Von dem wohltätigen Einflusse der Bewegung auf die Gesundheit

5. Von dem wohltätigen Einflüsse der Bewegung auf die Gesundheit. Krankheiten durch ihren Mangel erzeugt. Diätetische Vorschriften, ihnen zweckmäßig zu begegnen.

Der Trieb zur körperlichen Bewegung ist dem Menschen ebenso natürlich, wie der Trieb zum Essen und Trinken.


Hufeland

§. 167.

Durch den wohltätigen Einfluß, den eine tägliche zweckmäßige Bewegung auf Geist und Körper äußert, werden die Kräfte des Körpers auf eine einfache gleichförmige Weise geübt und gestärkt; regelmäßig kreiset das Blut durch alle Partien des Körpers, das Atmen macht keine Beschwerden, der Appetit und der Schlaf tragen wechselweise zur Stärkung bei, alle Absonderungen gehen harmonisch vonstatten und nirgends in der tierischen Maschine entstehen Anhäufungen von Blut oder anderen Säften. Der Körper gedeiht im eigentlichen und besten Sinne des Wortes. Rosen blühen auf den Wangen, das Auge funkelt Freude und Heiterkeit, und der Geist entwickelt über das ganze tierische Getriebe feine belebende, wohltuende Frische, die ein harmloses, von Krankheiten befreites, nach Umständen auch ein langes Dasein verbürgt.

§. 168.

"Der Mangel an Bewegung hingegen ruft entgegengesetzte Erscheinungen ins Dasein, die den Körper schwächen, zu Krankheiten vorbereiten, oder solche wirklich, oft erstaunlich schnell erzeugen, besonders wenn der Übergang von einer mehr tätigen zur sitzenden Lebensweise geschah, und rasch vor sich ging. Der Mangel an Bewegung lähmt die Kräfte des Geistes, und verdunkelt oft seine belebende Helle, so wie er dem Gemüte die heitere beseligende Stimmung raubt, und es mit den trüben Wolken der Melancholie und Hypochondrie einhüllt. Und diese nachteiligen Veränderungen entstehen dadurch, daß er gerade das Gegentheil von dem bewirkt, was ich früher über die Bewegung erörterte; „denn die nicht geübte Kraft der Muskeln wird schwach und verschwindet immer mehr und mehr; das Fleisch derselben wird schlaff und welk; der Kreislauf der Säfte geht langsamer von statten, da ihnen der äußere Antrieb fehlt, es entsteht Überfluß an Säften. Das Blut, das seltener durch die Lungen erfrischt wird, artet aus, verliert seine leichte Beweglichkeit, wird dick und zähe. Die Organe der Verdauung leiden nur zu bald, die Bewegung des Darmkanals erfolgt langsamer. Die Verdauungssäfte werden nicht in gehöriger Quantität und Qualität abgesondert; es entstehen Stockungen der Zirkulation im Unterleibe, und alle die mancherlei Leiden, die das Leben der Gebildeten, und vieler anderer nützlicher Stände beiderlei Geschlechtes verkürzen.“ (Richter.)

§. 169.

Überhaupt altern und sterben die meisten Menschen meistens aus einem zweifachen Grunde:

Die Einen betrachten das Leben als einen Schmaus, als einen ewigen Karneval, ihren Körper als ein Kleid, das sie heute so, morgen so, nach den Launen der Mode zuschneiden können. Für sie gibt es keine wirkliche Krankheit, leichte Übel halten sie für Verstellung und Verzärtlung. Die Anderen suchen ihr Leben in einer ewig angestrengten Tätigkeit, in stetem Wirken, Denken und Brüten hinzubringen, und ihnen gilt der Körper nur als ein Hindernis in ihrer freieren Selbsttätigkeit. So berühren sich allenthalben die Extreme. Wie viele Menschen trachten leider nur ein ruhiges, geist- und körperlich untätiges Leben zu führen; aber wie schrecklich rächt sich die Natur an diesen! die Natur, die uns zu geselligen, tätigen Menschen bestimmte.

Solcher Individuen trifft man in den mittleren und höheren Ständen mehrere als in den niedern.

§. 170.

„Wie oft wünschen nicht die zu Herrn gewordenen Diener die Niedrigkeit ihres ersten Standes zurück! Wie unglücklich schätzen sie sich nicht, daß sie in den Augen anderer glücklicher geworden sind. Wie verhaßt sind ihnen die Tage, wie lang ihre Augenblicke, wie unerträglich die Nächte, da der Schlaf, der ehedem seine Flügel über sie breitete, sobald sie nach der Arbeit ihre Glieder dahin streckten, jetzt ihren Pfühl vorbeischleicht, und sich auf die Augenlider ihrer arbeitsamen Sklaven herablässt, die das von ihrem Gebieter verlassene Glück besitzen. Solchergestalt ist auch die Hoffnung des mühseligen Landmanns, des arbeitsamen und fleißigen Künstlers, des geschäftigen Kaufmanns, und aller der guten Leute vergebens, die sich einbilden, daß sie ihr Glück erst in der Welt machen werden, nachdem sie ihre Rolle gespielt, und sich vom Schauplatze hinwegbegeben haben, um im Parterre Zuschauer abzugeben, und daß sie ihre Ruhe nicht eher finden werden, als bis sie sich von der Welt scheiden, in der sie doch ihre Gesundheit zurücklassen, und woraus sie nichts mitnehmen, als ihr unzufriedenes Herz, das sie nicht ruhen lassen wird, weil ihnen diese untätige Ruhe nicht nützlich und unausstehlich ist.“ (Unzer.)

§. 171.

Reiche und Gebildete würden einen ruhigern, ihrer Gesundheit zuträglicheren Schlaf genießen, und nicht statt dessen von einer peinvollen Schlaflosigkeit und ihren nachtheiligen Folgeübeln gequält werden, wenn sie sich entschließen könnten, mehr aktive als passive Bewegung zu machen.

Dieser Kreis von Gebildeten würde, wenn er sich an das Frühstück oder zur Tafel begibt, nicht immer über Appetitlosigkeit und Magenschmerz klagen, noch, wenn er dieselbe verlässt, sich unwohl fühlen, und verdrießlich und traurig nach Präservativen für Indigestionen haschen, wenn er es über sich gewinnen könnte, die behagliche Ruhe, womit die verlockende Gemächlichkeit ihre Verehrer belohnt, mit jener erfrischenden Stärkung zu vertauschen, die durch freie Bewegung des Körpers in reiner Luft gewonnen wird, wobei die Teile des Körpers sich selbst bemühen, Bewegung zu machen, anstatt sich bewegen zu lassen.

§. 172.

Ach! allzu spät lernen sie das Blendwerk einsehen, das sie von dem Wege abgeleitet, auf dem sie ihr Seelen- und Körperwohlsein ohne Kampf und ohne Zwang leicht und sicher erreicht hätten. — Gemächlichkeit ist die Quelle vieler Freuden, die aber die Wangen der Gebildeten bald bleicht, den hellen Glanz ihrer Augen trübt, ihre Stirne mit den Wolken des Missmutes umschattet, ihrem Verstande Schnelligkeit und Richtigkeit im Urteilen, und Kraft im Schaffen kühner und großer Ideen raubt, nebst dem auch ihren Empfindungen und Gefühlen eine schwankende, oft gefährliche Richtung erteilt.

§. 173.

Es waltet ein großer Unterschied zwischen derjenigen Art der Bewegung, die der Körper selbst zu Stande bringt, die ein Resultat seiner eigenen Tätigkeit ist, und die man daher auch aktive Bewegung nennt, von der aber, wie ich bemerkte, gebildete und reiche Leute selten Freunde sind; und zwischen jener, wobei man sich bequem bewegen läßt, und die man daher mit dem Namen „passive“ bezeichnet. Menschen, die viel sitzen und sich gut nähren, ist letztere äußerst selten zuträglich.

§. 174.

Die Bewegung muß dem Alter, dem Geschlechte, der körperlichen Beschaffenheit, dem Berufe, und einer etwa gegenwärtigen Krankheitsanlage usw. entsprechen. Die Bewegung, die der Mann unternimmt, der viel sitzt, passt für den Jüngling nicht, und seine Muskeltätigkeit würde hinwieder sicher dem Greise schaden. Dem schönen Geschlechte versagt Anstand und Sitte manche Art der Bewegung. Doch gäbe es weniger bleichsüchtige Jungfrauen unter den Gebildeten, würden sie mehr ihre Körperkräfte durch häusliche Arbeiten und durch Bewegung in freier Luft üben.

§. 175.

Vollblütige und Nervenschwache müssen jede heftige Bewegung meiden, und überhaupt muß man den Grundsatz beherzigen, ja nicht durch forcierte Bewegungen die Gesundheit, statt zu befördern, auf die sicherste Weise zu Grunde richten zu wollen. „Die Grenze der Bewegung ist durch das Gefühl der Müdigkeit vorgezeichnet, dessen Mahnung man nicht überhören darf, wenn man sich nicht den Nachteilen einer zu großen Anstrengung bloß stellen will.“ (Hartmann). — „Bei jeder körperlichen Arbeit gehen Lebensstoffe verloren. Ist dieser Verlust auf einen solchen Grad gestiegen, auf welchem bei dem bewegten Gliede das Bedürfnis des Wiederersatzes eintritt, so entsteht ein unangenehmes Gefühl in demselben, welches die fernere Bewegung erschwert und Ruhe verlangt. Wird aber auf dieses Erinnern der Natur keine Rücksicht genommen, und das Glied durch die Gewalt des Willens noch ferner zur Bewegung angespornt; so äußert sich bald das Gefühl von Hitze, welches sich, wenn mehrere Muskeln tätig sind, über den ganzen Körper verbreitet und häufigen Schweiß hervortreibt. Das Blut stürzt mit Gewalt durch alle Adern, mächtig klopfen das Herz und die Pulsschläge, mit Heftigkeit und Schnelligkeit wogen Brust und Unterleib, um dem Blute die fehlende Luft mitzuteilen, bis sich zuletzt gänzliche Erschöpfung einstellt.“

§. 176.

Die Wirkungen dieser stürmischen Anfachung der Lebensflamme sind zahlreich und traurig. Die angestrengten Muskeln werden steif und unbeweglich, die Nerven stumpf und gefühllos, der ganze Körper welkt durch die Verschwendung des organischen Stoffes, welcher mit dem Ersatze in keinem Verhältnisse steht, vor den Jahren dahin, und trägt früh die Spur des überreifen Alters.

§. 177.

Die Tageszeiten, zu welchen man Bewegung macht, sind wohl zu berücksichtigen; am Morgen, Vormittag und einige Stunden nach dem Mittagmahle, an heitern Sommerabenden unter dem Schutz einer zweckmäßigen Bekleidung, wäre die Bewegung allen jenen anzuempfehlen, die aus Laune, Mode oder Beruf viel sitzen, oder nur fahren. Vormittag und Nachmittag gehen oder fahren ohnedies die meisten Reichen, um sich zu ergötzen oder zu erholen. Die Jahreszeit und der Witterungswechsel fordert hier seine wohl zu beachtenden Ausnahmen. Ist die Luft rein und trocken, der Himmel über uns heiter, so dürfen wir an den wohltätigen Wirkungen, die die Bewegung in der freien Luft auf uns äußern wird, nicht im Geringsten zweifeln. Durch eine solche Beschaffenheit der Lust wird unser Körper in allen seinen Systemen, besonders das Nerven- und Blutgefäßsystem, ganz gewiß gestärkt.

§. 178.

Ist die Luft kalt und feucht, so dürfen sich wohl ganz Gesunde hiedurch nicht abschrecken lassen; aber verzärtelte und verweichlichte Menschen, denen das geringste Lüftchen Katarrhe und Rheumatismen zuführt, müssen, wenn es ihre Umstände erlauben, sich einer solchen Luft nicht aussetzen, obwohl es besser um ihre Gesundheit stünde, wenn sie früher mit Berücksichtigung ihrer Körperbeschaffenheit an jede Luftveränderung gewohnt worden wären, was aber heut zu Tage selten, oder fast niemals der Fall ist, indem die Erziehung und ihre Leitung meistens mehr nach weichlichen Grundsätzen, als nach wohltuenden vorurteilsfreien Prinzipien gehandhabt wird.

§. 179.

Nervenschwache Personen, oder solche, die an Lungenübeln, Husten, Engbrüstigkeit, Blutbrechen leiden, müssen alle extremen Witterungsveränderungen strenge meiden; ihnen schadet große Hitze eben so wie eine außerordentliche Kälte, noch mehr aber der schnelle Wechsel von beiden. Im Sommer würde ich ihnen die Stunden von 7 — 9 am Morgen, und von 5 — 7 am Abend anempfehlen. Im Winter genügt es für sie einmal des Tages, und zwar in der Zeit von 11 — 1 Uhr Vormittags, Bewegung zu machen.

Alle Teile des Körpers muß man auf eine gleichmäßige Weise bewegen, ja nicht einige Muskelpartien mehr als andere anstrengen; denn dadurch entstünde einseitige Schwäche, Empfindlichkeit und wohl gar Lähmung, anstatt daß, wie es bei einer gleichförmigen Anstrengung aller Muskelkräfte der Fall ist, der ganze Körper Gewandtheit, Kraft, Schönheit und Grazie in seiner Bildung erhält.

§. 180.

Die Reichen befinden sich in solchen Umständen, wo sie dieses einfache, aber keineswegs gleichgültige Gesetz befolgen können; um sie von seiner Wichtigkeit für die Gesundheit und Schönheit ihres Körpers genügend zu überweisen, mögen sie sich folgende praktisch-diätetische Ansichten eines großen Arztes zu Gemüte führen.

§. 181.

Ich versichere Jene, die auf Schönheit des Gesichtes etwas halten, zum voraus, daß wenn ihnen die Natur nur einen regelmäßigen Kopf und eine reine Haut verliehen hat, die Schönheit der Gesichtszüge beinahe ein Resultat ihrer Willkür ist, indem die Bildung der Gesichtszüge bloß eine Wirkung der freiwilligen Muskeltätigkeit ist. Ist die Tätigkeit der Gesichtsmuskeln lebhaft, so ist das ganze Bild des Angesichtes ausdruckvoll und ein sehr verständliches Abbild des Zustandes, in welchem sich der Geist befindet Gleichmäßigkeit dieser Muskelwirksamkeit liefert ein regelmäßiges Verhältnis der Gesichtszüge und den sanften, angenehmen Umriss der Schönheit, der sich bald in eine üble Bildung verwandelt, wenn einzelne Muskeln ein Übergewicht der Tätigkeit erhalten, und die Züge einseitig nach regellosen Richtungen verzerren. Bei gänzlicher Trägheit der Gesichtsmuskeln hängt das großmäulige Gesicht lang und schlaff herab, und liefert das Gepräge von Seelen- oder Körperschwäche.

§. 182.

Auf beiden Seiten der Stirn liegt ein flacher Muskel, welcher durch seine mäßige Tätigkeit die Augenbrauen empor hebt und ihnen eine sanfte Wölbung mitteilt. Ziehen beide Stirnmuskeln zu stark, so wird dieser Bogen zu hoch; ist einer von beiden stärker als der andere, so wird eine von den beiden Augenbrauen höher zu stehen kommen, als die andere; sind aber beide erschlafft, so werden beide ihres Bogens beraubt, schlaff herunter hängen; gewinnen hierbei noch die Muskeln, welche die Augenbrauen zusammen runzeln und in die Mitte über die Nase zusammen ziehen, die Oberhand, so bilden sich Falten zwischen ihnen, welche dem Angesichte ein finsteres Ansehen geben. Auch jene Muskeln, welche die Augen schließen und öffnen sollen, müssen im Gleichgewichte zu einander stehen. Es sieht unangenehm aus, einen Menschen immer mit einem oder beiden halbgeschlossenen Augen blinzeln zu sehen; eben so wenig ziert es das Gesicht, wenn man das obere Augenlid, wie es Schläfrige tun, beständig über das halbe Auge herab hangen läßt. Das erste rührt von einer zu großen Lebhaftigkeit der Augenschließer, das letztere aber von einer Schwäche des Hebemuskels des obern Augenlides her. Erhält man die Augen unausgesetzt offen, so bekömmt man ein stieres Aussehen, setzt die Augen der beständigen Einwirkung des Lichtes aus und erschöpft die Sehkraft.

§. 183.

Die Gesundheit des Auges und das gute Aussehen fordern es, daß das Auge während des Wachens ohne Unterlass, wechselweise geöffnet und geschlossen werde, so daß das Leben des Menschen, wenn er wacht, aus lauter Augenblicken bestehe.

§. 184.

Wird das Auge durch seine Muskeln nur wenig in Bewegung gesetzt, so ist der Blick trübe, matt, ohne Leben und Ausdruck; stehen sie in ihrer Tätigkeit im Missverhältnis zu einander, so schielt das Auge nach jener Gegend hin, auf welcher der am meisten angestrengte Muskel liegt, ein Übelstand, der nur dadurch gehoben werden kann, daß man den entgegengesetzten Muskel so lange übt, bis er mit jenem ins Gleichgewicht gekommen ist. Menschen, die bei ihren Berufsgeschäften ihre Augen besonders anstrengen müssen, ziehen sich am meisten diese Fehler zu, und sie haben vorzüglich auf die Mittel, durch welche sie verhindert oder besser werden können, zu achten. (Hartmann.)

§. 185.

Außer einigen Muskeln, welche die Nasenflügel bewegen, die Nasenlöcher erweitern und verengern, und wenn sie der Nase keine Missbildung geben sollen, in gehörigen Schranken und im Gleichgewichte gehalten werden müssen, und außer den Muskeln der Unterkinnlade, sind die meisten übrigen Gesichtsmuskeln zur Bewegung des Mundes bestimmt, die Oberlippe empor zu heben, die Unterlippe herab, und die beiden Mundwinkel nach der Seite zu ziehen, den ganzen Mund hervor zu treiben, zu verengern und zu verschließen.

Alle diese Muskeln stehen in mannigfaltigem Vereine und Gegensatz unter einander.

Findet in ihrer wechselseitigen Tätigkeit Regelmäßigkeit und Harmonie statt, so wird dadurch ein nicht zu großer Mund mit sanft hervorstehenden Lippen, und alle die angenehmen Züge gebildet, welche den Mund umgeben, und von ihm nach den Nasenflügeln auf beiden Seiten in sanften Bogen kaum bemerkbar sich erheben. Auch die Züge unter den Augen, die Rundung der Wangen, die Grübchen derselben, das freundliche Lächeln, werden durch diese Muskeln gezeichnet. — Alle diese Anmut verliert sich und verwandelt sich in Hässlichkeit, wenn diese Muskeln nicht in freundschaftlicher Eintracht nach einem gemeinschaftlichen Zwecke wirken, wenn einige untätig schlummern, wenn die andern in ihrer Arbeit zu geschäftig sind. So wird die Oberlippe strotzend herabhängen, wenn ihre Hebemuskeln beständig erschlafft sind. Das Nämliche wird unter den nämlichen Umständen mit der Unterlippe geschehen. Werden beide Lippen zu scharf angezogen, so kehrt sich der feine rote Rand derselben zu sehr nach innen, verschwindet, und das Gesicht erhält ein bissiges Ansehen. Werden sie gar nicht nach innen gehalten, so stehen die Lippen zu stark hervor, werden dick und wulstig. Ein großes Maul bekommen diejenigen, welche die Mundwinkel zu sehr nach der Seite ziehen, besonders, wenn sie dabei vernachlässigen, dem Munde durch Hilfe des Ringmuskels der Lippen seine vorige Gestalt wieder zu geben.

§. 186.

Wirken die Muskeln auf einer Seite des Gesichtes mehr als auf der andern, so wird der Mund und das Gesicht nach Verschiedenheit der vorwaltenden Muskeln mannigfaltige schiefe Richtungen erhalten, welche der Schönheit nachteilig werden.

§. 187.

Der Mensch also, der alle Gesichtsmuskeln in seiner Gewalt hat, ist auch Herr seiner Gesichtszüge. Es kommt nur darauf an, daß er bei der Bewegung der Augen, und vorzüglich des Mundes beim Sprechen, Singen, Lachen, Essen u. dgl, darauf merke, daß kein Teil nach einer Seite zu sehr verzogen werde, und wenn der eine oder andere Muskel durch überwiegende Tätigkeit einen falschen Zug in das Gesicht gebracht hat, durch verstärkte Wirkung des entgegengesetzten, das Gleichgewicht wieder herzustellen trachte. Nichts aber kann die Gesichtszüge so gewaltig aus ihrer Harmonie reißen, und ihre Schönheit so ganz verlöschen als die angreifenden Leidenschaften, besonders die widrigen. Eine jede derselben bringt die Gesichtsmuskeln aus ihrem Gleichgewicht und prägt ihr Bild tief in die Züge ein, das umso widriger ausfällt, je häßlicher die Leidenschaft, der es sein Dasein verdankt, selbst ist. Angenehm und schön hingegen spiegeln sich die sanften Gemütszustände auf dem Antlitz des Menschen, schön wie die blühende Natur im ruhigen See, und wohl begründet ist der gemeine Glaube, daß in einem schönen Körper auch eine schöne Seele wohne, ein Glaube, den man indessen doch nicht als allgemein gütige Regel aufstellen kann, da nicht wenige Ausnahmen seine Trüglichkeit beweisen. Wer daher auf Schönheit Anspruch machen will, muß vor Allem die Freiheit seines Geistes gegen unangenehme heftige Leidenschaften, am meisten aber gegen menschenfeindliche zu behaupten wissen: er muß ein guter Mensch sein, von Wohlwollen, Zufriedenheit, Geistesruhe beseelt werden.

§. 188.

Die Muskeln, welche die untere Kinnlade nach allen Richtungen bewegen, und dadurch das Kauen der Speisen bewirken, läßt der Mensch selten in Untätigkeit versinken, eben so wenig diejenigen, welche dem Schlingen vorstehen, weil sie unter einem wachsamen Aufseher, dem Hunger stehen, der es am Antreiben zur Arbeit nicht fehlen läßt; wir wenden uns daher von ihnen zu den Sprachorganen.

§. 189.

Die Zahl der Organe, welche zur Hervorbringung der Sprache mitwirken, ist sehr ansehnlich. Die Lippen, die Nase, die Zähne, der Gaumen, die Zunge, der Kehlkopf, die Luftröhre, die Lungen, der Brustkasten, das Zwerchfell und die Bauchmuskeln dienen dazu, die Luft aus den Lungen hervor zu stoßen, dadurch einen Laut hervor zu bringen, den Laut in Buchstaben umzubilden und die Buchstaben zu Worten zu verbinden. Wir können hier nur den Anteil, welchen die Muskeln am Sprechen haben, unserer Aufmerksamkeit würdigen. Bei allen Buchstaben sind die Lippen tätig. Einige werden von ihnen fast ganz gebildet.

§. 190.

Zu einem deutlichen Vortrage ist daher eine freie lebhafte Bewegung derselben eine notwendige Bedingung. Das Nämliche gilt von der Zunge, einem Organe, das mannigfaltigen Verrichtungen, als dem Geschmacke, dem Sprechen, Singen, Saugen, Lecken vorstehen muß. Alle Hindernisse, welche der freien Bewegung der Zunge im Wege stehen, hemmen auch diese Verrichtungen.

§. 191.

Besondere Aufmerksamkeit verdient hier das Zungenbändchen. Es ist oft zu lang, geht bis zu der Spitze der Zunge, und fesselt diese so fest an den Grund des Mundes, daß sie auf diesem ganz unbeweglich liegt. Die üblen Wirkungen davon fühlt das Kind sogleich nach der Geburt; es kann nicht saugen. Vielen Hebammen ist dieser Umstand nicht unbekannt, und sie sind zum Zungenlösen sehr geschwind bei der Hand. Allein durch ihre voreilige Hilfe wird oft sehr schlecht geholfen; sie lösen Zungen, die gar nicht gelöst zu werden brauchten. Nicht selten zerreißen sie durch ungeschicktes Verfahren die unter der Zunge laufenden beträchtlichen Blutgefäße, und veranlassen dadurch sehr gefährliche Blutungen, welche das Kind durch Saugen noch beständig unterhält. Zuweilen reißen sie das ganze Zungenband weg, wodurch die Zunge alle Haltbarkeit verliert, sehr leicht zurück geschlagen, von dem Kinde hinab geschluckt und der Tod durch Erstickung veranlaßt werden kann.

§. 192.

Entgeht das Kind dieser Gefahr, so muß seine Sprache wenigstens sehr unbehilflich werden. Am besten also ist es, man läßt die Hand der Hebamme bei diesem Zufalle aus dem Spiele. Kann das Kind aus der in Rede stehenden Ursache nicht saugen, so wird man von der Geschicklichkeit eines Wundarztes die sicherste Hilfe zu erwarten haben. Ist das Kind im Saugen nicht gehindert, so bemerkt man die Fessel, welche der Zunge durch ein zu langes Bändchen angelegt ist, erst dann, wenn es zu sprechen anfängt; es kann die Buchstaben, welche durch ein freies Aufschlagen der Zunge gegen die obern Zähne und den Gaumen gebildet werden, besonders das R nicht aussprechen; es lispelt und kann die Zunge nicht weit genug zum Munde heraus strecken. Hier kommt die Hand des Wundarztes noch nicht zu spät, um durch eine kleine Operation Zunge und Sprache zu lösen. Ist der Fehler nicht gar zu beträchtlich, und können die schwersten Buchstaben, das R. z, B. einigermaßen ausgesprochen werden, so kann fortgesetzte Übung das Übrige vollenden.

Öftere angestrengte Bewegung, starkes Hervorstrecken der Zunge aus dem Munde, Emporheben derselben an den Gaumen werden das Zungenbändchen nach und nach verlängern und endlich erleichtern.

§. 193.

Jede andere Unbehilflichkeit in der Sprache, welche durch Trägheit der Zungenmuskeln hervor gebracht wird, kann durch anhaltende Übung zuverlässig gehoben werden, so wie ein entgegengesetzter Übelstand, welcher von einer zu schnellen Bewegung der Zunge herrührt, das Stottern, in der Aufmerksamkeit auf die Zungenbewegung und in der fortgesetzten Bemühung, langsam zu sprechen, sein sicheres Heilmittel finden wird.

§. 194.

Die durch die Muskeln vermittelte Bewegung des Kehlkopfes und seiner Teile bildet beim Sprechen die Stimme. Wird der Kehlkopf beim Sprechen zu hoch hinauf gezogen, so wird die Stimme zu hell und zu schreiend, zu dumpf und zu tief aber, wenn er zu sehr herab gedrückt wird. Auch hier kann durch die Wachsamkeit des Willens das Übermaß eingeschränkt und der Übellaut in Wohlklang verwandelt werden.

§. 195.

Es gibt Menschen, die Alles in einem Atem sprechen wollen, und sich dabei so sichtbar anstrengen, daß ihren Zuhörern angst wird. Geht ihnen der Atem endlich aus, so müssen sie hörbar und gleichsam seufzend wieder einatmen. Es ist dies ein Übelstand, der die Lungen beträchtlich schwächt. Man könnte ihn vermeiden, wenn man sich beim Sprechen Zeit und das Atmen seinen natürlichen Gang gehen ließe.

§. 196.

Missgestaltet wird der Körper, wenn die Muskeln, welche die Schultern empor heben, unverhältnismäßig angestrengt werden. Am meisten fällt diese Missgestalt in die Augen, wenn es auf einer Seite mehr geschieht als auf der andern, wodurch eine Schulter höher zu stehen kommt, als die andere. Ein gleichförmiges Herabziehen beider Schultern kann diesem, besonders Schreibern und Näherinnen eigentümlichen Übelstand abhelfen.

§. 197.

Viel Aufmerksamkeit verdienen die Muskeln, welche den Brustkasten erweitern und verengen. Da durch sie das Atmen und die Stärke des gesammten Lebens in geradem Verhältnisse steht, so muß der Einfluß, welchen ihre lebhaftere oder trägere Bewegung auf die Gesundheit hat, nicht wenig beträchtlich sein, Menschen, deren Athenholen matt von Statten geht, führen ein schwaches Leben, welches sich durch Kälte der Glieder, Blässe der Haut, Schwäche der Muskeln, Mangel an Munterkeit, an Esslust, an natürlichen Ausleerungen usw. zu erkennen gibt, und den ersten Keim zu vielen Krankheiten in sich enthält.

§. 198.

Ich glaube denjenigen, welche eine mehr sitzende Lebensart führen, keine geringe Wohltat zu erzeugen, wenn ich sie darauf aufmerksam mache, wie sehr die wichtige Lebensverrichtung des Atmens von ihrer freien Willkür abhängt, und wie leicht sie sich durch die Aufmerksamkeit auf dieselbe vor den Übeln bewahren können, welche ihre Lebensart gewöhnlich mit sich führt. Das Hauptmittel besteht darin, daß solche Menschen ihre Geschäfte, welche meistens eine ungeteilte Aufmerksamkeit erfordern, oft unterbrechen, um das Atemholen, durch tiefes Ein- und kräftiges Ausatmen und dadurch zugleich das stockende Leben in neuen Gang zu dringen. Es kann kein besseres Mittel geben, den Blutumlauf zu erwecken, den Kopf aufzuheitern, die Haut zu erwärmen, anfangende Stockungen in den Lungen und im Unterleibe zu zerteilen, und dadurch die Entstehung von Knoten und Verhärtungen, Wasseransammlung, Schleimanhäufung, Ausdehnung der Gefäße und alle Krankheiten, welche daraus entstehen, als: Lungensucht, Bluthusten, Engbrüstigkeit, Brust und Bauchwassersucht, Hypochondrie, Gelbsucht, Blähungen, Leibesverstopfung, goldene Ader, Gicht, Verhärtungen in den Eingeweiden des Unterleibes und dergleichen zu verhindern. Sehr wichtig kann insbesondere die durch tieferes Einatmen beförderte freie Ausdehnung der Brust für diejenigen werden, welche durch eine platte und enge Brust Anlage zur Lungenschwindsucht verraten, besonders wenn sie schon in der Jugend angehalten werden, durch allmählich verstärkte Erweiterung der Brust den Lungen mehr Raum zu verschaffen.

§. 199.

Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß sich durch eine solche fortgesetzte Übung von früher Jugend auf dieser fehlerhafte Bau nach und nach verbessern lasse, und ich kann Alten nichts dringender empfehlen, als auf diesen Umstand aufmerksam zu sein.

§. 200.

Dieses stärkere Aus- und Einatmen aber hat seine Grenze, über welche hinaus es anfängt schädlich zu werden. Wird bei zurückgehaltenem Atem der Körper noch sehr angestrengt, so können Brüche, Zerreißung innerer Teile, Blutstürze, der Tod selbst auf der Stelle erfolgen. Das zu lange anhaltende Ausatmen kann besonders Sängern nicht weniger gefährlich werden, wenn sie nicht die Kunst verstehen, auch während des Singens in kleinen Zügen einzuatmen.

Bei einer Anlage zu Lungenleiden ist die Beratung mit einem Arzte in der Periode des Kindes- und Knabenalters schon von größtem Nutzen, indem durch eine, den individuellen Verhältnissen zusagende Lebensweise viel geleistet werden kann, um die Anlage nach und nach zu verbessern und das Übel im Keime zu besiegen. Bei Reichen walten gar keine Hindernisse, sich frühzeitig bei einem Heilkundigen Rat zu verschaffen und ihn genau zu befolgen.

§. 201.

Die meisten so genannten vornehmen Leute lassen die Muskeln, durch welche der Unterleib einwärts gezogen wird, die größte Zeit ihres Lebens hindurch ruhen, und erkünsteln sich dadurch eine Schwäche derselben, welche zu dicken Bäuchen, zu Brüchen, bei Frauenzimmern zu langsamen und schwierigen Geburten Veranlassung gibt.

§. 202.

Was die verschiedenen Arten der Bewegung betrifft, so ist das Gehen, wobei alle Teile des Körpers auf eine, seiner vollkommenen Entwickelung entsprechende Weise bewegt werden, die zusagendste und natürlichste Form der Bewegung. Die förderlichsten Erfolge für das Gesamtwohl der tierischen Maschine, die das Gehen oder Spazierengehen bewerkstelliget, sind: ein gleichförmiger Blutumlauf, freieres Atemholen und stärkere Wärmeentwicklung. An diese reihen sich folgende Erscheinungen an: ein regelmäßiger Appetit, erquickender Schlaf und eine heitere Gemütsstimmung. Ein Mann von Verstand und Logik würde meines Bedenkens alle Spazierer wie die Ostinder in vier Kasten zerwerfen. In der ersten Kaste laufen die jämmerlichsten, die es aus Eitelkeit und Mode tun, und entweder ihr Gefühl oder ihre Kleidung oder ihren Gang zeigen wollen.

§. 203.

In der zweiten Kaste rennen die Gelehrten und Fetten, um Motion zu machen, weniger, um zu genießen als um zu verdauen, was sie schon genossen haben; in dieses passive und unschuldige Fach sind auch die zu werfen, die es tun ohne Ursache und ohne Genuß, oder als Begleiter, oder aus Wohlbehagen am schönen Wetter.

§. 204.

Die dritte Kaste nehmen die wenigen ein, in deren Kopfe die Augen des Landschaftsmalers stehen, in deren Herz die großen Umrisse des Weltalls dringen, und die der unermesslichen Schönheitslinie nachblicken, welche mit Efeufasern um alle Wesen fließt, und welche die Sonne und den Blutstropfen und die Erbse rundet, und alle Blätter und Früchte zu Zirkeln ausschneidet.

O wie wenige solcher Augen ruhen auf den Gebirgen, auf der sinkenden Sonne und auf der sinkenden Blume!

§. 205.

Eine vierte bessere Kaste, dächte man, könnte es nach der dritten gar nicht geben; aber es gibt Menschen, die nicht bloß ein artistisches, sondern ein heiliges Auge auf die Schöpfung fallen lassen, die in diese blühende Welt die zweite verpflanzen, und unter die Geschöpfe den Schöpfer; die unter dem Rauschen und Brausen des tausendzweigigen dicht eingelaubten Lebensbaumes niederknien, und mit dem darin wehenden Genius reden wollen, da sie selbst nur geregte Blätter davon sind, die den tiefen Tempel der Natur nicht als eine Villa voll Gemälde und Statuen, sondern als eine heilige Stätte der Andacht brauchen; kurz die nicht bloß mit dem Auge, sondern auch mit dem Herzen spazieren gehen.“ (Jean Paul).

§. 206.

Das Fahren, eine Art der Bewegung, der besonders Reiche huldigen, ist schwachen und hypochondrischen Personen zu empfehlen; jene aber, die an Brüchen der Unterleibseingeweide leiden, sollten dem Fahren entsagen, besonders auf steinigen Wegen. Gesunde sollten das Gehen dem Fahren vorziehen.

§. 207.

Das Reiten. Hämorrhoidalkranke vertragen diese Form der Bewegung eben so wenig wie jene, die auf der Lunge schwach sind. Letztere müssen ihr umso gewisser entsagen, je mehr sich bei ihnen eine ererbte Anlage zu diesem Leiden zeigt. Für jene, die an Verdauungsbeschwerden und Hypochondrie leiden, ist das Reiten ein unschätzbares Mittel. Hofmann nennt es „eine herrliche medizinische Motion, bei welcher alle Muskeln von der Fußzehe bis an den Kopf in abwechselnder Bewegung sich befinden, und die durch ihre beständige Erschütterung ihre vorzüglichsten Wirkungen auf die Eingeweide des Unterleibes äußert.“ Das Reiten erschüttert den Darmkanal und befördert die Ausleerungen der alten Kruditäten, stärkt Magen und Gedärme, verbessert die Verdauung, löset die Verstopfungen der Eingeweide auf, öffnet die Gefäße der Pfortader und befördert die Ausdünstung.

§. 208.

Folgende diätetische Ermahnungen sind beim Reiten wohl zu beachten:

Zum Reiten wähle man nur ein gut abgerichtetes Pferd, und auf diesem trachte man eine gerade Stellung zu behaupten. Die Steigbügel schnalle man so auf, daß man darin stehen, und den Leib zugleich auf dem Sattel ruhen lassen kann. Ohne diese Vorschrift würde der Trab gefährlich stoßen, wenn die Steigbügel so hoch geschnallt wären, daß man nur sitzen und nicht auch stehen könnte. Beneventi meint, „daß man täglich zwei Mal reiten soll; eine Stunde nach Sonnenaufgang und dann Abends wieder.“ In nebligen Herbstmorgen ist das Reiten schädlich. Nach vollendetem Ritt gleich eine starke Mahlzeit einzunehmen, ist nicht rätlich und der Gesundheit bestimmt nachteilig. Man erhole sich zuerst von der starken Anstrengung, kühle sich zweckmassig ab, und dann gehe man erst zur Tafel.

§. 209.

Das Tanzen ist die zweckmäßigste und für die Gesundheit förderlichste Bewegung. Nicht nur die einzelnen Teile, sondern der ganze Körper wird abwechselnd fast nach allen Richtungen bewegt. Der Tanz treibt das Blut rasch durch die Adern, gegen Herz, Lungen und Gehirn. Der ganze Körper wird in eine höhere Temperatur versetzt, und durch diese in einen allgemeinen reichhaltigen Schweiß. Eine solche außerordentliche Bewegung muß für Menschen, die selten eine aktive unternehmen, eine wohltätige Wirkung haben, und so wäre es auch, wenn beim Tanzen nicht die Grenzen der Mäßigkeit und Natürlichkeit überschritten würden. Der Tanz ist in unsern Tagen der Hebel aller modernen Geselligkeit geworden. Alt und Jung, Reich und Arm, alles freut sich des Lebens im Tanz. Es gibt Menschen, die das ganze Jahr hindurch Karneval halten, und von denen man mit vollem Rechte behaupten kann, daß sie durchs Leben tanzen. Und wahrlich, betrachtet man die wandelnden Schatten, wie schnell sie an das Ziel ihrer irdischen Wanderung gelangen, so begreift man obige Behauptung, die viele traurige Erfahrungen bestätigen. Man sieht ja oft, daß Menschen, die heut auf einem Balle eine starke Erkältung sich zugezogen , in Folge deren in irgend einem edlen Organe eine heftige Entzündung entstand, die schnell in Brand überging, oft schon ehe die Sonne des nächsten Tages untergeht, aus dem Kreise der Lebenden scheiden.

§. 210.

Man wende nicht ein, daß diese Fälle zu den selteneren gehören und keine Berücksichtigung verdienen. So verhält es sich nicht, sie kommen leider häufiger vor, als man glauben sollte, und gerade unter der Klasse der Gebildeten.

§. 211.

Jünglingen und Jungfrauen, die öfters an Katarrhen leiden, oder die eine ausgesprochene Anlage zu Lungenleiden haben, schadet auch ein scheinbar mäßiger Tanz. Wie leicht ziehen sie sich eine Erkältung zu, es sei durch den Genuß eines kalten Getränkes, oder durch einen unvorsichtigen Kleiderwechsel.

§. 212.

Welche Motive heute zu Tage die meisten Tanzenden zu dieser Bewegungsart bestimmen, ist oft schwer zu entziffern. Die wenigsten träumen, viel weniger denken sie, daß der Tanz als Bewegung ihrer Gesundheit zuträglich sei. Sie haben auch vollkommen Recht, ich lobe ihre Konsequenz; denn der Art und Weise, wie sie den Tanz betreiben, den Umständen unter denen sie sich dem Tanz unterziehen, kann man unmöglich das Wort reden.

§. 213.

Bei vielen Menschen ist es ein rein sinnliches Vergnügen, frei von jeder edleren Gemütsbewegung. Bei dem schönen Geschlechte ist Eigenliebe und Sehnsucht mit im Spiele, seine Schönheit, Jugend und Grazie zu zeigen.

Die beliebt gewordenen Tanzarten sind aber gerade am wenigsten geeignet, dem Körper Anmut und Geschmeidigkeit in seinen Bewegungen zu verleihen, eher rufen sie Verrenkungen, Beinbrüche und Lungenleiden ins Dasein. Dem unsterblichen Sänger hat ein höheres Ideal des Tanzes vor dem geistigen Auge geschwebt, wenn er sang:

Das Leben regt sich gern in üpp’ger Fülle,
Die Jugend will sich äußern, will sich freuen.
Die Freude führ’ ich an der Schönheit Zügel,
Die gern die zarten Grenzen übertritt;
Dem schweren Körper geb’ ich Zephyrs Flügel,
Das Gleichmaß leg' ich in des Tanzes Schritt.
Was sich bewegt, lenk' ich mit meinem Stabe,
Die Grazie ist meine schöne Gabe.

§. 214.

Es fesseln uns bei dem Tanz so viele sinnliche Reize zugleich, und leicht vergißt man seiner schwachen Seite, der man mit Schonung begegnen sollte. Die Sehnsucht, mit der man den Saal betritt, von allen bewundert zu werden, der freudige Gruß der heiteren Tanzmusik, und jener der Freunde, die uns begegnen, Alles trägt dazu bei, unsere Sinne trunken zu machen; man sieht daher nirgends im Leben, als auf Tanzsälen, so viele Scheinglückliche, und erklärbar wird es, daß wir uns unbedacht den Freuden des Tanzes ergeben, die nur zu oft unser Leben verkürzen.



Ohne mich hier über gewisse zusammengesetzte Bewegungsarten, die zur Erheiterung und Belustigung dienen, oder über Kegel-, Billard- und Ballspiel, so wie über Fechten, Voltigieren, Jagen und Schwimmen im Einzelnen auszusprechen, worüber in so vielen ausgezeichneten diätetischen Werken das Bekannteste und Wissenswerteste sich vorfindet, werde ich hier über das Reisen, als die heilsamste zusammengesetzte Bewegung, wozu Gebildete und Reiche die Mittel besitzen, um dieses großartige Arkanum genießen zu können, einige Beleuchtungen meinen geehrten Lesern mitteilen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Krankheit der Reichen