Das Gericht
Während die Judenheit so ihre Mittrauer und ihre Mithilfe manifestierte, vollzog sich in Kischinew der zweite Akt der Tragödie: „die Sühne der Verbrechen.“ Wie die Untersuchung anfangs geleitet wurde, davon haben wir schon Proben gegeben. Man ging von dem Bestreben aus, alles Persönliche zu verschleiern und die Schuld einer unpersönlichen Masse zuzuschreiben, deren Tat wie ein Elementarereignis zu betrachten sei. Erst nachdem Staatsanwalt Pollan aus Odessa angekommen war, begannen die Massenverhaftungen. Da aber weder eine Obduktion der Leichen gestattet worden war, noch genauere Photographien hergestellt werden durften, da endlich der Befehl erging, alle Häuser so schnell als möglich von den Blutspuren zu reinigen, blieben zur Überführung der Mörder nur noch die Aussagen der Zeugen übrig. Die Arbeit unter den Untersuchungsrichtern wurde so geteilt, dass jeder Richter nur eine Art von Vergehen oder Verbrechen zugewiesen bekam: Der eine Mord, der andere Körperverletzung, der dritte Raub, der vierte Diebstahl usw. Dabei wurden die Aussagen eines jüdischen Zeugen für ungenügend betrachtet. So konnte es geschehen, dass Verbrecher, die durch fünf Zeugen überführt waren, freigelassen wurden, weil die Sache in fünf Teile getrennt worden war. Vielen Verbrechern konnte schon deswegen nichts geschehen, weil die Mordtaten in geschlossenen Räumen erfolgt und die jüdischen Zeugen nicht mehr am Leben waren. Mehrere hundert Angeklagte, die unter anderen Umständen vors Geschworenengericht gekommen wären, wurden den Friedensrichtern überwiesen, die mit geringen Freiheitsstrafen oder Freispruch operieren.
Auf die Kategorien des Raubes und Mordes entfielen im ganzen 70 — 80 Angeklagte. Schon diese Tatsache sagt vieles. Ihr Urteil wird erst später gesprochen werden. Indessen werden die „Diebe“ „abgeurteilt“. Sie verantworten sich fast alle entweder damit, dass sie die Sachen gefunden hätten und der Polizei hätten abgeben wollen, oder sie erklärten kategorisch: „es sei nach dem Gesetze erlaubt Juden zu plündern und der Zar hätte noch eine besondere Erlaubnis dazu gegeben. Soweit ging die traurige Ironie, dass zu den Richtern manchmal die Frauen der Verhafteten kamen, um für die zwei Tage, an denen ihre Männer geplündert hatten, Lohn zu fordern. Das ist ein vereinzeltes Extrem, das aber nicht nur in der Auffassung der Rechtslage der Juden, sondern auch in der Tatsache seine Erklärung findet, dass seinerzeit das Organisationskomitee viele Exzedenten tatsächlich bezahlt hat.
Unter den in Haft Befindlichen gibt es übrigens auch viele Frauen.
Der Richter Kirijakow waltete seines Amtes mit Milde und großer Menschenfreundlichkeit. Die größere Hälfte wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen, die anderen wurden verurteilt: viele zu einigen Tagen Haft, der Rest zu Arreststrafen in der Dauer von höchstens drei Monaten. An einem der letzten Tage z. B. wurden 126 freigesprochen und 15 verurteilt. Damit nicht genug, nahm das Gericht Veranlassung, bei der Urteilsverkündigung eine scharfe Mahnung an die — jüdische Bevölkerung zu richten.
Der Gerichtsapparat funktioniert im übrigen rasch und hält sich nicht damit auf, sich mit ,,Beweisen“ zu beschweren.
Über die Perspektiven, die sich eröffnen, wenn man daran denkt, wie diese Freisprechungen und geringen Strafen auf die Instinkte und die judenfeindliche Tatbereitschaft der Masse wirken werden, über diese hohnsprechende Art von Justizais Regierungssystem, über die rechtliche Einschätzung des Wertes von jüdischem Gut und Leben, die solches Gericht in sich schließt, ließe sich viel sprechen. Und es ließe sich zeigen, wie hier von neuem Saat ausgestreut wird für ein neues Kischinew,
Auf die Kategorien des Raubes und Mordes entfielen im ganzen 70 — 80 Angeklagte. Schon diese Tatsache sagt vieles. Ihr Urteil wird erst später gesprochen werden. Indessen werden die „Diebe“ „abgeurteilt“. Sie verantworten sich fast alle entweder damit, dass sie die Sachen gefunden hätten und der Polizei hätten abgeben wollen, oder sie erklärten kategorisch: „es sei nach dem Gesetze erlaubt Juden zu plündern und der Zar hätte noch eine besondere Erlaubnis dazu gegeben. Soweit ging die traurige Ironie, dass zu den Richtern manchmal die Frauen der Verhafteten kamen, um für die zwei Tage, an denen ihre Männer geplündert hatten, Lohn zu fordern. Das ist ein vereinzeltes Extrem, das aber nicht nur in der Auffassung der Rechtslage der Juden, sondern auch in der Tatsache seine Erklärung findet, dass seinerzeit das Organisationskomitee viele Exzedenten tatsächlich bezahlt hat.
Unter den in Haft Befindlichen gibt es übrigens auch viele Frauen.
Der Richter Kirijakow waltete seines Amtes mit Milde und großer Menschenfreundlichkeit. Die größere Hälfte wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen, die anderen wurden verurteilt: viele zu einigen Tagen Haft, der Rest zu Arreststrafen in der Dauer von höchstens drei Monaten. An einem der letzten Tage z. B. wurden 126 freigesprochen und 15 verurteilt. Damit nicht genug, nahm das Gericht Veranlassung, bei der Urteilsverkündigung eine scharfe Mahnung an die — jüdische Bevölkerung zu richten.
Der Gerichtsapparat funktioniert im übrigen rasch und hält sich nicht damit auf, sich mit ,,Beweisen“ zu beschweren.
Über die Perspektiven, die sich eröffnen, wenn man daran denkt, wie diese Freisprechungen und geringen Strafen auf die Instinkte und die judenfeindliche Tatbereitschaft der Masse wirken werden, über diese hohnsprechende Art von Justizais Regierungssystem, über die rechtliche Einschätzung des Wertes von jüdischem Gut und Leben, die solches Gericht in sich schließt, ließe sich viel sprechen. Und es ließe sich zeigen, wie hier von neuem Saat ausgestreut wird für ein neues Kischinew,
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenmassacres in Kischinew (1903)