Die Judenplünderungen in Franken vom Jahr 1699 Archivalische Studie

Aus: Populär-wissenschaftliche Monatsblätter zur Belehrung über das Judentum für Gebildete aller Konfessionen. Organ des Mendelssohn-Vereins in Frankfurt a. M. Herausgegeben von Brüll, Adolf (1846-1908) Dr. Rabbiner, Religionspädagoge, Religionswissenschaftler, Redakteur, Freimaurer
Autor: A. Eckstein (1857-1835) Dr. Rabbiner in Bamberg, Erscheinungsjahr: 1893
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Judenheit, Antisemitismus, Nationalismus, Fremdenhass, Judenverfolgung, Menschenrechte, Gleichstellung, Bürgerrechte, Gleichberechtigung, Exzesse, Plünderungen, Vertreibungen, Pöbel,
Der 30jährige brüdertrennende und länderverheerende Glaubenskrieg, der als Frühlingssturm überleitet von der Mittelzeit zur Neuzeit, so unsägliches Elend und so gräuliche Verwüstung er über die deutschen Lande verbreitete, für die deutsche Judenheit war dieses Austoben der Volksleidenschaften und diese Ableitung des Glaubensfanatismus von wohltätigen Folgen. Denn während die feindlichen Brüder in unversöhnlichem Glaubenszwist mit Feuer und Schwert gegeneinander wüteten, stand das Judentum als unbeteiligter Dritter abseits und machte sich zu eigen die Losung seines Propheten: „Geh‘, mein Volk, ziehe dich zurück in’s innere Gemach und schließ die Türe hinter dir, verbirg dich eine Weile, bis vorüber geht der Sturm.“ So kommt es, dass die entfesselten Stürme des 30jährigen Krieges vorübergezogen sind an der Abgeschiedenheit der Judengassen, ohne größeres und nachhaltiges Unheil anzurichten, und das wir von einer Judenverfolgung im größeren Umfange im ganzen Verlauf der Kriegswirren in Deutschland nichts hören. *) Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, nachdem der ausgezehrte Fanatismus und die erschöpften Leidenschaften neue Nahrung erhalten und neue Kraft gesammelt, kam es zu grö0eren Anfeindungen und Verfolgungen, die mit der Ausweisung der Juden aus Wien und dem Erzherzogtum Österreich im Jahre 1670 endeten. An der Wende des 17. Jahrhunderts aber, nachdem Wülfer und Wagenseil, Beide in Franken, die „Feuergeschosse des Satans“ gegen die Juden geschleudert hatten, kam es im Frankenlande zu einem wüsten Pöbelexzess, von dem die Verfasser größerer Geschichtswerke bisher keine Notiz genommen, trotzdem es sich um eine nicht bloß lokale Bewegung handelt. Über dieses bisher in seinen näheren Umständen unbekannte Faktum soll hier auf Grund des Aktenmaterials Bericht erstattet werden. **)

*) S. Graetz: Geschichte X S. 39 ff.
**) Kgl. Kreisarchiv-Bamberg: hist. Catal. Nr. 375 und Bamb. Verordnungen I.

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Es war unter der Regierung des Fürstbischofs und Kurfürsten (von Mainz) Lothar Franz von Schönborn (1693-1729), eines sonst gerechten und liberalisierenden Fürsten. Zwar ließ auch er im Geiste der Zeit Beschränkung auf Beschränkung häufen in handelsrechtlicher Beziehung, aber er hatte doch so viel Sinn für das Gerechte und Geziemende und war so erleuchtet, dass er von der allgemeinen Verordnung, nach welcher Jedermann nachts auf den Gassen nur mit erleuchteter Laterne erscheinen durfte, die Juden für den Freitagabend befreite *) Ja, er verstieg sich sogar zu der Weisung an die Beamten seines Landes, dass sie die Juden in Straf- und Exekutionsfällen nicht, wie das üblich gewesen zu sein scheint, in Schweineställe zu sperren, „da sie ja gleichwohlen auch Menschen seien.“ **) Es war also unter der Regierung dieses so humanen Landesvaters, da tauchte plötzlich ohne unmittelbare Veranlassung sozialer oder religiöser Natur Mitte Mai 1699 irgendwo im Bamberger Lande das Gerücht auf, es sei kaiserlicher und kurfürstlicher Befehl gekommen, die Juden auszuplündern und binnen drei Tagen aus dem Lande zu jagen. Allem Anschein nach war das Gerücht, das sich wie ein Lauffeuer von Ort zu Ort und von Dorf zu Dorf verbreitete, von auswärts ins Land getragen worden durch verkommene und heimatlose Subjekte, die den Abdruck eines gefälschten kaiserlichen Patents unter das Volk verteilten, um bei den entstehenden Wirren im Trüber fischen zu können. Eines Tages war ein fremder Maler Johann Merck, der sich für einen Studenten ausgab, in der Synagoge von Mühlhausen erschienen, um daselbst Alles auszuspionieren, und notierte sich sämtliche Judenhäuser des Ortes. Darauf griff er auf der Landstraße einen Lisberger Juden an, setzte ihm den Degen auf die Brust und zwang ihn zur Hergabe seines Rockes. Darauf forderte er die Jugend der Umgegend auf, mit ihm zur Judenplünderung nach Mühlhausen zu ziehen; es würde ihnen nichts dafür geschehen; sollte der Amtmann Einen von ihnen gefänglich einziehen, so brauchte er bloß einige Zeilen nach Bamberg an die Studenten zu schreiben, dann würden alsbald bei 500 Studenten gegen das Schloss rücken; sollte das nicht genügen, so würde er um Sukkurs nach Würzburg schreiben. Dann würden die Gefangenen bald wieder freigegeben werden. Darauf setzte sich eine Rotte von halbwüchsigen Burschen, die sich unterwegs die Gesichter schwärzten, gegen Mühlhausen in Bewegung. Als sie auf der Brücke vor dem Dorfe angerückt waren, kamen ihnen drei Wächter entgegen und fragte sie, was sie denn eigentlich vorhätten. Darauf der Bescheid: es ist Befehl ergangen, dass wir die Juden ausplündern; die Dorfbewohner möchten sich ja nicht widersetzen, sie würden sonst alle zu Schanden gehauen und geschlagen werden. Worauf die Mühlhäuser sagten: „wenn dem also, so wollten sie nichts dagegen sagen, sondern nur gebeten haben, im Dorfe kein Feuer anzulegen.“ Und mit diesen Worten verzogen sich die treuen Wächter auf die Seite und drückten das wachende Auge des Gesetzes fest zu, während der Schwarm unbehindert ins Dorf einzog und bei des „Kirchen Moschel‘s Behausung“ den Anfang machte mit Stürmen und Plündern. Der fremde Maler und angeblicher Student leitete dann die Plünderung in Frensdorf, setzte von da die Agitationsreise fort nach Burgebrach, wo er endlich von dem dortigen Vogt verhaftet wurde.

Das Gerücht von dem obrigkeitlichen Befehl zur Judenausplünderung und Judenaustreibung fand überall im ganzen Fürstbistum Bamberg ein gläubiges Ohr und ein dankbares Publikum und nur wenige Beamte getrauten sich, nach der Herkunft des angeblichen kaiserlichen Patents zu fragen und dem sich fortpflanzenden Aufruhr hindernd entgegenzutreten. Es war eine gar zu lockende Musik, wenn die Beuterer unter Rufen und Schreien ins Dorf hineinstürmten mit der Nachricht, sie hätten schon mehrere Dörfer ausgeplündert und herrliche Beute gemacht, dass sie nicht wüssten, was sie mit den schönsten Sachen anfangen sollten, und wenn Mancher sich rühmte, soviel erbeutet zu haben, dass er zeitlebens „in aller Vergnügtheit“ leben könnte. Wurde doch die importierte Lüge auch von der Autorität mancher Schulmeister, Schultheißen und Bürgermeister gestützt, welche die Gelegenheit benutzten zum Aufhetzen und Aufwühlen der Dummen, die sich der Tragweite ihres Tuns und Beginnens nicht recht bewusst waren. In Burgellern stand der Bürgermeister Andreas Fiernlein an der Spitze der Agitation und begeisterte mit seiner Bearbeitung der ganzen Umgegend und Organisierung der Banden derartig, dass ein Bauer einen heiligen Schwur ablegte, er würde dem Juden Josel Levi in Burgellern Kopf und Gurgel abschneiden. Die bedrohten Juden von Burgellern ihrerseits erbaten sich von der bischöflichen Regierung 20 Reiter zu ihrem Schutze und gaben ihre Wertsachen zu christlichen Freunden im benachbarten Städtchen Scheßlitz in Verwahrung. Zwei Nächte hintereinander lauerten die truppweise rings um das Dorf positionierten Banden auf eine Fuhre Geld, die, wie vom Bürgermeister ausgesprengt wurde, Josel Levi über Scheßlitz bekommen sollte. Endlich am dritten Abend, als die berußten Gesichter um 10 Uhr vor dem Dorfe aufmarschierten, wurden sie vom Bürgermeister, der die Bewohner seines Dorfes bereits geweckt und alarmiert hatte, erwartet und mit den Worten empfangen: „Ihr Bluthunde, warum verbleibt Ihr so lange aus? Wenn sie diese Nacht vorübergehen ließen, würden die Juden ihr Hab und Gut in salvum bringen und der Vogel würde ihnen aus Händen fliegen.“ Aber der Räuberbande fehlte der Mut zum Vorwärts, weil die Sage ging, dass der Leibbauer des Juden Josel Levi zur Verteidigung desselben vier Büchsen auf dem Tische liegen habe. Endlich feuerte einer von der Brücke aus einen Schuss auf das Haus des Juden und dieser Schuss war das Signal zum allgemeinen Losbrechen. Die Belagerer setzten sich von allen Seiten in Bewegung, der Jude David schrie auf der Straße „Feurio“, in der Dunkelheit der Nacht wurde bald da bald dort gepfiffen, die Kirchenglocke läutete Stur, unter dem Ruf: „Ihr Christen raus!“ brach man durch die Türen und Fenster in das Haus des Josel Levi, während derselbe mit einem Säckchen Geld unterm Arm flüchtete, und plünderte und machte zur Beute bei ihm wie bei den anderen Juden des Ortes alles, was nicht niet- und nagelfest war.

Populär-wissenschaftliche Mönatsblätter 1893

Populär-wissenschaftliche Mönatsblätter 1893

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 005

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 005

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 006

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 006

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 007

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 007

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 028

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 028

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 029

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 029

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 079

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 079

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 080

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 080

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 081

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 081

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 103

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 103

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 104

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 104

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 105

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 105

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 106

Die Judenplünderung in Franken 1699 S. 106