Die öffentliche Meinung in Amerika

Unvergleichlich stärkeren Nachhall als in West-Europa fand das Kischinewer Ereignis bei Juden und Nichtjuden in Amerika. Amerika hat unter dem Eindruck der ersten Nachrichten sofort in Petersburg diplomatisch intervenieren lassen, mit negativem Ergebnis, wie wir bereits hörten. Die Aufregung ist darum nicht geringer geworden. Sie äußert sich mit dem ganzen Temperament der Amerikaner.

Meetings auf Meetings, eine Versammlung nach der anderen, wurden abgehalten, die größten Männer Amerikas, zum Beispiel der Ex-Präsident der Vereinigten Staaten Mr. Gleveland, die hohe Geistlichkeit, alle erhoben ihre Stimme gegen die Barbaren. Die amerikanische Regierung bekam täglich eine Unzahl von Resolutionen, die dahin zielen, dass die Regierung Russland über die Vorfälle in Kischinew und die Behandlung der Juden überhaupt Vorstellungen mache. Die Regierung schenkt diesen Wünschen der Nation ein aufmerksames Gehör und sucht einen Modus, wie sie zu befriedigen wären. Jedenfalls hat die allgemeine Entrüstung in Amerika auf die leitenden Kreise in Russland einen sichtlichen Eindruck gemacht, Russland versuchte sogar durch seinen Botschafter Grafen Cassini die Geschehnisse schlechthin zu leugnen. Dieses Dementi hat aber die Empörung Amerikas noch vergrößert und die ganze öffentliche Meinung brandmarkt mit Verachtung den Grafen Cassini, Allerdings ist Amerika nicht entschlossen, diplomatisch weitere Schritte zu tun, wie nachstehende Kundgebung beweist: „Dem Staatsdepartement gehen fortgesetzt Exemplare von jüdischen Blättern zu, bei denen die Stellen des Textes, die sich auf die Behandlung der jüdischen Bevölkerung in Bessarabien beziehen, angestrichen sind; auch werden direkte persönliche Vorstellungen beim Staatsdepartement erhoben. Einige dieser Zusendungen beweisen, dass über die Lage und die dem Staatsdepartement in der Angelegenheit gezogenen Grenzen eine irrtümliche Auffassung besteht. Das Staatsdepartement ist der Ansicht, dass es nicht mehr tun kann, als es in Sachen der bedrückten Juden bereits getan hat. Und da ihm nicht mitgeteilt worden ist, dass sich unter den neuerdings Misshandelten auch nur ein amerikanischer Bürger befindet, hat es keinen Anlass einzugreifen. Auch bildet dieser Fall keine Parallele zu der Behandlung der Juden in Rumänien. Damals misshandelte Rumänien eine Schar unerwünschter Einwanderer. Mit den Vorfällen in Russland haben aber die amtlichen Kreise nichts zu tun,“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenmassacres in Kischinew (1903)