Polizei und Soldaten als Banditen

Die Polizisten und Soldaten spielten an diesem Tage eine furchtbare Rolle. Nicht nur, dass sie den Mördern und Räubern die jüdischen Häuser anwiesen, nicht nur, dass sie selbst plünderten und stahlen, haben sie sich auch an den Metzeleien beteiligt.

Eine Frau wollte die Banden dadurch von ihrem Hause fernhalten, dass sie siedendes Wasser auf sie goss. Ein Polizist stürzte auf sie los und ermordete sie.


Ein Polizist hat auch die Ermordung des erwähnten Tempeldieners auf dem Gewissen. Viele Juden wurden von den Polizisten geschlagen, ihrer Waffen oder Stöcke beraubt, und wenn sie sich irgendwie sammeln wollten, in die Häuser zurückgejagt.

An Raub und Plünderung nahmen die Polizisten teil, wo sie konnten. Bei dem reichen Juden Rudi arbeiteten Banditen zehn Stunden daran, eine eiserne Kasse zu erbrechen, Rudi telephonierte, da er die Polizei nicht bestechen wollte, um Schutz, fuhr herum von Behörde zu Behörde. Es nützte nichts. Die Polizisten standen bei den Banditen, ohne sie im geringsten zu hindern. Die Kasse wurde erbrochen, 60.000 Rubel wurden herausgenommen und unter Banditen und Polizisten geteilt.

In den Wohnungen der Polizisten fand sich später eine Unmasse geraubten Gutes.

In der Wohnung eines Polizeikommissars wurde eine Menge geraubter Gegenstände gefunden. Er wurde verhaftet. Am nächsten Tage wurde er jedoch freigelassen. Er hatte erklärt: Es hätte jemand die Sachen zu ihm gebracht und der Mann sei jetzt verschwunden. Die Erklärung genügte.

Was die Soldaten trieben, ist kaum fassbar. Zunächst standen sie noch auf ihren Posten, die sie nach der Dienstbestimmung nicht verlassen durften. Die Räuber reichten ihnen also Essen, Getränke und Wertsachen. Die Soldaten, die die Weinflaschen nicht entkorken konnten, schlugen den Hals der Flaschen ab und leerten so Flasche um Flasche, bis sie trunken waren.

Später wurde es viel schlimmer. Die Soldaten, die sahen, wie ihre Brüder plünderten und raubten, wurden vom Taumel erfasst und mischten sich in die Banden, plündernd, schlagend und Frauen schändend.

Im Spital befinden sich jetzt einige Soldaten, denen, als sie raubten, von irgend welchen verzweifelt sich wehrenden Juden Vitriol ins Gesicht geschüttet wurde.

Andererseits befinden sich im Spital Juden, denen der Schädel oder die Brust durch Säbelhiebe schwer verwundet wurde. Diese Säbelhiebe können, da die Banden nur mit Gewehren, Stangen und Äxten bewaffnet waren, ausschließlich von Soldaten herrühren, die an den Räubereien teilnahmen.

Noch entsetzlicher war die Haltung der Offiziere. Ein Offizier, der an den Plünderungen teilnahm, wurde von einem empörten Russen (einem der wenigen Ausnahmemenschen) niedergestreckt.

In einer Straße schlugen Polizisten auf wehrlose Juden los. Ein Offizier stand dabei und feuerte die Polizisten an: „Alle Juden sind Sozialisten. Man muss sie aufhängen!“

Es ist sicher, dass Offiziere, manchmal in Verkleidung an Raub und besonders an Vergewaltigungen teilgenommen haben.

In der Gostinnaja-Straße begegnete ein Offizier an der Spitze einer Patrouille mehreren mit jüdischem Gut beladenen Räubern. Er befahl ihnen, das Geraubte wegzuwerfen und das nächste jüdische Haus zu plündern, und die Räuber taten beides.

In der Charalampijewskaja Straße vergewaltigten zwei Unteroffiziere ein jüdisches Mädchen, worauf sie von Banditen missbraucht und dann ermordet wurde.

Einen Offizier hat ein höherer Militär beim Raub angetroffen. Der Offizier wurde verhaftet, jedoch am nächsten Tage freigelassen. Ein Militärarzt hatte ihm ein Zeugnis ausgestellt, dass er, als er raubte, sich im Zustande momentaner Geistesverwirrung befunden habe.

Die Zügellosigkeit der Soldaten — von den Polizisten gar nicht zu reden — erreichte allmählich einen solchen Grad, dass sie sich gegen ihre allerdings nicht minder zügellosen Offiziere offen auflehnten, wenn diese sie stören wollten. Ein Beispiel: Ein Offizier gab einem ungeberdigen Soldaten eine Ohrfeige. Im nächsten Augenblick gab ihm dieser zwei zurück.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenmassacres in Kischinew (1903)