Kruschewan und der „Bessarabetz“

In diese erträglichen, nach russischen Verhältnissen sogar exzeptionell günstigen Beziehungen zwischen Juden und Christen gelang es einem einzigen Manne Bresche zu schlagen und jenen Wandel zu schaffen, der zu den Schrecken der Apriltage von 1903 geführt hat.

Vor sechs Jahren begründete ein Journalist, namens Kruschewan, in Kischinew eine Zeitung unter dem Titel „Bessarabetz“. Schon nach dem ersten Jahre holte Kruschewan die Judenfrage hervor. Er begann mit Ausfällen gegen die Juden, die immer schärfer wurden und sich endlich bis zum blutigsten Fanatismus und Wahnwitz steigerten. Zunächst versuchte er es mit einer scheinbar friedlichen Behandlung der Judenfrage: Die Juden sollten insgesamt getauft werden; wer sich nicht taufen lassen will, der soll entweder ausgewiesen oder des Schutzes der russischen Gesetze beraubt werden. Hingegen würden die reicheren und gebildeteren der getauften Juden in den Adelstand erhoben werden. Herr Kruschewan hatte offenbar kein Glück mit diesen Vorschlägen. Denn trotz aller Vorstellungen im guten und bösen haben sich während der letzten fünf Jahre in Kischinew nur 21 Juden — und davon 3 in unlauterer Absicht — taufen lassen. So ging denn Kruschewan bald dazu über, systematisch mit den unglaublichsten Mitteln eine Verhetzung der Christen gegen die Juden zu betreiben. Das gelang ihm um so eher, als er aus der Beamtenklasse, die sich aus eingewanderten, von Grund aus antisemitischen Russen rekrutiert, die kräftigste Unterstützung fand. Der Vizegouverneur von Kischinew, Ustrugow, der als Zensor fungierte, war einer der Mitarbeiter des Blattes. Ebenso schrieb der Untersuchungsrichter Dawidowitsch (der jetzt die Untersuchung gegen die Exzedenten vom 19. und 20. April führt) die aufhetzendsten Artikel im „Bessarabetz“. Auch mehrere christliche Ärzte, denen die Konkurrenz ihrer jüdischen Kollegen sehr unlieb war, arbeiteten an dem Blatte mit. Es ist interessant, dass dieses Blatt, das sehr wenig Abonnenten hatte, doch niemals in Geldverlegenheiten war. Die Erklärung ist ganz einfach: Das Blatt war von der Regierung, die darin alle offiziellen Kundmachungen publizierte, unterstützt. Ein solches Blatt, das von den höchsten Lokalbehörden und den Spitzen der Gesellschaft patroniert, von der Regierung subventioniert war, war bald in den Augen der Bevölkerung nicht mehr nur Ausdruck der Meinungen des fanatisch-verrückten Kruschewan, sondern man beachtete es bald als das publizistische Organ der Regierung. Zweimal versuchte man, ein anständiges Blatt in Kischinew zu gründen. Beide Male wurden die entsprechenden Gesuche von der Zentralregierung abgewiesen mit der Begründung: das Organ des Herrn Kruschewan genüge den Bedürfnissen des Gouvernements vollständig.


Die Zeitung wurde nicht sowohl unter den Moldauern verbreitet als vielmehr unter den niederen und höheren Schichten der russischen Bevölkerung. Die rohen und groben antisemitischen Hetzartikel des „Bessarabetz“ waren für den Verstand und die Fassungsgabe des Pöbels gerade gut genug. War ja diese Masse nach ihren Instinkten ohnehin für Judenhass und Judenhetze empfänglich. Besonders eifrige Leser fand der „Bessarabetz“ unter den „Staroweren“, einer fanatisch bestimmten russischen Sekte. Dass sich auch in den Kreisen der Intelligenz der „Bessarabetz“ Anhang verschaffte, ist natürlich, wenn man erwägt, dass er von dort her seine Mitarbeiter bezog. Unter dieser „Intelligenz“ befanden sich viele Menschen, die bisher ein inhaltsarmes Leben geführt hatten. Der Antisemitismus wurde plötzlich der „hohe Gedanke“, dem sie sich ohne weitere Gefährdung und Anstrengung zur Ausfüllung ihrer Zeit hingeben konnten. Fünf Jahre hindurch wurden die Juden fast in jeder Nummer des „Bessarabetz“ als Blutsauger, Betrüger, Parasiten und Ausbeuter der christlichen Bevölkerung hingestellt, und es wurde der unbarmherzige Vernichtungskampf gegen die Juden gepredigt. Immer raffiniertere antisemitische Beschuldigungen und Hetzereien ersann Kruschewan, ohne dass man ihm entgegentreten konnte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenmassacres in Kischinew (1903)