Betrachtungen über die Ehe

3. Betrachtungen über die Ehe und ihren Einfluß auf das geistige und physische Wohlsein des Menschen.

§. 378.


Die Ehe ist der große und feierliche Akt des Lebens, der alle Differenzen, die zwischen den Geschlechtern eine Art Polarität bewirken, auszugleichen bemüht ist.

Auch hier findet es sich sehr oft, wie in dem großen Reiche der Natur, daß ganz entgegengesetzte Elemente sich durch enge Wahlverwandtschaft zu einem großen herrlichen Ganzen vereinigen. Die Art, wie dieses große Vereinigungsmittel der Geschlechter zu Stande kommt, ist so mannigfach, als Temperament, Geschlecht, Alter und äußere Verhältnisse, Kombinationen und Modifikationen bewirken können; aber auch in der Ehe, so wie in der Liebe und Freundschaft, tritt der große Unterschied der Geschlechter auffallend hervor, den wir jetzt berühren wollen.

§. 379.

Der Inbegriff des Duldens und Entbehrens, das Symbol der Milde und Schönheit, der zartesten Gefühle und edelsten Regungen, deren der Mensch nach der Stufe seiner geistigen Kultur fähig ist, ruht in dem Namen Weib, im Gegensatze des tiefen Ernstes und immer regen Begehrens, der festen Gesinnung und des rechtlichen Bewusstseins, die den Geist und das Gemüt des Mannes adeln. Das Weib ist die Schöpferin der innigsten und heiligsten Gefühle, die es als tätige Hausmutter und Freundin in die zarten Herzen der Kinder überpflanzt und in dieser Art gleichsam Sonnenblumen aufzieht, die sich ewig zur Sonne der mütterlichen Liebe hinwenden, um Wärme und Glut zum Gedeihen zu empfangen. Wahr ist es also, was vom Weibe behauptet wird. Für das Weib gibt es nur einen Stern, ein Großkreuz, ein lilienweißes Ordensband — das reine tiefe Herz. Den Mann zeichnen sein Geist und sein ernster Wille aus. Dieser erste Unterschied ist begründet in der zarteren Organisation und Textur der Nerven- und Muskelgebilde und aller jener Organe, die durch die Harmonie genannter Teile ihre Bestimmung in der tierischen Ökonomie erhalten. So sind die Sinne des Weibes leichter aufzuregen durch äußere Gegenstände, den äußeren Einflüssen wird ein geringerer Widerstand geleistet, die Empfindungen sind zarter, entstehen leicht und sind dem Inhalte und der Form nach dem häufigern Wechsel unterworfen. Es ist also einleuchtend, warum ihre Wirkungen nicht so tief eingreifen in das geistige und körperliche Leben, sondern sich zu ihrem Schauplatz mehr die äußere Sphäre des weiblichen Organismus wählen, und daselbst oberflächlich erscheinen.

§. 380.

Beim Manne verhält sich dieses ganz anders. Der vollendete Mann widersteht kräftiger dem Einfluss der Außendinge, und bietet da noch kühnen Trotz, wo das Weib bereits der Empfindung unterliegt; wird der Mann durch einen Gegenstand von geistiger und physischer Seite angeregt: so sind die Empfindungen, die sich in ihm entwickeln, fester, ernster Natur, und er beherrscht sie noch immer durch den tiefen Ernst, der alle seine Tätigkeit leitet. Nächst den Sinnen verdient hier vor allem die Einbildungskraft, die zu jenen in nächster Beziehung steht, der Betrachtung unterzogen zu werden. Je zarter und feiner die organischen Gebilde sind, je leichter beweglich und aufregbar die Nerven in einem Körper, je leichter bestimmbar das Temperament, das aus diesen Faktoren als Produkt hervorgeht, desto lebhafter und reproduktiver wird auch die Einbildungskraft sein, und da obige Momente sich in einem weiblichen Organismus häufiger vorfinden, so operiert auch hier diese Seelenfähigkeit viel leichter, und diese Quelle, reich an vielen Freuden und tiefen Schmerzen, wir meinen die Einbildungskraft, macht das Weib empfänglicher und teilnehmender für fremde Wonnen und Leiden, indes ihre Produktivität den Mann zur Selbstschöpfung, zum Dichter, Maler, Tonsetzer macht, und so den Lorbeer um seine Stirne flicht, wozu dem Weibe größtenteils die Originalität mangelt, dieser Born aller großen Geistesschöpfungen, der den Mann zum Repräsentanten seiner Zeit adelt.

§. 381.

So ist der Mann das Bild des vollkommen entwickelten Lebens in allen seinen Sphären; Verstand und Vernunft geben ihm die überwiegende Herrschaft über das Weib und über die Außenwelt, die er mit der ganzen Kraft seines Willens und seiner Phantasie der geistigen Anschauung unterwirft, an der Stelle der Ideale, die dem Jüngling die Welt in einen Feentempel verwandeln, tritt die Wahrheit ihm nackt entgegen, er richtet seine Urteilskraft auf das Sein und lernt den leeren Schein davon absondern. Das ganze Leben, das ehedem wie ein beseligender Frühlingstraum an seiner Jünglingsseele vorbeigezogen war, erfaßt er, und berechnet, ob seine Momente ihm Nutzen und Genuß im Denken oder Handeln gewähren, oder für seine Kreise, wo er als Mensch, Freund, Vater oder Bürger feine geistigen oder physischen Anlagen, Kräfte und Fähigkeiten dem Wohl der Menschheit widmet.

§. 382.

Was die Leidenschaften betrifft, so müssen wir hier zuerst zu ihrem Stammbaum, als welcher das Begehrungsvermögen zu bezeichnen ist, zurückkehren. Das Begehrungsvermögen des Weibes besitzt aus bereits oben entwickelten Gründen geringere Stärke und einen niedern Grad von Ausdauer. Heftig begehrt nur der Mann, und schneller entwickelt sich bei ihm dieses Vermögen, der Hang und die Neigung, und aus dieser endlich die Leidenschaft selbst. Das Weib aber, dieser Diamant der Weltschöpfung, die stille Dulderin, verschließt sorgsam in ihrem Busen die ersten Keime neu erwachter Neigung, und nässt die zarten Knospen und dornigen Rosen stillgeheimer Liebe mit dem Tau der Tränen.

§. 383.

Das weibliche Herz erwünscht, ersehnt sich den Mann, aber es verbirgt seine Wünsche und sein Sehnen, und enthält sich des Begehrens, als den Schranken des Geschlechtes entgegen. Daher die begehrende Liebe des Weibes nur ein Ahnen und ein Hoffen ist.

In Bezug auf sächliche Gegenstände begehrt es alles, was sein Dasein innerhalb den engen häuslichen Schranken schön, behaglich, bequem, geordnet und wohlständig macht: als Putz, Schmuck, schöne Geräte und Geschirre, Vorräte in Küche und Schränken, überall aber Sauberkeit, Zierlichkeit, Nettigkeit, Ordnung. Endlich in Beziehung auf die eigene Person begehrt das weibliche Herz zu gefallen und zu fesseln.

Was die gebende Liebe betrifft, so gibt die weibliche Seele dem Erwählten, dem Geliebten sich selbst, Alles was sie ist und hat, ihr ganzes Dasein und Leben, und zwar für immer. Die Treue ist ein ursprünglicher Charakterzug des weiblichen Herzens.

§. 384.

Nur die Kinder teilen die Liebe und Treue der Gattin mit der Mutter. Was nicht persönliche Gegenstände betrifft, so gibt das weibliche Herz seine volle Liebe der schönen Natur, als einer Mutter, und der schönen Kunst, als einer Schwester. Endlich in Beziehung auf die eigene Person schenkt das weibliche Individuum, solange es Ansprüche zu machen hat, oder machen zu können glaubt, sich selbst den größten Beifall. Eitelkeit ist der Geschlechtscharakter. Die Hauptaffekte des weiblichen Herzen sind Furcht und Scham.

§. 385.

Der Mann begehrt in Beziehung auf das Geschlecht das Weib, und darf als Naturwesen dasselbe begehren; er wirbt um den Besitz ihrer Person und ihrer Liebe. In Beziehung auf sächliche Gegenstände begehrt der Mann Alles, was sein Dasein befestigt, kräftigt, erweitert, erhöht und ausbreitet, kurz Alles, was der Kraft verwandt ist. Haus und Hof, Gut und Geld, Waffen und Pferde, Krieg und Jagd. In Beziehung auf seine Person begehrt er Anerkennung, Achtung, Ehre, Freiheit und Unabhängigkeit, soviel nur immer möglich. Er gibt in Beziehung auf sein Geschlecht dem geliebten Weibe die ganze Kraft seines Lebens, nur nicht Selbstständigkeit, als deren er bedarf, um der Kraft mächtig zu sein. In persönlichen Gegenständen schenkt er seine Huldigung dem Erhabenen in Natur und Kunst. In Beziehung auf seine Person versagt er sich nicht die eigene Anerkennung seiner Kraft, er ist stolz, aber nicht hochmütig, und eben so erkennt er die Kraft in Andern an, er achtet jeden Kräftigen. Der Geschlechtsaffekt des Mannes ist Zorn, seine Geschlechtsleidenschaft Ehre. (Heinroth.)

§. 386.

Beide Geschlechter stehen also auf derselben Stufe der Vollkommenheit, das Weib umfasst Liebe und Gegenliebe; hier spielt die Sympathie eine Hauptrolle, sie ist begründet in einer feinern Textur und Organisation, die mit einer überwiegenden Empfindlichkeit im Nervensystem verknüpft ist.

§. 387.

Diese Verschiedenheit gibt dem Weibe schon im gesunden Zustande einen ganz eigentümlichen Charakter, der sich in dem Anschmiegen an das Höhere und Reinere beurkundet. In diesen Wechselverhältnissen liegt der Zauber verschlossen, der das Geschlecht an das Geschlecht bindet, in diesem die Quelle einer beseligenden Ehe.

Unter allen Gaben des Himmels ist also das Weib die köstlichste; wer eine treffliche Gattin zur Gefährtin durch das irdische Labyrinth gefunden, der ist geborgen. Denn vom Beginne unseres Seins bis zu jener freudenlosen Zeit, wo die Blätter welk und reich vom Baume unsers Lebens fallen, sind die Frauen die geheimnisvollen Engel, die unsere Freuden uns versüßen, unsere Leiden verringern.

§. 388.

„Aus dem süßen Mutterschoße“, sagt ein Philosoph, „steigt der junge Erdenbürger herauf zum Leben, aus der gesunden Mutterbrust entquillt ihm die erste kräftige Nahrung, die sorgliche Mutterhand spendet mit zarten Mühen dem geliebten Pfleglinge, was zu seinem Nutzen frommt, mit solcher Vorsicht wendet das treue Mutterauge alle nachteiligen Wirkungen von außen auf ihn einwirkende Gewalten ab, sanft und duldend geleitet die zärtliche Mutter den schönen Abdruck ihres Ichs durch alle Stufen seiner Entwicklung, und durch ihr rastloses Wirken und Schaffen rankt er allmählich sich fester ins süße Leben, diese freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens.“

§. 389.

Der Mutter spähendes Auge entdeckt voll unaussprechlicher Wonne die ersten hervorblühenden Zähne ihres Heißgeliebten. Der Mutter freundliche Lippen lehren die ersten Töne ihn lallen, ihrem liebevollen Unterrichte verdankt er seine erste Anschauung, seine ersten Begriffe, die erste Entwicklung der Denkkraft und der Ideen.

An der Seite des sanften Mädchens verlebt der wilde Knabe die rosigen Jahre der Kindheit. Der Jungfrau bezaubernde Anmut und des Körpers entzückende Reize spornen den Jüngling zur Tatenkraft und erregen in ihm das sittliche Streben nach ihrer Gunst.

§. 390.

Als teilnehmende Lebensgefährtin geleitet die tugendhafte Gattin den geliebten Auserkornen, und mit sorglichen Händen pflegt sie sein stilles Erdenglück auf reinem, häuslichem Altare. Ihre kluge Sparsamkeit erhält, was sein reger Fleiß errungen. Noch als alternde Matrone versüßen ihre tröstenden Worte dem stumpfwerdenden Greise die lastende Bürde der zurückgelegten Jahre, indem sie holde Erinnerungen in die froh verlebte Vergangenheit ihm zuflüstert. Mit treuer Zärtlichkeit wartet sie seiner, wenn Krankheit und Altersschwäche ihn auf das Schmerzenlager hinstrecken, und mit sanfter Hand drückt sie beim Heimgange in eine bessere Welt dem Scheidenden das brechende Auge zu, das im Tode noch seinen letzten Blick dankend ihr reicht.

§. 391.

Die Ehe, dieses heilige und feste Band, das zwei Herzen, die sich lieben, auf immer vereint, ist die segenreiche Quelle einer beneidenswerten Zufriedenheit, eines erfreulichen Wohlstandes und eines langen, gesunden und freudenvollen Daseins. Wer sich aus Egoismus, aus Laune oder falschen Prinzipien dem Ehestande entzieht, der entsagt einer der wichtigsten und beseligendsten Bestimmungen der Natur. Traurig, beklagenswert, höchst verderblich und falsch ist der Wahn, die Ehe sei eine konventionelle Erfindung: sie ist, wenn es unsere Verhältnisse gestatten, ihr zu huldigen, das größte Mittel, unsere moralische, geistige und physische Natur zu vervollkommnen. Welche schönern Freudenblumen streuet das Geschick in unser dornenreiches kurzes Pilgerleben, als jene Wonnen des ehelichen Verhältnisses. Darum schließen zwei ein Band, um Sorge und Leid, Kummer und Betrübnis zugleich zu besiegen. Dieses gemeinschaftliche Tragen aller Leiden zweier verbundener Herzen erhebt uns auf die Sonnenbahn der Tugend, und entfernt uns immer mehr und mehr von dem tiefbrausenden Strome des Lasters.

Glückliche, Beneidenswerte, denen das Glück ihre Lebensverhältnisse so geordnet, daß, wenn die vernünftige Wahl ihres Herzens einen würdigen Gegenstand traf, dem stillen sehnsuchtsvollen Wunsche Gewährung werden kann!

§. 392.

Wir haben in diesen wenigen Andeutungen die schöne Seite der Ehe berührt, und wagten nicht den Schleier zu lüften, der das nächtliche Gemälde einer unglücklichen Ehe verbirgt, weil wir der Entfaltung der mannigfachen, moralischen, geistigen und physischen Umstände, Gebrechen und Irrtümer, die die Freuden der Ehe trüben und oft schnell zerstören, hier keinen Raum gestatten können, sondern wünschen nur, daß die Konvenienz-Heiraten weniger begünstigt werden mögen, dann werden gewiß die glücklichen Ehen nicht zu den Seltenheiten gehören.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Krankheit der Reichen