Die Jungfrau vom Jordansee. Nach alten Chroniken.

Aus: Die schönsten Sagen und Märchen der Insel Usedom und Wollin
Autor: Bearbeitet und herausgegeben von William Forster, Erscheinungsjahr: 1895

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen, Märchen, Überlieferungen, Chroniken, Dokumente, Usedom, Kaminke, Golmberg, Aussichtspunkt, Naturereignisse, Sturmflut, Swinemünde, Rügen, Usedom
Ungefähr auf derselben Stelle, wo heute das gemütliche Forsthaus am Jordansee steht, dort stand vor mehr als sechs Jahrhunderten ein schlossähnliches Gebäude. Schon der Name Jordansee, von Gordinosee[ /b]— d. h. [b]Burgsee — herstammend, weist, ebenso wie viele alte Urkunden und Chroniken auf dieses Schloss hin. Nach heutigen Begriffen würde das Gebäude kaum den hochtönenden Namen „Schloss“ verdienen, doch seine aus festen Quadern gefügten Steinmauern, sein dicker, oben in eine steinerne Galerie auslaufender Turm — „Trotzer“ genannt — beherrschten die Gegend. Der Besitzer dieses Schlosses ward, mit Recht, auf der ganzen Insel gefürchtet.

Der sandige Landstrich längs der Ostsee schmachtete noch in den Fesseln des Heidentums. Zwar war das Christentum durch fromme, gottgefällige Sendboten schon mehrere Male hierhergetragen, doch sobald die Gottesmänner weiterzogen, dann fielen die kühnen Recken, die unerschrockenen Seeräuber, wieder in ihren Heidenglauben zurück.

Nicht Gesetz und Sitte, sondern das Faustrecht herrschte. Der Starke übte Gewalt gegen den Schwachen. So hielten es von Alters her die Besitzer der Gordinoburg und Swen, dessen Urväter aus Schweden eingewandert waren, wich keine Handbreit von der Sitte, oder besser gesagt, Unsitte seiner Vorfahren ab.

************************************
Inhaltsverzeichnis
Er sengte und brannte, fuhr auf seinem schmalkieligen Schnellsegler auf Raubzüge aus, von denen er stets mit reicher Beute beladen heimkehrte.

Seine Streifzüge gelangen ihm umso besser, weil damals der Jordansee noch mit der Ostsee durch eine Furt verbunden war. Vorgeschobene Sanddünen, auf denen Fichten und Kiefern, sowie niederes Strauchwerk lustig in die Höhe wuchsen, deckten den Eingang zur Furt so künstlich, dass nur Eingeweihte die schmale Wasserstraße von der See aus finden konnten. Swen lebte einsam, als Witwer. Sein Weib ruhte, nachdem es ihm eine Tochter geschenkt, unter dem grünen Rasen. Die Arme hatte wenig frohe Tage gekannt, da sie, zart und weichmütig, das Gewerbe ihres Gatten verabscheute. Besonders nach der Geburt der Tochter herrschte Unfrieden im Schloss. Swen hatte ihr dann, da sie ihm keinen Sohn und Erben geschenkt, nicht lange nachgetrauert. Selbst auf sein einzig Kind erstreckte sich sein blinder Hass. Niemals durfte Klein-Hertha ungerufen vor ihm erscheinen. Auch schreckte er oftmals das zarte Kind mit einem derben Fluch zurück. Niemals gönnte er ihr ein zärtliches Wort, niemals strahlte ihr das Vaterauge voller Liebe entgegen, und die kleine, zartempfindende Hertha sehnte sich doch so unaussprechlich heiß nach Vaterliebe und Vaterhuld, da sie einer Mutter liebreiche Sorge nicht gekannt.

Eines Tages, nachdem Swen, wie er es gewohnt, wieder wochenlang vom Schloss entfernt gewesen, kehrte er reich mit Beute beladen heim, doch er kam nicht allein, ein junges Weib begleitete ihn. Stina nannte sich das kräftig gebaute, große, mit männlicher Kraft begabte, doch schöne Mädchen. Bei ihrem Anblick hatte Swen heiße Liebeslust durch seine Brust lodern gefühlt; so entführte er das Mädchen und nun lebte sie als Herrin und Gebieterin im Schloss am Gordinosee. Mit kraftvoller Hand führte sie das Hausregiment, doch begleitete sie Swen auch auf seinen Raubzügen. Sie focht wie ein Mann und verstand das mutigste Ross zu tummeln. Nur eines verstand sie nicht — sich Herthas Liebe und Zuneigung zu gewinnen.

Angstvoll, schüchtern zog sich die Kleine vor dem Mannweib zurück und Stina hasste mit dem Instinkt des Bösen in Hertha das Gute und Edle. Jahre vergingen. Hertha wuchs zu einer reizvollen Jungfrau heran. Lange, blonde, in der Sonne wie gesponnenes Gold glänzende Locken umrahmten ihr süßes Gesicht, aus dem blaue Augen fromm und keusch in die ihr fremde Welt schauten. Swen bemerkte es nicht, dass sein Kind in jungfräulicher Anmut aufblühte, sein Herz war mehr denn je, zufolge der Einflüsterungen Stinas, gegen seine Tochter erbittert.

Noch ein Schwestersohn des Seeräubers lebte im Schloss, Sigurd mit Namen, ein echter Nordlandrecke von Gestalt und Aussehen. Er begleitete seinen Ohm auf allen Raubzügen. Unerschrocken und tapfer vor dem Feind, verstand er es, daheim durch Hinterlist und Verschlagenheit nicht nur Swens Zuneigung, sondern, was ungleich mehr wert war, Muhme Stina zu seinen Gunsten zu stimmen.

Sigurd war mit Hertha aufgewachsen, doch schon als Kind mochte Hertha ihren Vetter nicht leiden. Lieber spielte sie allein in ihrem lieben Wald, dessen grüne Arme bis dicht an die altersgrauen Mauern des Schlosses reichten. Jeden Strauch glaubte sie von einer Gottheit bewohnt, die Götter hatten ihren Sitz in den hohlen Stämmen der mächtigen Eichen, oder sie brausten in langem Heerzug über die weiten Moorniederungen hin, die jenseits des Sees sich bis zur Mündung der Dievenow hinzogen, doch am liebsten ruderte sie sich nach der kleinen Insel, die mitten im Gordinosee lag. Dort war es so still, so traulich, dort lauschte Hertha dem Gesang der Waldvögel oder schaute dem Spiel lustiger Falter zu, die im Sonnengold über dem leise atmenden See dahingaukelten.

Aber auch später, als sich das Kind zur Jungfrau gewandelt, blieb Hertha, die gegen alle Menschen liebgesinnt war, gegen Sigurd kalt und verschlossen. Diese unnahbare Kälte reizte den jungen Recken und er verliebte sich, seinem zur Heftigkeit neigenden Charakter gemäß, leidenschaftlich in die Jungfrau.

***********************************

„Ohm, ich liebe Deine Tochter, gib sie mir zum Weib!“ Mit diesen Worten trat Sigurd eines Tages vor seinen Oheim, der mit seinen Raubgenossen und Knechten beim leckeren Mahle saß. Die mit Met gefüllten Hörner kreisten an der Tafelrunde, die Gesichter glühten, auch Swens graue, von buschigen Brauen überschatteten Äugen funkelten im feuchten Glanz. Dröhnend schlug er mit der Faust auf den eichenen Tisch.

„Holloh — schaust Du da heraus! Aber Junge, das blasse, zerbrechliche Ding gefällt mir nicht zu Deinem Weibe!“

„Aber mir, Oheim, gefällt Hertha. Ich liebe sie, deshalb gib sie mir zur Gemahlin!“

„Ruft meine Tochter herbei!“ gebot Swen. „Was meinst Du, Stina — wie gefällt Dir der Freier?“

Stina lächelte. Sie kannte Herthas Abneigung gegen Sigurd, hatte aber dennoch die Leidenschaft des jungen Mannes zu hellen Flammen entfacht. Hertha erschien. Gesenkten Hauptes überschritt sie die Türschwelle und seltsam, wie ein überirdisches Wesen wirkte ihre Erscheinung auf die vom Met erhitzten Gemüter. Mit einem Schlage schwiegen die wilden Reden und Stille wie in einem Gotteshause herrschte im Saal. Nur Swen schien davon nichts zu empfinden. Kalt, gleichgültig schaute er seiner lieblichen Tochter entgegen.

„Tritt näher!“ rief er heftig aus, als Hertha dicht neben der Tür stehen blieb. Angsterfüllt überflog ihr Blick die Tafelrunde, umsonst, jetzt begegnete er teilnahmslosen Gesichtern; jener erste Eindruck war so schnell vergangen, wie er gekommen. Da fiel Herthas Blick auf Sigurd, der bei ihrem Eintritt aufgesprungen war. Mit der linken Hand stützte er sich auf die Rücklehne seines Sessels, mit der Rechten führte er ein gefülltes Trinkhorn zum Munde; aber kein Tropfen netzte seine Lippen, starr, unbeweglich, in Herthas Anblick versunken, stand er dort, nur seine funkelnden Augen sprachen, sie redeten eine glühende Sprache zu der Jungfrau, die, davon schreckhaft berührt, die Blicke zu Boden schlug.

Langsam schritt sie näher. Hertha trug ein lang nachschleppendes, lichtblaues Gewand, dessen einziger Schmuck außer einem Strauß wilder Maiblumen, ein Spange bildete, die das eigenartig gefaltete Gewand auf der Schulter zusammenhielt.

„Schaut die Dirne an,“ höhnte Swen, „sieht sie nicht aus, als sollte sie zum Opferaltar geschleppt werden. Gutes habe ich Dir mitzuteilen! Eine hohe Ehre ist Dir wiederfahren, hier Sigurd, der tapfere Held, hat Dich zu seinem Weibe begehrt!“

Swen hielt inne, als wollte er sich an dem Eindruck seiner Worte weiden. Hertha erbleichte zu Schnee. Ein heftiges Zittern flog durch die knospende Gestalt, ihr Blick erlosch und sie schwankte wie ein Rohr, dessen schlanker Stängel vom Winde bewegt wird. Bald bekämpfte sie ihre Schwäche.

„Vater!“ bat sie leise, „erlaube mir zu antworten!“

„Weshalb, noch stets haben die Eltern den Gatten der Tochter gewählt, ich kenne Sigurd, er besitzt alle die Eigenschaften, die ich am Manne schätze, also—“

„Vater, geliebter Vater, höre mich an, ich liebe ihn nicht, kann ihn nimmer lieben!“

Swens Antlitz verfinsterte sich. „Seht einmal die Dirne! Sie liebt ihn nicht — kann ihn nimmer lieben — hahaha — und um solcher Torheit willen soll ich einen Tochtermann wie Sigurd abweisen?“

Hertha atmete tief auf, dann aber hob sie entschlossen ihr Köpfchen und schritt dicht zu ihrem Vater hin. Dieser staunte, noch nie hatte die schüchterne Tochter gewagt, ihm zu widersprechen. Jetzt sank sie neben ihm in ihre Knie: „Vater, nur dies eine Mal, bitte, erhöre mein Flehn, sei mild, Vater, nimm den Befehl zurück — — ich kann, kann Sigurd nicht als Ehegemahl folgen!“

„Kannst nicht? Schweig, kein Wort des Widerspruchs will ich mehr hören. Noch nie zeigte ich Dir den Gebieter. Ich war zu nachsichtig. Keine Tochter dieses Hauses hat sich je geweigert, den vom Vater erkorenen Gatten anzunehmen!“ rief Swen zorneswütend aus. Er sprang empor und stand nun mit erhobener Rechten vor Hertha, die, ohne sich zu regen, auf ihren Knien liegen blieb.

„Swen, ich bitte Dich, mäßige Dich!“ rief Stina, dem Wütenden in die Arme fallend, „keine Gewalt; noch gibt es andere Mittel, um unfolgsame Kinder zum Gehorsam zu zwingen!“ fügte sie, langsam jedes Wort betonend, hinzu.

„Du hast Recht, Stina — aber schaffe sie mir aus den Augen, sonst —“ der grollende Ton seiner Stimme zeigte seine innere Aufregung deutlich an. „Lasse mich nur machen, ich bürge Dir, in einigen Tagen sehnt sich Hertha, des Sigurd Weib zu werden!“

„Hoffst Du, dann zolle ich Deiner Klugheit Beifall!“ rief Swen. Gleichmütig schaute er dann zu, wie Stina die Knieende emporhob. Hertha kämpfte mit einer Ohnmacht. Widerstandslos hing sie in den Armen der starken Frau, die ohne jegliches Mitleidsgefühl das zarte Mädchen aus dem Saale trug. Niemand fragte wohin? Swen und seine Genossen zechten unbekümmert weiter, nur Sigurd schaute erwartungsvoll nach der Pforte, hinter der Stina und ihr Opfer verschwunden.

Bald kehrte diese zurück: „Hertha ist gut aufgehoben!“ erwiderte sie mit hässlichem Lächeln auf Sigurds stumme Frage.

********************* Fortsetzung *****************

023 Burginneres

023 Burginneres

024 Belagerung einer Burg

024 Belagerung einer Burg

036 Kirchgang

036 Kirchgang

043 Landsknechtslager

043 Landsknechtslager

044 Kriegsrat vor belagerter Stadt

044 Kriegsrat vor belagerter Stadt