Das Reisen und sein heilsamer Einfluss auf das körperliche Wohlsein

6. Das Reisen und sein heilsamer Einfluß an das geistige und körperliche Wohlsein des Menschen. Allgemeine und besondere diätetische Vorschriften.

Nur Reisen ist Leben, wie umgekehrt das Leben Reisen ist.


Jean Paul


§. 215.

Unter allen Vergnügungen, unter allen Freuden, die Reiche und Gebildete sich verschaffen können, kommen keine jenen gleich, die das Reisen gewährt. Reisen in der echten Bedeutung des Wortes, wovon das planlose Herumwandeln aus Mode oder Unbeständigkeit, so wie das Jagen nach Abenteuern aus Schwärmerei oder Eitelkeit wohl zu unterscheiden ist.

Die Reichen hat das Glück mit jenen Mitteln versehen, die ihnen gestatten, mit Bequemlichkeit, Zeit- und Geldaufwand Reisen machen zu können, die sich sehr oft als die heilsamsten Arzneien für langwierige Leiden bewähren.

§. 216.

Da das Reisen in einer immerwährenden Bewegung besteht, wo die aktive Form mit der passiven wechselt, wo der bunte Wechsel der Außendinge das Gemüt vorzüglich in Anspruch nimmt, so müssen Kummer und Schmerz, die das Alltagsleben dem Menschen bereitet, nicht nur immer leichter werden, sondern endlich sich aus unserem Kreise gänzlich entfernen. Das Toben der Leidenschaften wird durch die Bekanntschaft mit neuen Gegenständen, die das geistige wie das physische Auge fesseln, zum Schweigen gebracht.


§. 217.

„Ein eigener Zauber beurkundet sich in dem täglichen geselligen Zusammenleben mit früher unbekannten Menschen. Wir sind nicht lange genug mit einander in Gesellschaft, um in Streit zu kommen, oder jenes Aneinandergeraten der Gesinnungen zu erfahren, welches aus einer vertrauteren Bekanntschaft entspringt, und zu oft zum Zanke und selbst zur Neigung zum Zorne sich erhebt, wenn der Geist und der Körper vorher gereizt sind.“ (Johnson)

§. 218.

Diese kurzen Perioden des Zusammenseins sind die Honigkuchen der Gesellschaft, wo nur allein gute Laune und Höflichkeit herrschen.

Überdies dreht sich im Allgemeinen die Konversation um Szenen und Gegenstände, die uns gefallen und die uns auf dem Wege interessieren.

Eines der besten Heilmittel für die Neigung des Gemütes zum Zorne ist daher eine Tour dieser Art. Reisen ist das zauberhafte Arkanum für langjährige hypochondrische Leiden.

§. 219.

Eines Tages kam zu dem Dr. Ratclive ein Engländer, der an Hypochondrie litt, und alle namhaften Ärzte bereits in Anspruch genommen hatte.

Ratclive untersuchte den Leidenden und sagte ihm, daß er für sein Übel ein treffliches Heilmittel wüsste, das Doktor Pitcainer in Edinburg besäße, er wolle an ihn schreiben, daß er ihn in die Behandlung nehme, aber er müsste sich entschließen, die Reise nach Edinburg zu machen. Der Leidende, der Jahre lang ängstlich und furchtsam sein Zimmer kaum zu verlassen gewagt, entschloß sich mit enthusiastischer Freude nach dem Orte zu reisen, wo das Arkanum für sein langwieriges Übel sich befinden sollte. Er kam in Edinburg an, gab das Schreiben ab, und erhielt die verdrießliche Kunde, daß das Heilmittel gerade vor seiner Ankunft an den Dr. Musgrave in Exeter geschickt worden sei. Pitcainer versprach ihm von diesem Mittel sichere Heilung, wenn er sich entschlösse, die Reise nach Exeter zu machen.

§. 220.

Von der Hoffnung einer baldigen Genesung erfüllt, entschloß sich der Gemütskranke nach Exeter zu begeben; allein auch dort sollte es ihm nicht werden; denn der Dr. Musgrave sagte ihm, daß er vor einigen Tagen dieses Arkanum noch London wieder an Dr. Ratclive gesendet habe, wohin sich der Kranke voll Zuversicht begab, um Heil dort zu finden. Als er bei Ratclive erschien, sagte er mit lächelnder Miene: es scheint ein Zauber über ihr Mittel zu walten, vergebens habe ich es an allen Orten gesucht, und ohne es gefunden und gebraucht zu haben, befinde ich mich jetzt so wohl, als ich mich seit zehn Jahren nicht befand. Ich zweifle nicht, erwiderte Ratclive, denn sie haben mein Mittel wirklich gebraucht: die Reise war das Arkanum.

§. 221.

Für nervenschwache, reizbare und verzärtelte Individuen gibt es wirklich, wie praktische Ärzte nun genugsam überzeugt sind, keine trefflichere Medizin als Reisen.

Die wohltätigen Wirkungen dieses Arkanums beweisen sich vorzüglich in jenen Nervenleiden, die moralischen Ursachen ihr Dasein verdanken, großartig. In dieser Beziehung sind die Gebildeten und Reichen nach meiner Ansicht die beneidenswerteste Menschenklasse, da sie die Mittel besitzen, die einförmigen häuslichen Szenen, die die Aufmerksamkeit eines Leidenden oft ununterbrochen fesseln, mit neuen und großartigen der Natur und Welt zu vertauschen. Rechne ich noch die geistigen Genüsse hinzu, die das Reisen in Bezug auf Entdeckungen und Künste gewährt, nehme ich Rücksicht auf jene praktischen Vorteile, die man sich durch Gewandtheit im Umgange mit allerlei Menschen und durch gründliche Einsicht in das Treiben und Weben derselben aneignet, so ist das Reisen als die unschätzbare Fundgrube der Menschen- und Weltkenntnis zu betrachten.

Auch im Altertume war man von dem wohltätigen Einflusse, den das Reisen auf das körperliche und geistige Wohlsein ausübt, nur zu sehr überzeugt.

Hippokrates empfahl jenen, die im Besitze der Mittel waren, wenn sie langwierigen Krankheiten anheim fielen, Veränderung der Luft und des Ortes. Er sagt: „In morbis longis solum mutare!“ Die Römer schickten die Melancholiker und Hypochonder nach Ägypten.

§. 222.

Da Reiche und Gebildete fast immer durch ihre Lebensweise von Verdauungsbeschwerden aller Art geplagt werden, so kann ich ihnen, wenn es ihre Umstände und Verhältnisse erlauben, kein trefflicheres Heilmittel anraten, als Reisen.

Das neue Leben, das sich über den ganzen Körper und seine Provinzen verbreitet, wirkt besonders wohltätig auf die Verdauungsorgane, der Appetit kommt bei Reisenden viel früher, als er sie sonst in ihren gemächlichen Wohnungen beglückte. Sie essen und trinken Speisen und Getränke, bei deren Anblick sie schon über Ekel und Appetitlosigkeit klagten.

Sie genießen auch mehr Speisen, und wenn es auch wahr ist, daß hie und da bei Reisenden in einem Wagen oder zu Pferde, besonders wenn sie lange auf dem Wege sind, die Darmausleerungen nicht so gehörig vor sich gehen, ja sogar manches Mal Leibesverstopfung eintritt, so macht doch diese ihnen bei weitem nicht jene Beschwerden, als es zu Hause der Fall ist, wenn die natürliche Ausleerung der Gedärme oft nur einen Tag zurück gehalten wird.

§. 223.

Auf diese Weise haben ausgezeichnete Ärzte gesehen, daß Reiche von langwierigen Nervenaffektionen, die ihren Grund in einer krankhaften Stimmung der Verdauungsorgane hatten, durch Reisen auf eine bewunderungswürdige Weise befreit wurden. Doch ist nicht zu übersehen, daß das Reisen dem Alter und dem Geschlechte, so wie der vorausgegangenen Lebensart und individuellen Körperbeschaffenheit entsprechen müsse.

Mit den Organen der Verdauung und mit den Verrichtungen der Gedärme stehen die Tätigkeiten der Haut in nächster Beziehung. Das Reisen befördert durch seine gemischte Bewegung ganz vorzüglich die Hautausdünstung.

§. 224.

Die frühere Torpidität des absorbierenden Systems wird auf eine schnelle Weise gehoben, daher die Neigung zur Wassersucht und zu skrophulösen Anschwellungen, wie sie bei reichen Stubensitzern häufig vorkommen, zur Verwunderung schnell weichen. Denn durch das beförderte Aufsaugen erhalten die fetten und aufgedunsenen Teile des Körpers immer mehr ihre natürliche Beschaffenheit, und die Muskeln erhalten eine Kraft und Stärke, wie sie kein, auch noch so gepriesenes Arkanum ihnen jemals zu verleihen im Stande gewesen ist.

§. 225.

Daher Menschen, die an krankhafter Fettleibigkeit leiden, einem Vorboten der Wassersucht, auf der Reise magerer, aber stärker werden. Diese heilsame Umänderung dürfte Laien der Heilkunde desto eher einleuchten, wenn sie überlegen, daß der Verlust des Umfanges und des Gewichtes des Körpers den Lungen und dem Herzen eine größere Freiheit zu ihren notwendigen Verrichtungen gestattet.

§. 226.

Diese kurze Schilderung der wohltätigen Einflüsse des Reifens möge meine geehrten Leser überzeugen, wie groß die Wirkungen dieses Arkanums für das Leben und die Gesundheit sind. Um sie zu erfahren, sollten sie folgende empfehlenswerte Maßregeln nicht außer Acht lassen.

Diätetische Reisevorschriften.

§. 227.

a) Es begebe sich Niemand auf Reisen, der eine ausgesprochene Anlage zu irgend einer bedeutenden Krankheit besitzt, oder an einem langwierigen Übel leidet, ohne den Rat seines Arztes eingeholt zu haben, zu dem er Vertrauen hat, und dessen Erfahrung und Wissen ihm als sichere Bürgen seiner künftigen Genesung gelten. Wer Lustreisen auf längere Zeit macht, sollte ebenfalls früher seinem Hausarzte Kunde davon geben, um von ihm die Genehmigung seines Unternehmens zu erhalten.

§. 228.

b) Soll die Reise ein Verlängerungsmittel des Lebens werden, so darf sie sich nicht zu einer, der Gesundheit nachteiligen Strapaze gestalten. Je seltener man Reisen macht, desto kleiner muß die tägliche Tour sein, und nie die Grenze von vier oder fünf Meilen überschreiten. Alle drei oder vier Tage sollte man einen Ruhetag halten, um die Wirkungen beurteilen zu können: wie sich der Anfang der Reise durch die fortgesetzte Bewegung, durch die Veränderung unserer Gewohnheiten, den Einfluß der Außendinge und durch den Genuß einer immerwährend reinen und freien Luft zu unserem Wohlbefinden verhalte.

§. 229.

c) Man glaube ja nicht, daß man durch diese Art zu reisen etwas verliert; ich bin fest überzeugt, daß derjenige, der nicht die Zahl der Meilen, sondern die Bewegung und Veränderung der Gegenstände und ihren wohltätigen Eindruck auf seinen Körper und Geist als Zweck seiner Reise betrachtet, wenn er auch zu den Schwächlichen gehört und Anfangs kleine Touren macht, allmählich an Kräften gewinnen, und die versäumten Meilen in ungestörtem Wohlsein einholen wird.

§. 230.

d) Die günstigste Zeit zum Reisen ist die Mitte des Frühlings, der Spätsommer und der Herbst. Das beginnende Frühjahr aber, der Hochsommer und der traurige Winter, wo die Natur dem Menschen im Sterbegewande entgegen tritt, würde ich Jenen nicht anraten, die zur Erholung und zum Vergnügen reisen. Diese diätetische Vorschrift findet ihre vollgültigen Ausnahmen, wenn wir die Himmelsstriche der Länder in Berücksichtigung ziehen. So wäre für denjenigen, der in Norden lebt und nach dem Süden eine Reise unternehmen will, der Herbst die anempfehlendste Jahreszeit; so wie der Südländer, der nach Norden eine Reise unternehmen will, den Sommer dazu benützen sollte.

§. 231.

e) Die Luft, die Wärme und der Witterungswechsel dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Eine reine, freie und milde Luft ist ein wahrer Lebensbalsam. Ist sie aber sehr feucht, sehr trocken oder sehr warm, so erzeugt sie auf Reisen, wo der Mensch ihrem immerwährenden Einflusse preisgegeben ist, bedenkliche Leiden. Dem Melancholiker und Phlegmatiker, so wie dem Sanguiniker und Choleriker sagen bestimmte Eigenschaften der Atmosphäre mehr oder weniger zu. So z. B. befindet sich der erste in der warmen, der zweite in der mehr kalten, der dritte in einer mehr kühleren, der letzte in einer mehr lauen Luft recht wohl.

§. 232.

f) Das Reisen zur Nachtzeit ist bestimmt schädlich, denn einmal genießt der Körper keinen Schlaf, und wann und wie soll er die verloren gegangenen Kräfte wieder ersetzen? dann ist die Luft zur Nachtzeit nicht vorteilhaft für die Gesundheit, man zieht sich durch die kühlere Temperatur Katarrhe und andere Übelstände leicht zu.

§. 233.

g) Ist ein Gewitter im Anzuge, so halte sich derjenige, der zu Fuß eine Reise macht, fern von Bäumen, Gebüschen, Wäldern, Hügeln, Flüssen, Pferden, Wagen, Heu und Getreideschobern, so wie von Windmühlen und Aasangern, man beseitige alles Metall, das man bei sich hat, und suche in reinen und trockenen Höhlen Unterstand und Schutz. Macht man eine Reise zu Pferd oder im Wagen, und merkt man, ein Gewitter nähere sich, so halte man lieber still in einer dem Gewitter entgegengekehrten Seite.

§. 234.

h) Auch die Kleidung auf Reisen verdient eine genaue Berücksichtigung. Gewohnheit und Jahreszeit müssen uns hier leiten. Bequemlichkeit sollte man vor allem bei den Reisekleidern berücksichtigen; sie mögen unser Haupt oder die Brust, die Füße ober andere Teile einhüllen. Möchte folgendes Kleiderreglement für Reisende wohl beachtet werden.

§. 235.

Die Halsbinden müssen locker anliegen, und können bei Unverwöhnten im Sommer leicht ganz wegfallen. Die nötigen Strumpfbänder seien elastisch, die Pantalons an bequemen Hosenträgern befestigt; die Frauenröcke nicht zu fest angebunden, sondern von Schulterstücken getragen. Den Kopf bedecke im Sommer ein grüner oder weißer Strohhut, der zugleich die Augen wohltätig beschattet. Durch die gewöhnlichen und Reisebrillen, als angebliche Schutzmittel gegen Wind und Wetter, sind die Augen immer in einem ihnen nachteiligen Dunstbade, und werden dadurch gegen Luft und Licht um so empfindlicher; die Gläser werden bald trübe und undurchsichtig. Lieber wasche man auf Reisen mehrmals des Tages seine Augen sanft mit überschlagenem reinem Wasser aus. Schwarzer Krepp statt der Gläser in die Brilleneinfassung gespannt, sichert am besten gegen das Blenden des Schnees auch die schwächsten Augen eines Reisenden im Winter. Höchst feindlich wirkt aber auf sie die glänzende Metalleinfassung an den Reisemützschirmen.

Ferner schadet den Augen auch auf Reisen das Leuchten des Blitzes, das Lesen im Gehen, zu Pferde und im Wagen, das Rauchen kurzer Zigarren, die Lorgnetten- und Brillenmode bei eingebildeter Kurz- und Blindsichtigkeit, der Missbrauch der Lupen und Fernröhre usw.

Abwechselnde Bewegung zu Fuß, zu Pferd oder im Wagen gehört zu den besten Stärkungsmitteln der Augen.

§. 236.

Der Winter, das Frühjahr und der Herbst verlangen eine wärmere Kleidung als die heißen Sommertage. Es läßt sich aber darüber im Allgemeinen nichts bestimmen, weil hier die Leibeskonstitution und Erziehung des Reisenden zu sehr mit in Anschlag kommen. Schafwollene Kleidung mögen solche, die einmal dadurch verwöhnet sind, selbst auf der bloßen Haut forttragen und nötigen Falls wechseln. Denn leider! läßt jetzt die übertriebene Sorgfalt vor Erkältung unsere Hautorgane nicht mehr zum selbständigen Leben kommen durch deren flanellene Einpuppung!

§. 237.

Das Tuch der Oberkleider und Reisemäntel sollte möglichst wasserdicht sein. Hat man sich einmal an Rauwerk gewöhnt, so trage man es so, daß sein Haar immer nach auswärts zu stehen kommt.

§. 238.

i) Auch auf die Nahrung müssen wir ein sicheres Augenmerk richten; wir sollen uns, besonders auf Reisen, als Freunde der Mäßigkeit bewähren. Speisen und Getränke, die sehr reizen, sollte man ja nicht auf der Reise wählen, da die stete Bewegung schon Blutkongestionen verursacht. Ich möchte Reisenden anraten, bei ihrer gewohnten Diät zu bleiben, öfter und immer wenig zu genießen, und in schlechten Wirtshäusern mit Milch, Eiern und gut gebackenem Brote, oder Suppe und wohl gebratenem Fleisch sich zu begnügen. Man sei heiter bei Tische, mache sich gesprächsweise mit den Gewohnheiten und Eigentümlichkeiten des Landes, das man durchreist, auf eine anmutige Weise bekannt. Wer gewohnt ist Wasser zu trinken, den warne ich, daß er nicht überall, in jedem Wirtshause Wasser trinke, sondern ein Paar Tropfen Wein hineingebe, da man von dem Genusse eines ungewohnten Wassers leicht einen Durchfall bekommt.

Noch leichter tritt der Bauchfluss auf der Reise ein von der plötzlichen Unterdrückung der Hautausdünstung. (Schreger.)

§. 239.

Das beste Mittel hiefür, das man auf der Reise schnell haben kann, wenn man im Gasthofe anlangt, ist, Reis- oder Gerstenschleim zu genießen, mit erwärmten Tüchern sich fleißig den Unterleib zu bedecken, und wenn der Durchfall diesen einfachen Mitteln nicht weicht, so lasse man sich den nächsten Arzt herbeiholen. Man vermeide ja alle blähenden Speisen, wodurch besonders bei jenen Reisenden, die eine Neigung dazu haben, Windkoliken erzeugt werden.

Da diese Übelstände die Vergnügungen der Reise verkürzen, so trage man lieber Sorge, jeder Verkühlung oder Erkältung zu entgehen, dann wird man gewiß von den auf Reisen so häufig vorkommenden Schnupfen und Husten befreit bleiben.

§. 240.

h) In Bezug auf die Ausleerungen des Harnes und Stuhles sind Reisende aufmerksam zu machen, daß sie diesen Lebensbedürfnissen keinen Zwang antun, da sie sonst von Harnbrennen und Leibesverstopfung heimgesucht werden.

§. 241.

Der Morgen, ehe man den Wagen zur weiteren Reise besteigt, und der Abend, ehe man sich zu Bette begibt, sind jene Zeitpunkte, wo man, wenn es die Natur nicht früher verlangt, zu Stuhle gehen soll. Die Entledigung des Harnes aber kann so oft, als man den Trieb dazu fühlt, beim Wechseln der Pferde statt finden.

§. 242.

1) Was das Gasthaus und Gastzimmer betrifft, ist es das beste, nur die besuchtesten Gasthäuser zu wählen; verweilt man aber in Städten längere Zeit, so bewerbe man sich um eine Privatwohnung.

Nachteilig ist es für unsere Gesundheit, wenn wir in einem Gasthofe ein Zimmer erhalten, das durch längere Zeit nicht gelüftet wurde, und wir dann eine ganze Nacht in einem solchen Gemache verweilen sollen.

§. 243.

m) Reinlichkeit ist auf Reisen eine empfehlenswerte Tugend, die man nicht nur in seinen Kleidern durch öfteren Wechsel, sondern auch durch Waschen des Körpers, wenn er vom Schweiße befreit ist, zu erreichen bemüht sein soll. Das tägliche mehrmalige Waschen des Antlitzes, Halses, Nackens, der Brust, der Ohren und Hände versäume man eben so wenig, als das Ausspülen des Mundes, das Abputzen der Zähne und Zunge.

Das Wundwerden gewisser Teile verhütet am besten Reinlichkeit, fleißiges Waschen derselben, wenn sie nicht schwitzen, und allenfalls reiner, frischer Hirschtalg usw.

§. 244.

n) Was die Reinlichkeit der Betten betrifft, so ist es am besten, zugegen zu sein, wenn sie frisch überzogen werden. Hat man eine gegerbte Hirschhaut bei sich, so überdecke man mit dieser das Bett; am förderlichsten ist es, seine eigenen Reisebetten mit sich zu führen.

o) Eine fröhliche Stimmung des Gemütes endlich ist der beste Reisepass, um den man sich eben so notwendig, wie um Geld zur Reise bewerben muß; sie wird erlangt am sichersten durch festen Gleichmut, mit dem wir dein Lose unserer Zukunft entgegenziehen.

§. 245.

Es dürfte für meine Leser nicht uninteressant sein, die gedrängte Skizze eines Reiseplanes zu betrachten, den ich ihnen in folgendem Gemälde mitteile:

Sechs Individuen, drei Gesunde und drei Kränkelnde, reisten in den Monaten August, September und Oktober 1823 ungefähr 2500 Meilen weit durch Frankreich, die Schweiz, Deutschland und die Niederlande, für den alleinigen Zweck der Gesundheit und solcher Vergnügungen, welche man als mit der Erreichung dieses Gegenstandes für am meisten verträglich betrachtete.

§. 246.

Es wurde der Versuch gemacht, ob eine beständige Veränderung des Schauplatzes und der Luft, in Verbindung mit beinahe ununterbrochener aktiver und passiver Leibesübung während des Tages, — besonders in freier Luft, die Gesundheit nicht mehr bekräftige als langsame Tagreisen und langer Aufenthalt auf der Landstraße.

Man wird das Resultat davon sogleich sehen. Um aber dem Leser eine Idee von dem zu verschaffen, was man auf einer Tour dieser Art in drei Monaten alles vornehmen könne, so werde ich die Tagreisen aufzählen, wobei ich die Exkursionen übergehe, welche wir von jenen Orten aus machten, wo wir des Nachts anhielten, oder uns einige Tage verweilten. Unser längster Aufenthalt war der einer Woche, und dies war nur drei Mal, zu Paris, Genf und Brüssel der Fall. An den meisten Orten hielten wir uns nur eine Nacht oder einen Teil des Tages auf, oder auch einen oder zwei Tage, in Übereinstimmung mit dem lokalen Interesse. Aber ich will bemerken, was mich betrifft, daß während der Tage des Aufenthaltes an jedem Orte mehr Leibesübung gemacht wurde, als in den Tagen, welche man darauf verwendete, um von einem Punkte zum andern zu gelangen. Die Folge davon war, daß das eine Viertel des Jahres einem ununterbrochenen Systeme von Leibesübung, Luftveränderung und Wechsel des Schauplatzes gespendet wurde, zugleich mit der geistigen Aufregung und der Vergnügung, die aus der immerwährenden Darstellung neuer Gegenstände, worunter viele zu den interessantesten auf der Fläche dieses Erdballes gehören, entsprangen. Die regelmäßigen Tagreisen und die Punkte nächtlicher Ruhe waren folgende: Sittingbourne, 2. Dover, 3. Calais, 4. Boulogne, 5. Abbeville, 6. Ronen, 7. längs den Ufern der Seine nach Montes, 8. Paris, mit verschiedenen Exkursionen und Durchwanderungen, 9. Fontainebleau, 10. Auxerre, 11. Vitteaux, 12. Dijon, mit Exkursionen, 13. Champagnole in den Jura-Gebirgen, 14. Genf, mit verschiedenen Exkursionen, 15. Saleuche, 16. Chamonni, mit verschiedenen Exkursionen zum Meere de Glace, Gordin, Burt usw., 17. quer über den Col de Balme nach Martigny, mit Exkursionen auf die Vallais, 18. durch das Tal von Entrement und so auf den großen St. Bernhard, mit Exkursionen, 19. zurück nach Martigny, 20. Evian am Genfer See, mit Exkursionen, 21. Genf, 22. Lausanne, mit Exkursionen, 23. la Sarna, 24. Neufchatel, 25. Bern, mit Exkursionen und Herumwanderungen, 26. Thun, 27. Tal von Lauterbrunn, mit verschiedenen Kreisgängen, 26. Grindelwald, mit Exkursionen zu den Gletschern usw., 29. über den großen Scheidrik nach Meiringen, mit Exkursionen zu Wasserfällen usw., 30. durch Brienz, den Brienzersee, Interlachen und Thunersee, mit verschiedenen Exkursionen zu dem Gießbache und andern Wasserfällen zurück nach Thun, 31. Bern, 32. Zofingen, 33. Luzern, mit verschiedenen Exkursionen, 34. Zug und Zürich, 35. Schaffhausen und der Rheinfall, 36. Neustadt im Schwarzwald, 37. durch das Höllental nach Offenburg, 38. Karlsruhe, mit Exkursionen, 39. Heidelberg, 40. Darmstadt, 41. Frankfurt am Main, mit Exkursionen, 42. Mainz, mit Exkursionen, 43. Koblenz, Bingen, Bonn usw., 44. Köln, 45. Aachen, mit Exkursionen, 46. Lüttich, 47. Brüssel, mit einer Woche lang dauernden Exkursionen, 48. Gent und Courtray, 49. Dunkerque, 50. Calais, 51. Dover, 62. London.

§. 247.

Während der ganzen Tour hatten wir also 62 regelmäßige Tagreisen, und 32 Tage wurden auf Exkursionen und Herumwanderungen verwendet. Und da die Anstrengung oder Ermüdung während der Tagreisen bei weitem nicht so groß war, als während der Tage des Aufenthaltes und der Exkursionen, so folgt daraus, daß in zwei Monaten diese ganze Tour sehr leicht und mit größtem Vorteile für die Gesundheit gemacht werden könne.

§. 248.

Was Naturansichten anbetrifft, so möchte es vielleicht schwer sein, eine Bahn zu wählen, die eine solche Aufeinanderfolge der schönsten und erhabendsten Ansichten, und eine solche Verschiedenheit interessanter Gegenstände darböte, als die Linie, welche obige Route darstellt. Es möchte indessen, wenn Zeit und andere Umstände es erlauben, besser sein, drei Monate der Tour zu widmen, als sie in zwei Monaten zu machen; obgleich ich, wenn auch nur zwei Monate darauf verwendet werden könnten, gerade diese Reiselinie da empfehlen möchte, wo Gesundheit der Hauptzweck ist. Vielleicht wäre es noch zweckmäßiger, die Ordnung der Route umzukehren, und mit dem Rhein zu beginnen, durch welchen Plan alsdann die majestätischen Ansichten stufenweise und nach und nach zunehmen, bis der Reisende den Gipfel des großen St. Bernhard erreicht hat.

§. 249.

Dieser Plan besitzt für den Stubensitzer weit mehr Vorteile als die rein aktive oder rein passive Art zu reisen. Die beständige Abwechslung dieser zwei Arten sichert die Wohltaten beider, ohne die Beschwerden, die eine jede für sich hat. Da die Jahreszeit zum Reisen in der Schweiz die heißeste, und in den Tälern die Temperatur exzessiv ist, so könnte der Hypochondrist große Gefahr laufen, wenn er in der Mitte des Tages Fußmärsche versuchen würde. Wenn er aber in heißen Tälern auf passive Art reist, und dann zu Fuße geht, wenn die Temperatur gemäßigt oder der Boden erhöht ist, so zieht er alle die Vorteile, welche eine Leibesübung von beiden Arten zu geben vermag, ohne irgend etwas für seine Gesundheit zu wagen. Die gebräuchliche Ordnung unserer Mahlzeit war etwas Kaffee nach Sonnenaufgang, und dann Leibesübung entweder im Herumwandeln, Exkursionen, oder auf der ersten Station der Tagreise. Am Mittag wurde ein déjeuner à la fourchette genommen, und dann ging es unmittelbar zur Leibesübung oder zum Marschieren; den Beschluss der Tagreise und der Anstrengungen während des Tages machte eine Mahlzeit um 6 Uhr an der table d` hôtel, wo eine Gesellschaft von allen Nationen, die von 30 bis zu 50 oder 60 Individuen variierte, ganz sicher versammelt war, und zwar mit einem beneidenswerten Appetite. Um 10 oder halb 11 Uhr waren alle im Bette, und von dieser Zeit an bis 6 Uhr Morgens, als der regelmäßigen Stunde unseres Aufstehens, gab es selten einen Zwischenraum des Erwachens. Auf dieser Reise erfuhren wir großen und manches Mal sehr schnellen Wechsel der Temperatur, so wie auch andere atmosphärische Veränderungen, ohne nachteilige Folgen für unsere Gesundheit. — Ich wünsche, daß meine geehrten Leser, die vom Glück mit Mitteln gesegnet sind, um Reisen zu unternehmen, diese hohe Gunst des Schicksals zur Beförderung ihres geistigen und körperlichen Wohlseins eben so benutzen mögen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Krankheit der Reichen