Die Proteste der Sozialdemokraten
Einige Versammlungen veranstalteten auch da und dort die internationalen Sozialdemokraten. Eine größere Kundgebung des internationalen Bureaus in Brüssel enthielt einen scharfen Protest gegen die zarische Regierung als einzigen Schuldigen und Organisator der Massacres. Allerdings hat in diesem Proteste eine kurzsichtige, für die Juden aber gefährliche, Parteiauffassung vorgewaltet.
Die Schuld der Regierung wird in einseitiger Betrachtungsweise noch größer gemacht, als sie in Wahrheit schon ist, die Schuld der durch keinen Klassenunterschied getrennten Pöbelmasse aber, ihr von sozialen Feindseligkeiten wesentlich unterschiedener fanatischer und barbarischer Judenhass, diese wichtigste Tatsache wird ganz in den Hintergrund gerückt oder mit der Regierungsmethode gedeckt. Und eine ebensolche den Tatsachen in Russland, dem furchtbaren Ausnahmezustand der Juden widersprechende und darum gefährliche Behauptung ist es, wenn dieser Protest erklärt: „Ce n'est pas contre unè race ou une religion, que le tsarisme dirige ses coups, c'est avant tout contre une classe.“ („Nicht gegen eine Rasse oder Religion richtet der Zarismus seine Schläge, sondern vor allem gegen eine Klasse.“) Der Protest verwechselt da ein taktisches Mittel, bei dem die Juden manchmal mit Willen oder Einverständnis der Regierung zur Verwendung kommen, mit dem ganzen Komplex der russischen Judenfrage, deren Wesen, wie wir noch ausführen werden, zunächst in dem Verhältnis des ganzen russischen Volkes zum ganzen jüdischen Volke und erst in viel späterer Folge manchmal auch in Klassenmomenten zu suchen ist. Die deutsche Sozialdemokratie verhielt sich passiv. Von den Protestkundgebungen der österreichischen Sozialdemokraten kommt eine Versammlung in Wien in Betracht. Auch hier beging der Referent den Fehler, nur Regierung und Klassengegensätze sehen zu wollen und noch obendrein eine Hauptschuld auf den jüdischen Klassengegensatz zu legen — dies bei einem Volk, das zu 90 % aus Proletariern und nur zu 10 % aus sozusagen Reichen besteht und in seiner Gesamtheit eine nicht nur rechtlose und unfreie, sondern überhaupt vollständig anormale Gesellschaft darstellt, auf die westeuropäisch-sozialdemokratische Dogmen anzuwenden einfach unwissenschaftlich ist.
Die Schuld der Regierung wird in einseitiger Betrachtungsweise noch größer gemacht, als sie in Wahrheit schon ist, die Schuld der durch keinen Klassenunterschied getrennten Pöbelmasse aber, ihr von sozialen Feindseligkeiten wesentlich unterschiedener fanatischer und barbarischer Judenhass, diese wichtigste Tatsache wird ganz in den Hintergrund gerückt oder mit der Regierungsmethode gedeckt. Und eine ebensolche den Tatsachen in Russland, dem furchtbaren Ausnahmezustand der Juden widersprechende und darum gefährliche Behauptung ist es, wenn dieser Protest erklärt: „Ce n'est pas contre unè race ou une religion, que le tsarisme dirige ses coups, c'est avant tout contre une classe.“ („Nicht gegen eine Rasse oder Religion richtet der Zarismus seine Schläge, sondern vor allem gegen eine Klasse.“) Der Protest verwechselt da ein taktisches Mittel, bei dem die Juden manchmal mit Willen oder Einverständnis der Regierung zur Verwendung kommen, mit dem ganzen Komplex der russischen Judenfrage, deren Wesen, wie wir noch ausführen werden, zunächst in dem Verhältnis des ganzen russischen Volkes zum ganzen jüdischen Volke und erst in viel späterer Folge manchmal auch in Klassenmomenten zu suchen ist. Die deutsche Sozialdemokratie verhielt sich passiv. Von den Protestkundgebungen der österreichischen Sozialdemokraten kommt eine Versammlung in Wien in Betracht. Auch hier beging der Referent den Fehler, nur Regierung und Klassengegensätze sehen zu wollen und noch obendrein eine Hauptschuld auf den jüdischen Klassengegensatz zu legen — dies bei einem Volk, das zu 90 % aus Proletariern und nur zu 10 % aus sozusagen Reichen besteht und in seiner Gesamtheit eine nicht nur rechtlose und unfreie, sondern überhaupt vollständig anormale Gesellschaft darstellt, auf die westeuropäisch-sozialdemokratische Dogmen anzuwenden einfach unwissenschaftlich ist.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenmassacres in Kischinew (1903)