu zerstreuen, ihr Herz zu stärken, und so betäuben sie sich auch wirklich für einige Augenblicke, die sie leider nur allzu teuer bezahlen, indem sie nach verrauschtem Taumel wahrhaft krank sind und oft viele Tage brauchen, um sich von dem selbst geschaffenen, künstlichen krankhaften Zustande zu heilen.

§. 287.

Was entsteht aus einer solchen, für derlei Personen gerade entgegengesetzten Lebensweise? Waren die Hämorrhoiden früher gar nicht geflossen, so werden sie jetzt fließend; waren sie es nur sparsam, so werden sie jetzt zum großen Nachteile stark und leicht und oft entwickeln sich gleichzeitig Entzündungen und Krämpfe in den Organen des Unterleibes.

§. 288.

In Betreff der notwendig einzuleitenden Diät und sorglichen Auswahl, rate ich Individuen, die mit Goldaderleiden behaftet sind,

a) aus dem Pflanzenreiche:

In mannigfaltiger Gestalt und Zubereitung, in Form von Suppen, Gemüsen, Soßen oder Salaten:

Zichorien, Karotten, Endivien, Junge Erbsen, Junge Möhren, Laktuken, Spinat, Spargel, Sellerie, Petersilie.

Gekochte oder rohe Obstarten, als:

Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen.

Als bestimmt schädlich und das Leiden vermehrend müssen alle Gewürze, die das Blut erhitzen, und alle blähenden Zugemüse, von denen einige noch Krämpfe erzeugen, betrachtet werden, als:

Brauner Kohl, Saurer Kohl, Trockne Erbsen, Bohnen, Rüben, Erdäpfel, Kastanien, Trüffel, Graupen, Hirse, Weizenbrot, Mehlbrei, Kuchen, Pfannkuchen.

b. Aus dem Tierreiche;

Junges, frisches Rindfleisch, Kalbfleisch, Hühnerfleisch.

Zu warnen sind sie vor:

geräuchertem und gepökeltem Fleische.

Vor gröberen tierischen Produkten, als:

Eier, Käse, warme Butter.

Unter den Fischen sollten sie
Hechte und Karpfen

nur selten genießen; meiden sollten sie gänzlich:

Aale, Lachse, Bücklinge.

c) Getränke:

Wasser mit Zucker oder säuerlichen Pflanzensäften, Limonade, Mandelmilch, Milch.

Als positiv schädliche Getränke sollten sie meiden:

Wein, besonders den roten, aus bereits entwickelten Gründen; trinken sie ja welchen, so sei es weißer in geringer Quantität und dieser sehr verdünnt.

Branntwein, Liqueur, Bier, Kaffee.

§. 289.

Mit dieser, ihren individuellen Verhältnissen anpassenden Diät sollen sie eine zweckmäßige Bewegung in reiner freier Luft verbinden, die von dem Leidenden täglich unternommen werden soll: sie bestehe im Gehen, Fahren oder Reiten, oder in mechanischen Manipulationen, wie Hobeln, Drechseln usw., sich ferner gleichmäßig vor starker Kälte und Wärme bewahren, damit die normale Grenze nirgends überschritten werde.

§. 290.

Genuß des Landlebens, Reisen in schönen, heitern Gegenden, Aufheiterung des Gemütes durch mäßige und angenehme Sinnenreize, der Umgang mit echten Freunden — dieses sind die Arkana, die die Anlage dieser Übel mindern und schwächen, und die ein vernünftiger erfahrener Arzt unter dem Gebrauche weniger Arzneimittel in Anwendung ziehen wird, um jene kränkelnde Beschaffenheit des Körpers, die ein Resultat dieses Leidens ist, zu heben.

§. 291.

„Besondere Aufmerksamkeit richte der Kranke auf die Leibesöffnung; denn die Unterhaltung eines täglichen, nicht zu trocken und nicht zu leicht statt findenden Stuhlganges, ist bei allen Fällen ein wesentliches Stück in der Lebensordnung. Man betrügt sich aber, wenn man sie durch Purganzien und ohne Not durch Klistiere zu erhalten hofft. Dies sind die leidigen Zuflüchte jener, die in der Diät, zumal bei der Tafel, keinen Zwang leiden wollen, und damit verderben sie alles. Eben diese Diät müsste ihre einzige Zuflucht sein, denn sie ist dazu auserlesen, den Leib leicht, reich und täglich offen zu halten, ohne die Hämorrhoiden zu reizen, zu erhitzen, oder in Unordnung zu bringen.“ (Unzer.)


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Krankheit der Reichen