Die Kolonisation ausländischer Kulturkräfte
Aus: Die deutschen Ansiedlungen in Russland - Einleitung 04
Autor: Matthäi, Friedrich (?-?) Offizier der kögl. Sächs. Armee, corresp. Mitglied der Kaiserl. freien ökonomischen Gesellschaft, sowie der Gartenbaugesellschaft zu St. Petersburg, Erscheinungsjahr: 1866
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Deutsche, Heimat, Auswanderung, Auswanderer, Kolonisten, Das Geschäftsleben der Bäcker und Apotheker, der Schneider, der Kaufleute, der Buchhändler, der Lehrer, Privatlehrer, Hauslehrer, Gymnasiallehrer, Universitätslehrer, Das Gesellschaftsleben, Die gute Gesellschaft, Die schlechte Gesellschaft, Die Frauen, Die Karten, Die Musik
Die Kolonisation ausländischer Kulturkräfte, von der Regierung ebenfalls planmäßig durchgeführt, hatte nicht nur den Zweck öde Landstrecken der Kultur zu erschließen, sondern auch durch das Beispiel guten landwirtschaftlichen Betriebes die einheimisch russische Landwirtschaft nach Kräften zu fördern, ein Zweck der allerdings auch nur teilweise, wie wir später sehen werden, erreicht wurde. Diese Kolonisation ist es, die ich zum Gegenstand dieser Abhandlung gemacht habe. Unter den nicht russischen Völkern, welche an der Ansiedelung Teil genommen haben, nehmen in jeder Beziehung die Deutschen die hervorragendste Stellung ein. Nicht nur, dass ihre Kolonien zu den wohlhabendsten und bestorganisierten Ansiedlungen Russlands, ja der ganzen Welt gehören, so hat sich auch in den deutschen Kolonien ein stabiler, in gewerblicher Beziehung fortschreitender, dem russischen Gouvernement treu ergebener Volksstamm gebildet, der Russland zur Zierde gereicht und dessen Bedeutung und Einfluss noch immer im Wachsen begriffen ist.
Der Volkszahl nach stehen oder standen den Deutschen zunächst die Bulgaren in Bessarabien und in den Gouvernements Cherson und Taurien. Moldauer und Walachen leben als Kolonisten in der Stärke von etwa 7.000 Seelen, neben etwa 6.000 Serbiern in dem Gouvernement Cherson und in Bessarabien. Eine mehr kompakte und auf einen gewissen lokalen Umkreis beschränkte Ansiedelung ist die der Neugriechen im Gouvernement Taurien. Sie stammen von griechischen und armenischen Ansiedlern, die schon im Jahre 1778 in der Stärke von etwa 18.000 Seelen nach Russland aus der Krim einwanderten, um den zahlreichen Bedrückungen ihrer tatarischen Herrschaften zu entgehen. Obwohl sich nach Petzholdts Ansichten ein gewisser äußerer Wohlstand dieser griechischen Kolonisten nicht verkennen lässt, so gelten sie doch allgemein als schlechte und faule Landwirte, die sich nur dadurch erhalten, dass sie das ihnen reichlich zugemessene Land wiederum verpachten. Außer den genannten deutschen, serbischen, walachischen, bulgarischen und griechischen Kolonien, gibt es auch eine kleine schweizerische Kolonie von ca. 321 Einwohnern im Kirchspiele Chabag (Bessarabien) und eine dereinstige schottische Kolonie zu Karras im Gouvernement Stawropol, bei Pjatigorsk am Fuße des Beschtan. Letztere ist aber schon längst, obgleich sie von schottischen Missionaren gegründet wurde, in die Hände von deutschen Ansiedlern übergegangen.
In Taurien und anderen Gouvernements hatten auch die Tataren, insbesondere die Nogaier zahlreiche Niederlassungen gegründet und sich zum Teil die deutschen Dörfer als Vorbild genommen. Nach dem Krimkriege wanderte aber die Hälfte derselben, zirka 150.000 Seelen nach der Türkei aus. Allein es scheint ihnen unter russischer Herrschaft doch besser ergangen zu sein als unter türkischer, denn schon jetzt ist die Hälfte der Auswanderer wieder in ihre verlassenen Dörfer zurückgekehrt.
Die neueste Kronkolonisation ausländischer Kulturkräfte datiert aus den Jahren 1863 und 1864. Während der polnischen Revolution siedelte nämlich die Krone bei 14.000 Seelen des polnischen Bauernadels (Sljachta) im Ssamara’schen Gouvernement an. Dieser Bauernadel besaß in seinem Heimatlande kein Grundeigentum, war weder Bauer noch Edelmann, sondern lebte in Dörfern, größtenteils auf Kosten der Edelleute, welche diese Elemente zur Verstärkung ihrer Macht und ihres Einflusses benutzten. Die Krone wies ihnen daher gleich den übrigen Kolonisten, ein wenn auch dem Umfang nach beschränkteres Land an, und so viel ich weiß sind diese Leute mit diesem Wechsel sehr zufrieden, da ihre Existenz eine gesicherte ist. Auch während der Revolution aus Polen verdrängten Deutschen, gewährte die Krone im Ssamara’schen Gouvernement ein Asyl und gab ihnen Land.
Schließlich ist auch der in den Jahren 1809 und 1835 gegründeten Hebräerkolonien im Cherson’schen und Jekaterinoslaw’schen Gouvernement zu gedenken. Obgleich die Insassen derselben nicht eigentlich deutschen Ländern angehörten, sondern mehr den westlichen Gouvernements entstammten, so werde ich ihrer doch im ersten Teile dieser Arbeit ausführlicher Erwähnung tun, nicht nur deshalb, weil die Juden die deutsche Zunge reden und in den Hebräerkolonien eine größere Anzahl deutscher Landwirte, gewissermaßen als Lehrmeister der Juden in Ackerbau und Viehzucht angesiedelt sind, sondern auch deshalb, weil diese Hebräerkolonien nicht uninteressante Anhaltepunkte zum Studium des Kolonisationswesens bieten.
Es bleibt mir nun noch die wichtige Frage zu erörtern, ob die Geschichte und das Studium des deutschen Kolonisationswesens in Russland bloß ein historisches oder aber auch im gegenwärtigen Momente der Kulturentwicklung Russlands ein praktisches Interesse biete, ob es gegenwärtig an der Zeit sei, auf einen Gegenstand zurückzukommen, der so gut wie abgeschlossen vor uns liegt und nur der Vergangenheit anzugehören scheint?
Der Volkszahl nach stehen oder standen den Deutschen zunächst die Bulgaren in Bessarabien und in den Gouvernements Cherson und Taurien. Moldauer und Walachen leben als Kolonisten in der Stärke von etwa 7.000 Seelen, neben etwa 6.000 Serbiern in dem Gouvernement Cherson und in Bessarabien. Eine mehr kompakte und auf einen gewissen lokalen Umkreis beschränkte Ansiedelung ist die der Neugriechen im Gouvernement Taurien. Sie stammen von griechischen und armenischen Ansiedlern, die schon im Jahre 1778 in der Stärke von etwa 18.000 Seelen nach Russland aus der Krim einwanderten, um den zahlreichen Bedrückungen ihrer tatarischen Herrschaften zu entgehen. Obwohl sich nach Petzholdts Ansichten ein gewisser äußerer Wohlstand dieser griechischen Kolonisten nicht verkennen lässt, so gelten sie doch allgemein als schlechte und faule Landwirte, die sich nur dadurch erhalten, dass sie das ihnen reichlich zugemessene Land wiederum verpachten. Außer den genannten deutschen, serbischen, walachischen, bulgarischen und griechischen Kolonien, gibt es auch eine kleine schweizerische Kolonie von ca. 321 Einwohnern im Kirchspiele Chabag (Bessarabien) und eine dereinstige schottische Kolonie zu Karras im Gouvernement Stawropol, bei Pjatigorsk am Fuße des Beschtan. Letztere ist aber schon längst, obgleich sie von schottischen Missionaren gegründet wurde, in die Hände von deutschen Ansiedlern übergegangen.
In Taurien und anderen Gouvernements hatten auch die Tataren, insbesondere die Nogaier zahlreiche Niederlassungen gegründet und sich zum Teil die deutschen Dörfer als Vorbild genommen. Nach dem Krimkriege wanderte aber die Hälfte derselben, zirka 150.000 Seelen nach der Türkei aus. Allein es scheint ihnen unter russischer Herrschaft doch besser ergangen zu sein als unter türkischer, denn schon jetzt ist die Hälfte der Auswanderer wieder in ihre verlassenen Dörfer zurückgekehrt.
Die neueste Kronkolonisation ausländischer Kulturkräfte datiert aus den Jahren 1863 und 1864. Während der polnischen Revolution siedelte nämlich die Krone bei 14.000 Seelen des polnischen Bauernadels (Sljachta) im Ssamara’schen Gouvernement an. Dieser Bauernadel besaß in seinem Heimatlande kein Grundeigentum, war weder Bauer noch Edelmann, sondern lebte in Dörfern, größtenteils auf Kosten der Edelleute, welche diese Elemente zur Verstärkung ihrer Macht und ihres Einflusses benutzten. Die Krone wies ihnen daher gleich den übrigen Kolonisten, ein wenn auch dem Umfang nach beschränkteres Land an, und so viel ich weiß sind diese Leute mit diesem Wechsel sehr zufrieden, da ihre Existenz eine gesicherte ist. Auch während der Revolution aus Polen verdrängten Deutschen, gewährte die Krone im Ssamara’schen Gouvernement ein Asyl und gab ihnen Land.
Schließlich ist auch der in den Jahren 1809 und 1835 gegründeten Hebräerkolonien im Cherson’schen und Jekaterinoslaw’schen Gouvernement zu gedenken. Obgleich die Insassen derselben nicht eigentlich deutschen Ländern angehörten, sondern mehr den westlichen Gouvernements entstammten, so werde ich ihrer doch im ersten Teile dieser Arbeit ausführlicher Erwähnung tun, nicht nur deshalb, weil die Juden die deutsche Zunge reden und in den Hebräerkolonien eine größere Anzahl deutscher Landwirte, gewissermaßen als Lehrmeister der Juden in Ackerbau und Viehzucht angesiedelt sind, sondern auch deshalb, weil diese Hebräerkolonien nicht uninteressante Anhaltepunkte zum Studium des Kolonisationswesens bieten.
Es bleibt mir nun noch die wichtige Frage zu erörtern, ob die Geschichte und das Studium des deutschen Kolonisationswesens in Russland bloß ein historisches oder aber auch im gegenwärtigen Momente der Kulturentwicklung Russlands ein praktisches Interesse biete, ob es gegenwärtig an der Zeit sei, auf einen Gegenstand zurückzukommen, der so gut wie abgeschlossen vor uns liegt und nur der Vergangenheit anzugehören scheint?